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Lokales
Neues von den Schmarotzern
"Agenturschluss" besucht
1-Euro-Jobber bei "Zug um Zug"
Von Hans-Dieter Hey


Unangemeldeten Besuch von der bundesweit agierenden Kampagne "Agenturschluss" bekommen immer wieder mal Einrichtungen, die moderne Zwangsarbeit unterstützen. Diesmal war in der Kölner Florastraße 55-57 die Firma "Zug um Zug e.V" dran, die sich dort neben dem "Netzwerk Soziale Dienste und ökologische Bildungsarbeit" eingenistet hat.

Der Name hört sich erst mal gut an. Beschäftigt werden dort 69 Menschen in einer Holz- und Textilwerkstatt als so genannte 1-Euro-Jobber, denen man bessere Zeiten in Aussicht stellt. In diese Jobs wurden die meisten nach eigener Auskunft gegenüber den BesucherInnen von "Agenturschluss" von der Kölner Arbeitsagentur gezwungen, unter Androhung der Kürzung des Arbeitslosengeldes II um 30 Prozent. Dann würden am Tag zum Leben 2,96 Euro bleiben. Das schafft keiner von ihnen. Zu viel zum Sterben. In der Regel bleiben sie Ausgegrenzte im Deutschland des Jahres 2005 nach Christus, und wahrscheinlich auch noch danach. Grund genug für "Agenturschluss", vergangene Woche dort nach dem Rechten zu schauen.

"Agenturschluss" besucht "Zug um Zug e.V."
"Agenturschluss" besucht "Zug um Zug e.V."
Foto: www.arbeiterfotografie.com


Äußerlich wie eine schöne Firma

Äußerlich sieht "Zug um Zug e.V." so aus, wie man sich eine schöne Firma vorstellt, in der man gern arbeitet. Doch drinnen ist alles anders. Die Bereitwilligkeit zur Auskunft ist vorhanden, doch die Stimmung ist gedrückt unter den vorwiegend jüngeren 1-Euro-Jobbern. Viele hatten sich das Leben anders vorgestellt, als zum Dumpingpreis Polsterbezüge oder Gardinen oder für Schulen Markisen zu nähen und Fenster zu produzieren. Nicht genug für ein schönes Leben. Und ohne die Perspektive einer richtigen Berufsausbildung. Eine junge Frau wollte gern Friseuse werden. Aus der Traum!

Trotzdem muss bei "Zug um Zug" professionell 40 Stunden die Woche gearbeitet werden, für ca. 3,50 Euro die Stunde. Dies entspricht dem Arbeitslosengeld II inklusive einer Aufwandsentschädigung von 0,70 bis 1,30 Euro die Stunde. Bei dieser Differenzierung kann man die Auffassung vertreten, dass dies rechtswidrig ist. Denn: Warum sollte ein Jüngerer eine geringere Aufwandsentschädigung bekommen, als ein Älterer? hören die Besucher. Die Fahrtkosten sind die gleichen. Alles zusammen jedenfalls ein Hungerlohn. Moderne Zwangsarbeit eben. Und zum Nachteil der örtlichen Handwerksbetriebe, die dafür nichts herstellen können. So wird ein Teil dieser "Zug um Zug"-MitarbeiterInnen früher oder später auch endgültig bei den 1-Euro-Jobbern landen.

Anweisung über rechtswidrige ALG-II-Auszahlungen
Anweisung über rechtswidrige ALG-II-Auszahlungen
Foto: www.arbeiterfotografie.com


Eindeutig rechtswidrige Praxis

Einen Arbeitsvertrag gibt es hier auch nicht. Ebenso keine Lohnfortzahlung. Einer der Betroffenen hatte einen Wegeunfall und wurde eine Woche vom Arzt krankgeschrieben. Dafür wurden ihm in diesem Monat 71 Euro abgezogen. Bleiben für Essen und Trinken ca. 3,40 Euro am Tag. Und kommt man mal zu spät, wird brutal das Geld gekürzt, auch das Arbeitslosengeld II. Diese Praxis wäre eindeutig rechtswidrig.

Bisher wurde die Miete der "TeilnehmerInnen" von der Arbeitsagentur bis zum Ende des Monats gezahlt, das Arbeitslosengeld II aber von "Zug um Zug" wird dagegen erst am 10. eines Monats überwiesen. Existenzangst ist bei den Betroffenen die Folge. Obwohl diese rechtswidrige Praxis sowohl der Arbeitsagentur wie auch "Zug um Zug" bekannt war, wurde sie noch ein halbes Jahr beibehalten.

