Randvoller Bürgersaal im Rathaus Karlsruhe zum Mega-Ereignis für Zivilcourage
Drei Whistleblower 2015 geehrt
Von Dietrich Schulze
Am 16. Oktober fand in Karlsruhe die Whistleblower-Preisverleihung 2015 statt. Dieser Preis für herausragende Zivilcourage wird alle zwei Jahre von IALANA und VDW vergeben. Erstmals in der Geschichte des Preises seit 1999 wird ein Posthum-Preisträger geehrt, der französische Physiker und Geschichtswissenschaftler Dr. Léon Gruenbaum (1934-2004). Die beiden anderen Preisträger sind Brandon Bryant, ein US-amerikanischer Ex-Drohnen-Pilot und Prof. Gilles-Eric Séralini, ein französischer Molekularbiologe, der die Wirkungen des Unkrautvernichters und wahrscheinlichen Krebserregers Glyphosat von Monsanto erforscht und gegen starke Widerstände „Alarm bläst“ [1]. Besonders sei auf die Langfassungen der Jury-Begründungen zu allen Preisträgern verwiesen. In diesem frühen Stadium nach dem medialen Mega-Ereignis können nur erste skizzenhafte Eindrücke vermittelt werden.
Die drei Preisträger Gilles-Eric Séralini, Léon Gruenbaum (Portrait Liane Holl) und Brandon Bryant im Bild vereint.
Quelle: Zitat (9)
Über 250 Teilnehmer*innen
Die Preisvergabe war eine selten schöne Einheit von Qualität und Quantität in der Tagungsstätte der Bürgervertretung in Karlsruhe, der „Residenz des Rechts“. Damit hatten selbst die Veranstalter in kühnen Träumen nicht gerechnet. Zweifellos waren dafür die internationale Bekanntheit von Brandon Bryant und Gilles-Eric Séralini und die Brisanz ihrer Enthüllungen ausschlaggebend. Bryant war tags zuvor als Zeuge im NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages in Berlin gehört worden. Der prominente Journalist John Goetz vom ARD-Hauptstadtstudio (vom Recherche-Verbund NDR, WDR und Südd. Zeitung), der die Laudatio auf Bryant in Karlsruhe hielt, berichtete, er habe es noch nicht erlebt, dass ein Zeuge im Untersuchungsausschuss Beifall der Versammelten für seine Ausführungen erhalten habe. Aber auch die geschichtliche Bedeutung und die jahrelange Arbeit zur Ehrung von Léon Gruenbaum spielten für die Publikumsresonanz eine Rolle.
Schlüssel Aufruf & Unterstützung
Mitursächlich für das starke Publikumsinteresse dürfte auch der lokale Unterstützer-Aufruf [2] gewesen sein, der von 10 Persönlichkeiten und 18 Gruppen unterstützt wurde: AStA KIT, attac, Grüner Gemeinderat, DFG-VK, DGB, DIE LINKE., Evangelische Luthergemeinde, Forum | Ludwig Marum, Friedensbündnis, Gegen Vergessen Für Demokratie e.V. , GEW, Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, Lernort Zivilcourage & Widerstand e. V., PNOES, ver.di, VVN-BdA und Zeichen setzen – Jüdisches Leben in Bad Schönborn. Die vielfältige Weitergabe an die jeweiligen Netzwerke zeigte ihre Wirkung.
Entstehung des Posthum-Preises
In Ergänzung meines Artikels in der Neuen Rheinischen Zeitung [3] sei es gestattet, ein paar Worte über die interessante Vorgeschichte des Posthum-Preises zu sagen. Nach dem Gruenbaum-Symposium [4] vor zwei Jahren mit dem vielsagenden Titel »Der vergessene Whistleblower (1934–2004)« war es vor allem Christof Müller-Wirth, der die Ehrung von Léon Gruenbaum voranzubringen versuchte, u.a. dadurch, dass die geschichtswissenschaftliche Monographie »Genese der Plutonium-Gesellschaft – Politische Konspirationen und Geschäfte“ als Buch veröffentlicht wird. Dazu ist eine aufwändige Übersetzung vonnöten, die bisher nicht gelungen ist. Müller-Wirths Partner Peter Becker griff dieses Projekt auf. Auf diesem Wege gelangte der „vergessene Whistleblower“ in den Kreis der Jury für die Preisvergabe. Dr. Dieter Deiseroth aus der Jury hatte schließlich die geniale Idee, Léon Gruenbaum zusätzlich zu den aktuellen Preisträgern im Sinne eines Posthum-Ehrenpreises einzubauen. Daraus wiederum entstand der Plan, den Veranstaltungsort Karlsruhe zu wählen.
