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Zweifrontenkrieg wird die ganze Region in Aufruhr versetzen
Israel steckt in der Sackgasse
Von Yaacov Ben Efrat
Selbst nach dem Rückzug aus dem Südlibanon und dem Gazastreifen ist und bleibt die militärische Logik der entscheidende Faktor der israelischen Politik. Wann auch immer Israel große politische Veränderungen anstrebt, verlässt es sich auf seine militärische Stärke. So war es während des Libanonfeldzugs, als es danach strebte, die PLO zu zerschlagen und ein ihm freundlich gesonnenes Regime an die Macht zu bringen. Und so verhielt es sich auch bei der euphemistisch "Schutzschild" genannten Operation, in deren Zuge Israel die Gebiete der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) wiederbesetzte, um Yasser Arafat zu zwingen, sich seinem Diktat zu unterwerfen. Und dies gilt auch für den Zwei-Fronten-Krieg, den es heute führt und mit dem die Hamas-Regierung in Gaza gestürzt und der Einfluss der Hizb´ollah im Libanon geschwächt werden soll.
Israels militärische Stärke zeichnet sich durch enorme Zerstörungskraft und die Skrupellosigkeit derer aus, die sie betreiben. Die Bombardierung öffentlicher Gebäude, Straßen, Brücken, Flughäfen und Kraftwerke hat Hunderte ziviler Opfer gefordert. Die internationale Gemeinschaft beschränkt sich darauf zu jammern und zu tadeln.
Der Krieg gegen Zivilisten ist unvermeidliche Folge des Ungleichgewichts der militärischen Stärke. Israel steht nicht einer Armee sondern Widerstandsorganisationen gegenüber, deren primitive Waffen mit seinem militärischen und atomaren Arsenal nicht vergleichbar sind. Daher sind die Ziele, die sich Israel bieten, eingeschränkt und im wesentlichen ziviler Natur. Selbst Basisrohstoffe und Treibstoff sind zu legitimen Angriffszielen geworden. Als reiche es nicht aus, dass die Menschen die Lasten des Alltags tragen, fügt Israel ihnen weiteres und extremes Leid zu.
Ein Krieg an den Rückzugsfronten
Es muss festgehalten werden, dass der gegenwärtige Krieg in Gebieten geführt wird, aus denen sich Israel zurückgezogen hat und an deren Kontrolle es nach eigener Aussage nicht mehr interessiert ist: Aus dem Libanon hat es sich im Mai 2000 und aus Gaza im August 2005 zurückgezogen. Es hat auch erklärt, sich aus der Westbank zurückziehen zu wollen. Doch entgegen allen Erklärungen beweist der heutige Krieg, dass diese Rückzüge Täuschungen und die ihnen zugrunde liegenden Absichten alles andere als rein waren. Die Entscheidungen, sich aus dem Libanon bzw. Gaza zurückzuziehen, wurden unilateral gefällt. Dies war nicht zufällig.
Der Rückzug aus dem Libanon war mit der libanesischen Regierung nicht abgestimmt, da jede Vereinbarung mit dem Libanon auch eine Abstimmung zwischen Libanon und Syrien erfordert hätte. Syrien benutzte (und benutzt) Hizb´ollah an der libanesischen Grenze, um Israel zu piesacken. Die Botschaft lautet: `Wenn Du Dich nicht mit uns einigst und uns die Golanhöhen nicht zurück gibst, kriegst Du in Deinem Norden auch keinen Frieden,´ Der israelische Rückzug aus dem Libanon sollte der Hizb´ollah die Daseinsberechtigung entziehen und damit Syrien den Stachel nehmen und Israels Kontrolle über den Golan festigen.
Mit seinem unilateralen Rückzug aus dem Libanon wollte Israel auch jene Kräfte stärken, die wollten, dass sich Syrien aus dem Land zurückzöge. Dies war das Ziel des früheren libanesischen Premierministers Rafiq al-Hariri; er war von seiner Position zurückgetreten und hatte, um gegen die syrische Anwesenheit im Libanon zu protestieren, eine Oppositionspartei gegründet. Diese Haltung, für die Al-Hariri mit dem Leben bezahlte, brachte die Massen auf die Straße. Als Ergebnis gewann die Oppositionspartei bei den libanesischen Parlamentswahlen die Macht, und in der Tat zwangen die Demonstrationen, begleitet von amerikanischem und internationalem Druck, Syrien, seine Kräfte aus dem Libanon zurückzuziehen. Damit sah Israel sein Ziel erreicht.
