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Mit der NATO in eine leuchtende Zukunft?
Grüner Denk-Panzer lädt durch
Von Peter Betscher
Kaum nachdem Donald Trump erfolgreich aus dem Amt gemobbt wurde und Joe Biden das Präsidentenamt angetreten hat, kommen die Transatlantiker wieder aus den Löchern. Ein illustrer Kreis - initiiert von Dr. Patrick Keller (Bundesakademie für Sicherheitspolitik) und Dr. Ellen Ueberschär (Heinrich-Böll-Stiftung) - veröffentlichte am 20. Januar 2021 das Thesenpapier „Transatlantisch? Traut Euch! Für eine neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika“. (1)
Die Erosion der transatlantischen Beziehungen sei eine strategische Krise für Deutschland, schreiben die Autoren, und „mit dem neuen Präsidenten Joe Biden bietet sich die einzigartige Chance, diese Krise zu überwinden und das westliche Bündnis so zu erneuern, dass es weit über die nächsten vier Jahre trägt.“ Die USA werden uns in dem Papier als selbstloser Bewahrer der europäischen Integration verkauft, und ohne die schützende Hand der USA würden sich die europäischen Staaten gegenseitig zerfleischen. Eine US-amerikanische Vorherrschaft in den letzten 70 Jahren wird in dem Papier nicht erwähnt, sondern „Deutschland wie Europa müssen erst noch damit zu leben lernen, dass nach 500 Jahren nun Ostasien das strategische Zentrum der Welt ist und nicht mehr der europäische Kontinent.“ Deshalb werde die USA ihre Aufmerksamkeit und Ressourcen nach Ostasien verlegen und Europa habe ihnen dafür gefälligst den Rücken frei zu halten. Außenminister Heiko Maas stieß schon im Oktober letzten Jahres in dieses Horn: „Nach vier schwierigen Jahren ist es Zeit für einen Neuanfang in der transatlantischen Partnerschaft. Denn die Profiteure unserer Differenzen sitzen in Peking und Moskau, aber auch in Teheran und Pjöngjang.“ (2) Für die zu erneuernde Nibelungentreue zur NATO und den USA werden der Bundesregierung fünf Themenkomplexe vorgeschlagen: „Klima, NATO, China, Handel und Technologie.“
Das Papier enthält nicht viel Neues, sieht man mal davon ab, dass es mit den feuchten Träumen des Herrn Schwab vom World Economic Forum (WEF) garniert wurde. Im Gegensatz zu dem sich sinophil gebärdenden Schwab wird in „Traut Euch“ ein Bedrohungsszenario entworfen, nachdem China die größte Bedrohung für die „liberalen“ Demokratien sei. China ist schon längst zum Hauptfeind Nr. 1 der USA geworden, denn vorbei sei die Zeit [Anm.: für Europa], „als China nur als lukrativer Markt und als Handelspartner gesehen wurde. Vorbei auch die Annahme, der wirtschaftliche Aufschwung Chinas werde zu einer neuen Mittelklasse führen, die zwangsläufig und rasch politische Liberalisierung erwirkt. Stattdessen etabliert sich zunehmend ein ganzheitliches China-Bild, in dem neben den Chancen auch die Gefahren gesehen werden, die mit Chinas systemischer Herausforderung an den liberalen Westen und die regelbasierte internationale Ordnung einhergehen.“
Zahlreiche Anknüpfungspunkte ließen sich laut den Autoren für die kritischere Bewertung Chinas finden, wie „mangelnde Fairness und Normentreue in den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen; enger werdende Zusammenarbeit mit Russland; Bedrohung freier Handelswege im Indo-Pazifik; die Drohung, Taiwan mit Gewalt zu unterwerfen; rechtlich fragwürdiges Ausgreifen im Süd- und Ostchinesischen Meer; Untergraben der Einheit der EU durch gezielte, politisch konditionierte Investitionen in Süd- und Osteuropa; Aufbau von entwicklungspolitisch schädlichen Gläubigerbeziehungen in Lateinamerika und Afrika; massenhafte Menschenrechtsverletzungen, nicht zuletzt an der uigurischen Minderheit sowie den Bewohnern Hongkongs und Tibets.