Um ein entscheidendes Ergebnis vorweg zu nehmen. Durch Gespräche von Zuständigen, sicherlich begünstigt durch die unterstützenden Worte des Oberbürgermeisters in seiner Eröffnungsrede und die motivierende Atmosphäre der Veranstaltung, konnte erreicht werden, dass das Buch für die Monographie nunmehr finanziell gesichert ist. Léon´s dreizehnter Todestag am 22. April 2016 wäre ein guter Termin für die Fertigstellung der Übersetzung.
Programm von 2 ½ Stunden
Nun aber endlich zum Ablauf der Preisverleihung für gleich drei gewichtige Preisträger, ein hartes Brot für die Veranstalter. Wie kann es erreicht werden, die Aufmerksamkeit über einen so langen Zeitraum für keineswegs unkomplizierte Sachverhalte zu fesseln? Mit einer absolut gelungenen Kombination von Vortragenden mit zwei Video-Beiträgen zu Beginn und einem wundervollen Kulturprogramm. Die drei Kulturbeiträge der Mezzo-Sopranistin Malika Reyad und ihrer Klavier-Virtuosin You Kyong Kim haben für die wertvollen und notwendigen Nachdenk-Phasen gesorgt.
Video-Botschaft Klarsfeld
Das erste highlight der Preisverleihung war die Video-Botschaft von Serge Klarsfeld (FFDJF) Paris für den Posthum-Preisträger. Er begrüßte die Preisverleihung an Léon Gruenbaum und forderte die Aberkennung des KIT-Ehrensenatortitels für Rudolf Greifeld. Die Aufzeichnung des Videos in Paris besorgte die Filmemacherin Efstratia Dawood (PNOES), die das Video auch mit übersetzten Untertiteln versehen ließ. Tatsächlich hatte die Botschaft von Serge Klarsfeld einen ersten Teil, der aus Zeitgründen nicht vorgeführt werden konnte. In einer Handreichung für die Teilnehmer*innen-Mappe [5] konnten beide Teile in vollständiger Übersetzung nachgelesen werden. Die Video-Botschaft und der Trailer über Leons Leben sollen in Bälde verfügbar gemacht werden. Das gilt auch für die ermutigende Laudatio von Philipp Sonntag, der nicht nur auf den aufgedeckten Atomwaffen-Proliferationsaspekt des KIT-Vorläufers Kernforschungszentrum Karlsruhe, sondern auch auf den Aspekt „Child Survivor“ (überlebende Kinder der Shoa) einging, zu dem er ganz persönliche Beziehungen hat.
Gedenkminute für Léon
Der emotionale Höhepunkt der Veranstaltung war für mich persönlich die Gedenkminute für Léon Gruenbaum, von Otto Jäckel vor Beginn der Preisübergabe an Brandon Bryant und Prof. Gilles-Eric Séralini erbeten. Dieser Punkt war nicht in der Regieplanung vorgesehen. Otto Jäckel erklärte mir später, dass das eine spontane Entscheidung der Jury zu Beginn der Veranstaltung gewesen sei, eine direkte Auswirkung die Publikumsresonanz. Die Dankesworte der Preisträger Brandon Bryant und Gilles-Eric Séralini waren in vielerlei Hinsicht außerordentlich lehrreich, weil beide mit bewegenden Worten auf die persönlichen Folgen und das Klima in ihrem jeweiligen Umfeld eingegangen sind. Die spannenden Berichte darüber möchte ich nicht vorweg nehmen. Das gilt ebenso für die sehr durchdachten Berichte aller Vortragenden, die bald dokumentiert sein werden. Eine allgemeine Bemerkung sei mir erlaubt zur Laudatio von Christine von Weizsäcker auf Prof. Dr. Gilles-Eric Séralini. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 1 ½ anstrengende Stunden vorüber gegangen. Frau von Weizsäcker hat es verstanden, den Zuhörer*innen erneute Aufmerksamkeit abzuverlangen mit einfachen, gut verständlichen Worten und tiefschürfenden Gedanken zugleich.
WebDoku Medienberichte
Die bis dato bekannten Medienreaktionen und die Karlsruher Vorbereitungsarbeiten sind in einem Auszug [6] aus der von mir betriebenen WebDokumentation gegen die Militarisierung der Universitäten aufgelistet. Daraus möchte ich vor allem die Tatsache erwähnen, dass ein unmittelbarer Beitrag im ARD Nachtmagazin gesendet wurde. Das nebenstehende Schlussbild der Sendung zeigt wiederum die beiden Preisträger mit den Moderatoren Bartosch und Jäckel mit dem Portrait von Léon Gruenbaum. Nur noch ein Beispiel für die interessante Medienpräsenz. Albrecht Müller von den NachDenkSeiten ließ es sich nicht nehmen, nach Karlsruhe zu kommen, um wie angekündigt Brandon Bryant zu interviewen.
Bitte studieren Sie die Medienberichte, darunter auch Abwegiges und Abwertendes.