So wie der Rückzug aus dem Libanon Israels Griff auf den Golan stärken sollte, so sollte der Rückzug aus Gaza Israel in die Lage versetzen, große Teile der Westbank zu annektieren. Der Unterschied ist, dass der Rückzug aus Gaza eine reine Schau war. Während der libanesischen Führung die Kontrolle über den Südlibanon übergeben wurde, hat Israel in Gaza nicht die Macht auf die Palästinenser übertragen. Der Gazastreifen wurde zu einem gewaltigen Gefängnis unter totaler Kontrolle Israels. Diese Situation hat das Chaos und die generelle Niedergeschlagenheit in Gaza vergrößert.
Innere Konflikte werden genutzt
Die gegenwärtige Krise hat ihre Wurzeln in der israelischen Politik. Israel widersetzt sich einer generellen Lösungen der anhaltenden Feindseligkeiten. Es zieht es vor, "zu teilen und zu herrschen" und beutet die einander widersprechenden Interessen der arabischen Staaten aus. Es ist bemüht, die Spannungen und Differenzen zwischen Jordanien und Palästina, zwischen Palästina und Syrien und zwischen Syrien und Libanon zu pflegen. Doch wie ein Bumerang fällt dieses alte Kolonialistenspiel immer wieder auf den Spieler zurück.
Die konfessionelle Spaltung im Libanon ist hierfür ein erstklassiges Beispiel. Israel hat die Maroniten gegen die Sunniten zu einer Zeit unterstützt, in der die Shiiten keinen wahrnehmbaren politischen Einfluss hatten. Doch die maronitische Karte verlor. Ohne einen Verbündeten im Inneren musste sich Israel zurückziehen. Der Rückzug wiederum schuf einen neuen Konflikt zwischen Sunniten und Shiiten, in dem diesmal die Sunniten für die Amerikaner antraten.
Ein ähnliches Szenario ergab sich auf der palästinensischen Bühne. Ursprünglich hatte sich Israel bemüht, eine Opposition zu Yasser Arafat aufzubauen. Es unterstützte Abu Mazen, der vom Weißen Haus als annehmbar befunden worden war. Heute unterstützt es die Fatah und Abu Mazen, den jetzigen Präsident der PA, gegen die Hamas Regierung. Auch innerhalb der Hamas hat Israel Konflikte entdeckt, die es sich nutzbar machen kann.
Diese kolonialistische Politik hat zu einer Verschlimmerung der Krise und einer Ausweitung des Konflikts geführt. Um die Kontrolle auszuüben, muss man nicht direkt regieren. Es genügt, politisch, wirtschaftlich oder militärisch zu intervenieren. Dann ist klar, wer der Boss ist.
Widerstandsbewegungen in der Krise
Auch Hamas und Hizb´ollah, die dank Israels Politik zu Hauptakteuren geworden sind, versuchen aus der Anwendung von Gewalt politischen Gewinn zu ziehen. In beiden Fällen gilt es, interne Probleme zu überwinden, die vor dem Hintergrund des israelischen Rückzugs aufgekommen sind.
In der Tat hat Israels Rückzug aus Gaza zum Wahlsieg der Hamas beigetragen, aber dieser Erfolg hat den Sieger durcheinander gebracht. Er hat Hamas vor die Wahl gestellt, entweder ihre Regierungsaufgaben zu erledigen oder den bewaffneten Widerstand fortzuführen. Um nicht Prestige und Glaubwürdigkeit zu verlieren, hat sich Hamas entschieden, zugleich zu regieren und zu kämpfen. Ergebnis war eine Reihe militärischer Abenteuer, denen keine Strategie zugrunde lag. Zudem führte die von Israel verhängte Wirtschaftsblockade innerhalb der PA zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Unterstützern von Fatah und Hamas, die das palästinensische Leben vollständig lähmten.
