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Aktueller Online-Flyer vom 16. April 2024  

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Literatur
Ein wertvoller Reader von Almuth Bruder-Bezzel und Klaus-Jürgen Bruder
Meinung, Macht und Herrschaft
Von Rudolph Bauer

Das von Almuth Bruder-Bezzel und Klaus-Jürgen Bruder herausgegebene „Macht“-Buch erfährt seit März 2020 seine dramatische Bestätigung: Die Meinung der Herrschenden wird – wie der Untertitel des Bandes in Anlehnung an Karl Marx lautet – zur herrschenden Meinung. Die Narrative zur autoritären Rechtfertigung der antidemokratischen Maßnahmen, die angesichts der sog. Pandemie von nationaler Tragweite per Dekret erlassen werden, werden mehrheitlich von den Parteien, den Medien, den Kirchen und Gewerkschaften sowie den Vereinen und Verbänden des Nonprofit-Sektors nacherzählt. Herrschend ist diese Meinung wortwörtlich auch in dem Sinne, dass andere Ansichten und selbst wissenschaftlich begründete Einschätzungen nicht zugelassen, diffamiert, verleumdet und unterdrückt werden.

Der Band umfasst 15 Beiträge von zwölf Autoren und drei Autorinnen. Sie befassen sich laut Vorwort aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Frage, wie es gelingen kann, „eine wirkliche Meinungsvielfalt … möglichst auszuschalten, vor allem in aufregenden Zeiten, in denen es etwas für die Bevölkerung Unangenehmes durchzusetzen gilt“, wie es gegenwärtig – „coronabedingt“ – der Fall ist.

Almuth Bruder-Bezzel eröffnet die Reihe der Beiträge wissenschaftsgeschichtlich unter Rückgriff auf die Pioniere der Massenkommunikation und Propaganda. Klaus-Jürgen Bruder knüpft hier an und beantwortet am Beispiel des Macht-Diskurses in Zeiten von Corona die Frage: „Wie kommt es, dass die Beherrschten die Meinungen der Herrschenden übernehmen?“ Die Medien, so der Autor, arbeiten mit Meinungen bzw. Teilen von Meinungen, die bereits in anderen Bereichen vorgeformt wurden.

Die Rolle einzelner dieser Sozialisations- und Meinungsagenturen wird in den nachfolgenden Beiträgen untersucht und in ihrer Bedeutung dargestellt. Der Psychologe Anton Perzy widmet sich der ver- bzw. ererbten Meinung in den Herkunftsfamilien. Die Sonderpädagogin und Diplompolitologin Magda von Garrel befasst sich mit dem „Meinungslernen in der Schule“. Das „organisierte, erpresste Schweigen der abhängig Beschäftigten“ ist Thema der Studie des Publizisten Werner Rügemer. Der Erziehungssoziologe Burkhard Bierhoff untersucht die Meinungsprägung in der Konsumgesellschaft sowie unter den Bedingungen des Überwachungs- und Datenkapitalismus.

Vor dem Hintergrund der in Familie und Schule, am Arbeitsplatz und in der Freizeit lokalisierbaren Meinungsagenturen „erheben sich die Manufakturen der Medien wie Monster, die alles zurechtschneiden, zusammenpressen, synthetisieren. seines lebendigen Inhalts berauben und mit blendendem Glanz lackieren“ (Klaus-Jürgen Bruder). Zu denken ist hierbei vor allem an das „Internet als Meinungsbildner“, worüber Wolfgang Romey als Kenner der Digitaltechnik schreibt. Der Publizist und Diplompsychologe Georg Rammer behandelt unter dem Stichwort „Fake Reality“ die Methoden und Auswirkungen von Propaganda, Manipulation und Kontrolle.

Es folgen weitere Beiträge, die aufzeigen, wie Meinung „gemacht“ wird. Beispiele sind die Instrumentalisierung des Begriffs „Holocaust“ (eine Studie des Soziologen Moshe Zuckermann) und der Kampfbegriff „Verschwörungstheorie“, mit dessen inflationärer Verwendung sich der Journalist Matthias Bröckers befasst.