“ Eine vorurteilsfreie Bewertung dieser Vorwürfe liefert Walter Bückler auf den NachDenkSeiten (3) Die USA werden in dem Papier hingegen als selbstloser Unterstützer der Europäer geschildert, während der chinesischen Regierung die Verletzung von Menschen- und Völkerrecht, das Unterlaufen von internationalen Handelsordnungen, der rechtswidrige Umgang mit Journalisten und Nicht-Regierungsorganisationen vorgeworfen wird. Natürlich werden die Mega-Kriegsverbrechen der USA und ihrer europäischen Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten der letzten Jahre mit keinem Wort erwähnt, die ganze Gesellschaften zerstört und die Lebensgrundlage entzogen haben. Auch kein Wort über die völkerrechtswidrigen unilateralen Sanktionen der USA und ihrer europäischen Verbündeten, die unbotmäßige Nationen wie Syrien, Venezuela und Kuba regelrecht strangulieren. Die China-Politik sei „der archimedische Punkt der künftigen transatlantischen Beziehungen“. An ihr werde „sich entscheiden, ob die Vereinigten Staaten ihre europäischen Verbündeten als nützlich und verlässlich bewerten; und von diesem Urteil wird quer durch alle transatlantischen Politikfelder die Bereitschaft der USA zum Entgegenkommen und zum Engagement abhängen.“ Es muss unterbunden werden, dass Deutschland und Europa friedfertige Beziehungen zu China und Russland aufbauen, denn schon Brzezinski prognostizierte, dass Eurasien sei »das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird«. (4)
Der Schwerpunkt hat sich für die US-Regierungen mehr zum Fernen Osten verlegt seit Hillary Clinton das „pazifische Jahrhundert“ ausgerufen hatte. Ein Alptraum, wenn man sich ansieht, welche Spur der Zerstörung der US-amerikanische Interventionismus im Nahen und Mittleren Osten hinterlassen hat. Für Deutschland und Europa wäre es ratsam sich nicht vor den US-amerikanischen Karren entgegen der eigenen Interessen spannen zu lassen. Das Papier schlägt die seit Jahren bekannten Forderungen diverser US-Regierungen vor, wie die Erhöhung des Rüstungshaushaltes auf zwei Prozent des BIP, die nukleare Teilhabe und größeres Engagement vom „Hohen Norden“ bis zum „Mittelmeerraum“. Mit den Leimruten wie beispielsweise die „Bekämpfung des Klimawandels und der Überwindung von Rassismus und Sexismus“ und „Themen wie den Wandel der Arbeitswelt“, sollen jüngere Menschen und Minderheiten für das Aggressionsprogramm gewonnen werden, um die „transatlantische Erzählung fortzuschreiben“. Es mutet geradezu absurd an, dass man den Kräften, die große Teile der Welt in ein Trümmerfeld verwandelt und die allgemeine Armut forciert haben, jetzt einen Neustart in eine neue leuchtende Zukunft mit Umweltschutz, smarter Technologie und fairem Handel abnehmen soll. Das mutet eher wie der bewaffnete Arm von Schwabs WEF an. Das Papier sollte unsere Anstrengungen verstärken, von der Bundesregierung die Kündigung des NATO-Vertrages und des Truppenstationierungsvertrages, den Ausstieg aus Defender 2021, die Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Beendigung der völkerrechtswidrigen unilateralen Wirtschaftssanktionen zu fordern. Die Bevölkerung in Deutschland ist Umfragen zufolge trotz der Medien-Dauerpropaganda für ein besseres Verhältnis zu Russland und China. Aber es wissen auch alle, dass ein Ausstieg aus der NATO ungemütlich wird. Aber besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Traut Euch!
