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Inland
Konstantin Wecker und die Nazis
Falscher Alarm?
Von Hermann L. Gremliza

Der Landrat von Halberstadt ("Ihr Tor zum Harz") hat einen Auftritt Konstantin Weckers, der im örtlichen Käthe Kollwitz-Gymnasium "Nazis raus aus unserer Stadt" singen wollte, mit Rücksicht auf die Nazis in seiner Stadt verhindert. (Siehe NRhZ 35 und 38)

"Ein Gymnasium", sagte der parteilose und also über der Parteien Haß und Gunst schwebende Mann, sei "keine Plattform für politische Ideologien", und schlug Wecker das Tor zum Harz vor der leidgeprüften Nase zu.

Eine gute Nachricht und zwei schlechte. Eine schlechte, daß es im Innern des Landes Regionen und Städte gibt, in denen die Behörden Rücksicht auf die Gefühle ihrer nationalsozialistisch gesinnten Bewohner nehmen; eine gute, weil sie diesen Umstand bekannt macht; und eine weitere schlechte, daß sie der "Koalition der Anständigen" aufs neue Gelegenheit bietet, Reklame für jenes legendäre andere, bessere Deutschland zu machen, das es nicht gibt.

Was sind diese neuen Nazis, die Kameradschaften der Glatzköpfe und ihre NPD? Sie sind heute, was die NSDAP und die SA ohne die Harzburger Front, ohne die Protektion des Pressezaren Alfred Hugenberg, des Bankiers Kurt von Schröder, des Industriellen Fritz Thyssen ("I paid Hitler") oder einfach der deutschen Bourgeoisie und ihres staatlichen Apparats gewesen und geblieben wären: ein Haufen Rabauken, Krakeeler und Totschläger. Die Vorstellung, es ließen die Herren über Banken, Industrie und Medien von Leuten sich regieren, von denen sie partout nicht regiert werden möchten, haben und verbreiten nur Politiker, Journalisten und Professoren der Sozialwissenschaften. Dafür werden sie aber auch bezahlt.

Was das braune Potential betrifft, auf das die Herrschenden für den Fall, sie sollten es sich wieder einmal anders überlegen, bei den deutschen Massen zurückgreifen könnten, so dürfte der Prozentsatz heute wie gestern und morgen irgendwo zwischen 33 und 45 liegen - was eine, den üblichen Mitläuferquotienten bedacht, satte nimmersatte Mehrheit ist.

Zwar hatten, nach Hoyerswerda und Mölln, die Herrschenden aus brennender Sorge um den Export die braune Brühe von ihren Bütteln in Amt und Redaktion soweit herunterkochen lassen, daß man sie von New York aus nicht mehr brodeln sah. Aber das Feuer unter dem Topf gelöscht haben sie nie - wer weiß, wann man sich von der Suppe einmal noch nähren möchte. 

Und so fern, ferner als Hugenberg von Goebbels, steht Frau Vollmers gründlich zivilisierte Gesellschaft den neuen Nazis ja keineswegs. Spitzt sich die soziale Frage zu, bevorzugt nicht nur die Rechte die nationale Antwort. "Bei den Unternehmern", sagt der Vorsitzende der SPD-Fraktion, "fehlt es mir an nationalem Verantwortungsbewußtsein", sein Parteichef spricht: "Unsere deutsche Wirtschaft ist kein Spielkasino", und der Linksparteiführer Lafontaine entdeckt die Wurzeln seines Sozialismus in den sozialfaschistischen Niederungen des Islam - linke Hasen im dreiundsiebzigsten Wettlauf mit dem rechten Igel, der seit mehr als hundert Jahren immer schon "all dor" ist mit seinen Konzernen, Verbänden, Gerichten, Soldaten, Polizisten, Parteien und Medien.

Den Hof, auf dem die besseren Herren der guten Gesellschaft Kontakt mit ihrem nützlichen Abschaum pflegen, bildet die Wochenzeitung "Junge Freiheit". Dort treffen Vorsitzende, Bundes- oder Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeber, der Ärzte, der Landsmannschaften, der Volksbefragungsinstitute und der Tierschutzbünde sich mit Überzeugungstätern wie Alt, Gauweiler, Heitmann, Rabehl, Noelle-Neumann, Schönbohm, Nolte, Mechtersheimer und Rohrmoser, verkehren Professoren, Polizeisprecher, Oberstudiendirektoren, Sportbundspräsidenten, Bundesrichter, Generale, Generalleutnants und Brigadegenerale mit emeritierten, ehemals leitenden "FAZ"- und Springer-Redakteuren (Fromme, Ströhm, Zehm, Gillessen). Dort auch kommunizierten bis zu seinem Tod 2003 viele Abgeordnete aus CDU, CSU, FDP und einige aus der SPD (wie Egon Bahr und der Burschenschaftler Farthmann) mit dem Armin Mohler, der sich als Vater der neuen deutschen Rechten sah, ohne die Verbindung zur etwas älteren abreißen zu lassen: "Hitler", sagte Mohler, "hat immerhin eine richtige Führung geschaffen. Die Kader, die er heranzog, hatten Stil."
Einige sozialdemokratische Innenminister waren stillos genug, ihre Landesämter für Verfassungsschutz einen Blick in diesen Kontakthof werfen zu lassen, wogegen das Blatt - eskortiert vom ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, denn man hat seine Leute - vors Bundesverfassungsgericht zog, mit glänzendem Erfolg:

Die Nennung der Wochenzeitung im Verfassungsschutzbericht berührt das Grundrecht der Pressefreiheit. Durch die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht wird die Beschwerdeführerin zwar nicht gehindert, die Zeitung weiter zu vertreiben und auch zukünftig Artikel wie die beanstandeten abzudrucken. Ihre Wirkungsmöglichkeiten werden jedoch nachteilig beeinflußt. Potentielle Leser können davon abgehalten werden, die Zeitung zu erwerben, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß etwa Inserenten, Journalisten oder Leserbriefschreiber die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht zum Anlaß nehmen, sich von der Zeitung abzuwenden oder sie zu boykottieren. Dies kommt einem Eingriff in die Pressefreiheit gleich.
 
Treusorgende Familienväter, die Richter des Ersten Senats, so treusorgend wie ihre Vorgänger um die Kollegen von Freislers Volksgerichtshof, die sie vor jeder Strafe bewahrten. Und nicht nur die Richter. Als das Blatt jüngst von der Leipziger Buchmesse ausgeschlossen werden sollte, weil es an seinem Stand eine turbulente Feier hatte veranstalten wollen, unterzeichneten die Herren Joachim Fest, Helmut Markwort, Arnulf Baring, Andreas von Bülow, Rolf Hochhuth, Hans-Olaf Henkel, Wolf-Jobst Siedler und Ernst Nolte einen Protest "gegen diesen Grundrechtseingriff".

Und nur der Terror der political correctness vermochte andere wie den "Tagesspiegel"-Redakteur Harald Martenstein abzuhalten: "Ich habe die Resolution nicht unterzeichnet. Viele Bekannte rieten ab. Ich würde in ein schiefes Licht geraten. Unterschrieben hatten am Ende fast nur Konservative, Leute wie Joachim Fest oder Wolf Jobst Siedler. Die Liberalen hatten versagt, bei einem Thema, das ihnen am Herzen liegen müßte, der Meinungsfreiheit. Das politische Lagerdenken war ihnen wichtiger als die Freiheit. In Deutschland fragt man sich in so einer Situation natürlich, wie mutig man wohl 1933 gewesen wäre." Ob man nämlich den Mut gehabt hätte, damals einen Protest zugunsten des "Völkischen Beobachters" zu unterschreiben.

Auch die "FAZ" stellte noch schnell einen Persilschein aus: "Die Zeitung steht rechts von der Mitte, aber als extremistisch wird man sie, zu deren Interviewpartnern gute Sozialdemokraten wie Egon Bahr oder der kürzlich verstorbene Peter Glotz gehörten, nicht bezeichnen wollen." Man wird. Ein Blick in die Ausgabe vom 10. März genügt:

"Dresden" ist ... eine pornographische Verfälschung der Geschichte aus dem Geist der politischen Korrektheit! ... Es beginnt mit historischen Aufnahmen aus der unzerstörten Stadt. Darüber werden Hitlers Drohung, die englischen Städte "auszuradieren", und der anschließende Jubel gelegt. Die Rede wurde am 4. September 1940 im Berliner Sportpalast gehalten. Ein Jahr zuvor, am 3. September 1939, hatte Großbritannien dem Reich die Kriegserklärung übergeben, die zurückzunehmen Hitler die Briten nicht zwingen konnte. Churchill arbeitete daran, den europäischen Konflikt zum Weltkrieg auszuweiten, den Deutschland nur verlieren konnte.
 
Welche Geschichte wird hier geschrieben? Eine Geschichte, in der Hitler verzweifelt versucht hat, den englischen Premier Churchill am Zweiten Weltkrieg zu hindern. Es ist eine Nazi-Geschichte. Daß sie erzählt werden kann, dafür sorgen die höchsten Gerichte und jene virtuelle Harzburger Front, an der die deutschnationalen Unterschriftsteller stehen. Und der parteilose Landrat von Halberstadt als ihr Putzfleck.

Hermann L. Gremliza ist Herausgeber der Zeitschrift "konkret", in deren Ausgabe 4/06 diese Kolumne veröffentlicht wurde.

Mehr unter www.konkret-verlage.de


Online-Flyer Nr. 40  vom 18.04.2006



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