Mit anderen Beispielen befassen sich: der Historiker und Konfliktforscher Kurt Gritsch anhand der „Begründung“ des Nato-Angriffskrieges 1999 im ehemaligen Jugoslawien; der Journalist Stefan Korinth anhand der medialen Inszenierung des Maidan-Konflikts; ferner die Politblogger Wolf Wetzel (mit Bezug auf den Mord an Walter Lübcke) und Hannes Sies (unter dem Titel „Schauprozess gegen Julian Assange“). Die Medienkritikerin Daniela Lomueh eröffnet einen zusätzlichen Themenkreis mit ihrem Beitrag über „visuelle Propagandaschlachten in Presse, Fernsehen und Internet“ unter dem Titel „Bilder manipulieren“.

Es würde den Umfang der Besprechung des „Macht“-Buches sprengen, jeden der 15 Beiträge gesondert und in gebührender Weise würdigen zu wollen. Jeder einzelne Aufsatz trägt einerseits zur Beantwortung des Buchthemas bei. Andererseits kommen in einem jeden die spezifischen Aspekte der untersuchten Fragestellung zur Geltung. Es ist das besondere Verdienst der Herausgeber, einen Band zusammengestellt zu haben, in dem das Thema vielseitig. gründlich und überzeugend bearbeitet wird.

Aus wissenschaftlicher Sicht werden Fragen der Massenkommunikation und verschiedener Einzeldisziplinen abgehandelt, Es kommen Forscher und Journalisten zu Wort, Historiker und Soziologen, Psychologen und Digitalexperten, Publizisten und Blogger. So entsteht ein umfassendes Panorama des aktuellen Wissens- und Kenntnisstandes, angereichert mit vielen anschaulichen Beispielen aus Politik, Medien und Zeitgeschichte.

In den gegenwärtigen Meinungsdebatten über die Zweck- und Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen sowie über deren macht- und verfassungspolitische Auswirkungen ist der Band ein wertvoller Reader mit informativen Beiträgen und eine nützliche Quelle zur Gewinnung von Maßstäben der kritischen Bewertung.


Bruder-Bezzel, Almuth / Klaus-Jürgen Bruder (Hrsg.): Macht. Wie die Meinung der Herrschenden zur herrschenden Meinung wird



Westend Verlag, Frankfurt am Main, 2021, 256 Seiten, ISBN 978-3-86489-110-6, 22 Euro


Inhalt:

Almuth Bruder-Bezzel
Einleitung: Propaganda und Macht

Klaus-Jürgen Bruder
Wie kommt es, dass die Beherrschten die Meinungen der Herrschenden übernehmen? Der Diskurs der Macht in Zeiten von Corona

Anton Perzy
Die »(v)ererbte« Meinung. Der neoliberale Zwang der Verhältnisse

Magda von Garrel
Meinungslernen in der Schule

Werner Rügemer
Stumme Werkzeuge. Das organisierte, erpresste Schweigen der abhängig Beschäftigten – und ein beispielhafter Ausbruch

Burkhard Bierhoff
Prägung durch Konsum

Wolfgang Romey
Das Internet als Meinungsbildner

Georg Rammer
Fake Reality: Propaganda, Manipulation, Kontrolle und die Folgen

Moshe Zuckermann
Holocaust und »Holocaust« – eine Meinungsfrage?

Mathias Bröckers
Verschwörungstheorie. Anmerkungen zur Inflation eines Kampfbegriffs

Daniela Lobmueh
Bilder manipulieren – Visuelle Propagandaschlachten in Presse, Fernsehen und Internet: MH17, Omran, Venezuela

Kurt Gritsch
Krieg stand nicht im Wahlprogramm: Wie Deutschland seinen ersten Angriffskrieg seit 1945 rechtfertigte

Stefan Korinth
Der Gleichklang und das Narrativ – Wie Medien Auslandskonflikte strukturieren. Das Beispiel Maidan.

Wolf Wetzel
Der Mord an Walter Lübcke und die Auferstehung der Untoten

Hannes Sies
Schauprozess gegen Julian Assange: Fanal für die Presseunfreiheit

Online-Flyer Nr. 772  vom 23.06.2021



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