Fußnoten:
(1) https://anewagreement.org/ (siehe auch Anhang)
(2) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-wams/2409522
(3) https://www.nachdenkseiten.de/?p=67834
(4) Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Berlin 1997
Anhang:
Abschnitt 5 aus dem Papier "Transatlantisch? Traut Euch!"
China: eine neue Herausforderung mit Amerika koordinieren
Die China-Politik ist der archimedische Punkt der künftigen transatlantischen Beziehungen. An ihr wird sich entscheiden, ob die Vereinigten Staaten ihre europäischen Verbündeten als nützlich und verlässlich bewerten; und von diesem Urteil wird quer durch alle transatlantischen Politikfelder die Bereitschaft der USA zum Entgegenkommen und zum Engagement abhängen.
Diese Fokussierung auf China mag man aus deutscher Perspektive als überzogen empfinden; aus der systemischen Logik der internationalen Politik heraus ist sie jedoch zwingend. Die USA, als führende Weltmacht ohnehin seit Jahren einem relativen Abstieg ausgesetzt, sehen parteiübergreifend die Volksrepublik China als strategischen Herausforderer. Wirtschaftlich, aber zunehmend auch militärisch und politisch gewinnt China an internationalem Einfluss – auf Kosten der USA und des Westens insgesamt. Denn diese machtpolitische Konkurrenz ist von einer systemisch-ideologischen Konkurrenz grundiert. Für Amerika sind Verbündete daher vor allem dann wertvoll, wenn sie in dieser Konkurrenz als liberale Demokratien eindeutig und nützlich sind.
Für Deutschland und Europa stellt sich die Frage, ob unsere Interessen vis-a-vis China die gleichen sind wie die der herausgeforderten Führungsmacht USA. Und, wenn dies nicht überall der Fall sein sollte, wie diese Interessenunterschiede im Verhältnis zum übergeordneten Interesse an einem vitalen Bündnis mit Amerika zu bewerten sind.
Vor diesem Hintergrund findet gegenwärtig in Deutschland wie ganz Europa eine Neubewertung Chinas statt. Vorbei die Zeit, als China nur als lukrativer Markt und als Handelspartner gesehen wurde. Vorbei auch die Annahme, der wirtschaftliche Aufschwung Chinas werde zu einer neuen Mittelklasse führen, die zwangsläufig und rasch politische Liberalisierung erwirkt. Stattdessen etabliert sich zunehmend ein ganzheitliches China-Bild, in dem neben den Chancen auch die Gefahren gesehen werden, die mit Chinas systemischer Herausforderung an den liberalen Westen und die regelbasierte internationale Ordnung einhergehen.
Die zahlreichen Anknüpfungspunkte für die kritischere Bewertung Chinas lassen sich mit einigen Stichworten zusammenfassen: mangelnde Fairness und Normentreue in den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen; enger werdende Zusammenarbeit mit Russland; Bedrohung freier Handelswege im Indo-Pazifik; die Drohung, Taiwan mit Gewalt zu unterwerfen; rechtlich fragwürdiges Ausgreifen im Süd- und Ostchinesischen Meer; Untergraben der Einheit der EU durch gezielte, politisch konditionierte Investitionen in Süd- und Osteuropa; Aufbau von entwicklungspolitisch schädlichen Gläubigerbeziehungen in Lateinamerika und Afrika; massenhafte Menschenrechtsverletzungen, nicht zuletzt an der uigurischen Minderheit sowie den Bewohnern Hongkongs und Tibets.