Direkt vor Beginn der aktuellen Krise hatten sich der Präsident der PA, Abu Mazen, und Premierminister Ismail Haniyeh geeignet, das Dokument der Gefangeneninitiative, in dem der Staat Israel indirekt anerkannt wird, zu unterzeichnen. Der Weg zu dieser Einigung war beschwerlich, voller Auseinandersetzungen und mit wechselseitigen Bürgerkriegsdrohungen gespickt. Die Einigung hätte Abu Mazen Verhandlungen mit Israel ermöglicht.
Auch Israels Regierung war darauf eingestellt, die Gefangeneninitiative zu diskutieren. An eben jenem Tag aber führte die al-Qassem-Brigade der Hamas ihren Angriff durch und kidnappte den Soldaten. Wieder brach Verwirrung aus. Es war klar, dass der Kopf der politischen Abteilung der Hamas, Khaled Mash´al gegen die Gefangeneninitiative und gegen Verhandlungen mit Israel war. Mash´al wollte zeigen, wer wirklich das Sagen hat, und er scheint damit unerwartet erfolgreich gewesen zu sein. Premierminister Haniyeh steht der sich verschlimmernden Lage machtlos gegenüber. Seine Vereinbarung mit Abu Mazen ist bedeutungslos geworden.
Auch Hizb´ollah steht vor einer schwierigen politischen Krise- Der Rückzug Syriens aus dem Libanon und der Sieg der Opposition bei den dortigen Parlamentswahlen gefährdet ihr Weiterbestehen als bewaffnete Miliz. Die neue libanesische Regierung will sie loswerden und erklärt, jetzt, da Israel sich auf die internationale Grenze zurückgezogen habe, bestehe für sie kein Bedarf mehr. Diese Erklärung stimmt mit der Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrats überein, die nicht nur einen Rückzug Syriens, sondern auch die Entwaffnung der Hizb´ollah fordert. Alle Verhandlungen zwischen Hizb´ollah und den anderen politischen Kräften im Libanon blieben ergebnislos. Es ist auch bekannt, dass der Führer der Opposition, Walid Jumblat, und andere einflussreiche libanesische Politiker Hizb´ollah kritisiert haben und sie beschuldigen, der Mehrheit der Libanesen, die zur Normalität zurückkehren wollen, eine sektiererische Tagesordnung aufzuzwingen.
Weder Hizb´ollah noch Hamas haben sich, ehe sie ihre "qualitativen" Angriffe durchführten, mit anderen Kräften innerhalb ihrer Völker abgestimmt. Und doch erwarten sie von den Regierungen Libanons und Palästinas, die Ergebnisse ihrer Aktionen aufzufangen. Israel ist sich dieser verzwickten Situation bewusst. Seine Schläge zielen darauf ab, die internen Brüche zu vertiefen, um die Widerstandsbewegungen von den übrigen politischen Kräften und im Grunde von der Bevölkerung überhaupt zu isolieren.
Israel spielt gegen die Zeit
Zweifellos wird ein Zwei-Fronten-Krieg zu politischen Umwälzungen in der Region führen. Dies war so während des Libanonfeldzugs und bei der Besetzung der palästinensischen Gebiete. Doch die Erfahrungen zeigen, dass die Ergebnisse eines solchen Feldzugs nicht immer zum Vorteil Israels sind.
Der neue Krieg ist ein Zeichen, dass die Politik des unilateralen Rückzugs, die Basis für Ehud Olmerts Wahlsieg, in eine Sackgasse geraten ist. Der Krieg findet an zwei Fronten statt, von denen sich Israel bereits zurückgezogen hatte. Dies beweist, dass einseitiger Rückzug die Lage nicht verbessert, sondern politische Anarchie schafft, Störungen, die Israel schaden.
Israels Versuch, aus den Gebieten zu entkommen, die es besetzt und dem Erdboden gleichgemacht hatte, ohne Verantwortung für die Zukunft der dort lebenden Menschen zu übernehmen, hat die Auseinandersetzung nur verschärft. Israel ist nicht bereit, Rechenschaft abzulegen: Warum geht es Verhandlungen aus dem Weg? Warum erkennt es weder die Rechte seiner Nachbarn an noch deren ökonomische oder sicherheitsbezogene Bedürfnisse? Was gibt ihm das Recht, seine Grenzen festzulegen, wie es ihm passt, ohne auf die Menschen auf der anderen Seite Rücksicht zu nehmen?
