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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Aktuelles
Nachrufe
Zum Tod von Elias Davidsson
Von Yavuz Özoguz, Afsane Bahar und Ansgar Schneider

Am 23. Januar 1941 begann sein Leben in Palästina, wohin seine Eltern im Zuge der zwischen Nazis und Zionisten geschlossenen Verträge aus Deutschland emigriert waren. Im Alter von 81 Jahren ist er am 7. April 2022 nach einem bewegten Leben, das ihn 1962 nach Island führte, in dem Land gestorben, das seine Eltern verlassen hatten und wo er seinen mehr als 20jährigen Lebensabend verbracht hat. Viele Jahre war er der Arbeiterfotografie verbunden. Immer wieder stand sie ihm bei den Angriffen, denen er im Rahmen seiner Beschäftigung mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ausgesetzt war, zur Seite. Es war ein Verhältnis des Gebens und Nehmen. Im Oktober 2009 trat er zusammen mit der Polit-Hip-Hop-Band "Die Bandbreite" bei einer heiß umkämpften Veranstaltung des Bundesverbands Arbeiterfotografie im Club Voltaire in Frankfurt auf. (1) 2011 wurde er Mitglied im Bundesverband Arbeiterfotografie. Leider endete die Mitgliedschaft nach mehr als sechs Jahren aufgrund von Meinungsverschiedenheiten. Die NRhZ gibt nachfolgend drei Nachrufe wieder - von Yavuz Özoguz, Afsane Bahar und Ansgar Schneider.


Elias Davidsson bei einem Vortrag am 13. Dezember 2008 im Kölner Freidenker-Zentrum


Finde Frieden, lieber Elias Davidsson, für den Du Dich eingesetzt hast!
Yavuz Özoguz - an einen Freund

Über die Medien habe ich heute erfahren, dass mein Freund Elias Davidson vor wenigen Tagen zu seinem Schöpfer zurückgekehrt ist. Ich bin ihm erstmals im Jahr 2008 begegnet im Rahmen eines Interviews (2). Im Jahr 2012 haben wir uns während unserer gemeinsamen Iranreise besser kennengelernt und angefreundet. Er war mit Prof. Sylvers (3) einer von zwei jüdischen Mitreisenden einer Reisegruppe, die meine Wenigkeit leiten durfte. In der heiligen Stadt Qom kam es zu der schicksalhaften Begegnung mit Großayatollah Haeri-Schirazi. Elias hat dem Ayatollah die Frage gestellt, welche Botschaft der Ayatollah für Menschen habe, die nicht an die Propheten oder an Gott glauben, sich aber für Gerechtigkeit einsetzen. Wer die Stimme von Elias hören möchte, kann dieses im Mitschnitt hören, der mit der sensationellen Antwort des großen islamischen Gelehrten aufgezeichnet worden ist. (4)

Es war eine schöne gemeinsame Zeit im Iran. Ich erinnere mich an den Rückflug nach Deutschland, bei dem wir im Flieger zusammensaßen und uns stundenlang ausführlich unterhalten haben. Obwohl er jüdische Eltern hatte, die mit ihm vor den Nazis nach Palästina geflohen waren und er die Gründung Israels miterlebt hatte, bezeichnete er sich selbst stets als Palästinenser, da er aus Palästina stamme.

Im Jahr 2019 hat er mir ein weiteres Interview gewährt (5), wobei wir uns vor allem über Seine Bücher unterhalten haben. Und er hat viele Bücher geschrieben, wie unter anderem „Psychologische Kriegsführung und gesellschaftliche Leugnung: Die Legende des 9/11 und die Fiktion der Terrorbedrohung“ (2017) und „Der gelbe Bus: was geschah wirklich am Breitscheidplatz in Berlin?“ (2018). Wir haben uns gegenseitig unsere Bücher geschenkt und zuweilen kam er uns besuchen. Zuletzt hat er meine Frau und mich im Juli letzten Jahres (2021) zu einer Feier in Delmenhorst besucht. Wie dankbar bin ich, ihn noch einmal gesund und munter gesehen zu haben!