Dr. Léon Gruenbaum, Prof. Bartosch, Prof. Gilles-Eric Séralini, Brandon Bryant und Otto Jäckel.
Quelle: ARD-Nachtmagazin. 17.10.2015
Falschbehauptung BNN
Ein schlimmes Beispiel für die Abwertung gleich aller drei Preisträger haben die lokalen Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) mit ihrem Bericht vom 16. Oktober [7a] geliefert. Zitat: »KIT hat sich auch mit Blick auf den posthumen Persönlichkeitsschutz für die Beibehaltung des Ehrensenatorentitels entschieden. Man mag dies kritisieren. Aber die Aufwertung Grünbaums zum „whistleblower“ wirft die längst beantwortete Frage nun erneut auf und gibt eine moralisch heikle Antwort ohne handfesten historischen Beleg.« Das war selbst der KIT-Leitung nicht geheuerlich. Tags darauf mussten die BNN ihre Falschbehauptung korrigieren [7b]. Zitat: »Das KIT legt Wert auf die Feststellung, dass über die Aberkennung der ruhenden Ehrensenatorwürde für den einstigen Kernforschungszentrums-Manager Rudolf Greifeld noch nicht entschieden wurde. Die Ethikkommission habe sich mehrfach mit dem Fall befasst und werde nach den derzeitigen Planungen noch in diesem Jahr den Gremien einen Vorschlag für die Entscheidung unterbreiten.« Dazu sei noch erwähnt, dass die Langfassung der Jury-Begründung [8] über die historischen Belege dem von der Ethikkommission bestellten Gutachter Prof. Rusinek zur Kenntnis gegeben worden sind. Im Schluss-Gedanken der Jury heißt es: »Wenig Verständnis hätte Dr. Gruenbaum, wenn er davon erführe, dafür, dass bis heute Dr. Rudolf Greifeld, der langjährige administrative Geschäftsführer des KfK in Karlsruhe, das vor wenigen Jahren im „Karlsruher Institut für Technologie (KIT)“ aufgegangen ist, nach wie vor Ehrensenator eben dieses KIT ist. Es ist zu hoffen, dass sich das KIT nun endlich auf der Grundlage des in Kürze zu erwartenden Fachgutachtens des Historikers Prof. Rusinek von der Universität Düsseldorf, der zugleich Leiter des Archivs des Forschungszentrums Jülich ist, dazu entschließt, Dr. Greifeld vor allem aufgrund seiner NS-Belastung die Ehrung als Ehrensenator zu entziehen.«
Besonderer Dank an OB Dr. Mentrup
Zur gezielten BNN-Taktik gegen die Preisverleihung noch ein gewissermaßen tröstlicher Gedanke. Hätte die BNN rechtzeitig und sachlich über die Preisverleihung wie etwa z.B. das Online-Magazin ka-news berichtet, wäre der Andrang im Rathaus nur schwer zu bewältigen gewesen. Die Veranstalter und der Hausherr Dr. Mentrup wären mangels Übertragungskapazitäten nach draußen in arge Nöte versetzt worden. Mir bleibt am Schluss nur noch, neben den Preisträgern besonders dem Oberbürgermeister für die Bereitstellung des Bürgersaals und seine überzeugenden Eröffnungsworte zu danken. Ein großer Dank geht auch an den Haupt-Organi¬sator der Veranstalter Reiner Braun und sein Team, die mit ihrer umsichtigen Arbeit zum Erfolg beigetragen haben. Das gilt ebenso für das emsige Karlsruher Vorbereitungsteam.
Diese Preisverleihung wird viele positive Folgen haben. Das oben benannte Übersetzungsprojekt ist nur ein Bespiel dafür. Und noch etwas Gutes zu allerletzt, die Bilderserie der Veranstaltern [9]. Bilder sagen mehr als tausend Worte. (PK)
[1] http://www.ialana.de/arbeitsfelder/whistleblowing/whistleblower-preis/whistleblowerpreis-2015
tp://neu.vdw-ev.de/veranstaltungen/whistleblower-preisverleihung-2015/
[2] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20150929.pdf
[3] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22109
[4] http://www.forum-ludwig-marum.de/site/assets/files/1012/broschuere.pdf
[5] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20151017sk.pdf
[6] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20151017wd.pdf
[7a] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20151016bnn.pdf
[7b] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20151017bnn.pdf
[8] http://www.ialana.de/files/pdf/arbeitsfelder/whistleblowerpreis/whistleblowerpreis%202015Jury_Lang__Begrndung_Gruenbaum_21_9_2015_Dei_Schulze.pdf
Über den Autor: Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig. Für das Karlsruher Vorbereitungsteam der Whistleblower-Preisverleihung 2015 zeichnet er verantwortlich.
Online-Flyer Nr. 533 vom 21.10.2015