Indem es diesen Fragen weiter aus dem Weg geht, spielt Israel gegen die Zeit. Innerhalb der arabischen Welt haben realistische Kräfte Stück für Stück an Einfluss verloren, Fundamentalisten sind an ihre Stelle getreten. Diese haben keine echte Lösung zu bieten, aber sie verfügen über die Fähigkeit, dem Zorn der Menschen, die jegliche Hoffnung verloren haben, Ausdruck zu verleihen. Das von Israel geschaffene Vakuum füllt sich mit Extremismus, der im Gespann mit Armut, Entbehrungen und Hilflosigkeit noch zunehmen wird.
Dieser Zwei-Fronten-Krieg wird zweifellos in der gesamten Region zu politischem Aufruhr führen. Die, die ihren Völkern Illusionen verkaufen, werden früher oder später den politischen Preis dafür zahlen müssen. Dies tut US-Präsident George W. Bush seit seiner Invasion des Irak. Dies tat Yasser Arafat, nachdem er sein Volk mit Befreiungsversprechungen beschwatzt hatte. Dies wird auch die israelische Regierung tun, die "ein Land", versprochen hat, "in dem es Spaß macht zu leben", stattdessen jedoch die Gewaltspirale nur ein Stück weitergedreht hat.
Yaacov Ben Efrat ist Redakteur der linken Zeitschrift "Challenge", die seit der ersten Intifada den israelisch-palästinensischen Konflikt thematisiert und im israelischen Jaffa alle zwei Monate von arabischen und jüdischen JournalistInnen herausgegeben wird: www.challenge-magazin.de
Siehe dazu auch den Filmausschnitt "Zensur, Gefängnis, Folter - Pressefreiheit- wie Israels Regierungs sie sieht"
Wir danken Endy Hagen für die Übersetzung
Online-Flyer Nr. 56 vom 08.08.2006
Zweifrontenkrieg wird die ganze Region in Aufruhr versetzen
Israel steckt in der Sackgasse
Von Yaacov Ben Efrat
Selbst nach dem Rückzug aus dem Südlibanon und dem Gazastreifen ist und bleibt die militärische Logik der entscheidende Faktor der israelischen Politik. Wann auch immer Israel große politische Veränderungen anstrebt, verlässt es sich auf seine militärische Stärke. So war es während des Libanonfeldzugs, als es danach strebte, die PLO zu zerschlagen und ein ihm freundlich gesonnenes Regime an die Macht zu bringen. Und so verhielt es sich auch bei der euphemistisch "Schutzschild" genannten Operation, in deren Zuge Israel die Gebiete der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) wiederbesetzte, um Yasser Arafat zu zwingen, sich seinem Diktat zu unterwerfen. Und dies gilt auch für den Zwei-Fronten-Krieg, den es heute führt und mit dem die Hamas-Regierung in Gaza gestürzt und der Einfluss der Hizb´ollah im Libanon geschwächt werden soll.
Israels militärische Stärke zeichnet sich durch enorme Zerstörungskraft und die Skrupellosigkeit derer aus, die sie betreiben. Die Bombardierung öffentlicher Gebäude, Straßen, Brücken, Flughäfen und Kraftwerke hat Hunderte ziviler Opfer gefordert. Die internationale Gemeinschaft beschränkt sich darauf zu jammern und zu tadeln.
Der Krieg gegen Zivilisten ist unvermeidliche Folge des Ungleichgewichts der militärischen Stärke. Israel steht nicht einer Armee sondern Widerstandsorganisationen gegenüber, deren primitive Waffen mit seinem militärischen und atomaren Arsenal nicht vergleichbar sind. Daher sind die Ziele, die sich Israel bieten, eingeschränkt und im wesentlichen ziviler Natur. Selbst Basisrohstoffe und Treibstoff sind zu legitimen Angriffszielen geworden. Als reiche es nicht aus, dass die Menschen die Lasten des Alltags tragen, fügt Israel ihnen weiteres und extremes Leid zu.