Offensichtlich gibt es bei "Zug um Zug" noch mehr zu verbergen. Eine der hauptamtlichen Leiterinnen wollte sich von den Besuchern bereitwillig befragen lassen, bekam aber von ihrer Kollegin schnell einen Maulkorb verpasst. Und es kam der Ruf nach der Polizei. Das kann schon mal passieren, wenn von Sozialarbeiterinnen der Wunsch nach besseren Beschäftigungs- und Lebensbedingungen als höheres Recht mit dem Hausrecht verwechselt wird.

Fertige Fenster für 1 Euro/Std. gegen die lokale Handwerkerschaft
Fertige Fenster für 1 Euro/Std. gegen die lokale Handwerkerschaft
Foto: www.arbeiterfotografie.com


"Gut, dass Ihr vorbei kommt."

Die Befragung war damit zu Ende, jedenfalls beinahe. Doch da war noch ein Mann mit vier Kindern, offenbar einige Jahre über 40. Sein Kühlschrank sei hinüber. Einen neuen gebe es von der Arbeitsagentur nicht. Und zum Ansparen hat das Geld bisher nicht gereicht. Man hört deutlich, dass er die Schnauze voll hat von diesem "Sozialstaat", der demnächst auch noch die Mehrwertsteuer erhöhen will, damit sein Kühlschrank noch etwas teurer wird. Er ringt sich trotzdem ein Lächeln ab: "Gut dass ihr vorbei kommt. Solche Leute wie euch muss es geben!". Das freut "Agenturschluss" und bietet für die Aktiven Grund, weiter zu machen. Es gibt viel zu tun im Land der Ausgrenzung.

Bereits bei Besuchen anderer Einrichtungen waren "Agenturschluss" rechtswidrige Auszahlungspraktiken wie bei "Zug um Zug" aufgefallen und öffentlich gemacht worden. Danach wurden sie abgestellt. Einer der Erfolge, den "Agenturschluss" für sich verbuchen kann: Ein befragter "Teilnehmer" hatte bereits eine 6-monatige Maßnahme und wurde dann in die nächste weitergereicht. Nach dem Gesetz kann eine weiterführende Maßnahme aber nur genehmigt werden, wenn im Anschluss Aussicht auf einen regulären Arbeitsplatz besteht. Der war aber in absehbarer Zeit nicht in Sicht. Auch die vom Gesetz zwingend vorgeschriebenen Eingliederungsverträge mit der Arbeitsagentur existieren nach Auskunft der meisten Befragten nicht.

Familienvater mit vier Kindern: "Gut, dass ihr vorbei kommt"
Familienvater mit vier Kindern: "Gut, dass ihr vorbei kommt"
Foto: www.arbeiterfotografie.com


Hartz IV als "Sportliche Übung"

Dass dies alles keine Einzelbeispiele sind, sondern gängige Praxis der Arbeitsagenturen mit Unerstützung der 1-Euro-Betriebe, hat "Agenturschluss" längst bundesweit nachgewiesen. Für die betroffenen Menschen ein existenzbedrängender Dunst von Ungesetzlichkeiten und persönlichen Erniedrigungen. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass das Lügengerüst der rot-grünen Politik von Hartz IV zusammengebrochen ist: Nach Untersuchungen der Stiftung Warentest hat bisher nur ein Drittel der Menschen unter 25 Jahren überhaupt ein Angebot für eine Qualifizierung erhalten, bei denen darüber sogar nur 18 Prozent. Lediglich zehn Prozent aller Jugendlichen haben ein Jobangebot bekommen, aber eben meist als 1-Euro-Job.

Der Direktor der Kölner Arbeitsagentur, Ludwig, meinte anlässlich eines Gesprächs mit "Agenturschluss" Anfang diesen Jahres zu den Grauzonen von Hartz IV: "Das muss man sportlich sehen. Man kann ja Widerspruch einlegen. "Die soziale Ausgrenzung als sportliche Übung! Wer das nicht einfach so verdauen, sondern sich auch hierzulande dagegen wehren will wie die Leute jetzt in Frankreich, wird dann wohl mit dem "Hochdruckreiniger" von der Straße geputzt. Über diese Ankündigung des französischen Innenministers hat sich kaum jemand aufgeregt, wohl aber über die verbrannten Autos.

Externe Links: www.labournet.de

Online-Flyer Nr. 18  vom 16.11.2005



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