Wie immer ist er nach dem öffentlichen Teil noch geblieben und wollte mit mir ausführlich über Gott und die Welt sprechen. Über die Welt waren wir uns fast immer einig. Er war ein eingefleischter Antiimperialist und damit auch Antizionist und setzt sich für Gerechtigkeit in der Welt ein, insbesondere an der Seite der Unterrückten. Über Gott war er ein Suchender, der große Sympathien für den Weg empfand, den ich ihm versucht habe zu erläutern. Eine besondere Zukunftsvision hat er stets gelebt und diese Vision wird auch nach ihm weiterleben: Ein Jude und ein Muslim können sich auch in Deutschland gemeinsam Hand in Hand für Frieden, Gerechtigkeit und damit Menschlichkeit in dieser Welt einsetzen. Jetzt bete ich für Dich lieber Elias, dass Du den Frieden findest, wofür Du Dich stets eingesetzt hast. Gott begnade Dich!


Freunde
Afsane Bahar - in Erinnerung an meinen guten Freund

Es gibt zerstörerische Zeiten
in denen belebende Blicke
besonders vonnöten sind
warme Worte
und aufrichtige Freunde
 
Wenn der Sturm der Ereignisse
trügerisch das Bild darbietet
das Leben sei ein altes Schiff
tief auf den Grund gelaufen
unweigerlich zum Verfall verurteilt
 
wenn sternenlose Nächte
qualvoll andauern
und die Orientierung
hoffnungslos verloren erscheint
 
wenn die Beklemmung in der Brust
dunklen Wolken ähnelt
die auch durch tagelangen Regen
sich nicht auflösen lassen
 
wenn viele Spiegel zerbrochen sind
so dass kräftige, blühende Bäume
alle kläglich krumm vorkommen
 
dann sind aufrichtige Freunde vonnöten
die über die Berggipfel hinwegblicken
sich auch hinter dem Horizont bewegen
ihr gewaltiges geschichtliches Gedächtnis
mit klarem Quellwasser der Liebe tränken
im Herzen schöpferisch tausend Sonnen tragen
sich wie Flüsse umgeben von Felsen verhalten
und sich gegenseitig vielfältig unterstützen
um dem Leben tiefgründig treu zu bleiben


Ein Wahrheitssuchender
Ansgar Schneider über den Komponisten und Autor Elias Davidsson, der nach einem langen, erfüllten und erkenntnisreichen Leben von uns gegangen ist

Wenn ein Freund stirbt, stirbt ein Teil von dir. Elias Davidsson war ein solcher Freund für viele Wahrheitssuchende und Friedensbewegte. Sein Tod hinterlässt eine große Lücke im Kreise seiner Familie, Freunde und Wegbegleiter. Der befreundete Physiker und Mathematiker Ansgar Schneider schrieb einen Nachruf auf Davidsson und erinnert dabei an dessen offenherziges Wesen, sowie an sein couragiertes Engagement für Wahrheit und Aufklärung.

Ich erinnere mich sehr gut an den Tag, an dem ich Elias Davidsson kennenlernte. Wir trafen uns in einem Bonner Teehaus, nachdem ich ihn ein paar Tage vorher kontaktiert hatte. Es war ein grauverhangener Tag im März 2017.
 
Zu der Zeit kannte ich weder ihn noch seine Bücher, sondern wusste nur, dass er einer der führenden Köpfe bei der Aufarbeitung der Terroranschläge des 11. Septembers war, und das war der Grund, warum ich mit ihm sprechen wollte. Ich hatte den Hinweis und die Kontaktdaten von dem Chemiker Niels Harrit bekommen, mit dem ich kurz vorher gesprochen hatte und der mich darauf hinwies, dass Elias ganz in meiner Nähe wohnt.
 