Ein Krieg an den Rückzugsfronten
Es muss festgehalten werden, dass der gegenwärtige Krieg in Gebieten geführt wird, aus denen sich Israel zurückgezogen hat und an deren Kontrolle es nach eigener Aussage nicht mehr interessiert ist: Aus dem Libanon hat es sich im Mai 2000 und aus Gaza im August 2005 zurückgezogen. Es hat auch erklärt, sich aus der Westbank zurückziehen zu wollen. Doch entgegen allen Erklärungen beweist der heutige Krieg, dass diese Rückzüge Täuschungen und die ihnen zugrunde liegenden Absichten alles andere als rein waren. Die Entscheidungen, sich aus dem Libanon bzw. Gaza zurückzuziehen, wurden unilateral gefällt. Dies war nicht zufällig.
Der Rückzug aus dem Libanon war mit der libanesischen Regierung nicht abgestimmt, da jede Vereinbarung mit dem Libanon auch eine Abstimmung zwischen Libanon und Syrien erfordert hätte. Syrien benutzte (und benutzt) Hizb´ollah an der libanesischen Grenze, um Israel zu piesacken. Die Botschaft lautet: `Wenn Du Dich nicht mit uns einigst und uns die Golanhöhen nicht zurück gibst, kriegst Du in Deinem Norden auch keinen Frieden,´ Der israelische Rückzug aus dem Libanon sollte der Hizb´ollah die Daseinsberechtigung entziehen und damit Syrien den Stachel nehmen und Israels Kontrolle über den Golan festigen.
Mit seinem unilateralen Rückzug aus dem Libanon wollte Israel auch jene Kräfte stärken, die wollten, dass sich Syrien aus dem Land zurückzöge. Dies war das Ziel des früheren libanesischen Premierministers Rafiq al-Hariri; er war von seiner Position zurückgetreten und hatte, um gegen die syrische Anwesenheit im Libanon zu protestieren, eine Oppositionspartei gegründet. Diese Haltung, für die Al-Hariri mit dem Leben bezahlte, brachte die Massen auf die Straße. Als Ergebnis gewann die Oppositionspartei bei den libanesischen Parlamentswahlen die Macht, und in der Tat zwangen die Demonstrationen, begleitet von amerikanischem und internationalem Druck, Syrien, seine Kräfte aus dem Libanon zurückzuziehen. Damit sah Israel sein Ziel erreicht.
So wie der Rückzug aus dem Libanon Israels Griff auf den Golan stärken sollte, so sollte der Rückzug aus Gaza Israel in die Lage versetzen, große Teile der Westbank zu annektieren. Der Unterschied ist, dass der Rückzug aus Gaza eine reine Schau war. Während der libanesischen Führung die Kontrolle über den Südlibanon übergeben wurde, hat Israel in Gaza nicht die Macht auf die Palästinenser übertragen. Der Gazastreifen wurde zu einem gewaltigen Gefängnis unter totaler Kontrolle Israels. Diese Situation hat das Chaos und die generelle Niedergeschlagenheit in Gaza vergrößert.
Innere Konflikte werden genutzt
Die gegenwärtige Krise hat ihre Wurzeln in der israelischen Politik. Israel widersetzt sich einer generellen Lösungen der anhaltenden Feindseligkeiten. Es zieht es vor, "zu teilen und zu herrschen" und beutet die einander widersprechenden Interessen der arabischen Staaten aus. Es ist bemüht, die Spannungen und Differenzen zwischen Jordanien und Palästina, zwischen Palästina und Syrien und zwischen Syrien und Libanon zu pflegen. Doch wie ein Bumerang fällt dieses alte Kolonialistenspiel immer wieder auf den Spieler zurück.
Die konfessionelle Spaltung im Libanon ist hierfür ein erstklassiges Beispiel. Israel hat die Maroniten gegen die Sunniten zu einer Zeit unterstützt, in der die Shiiten keinen wahrnehmbaren politischen Einfluss hatten. Doch die maronitische Karte verlor. Ohne einen Verbündeten im Inneren musste sich Israel zurückziehen. Der Rückzug wiederum schuf einen neuen Konflikt zwischen Sunniten und Shiiten, in dem diesmal die Sunniten für die Amerikaner antraten.