Die Neubewertung Chinas in Deutschland führt zu einer Annäherung an das amerikanische China-Bild. Zugleich steht zu erwarten, dass sich die amerikanische China-Politik deutschen Vorstellungen annähert, indem Joe Biden sich von der konfliktfreudigen Strategie Trumps verabschiedet, eine Entkoppelung der amerikanischen und der chinesischen Wirtschaft zu betreiben. Wenn er stattdessen eine offenere Handelsbeziehung mit China sucht und Ausnahmen auf die Hochtechnologie und sicherheitsrelevante Produkte beschränkt, werden die transatlantischen Partner gegenüber China künftig viel stärker an einem Strang ziehen.
Um diesen Prozess politisch zu nutzen und zu lenken, sollte die Bundesregierung darauf drängen, das neue europäisch-amerikanische Forum zur China-Politik weiter aufzuwerten. Ziel dieses Forums sollte es sein, dass die transatlantischen Partner gegenüber China abgestimmt auftreten. Von besonderer Bedeutung sind dabei Fragen der geistigen Eigentumsrechte, des Investitionsschutzes, der Balance der Handelsströme sowie der Durchsetzung globaler Standards und Normen. Vereinbarungen wie das Europäisch-Chinesische Investitionsabkommen könnten künftig vorab und gemeinsam mit den Amerikanern daraufhin analysiert werden, welche geopolitische Bedeutung ihnen von der chinesischen Führung zugewiesen wird und ob sie dazu dienen können, einen Keil in das transatlantische Bündnis zu treiben. Um diesem Forum Gewicht zu verleihen, sollte es hochrangig geführt werden, zum Beispiel von Vizepräsidenten, nämlich der Vereinigten Staaten und der EU-Kommission.
Besonders dringlich ist die gemeinsame Bestimmung sicherheitsrelevanter Technologien und stringenter Richtlinien im Umgang mit chinesischen Käufern, Investoren und Anbietern. Hier ist es besonders erforderlich, die deutsche Betrachtung auf einen weiten Winkel zu stellen, also sehr wohl unternehmerische und technische, darüber hinaus aber auch sicherheits-, verteidigungs- und bündnispolitische Aspekte zu berücksichtigen. Deutschland sollte Kriterien vorschlagen, die in der EU und mit den USA konsensfähig sind, wie „sicherheitsrelevant“ zu definieren ist und auf welche Weise solche Technologien vor der Einflussnahme autoritärer Regime, darunter China, geschützt werden sollen. Auch darf die internationale Norm- und Standardsetzung nicht zunehmend China überlassen werden.
Grundsätzlich sollte Deutschland gemeinsam mit den USA die Wechselseitigkeit (Reziprozität) zur Richtschnur der Beziehungen mit China machen. Es ist nicht länger akzeptabel, dass China einseitig Vorzüge internationaler Regeln und Abkommen nutzt, für eigene Regelverstöße aber keine Nachteile in Kauf nehmen muss. Diese falsche Rücksichtnahme – sei es aus Angst vor eigenen wirtschaftlichen Nachteilen oder in der Hoffnung, Nachsicht werde sich positiv auf Chinas zukünftiges Verhalten auswirken – ist nicht länger tragfähig, sie ist gefährlich.
Ob es um den Marktzugang geht, den Schutz geistigen Eigentums oder den Umgang mit Journalisten und Nicht-Regierungsorganisationen: Wo China sich nicht so verhält, wie es das umgekehrt für sich selbst in Anspruch nimmt, sollten die transatlantischen Partner abgestimmte Gegenmaßnahmen ergreifen. Das wird zwar auch von ihnen einen Preis verlangen, der aber vergleichsweise klein ist gegenüber dem Preis, den ein immer mächtigeres China fordern wird, das die Regeln der internationalen Ordnung nicht akzeptiert und nicht in sie eingebunden ist.
Chinas Herausforderung gegenüber dem Westen ist nicht nur eine machtpolitische, sondern vor allem eine ideologische. Auch in Zeiten, in denen Deutschland, Europa und Amerika darum ringen, ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden, sollten die liberalen Demokratien in dieser Frage selbstbewusster sein: Die offene Gesellschaft, geprägt von Freiheit, Demokratie und Gewaltenteilung, bleibt ein Erfolgsmodell von überragender Attraktivität.