Elias, der gerade Arabisch an der Bonner Volkshochschule lernte, war zu der Zeit regelmäßig in der Stadt und so trafen wir uns zu einem ersten Gespräch. Es wurde ein langes, intensives Gespräch, das in den nächsten fünf Jahren nicht enden sollte. Regelmäßig, oft mehrmals in der Woche, telefonierten wir stundenlang, tauschten Gedanken aus, lasen und kritisierten unsere Texte gegenseitig und schärften unsere Argumente. Wir lernten gegenseitig voneinander; und dabei waren wir nicht immer einer Meinung. Elias war eine Person, mit der es sich vorzüglich streiten ließ. Wir konnten gegensätzliche Gedanken austauschen und genau den Punkt bestimmen, an dem sich unsere Geister schieden.

Auch wenn wir bei unterschiedlichen Auffassungen blieben, war das immer ein Gewinn, weil es mit ihm nie darum ging zu gewinnen, sondern immer darum, der Wahrheit und der Gerechtigkeit ein Stück näher zu kommen.

Elias‘ Werk über den 11. September und andere Terroranschläge wie die in Mumbai, London oder Berlin sucht seinesgleichen; unvollendet seine Arbeit über die Pariser Anschläge. Der erste Schritt einer wissenschaftlichen Untersuchung ist das Feststellen der unzweifelhaften Begebenheiten, die dem zu untersuchenden Sachverhalt zugrunde liegen.

Der gewaltige Unterschied, der darin besteht, diese tatsächlich herauszuarbeiten oder sich durch einen vorherrschenden Glauben davon abhalten zu lassen, ist vielen Menschen, gerade auch in akademischen Institutionen, kaum bewusst, obschon oder weil es dieser Unterschied ist, der seit Menschengedenken ebenso prägend für den menschlichen Erkenntnisgewinn und Fortschritt wie auch für den Verlust derselben ist.

So ist die mangelnde Bereitschaft, überhaupt wissen zu wollen, wenn das Wissen ein durch hegemonialen Einfluss verzerrtes Wahrheitsabbild berührt, in jeder menschlichen Epoche das vielleicht schwierigste Hindernis der Erkenntnis.

Den außergewöhnlichen Wert, den die Pionierarbeit von Elias einnimmt, werden die nachfolgenden Generationen zu schätzen wissen.
 
Die Stationen seines erfüllten Lebens will ich hier nur lückenhaft und symbolisch aufzählen: 1941 in Palästina als Sohn deutscher Juden geboren, als musikalisches Wunderkind in dem neugegründeten Israel herangewachsen, kam er über verschiedene Stationen und viele Lebensjahre in Frankreich, Deutschland, der Schweiz, den USA und Island schließlich wieder nach Deutschland, das „Land seiner Ahnen“, wie er es einmal nannte. Dabei wurde mit den Jahren und Jahrzehnten aus dem Komponisten der Menschenrechtsaktivist, Kapitalismuskritiker und später dann der Terrorismusexperte, den ich kennenlernte.

Aus seiner Liebe zur Musik zog er in den letzten Jahren Inspiration und Kraft und sah — gerade in den jetzt aufziehenden Zeiten des Neofeudalismus und den damit einhergehenden einengenden Glaubenssätzen — in der Kunst einen wichtigen Beitrag, um die Virtuosität des menschlichen Geistes am Leben zu erhalten.
 
Das Gespräch, das wir an jenem grauen Märztag begannen, hat am 7. April 2022 geendet. Seine Stimme klingt weiter. Seine Liebsten haben Vater und Ehemann verloren, die Welt einen Humanisten und Aufklärer, ich einen Lehrer und Freund.


Fußnoten:

1 http://www.arbeiterfotografie.com/verband/frankfurt-2009/index.html
1 http://www.muslim-markt.de/interview/2008/davidsson.htm
2 http://www.muslim-markt.de/interview/2009/sylvers.htm
3 https://muslim-tv.de/2018-11-18-in-gedenken-an-ay-haeri-schirazi/
4 http://www.muslim-markt.de/interview/2019/davidsson.htm
5 Erstveröffentlichung: http://www.muslim-markt-forum.de/t2354f6-Finde-Frieden-lieber-Elias-Davidson-fuer-den-Du-Dich-eingesetzt-hast.html
6 Erstveröffentlichung: https://www.rubikon.news/artikel/ein-wahrheitssuchender

Online-Flyer Nr. 789  vom 20.04.2022



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