Ein ähnliches Szenario ergab sich auf der palästinensischen Bühne. Ursprünglich hatte sich Israel bemüht, eine Opposition zu Yasser Arafat aufzubauen. Es unterstützte Abu Mazen, der vom Weißen Haus als annehmbar befunden worden war. Heute unterstützt es die Fatah und Abu Mazen, den jetzigen Präsident der PA, gegen die Hamas Regierung. Auch innerhalb der Hamas hat Israel Konflikte entdeckt, die es sich nutzbar machen kann.
Diese kolonialistische Politik hat zu einer Verschlimmerung der Krise und einer Ausweitung des Konflikts geführt. Um die Kontrolle auszuüben, muss man nicht direkt regieren. Es genügt, politisch, wirtschaftlich oder militärisch zu intervenieren. Dann ist klar, wer der Boss ist.
Widerstandsbewegungen in der Krise
Auch Hamas und Hizb´ollah, die dank Israels Politik zu Hauptakteuren geworden sind, versuchen aus der Anwendung von Gewalt politischen Gewinn zu ziehen. In beiden Fällen gilt es, interne Probleme zu überwinden, die vor dem Hintergrund des israelischen Rückzugs aufgekommen sind.
In der Tat hat Israels Rückzug aus Gaza zum Wahlsieg der Hamas beigetragen, aber dieser Erfolg hat den Sieger durcheinander gebracht. Er hat Hamas vor die Wahl gestellt, entweder ihre Regierungsaufgaben zu erledigen oder den bewaffneten Widerstand fortzuführen. Um nicht Prestige und Glaubwürdigkeit zu verlieren, hat sich Hamas entschieden, zugleich zu regieren und zu kämpfen. Ergebnis war eine Reihe militärischer Abenteuer, denen keine Strategie zugrunde lag. Zudem führte die von Israel verhängte Wirtschaftsblockade innerhalb der PA zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Unterstützern von Fatah und Hamas, die das palästinensische Leben vollständig lähmten.
Direkt vor Beginn der aktuellen Krise hatten sich der Präsident der PA, Abu Mazen, und Premierminister Ismail Haniyeh geeignet, das Dokument der Gefangeneninitiative, in dem der Staat Israel indirekt anerkannt wird, zu unterzeichnen. Der Weg zu dieser Einigung war beschwerlich, voller Auseinandersetzungen und mit wechselseitigen Bürgerkriegsdrohungen gespickt. Die Einigung hätte Abu Mazen Verhandlungen mit Israel ermöglicht.
Auch Israels Regierung war darauf eingestellt, die Gefangeneninitiative zu diskutieren. An eben jenem Tag aber führte die al-Qassem-Brigade der Hamas ihren Angriff durch und kidnappte den Soldaten. Wieder brach Verwirrung aus. Es war klar, dass der Kopf der politischen Abteilung der Hamas, Khaled Mash´al gegen die Gefangeneninitiative und gegen Verhandlungen mit Israel war. Mash´al wollte zeigen, wer wirklich das Sagen hat, und er scheint damit unerwartet erfolgreich gewesen zu sein. Premierminister Haniyeh steht der sich verschlimmernden Lage machtlos gegenüber. Seine Vereinbarung mit Abu Mazen ist bedeutungslos geworden.
Auch Hizb´ollah steht vor einer schwierigen politischen Krise- Der Rückzug Syriens aus dem Libanon und der Sieg der Opposition bei den dortigen Parlamentswahlen gefährdet ihr Weiterbestehen als bewaffnete Miliz. Die neue libanesische Regierung will sie loswerden und erklärt, jetzt, da Israel sich auf die internationale Grenze zurückgezogen habe, bestehe für sie kein Bedarf mehr. Diese Erklärung stimmt mit der Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrats überein, die nicht nur einen Rückzug Syriens, sondern auch die Entwaffnung der Hizb´ollah fordert. Alle Verhandlungen zwischen Hizb´ollah und den anderen politischen Kräften im Libanon blieben ergebnislos. Es ist auch bekannt, dass der Führer der Opposition, Walid Jumblat, und andere einflussreiche libanesische Politiker Hizb´ollah kritisiert haben und sie beschuldigen, der Mehrheit der Libanesen, die zur Normalität zurückkehren wollen, eine sektiererische Tagesordnung aufzuzwingen.