Die Attraktivität verlangt aber auch, dass die offenen Gesellschaften für ihre Überzeugungen einstehen. Deswegen sollte Deutschland in Abstimmung mit den USA seine Beziehungen zu Taiwan stärken und die massenhafte Verletzung von Freiheitsrechten, etwa in Hongkong, kritisieren. Leisetreterei in solch grundsätzlichen Fragen ist nicht etwa realpolitische Klugheit, sondern Wasser auf die Mühlen der Autoritären, die den Westen für schwach, hohl und doppelzüngig halten. Vor allem verkennt die falsche Zurückhaltung die kraftspendende Wirkung solch klarer Unterstützung auf diejenigen, die für ihre Freiheit kämpfen.
Das bedeutet auch, dass Deutschland die Beziehungen zu like-minded democracies wie Australien, Japan und Südkorea intensivieren sollte – am besten, wie im Abschnitt zur Sicherheitspolitik angeregt, über modernisierte Partnerschaftsprogramme der NATO.
China fordert Deutschland wie kein anderes Land. Es ist zugleich Partner, Konkurrent und Gegner. Die chinesische Machtpolitik ist gleichermaßen zielgerichtet wie langfristig angelegt; sie bestraft Naivität. Amerika und Europa, besonders Deutschland, brauchen einander im Umgang mit China, als wechselseitige Kraftverstärker. Das funktioniert aber nur, wenn das transatlantische Handeln, quer durch alle Politikfelder, konsequent darauf ausgerichtet ist.
Deswegen brauchen Deutschland und Amerika auch in dieser Frage eine Neue Übereinkunft: Sie beginnt mit der Einsicht, dass transatlantische China-Politik eigene Sicherheitsinteressen und Menschen- und Völkerrecht ebenso vertreten muss wie die Prinzipien des freien und fairen Handels. Nicht konfrontativer als nötig, aber doch so entschieden, dass eine gemeinsame Zukunft in Wohlstand und Selbstbestimmung möglich ist – nicht gegen, sondern mit China.
Online-Flyer Nr. 762 vom 26.02.2021
Mit der NATO in eine leuchtende Zukunft?
Grüner Denk-Panzer lädt durch
Von Peter Betscher
Kaum nachdem Donald Trump erfolgreich aus dem Amt gemobbt wurde und Joe Biden das Präsidentenamt angetreten hat, kommen die Transatlantiker wieder aus den Löchern. Ein illustrer Kreis - initiiert von Dr. Patrick Keller (Bundesakademie für Sicherheitspolitik) und Dr. Ellen Ueberschär (Heinrich-Böll-Stiftung) - veröffentlichte am 20. Januar 2021 das Thesenpapier „Transatlantisch? Traut Euch! Für eine neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika“. (1)
Die Erosion der transatlantischen Beziehungen sei eine strategische Krise für Deutschland, schreiben die Autoren, und „mit dem neuen Präsidenten Joe Biden bietet sich die einzigartige Chance, diese Krise zu überwinden und das westliche Bündnis so zu erneuern, dass es weit über die nächsten vier Jahre trägt.“ Die USA werden uns in dem Papier als selbstloser Bewahrer der europäischen Integration verkauft, und ohne die schützende Hand der USA würden sich die europäischen Staaten gegenseitig zerfleischen. Eine US-amerikanische Vorherrschaft in den letzten 70 Jahren wird in dem Papier nicht erwähnt, sondern „Deutschland wie Europa müssen erst noch damit zu leben lernen, dass nach 500 Jahren nun Ostasien das strategische Zentrum der Welt ist und nicht mehr der europäische Kontinent.“ Deshalb werde die USA ihre Aufmerksamkeit und Ressourcen nach Ostasien verlegen und Europa habe ihnen dafür gefälligst den Rücken frei zu halten. Außenminister Heiko Maas stieß schon im Oktober letzten Jahres in dieses Horn: „Nach vier schwierigen Jahren ist es Zeit für einen Neuanfang in der transatlantischen Partnerschaft. Denn die Profiteure unserer Differenzen sitzen in Peking und Moskau, aber auch in Teheran und Pjöngjang.“ (2) Für die zu erneuernde Nibelungentreue zur NATO und den USA werden der Bundesregierung fünf Themenkomplexe vorgeschlagen: „Klima, NATO, China, Handel und Technologie.“
Das Papier enthält nicht viel Neues, sieht man mal davon ab, dass es mit den feuchten Träumen des Herrn Schwab vom World Economic Forum (WEF) garniert wurde. Im Gegensatz zu dem sich sinophil gebärdenden Schwab wird in „Traut Euch“ ein Bedrohungsszenario entworfen, nachdem China die größte Bedrohung für die „liberalen“ Demokratien sei. China ist schon längst zum Hauptfeind Nr. 1 der USA geworden, denn vorbei sei die Zeit [Anm.: für Europa], „als China nur als lukrativer Markt und als Handelspartner gesehen wurde. Vorbei auch die Annahme, der wirtschaftliche Aufschwung Chinas werde zu einer neuen Mittelklasse führen, die zwangsläufig und rasch politische Liberalisierung erwirkt. Stattdessen etabliert sich zunehmend ein ganzheitliches China-Bild, in dem neben den Chancen auch die Gefahren gesehen werden, die mit Chinas systemischer Herausforderung an den liberalen Westen und die regelbasierte internationale Ordnung einhergehen.“
Zahlreiche Anknüpfungspunkte ließen sich laut den Autoren für die kritischere Bewertung Chinas finden, wie „mangelnde Fairness und Normentreue in den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen; enger werdende Zusammenarbeit mit Russland; Bedrohung freier Handelswege im Indo-Pazifik; die Drohung, Taiwan mit Gewalt zu unterwerfen; rechtlich fragwürdiges Ausgreifen im Süd- und Ostchinesischen Meer; Untergraben der Einheit der EU durch gezielte, politisch konditionierte Investitionen in Süd- und Osteuropa; Aufbau von entwicklungspolitisch schädlichen Gläubigerbeziehungen in Lateinamerika und Afrika; massenhafte Menschenrechtsverletzungen, nicht zuletzt an der uigurischen Minderheit sowie den Bewohnern Hongkongs und Tibets.“ Eine vorurteilsfreie Bewertung dieser Vorwürfe liefert Walter Bückler auf den NachDenkSeiten (3) Die USA werden in dem Papier hingegen als selbstloser Unterstützer der Europäer geschildert, während der chinesischen Regierung die Verletzung von Menschen- und Völkerrecht, das Unterlaufen von internationalen Handelsordnungen, der rechtswidrige Umgang mit Journalisten und Nicht-Regierungsorganisationen vorgeworfen wird. Natürlich werden die Mega-Kriegsverbrechen der USA und ihrer europäischen Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten der letzten Jahre mit keinem Wort erwähnt, die ganze Gesellschaften zerstört und die Lebensgrundlage entzogen haben. Auch kein Wort über die völkerrechtswidrigen unilateralen Sanktionen der USA und ihrer europäischen Verbündeten, die unbotmäßige Nationen wie Syrien, Venezuela und Kuba regelrecht strangulieren. Die China-Politik sei „der archimedische Punkt der künftigen transatlantischen Beziehungen“. An ihr werde „sich entscheiden, ob die Vereinigten Staaten ihre europäischen Verbündeten als nützlich und verlässlich bewerten; und von diesem Urteil wird quer durch alle transatlantischen Politikfelder die Bereitschaft der USA zum Entgegenkommen und zum Engagement abhängen.“ Es muss unterbunden werden, dass Deutschland und Europa friedfertige Beziehungen zu China und Russland aufbauen, denn schon Brzezinski prognostizierte, dass Eurasien sei »das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird«. (4)