Weder Hizb´ollah noch Hamas haben sich, ehe sie ihre "qualitativen" Angriffe durchführten, mit anderen Kräften innerhalb ihrer Völker abgestimmt. Und doch erwarten sie von den Regierungen Libanons und Palästinas, die Ergebnisse ihrer Aktionen aufzufangen. Israel ist sich dieser verzwickten Situation bewusst. Seine Schläge zielen darauf ab, die internen Brüche zu vertiefen, um die Widerstandsbewegungen von den übrigen politischen Kräften und im Grunde von der Bevölkerung überhaupt zu isolieren.
Israel spielt gegen die Zeit
Zweifellos wird ein Zwei-Fronten-Krieg zu politischen Umwälzungen in der Region führen. Dies war so während des Libanonfeldzugs und bei der Besetzung der palästinensischen Gebiete. Doch die Erfahrungen zeigen, dass die Ergebnisse eines solchen Feldzugs nicht immer zum Vorteil Israels sind.
Der neue Krieg ist ein Zeichen, dass die Politik des unilateralen Rückzugs, die Basis für Ehud Olmerts Wahlsieg, in eine Sackgasse geraten ist. Der Krieg findet an zwei Fronten statt, von denen sich Israel bereits zurückgezogen hatte. Dies beweist, dass einseitiger Rückzug die Lage nicht verbessert, sondern politische Anarchie schafft, Störungen, die Israel schaden.
Israels Versuch, aus den Gebieten zu entkommen, die es besetzt und dem Erdboden gleichgemacht hatte, ohne Verantwortung für die Zukunft der dort lebenden Menschen zu übernehmen, hat die Auseinandersetzung nur verschärft. Israel ist nicht bereit, Rechenschaft abzulegen: Warum geht es Verhandlungen aus dem Weg? Warum erkennt es weder die Rechte seiner Nachbarn an noch deren ökonomische oder sicherheitsbezogene Bedürfnisse? Was gibt ihm das Recht, seine Grenzen festzulegen, wie es ihm passt, ohne auf die Menschen auf der anderen Seite Rücksicht zu nehmen?
Indem es diesen Fragen weiter aus dem Weg geht, spielt Israel gegen die Zeit. Innerhalb der arabischen Welt haben realistische Kräfte Stück für Stück an Einfluss verloren, Fundamentalisten sind an ihre Stelle getreten. Diese haben keine echte Lösung zu bieten, aber sie verfügen über die Fähigkeit, dem Zorn der Menschen, die jegliche Hoffnung verloren haben, Ausdruck zu verleihen. Das von Israel geschaffene Vakuum füllt sich mit Extremismus, der im Gespann mit Armut, Entbehrungen und Hilflosigkeit noch zunehmen wird.
Dieser Zwei-Fronten-Krieg wird zweifellos in der gesamten Region zu politischem Aufruhr führen. Die, die ihren Völkern Illusionen verkaufen, werden früher oder später den politischen Preis dafür zahlen müssen. Dies tut US-Präsident George W. Bush seit seiner Invasion des Irak. Dies tat Yasser Arafat, nachdem er sein Volk mit Befreiungsversprechungen beschwatzt hatte. Dies wird auch die israelische Regierung tun, die "ein Land", versprochen hat, "in dem es Spaß macht zu leben", stattdessen jedoch die Gewaltspirale nur ein Stück weitergedreht hat.
Yaacov Ben Efrat ist Redakteur der linken Zeitschrift "Challenge", die seit der ersten Intifada den israelisch-palästinensischen Konflikt thematisiert und im israelischen Jaffa alle zwei Monate von arabischen und jüdischen JournalistInnen herausgegeben wird: www.challenge-magazin.de
Siehe dazu auch den Filmausschnitt "Zensur, Gefängnis, Folter - Pressefreiheit- wie Israels Regierungs sie sieht"
Wir danken Endy Hagen für die Übersetzung
Online-Flyer Nr. 56 vom 08.08.2006