Der Schwerpunkt hat sich für die US-Regierungen mehr zum Fernen Osten verlegt seit Hillary Clinton das „pazifische Jahrhundert“ ausgerufen hatte. Ein Alptraum, wenn man sich ansieht, welche Spur der Zerstörung der US-amerikanische Interventionismus im Nahen und Mittleren Osten hinterlassen hat. Für Deutschland und Europa wäre es ratsam sich nicht vor den US-amerikanischen Karren entgegen der eigenen Interessen spannen zu lassen. Das Papier schlägt die seit Jahren bekannten Forderungen diverser US-Regierungen vor, wie die Erhöhung des Rüstungshaushaltes auf zwei Prozent des BIP, die nukleare Teilhabe und größeres Engagement vom „Hohen Norden“ bis zum „Mittelmeerraum“. Mit den Leimruten wie beispielsweise die „Bekämpfung des Klimawandels und der Überwindung von Rassismus und Sexismus“ und „Themen wie den Wandel der Arbeitswelt“, sollen jüngere Menschen und Minderheiten für das Aggressionsprogramm gewonnen werden, um die „transatlantische Erzählung fortzuschreiben“. Es mutet geradezu absurd an, dass man den Kräften, die große Teile der Welt in ein Trümmerfeld verwandelt und die allgemeine Armut forciert haben, jetzt einen Neustart in eine neue leuchtende Zukunft mit Umweltschutz, smarter Technologie und fairem Handel abnehmen soll. Das mutet eher wie der bewaffnete Arm von Schwabs WEF an. Das Papier sollte unsere Anstrengungen verstärken, von der Bundesregierung die Kündigung des NATO-Vertrages und des Truppenstationierungsvertrages, den Ausstieg aus Defender 2021, die Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Beendigung der völkerrechtswidrigen unilateralen Wirtschaftssanktionen zu fordern. Die Bevölkerung in Deutschland ist Umfragen zufolge trotz der Medien-Dauerpropaganda für ein besseres Verhältnis zu Russland und China. Aber es wissen auch alle, dass ein Ausstieg aus der NATO ungemütlich wird. Aber besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Traut Euch!
Fußnoten:
(1) https://anewagreement.org/ (siehe auch Anhang)
(2) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-wams/2409522
(3) https://www.nachdenkseiten.de/?p=67834
(4) Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Berlin 1997
Anhang:
Abschnitt 5 aus dem Papier "Transatlantisch? Traut Euch!"
China: eine neue Herausforderung mit Amerika koordinieren
Die China-Politik ist der archimedische Punkt der künftigen transatlantischen Beziehungen. An ihr wird sich entscheiden, ob die Vereinigten Staaten ihre europäischen Verbündeten als nützlich und verlässlich bewerten; und von diesem Urteil wird quer durch alle transatlantischen Politikfelder die Bereitschaft der USA zum Entgegenkommen und zum Engagement abhängen.
Diese Fokussierung auf China mag man aus deutscher Perspektive als überzogen empfinden; aus der systemischen Logik der internationalen Politik heraus ist sie jedoch zwingend. Die USA, als führende Weltmacht ohnehin seit Jahren einem relativen Abstieg ausgesetzt, sehen parteiübergreifend die Volksrepublik China als strategischen Herausforderer. Wirtschaftlich, aber zunehmend auch militärisch und politisch gewinnt China an internationalem Einfluss – auf Kosten der USA und des Westens insgesamt. Denn diese machtpolitische Konkurrenz ist von einer systemisch-ideologischen Konkurrenz grundiert. Für Amerika sind Verbündete daher vor allem dann wertvoll, wenn sie in dieser Konkurrenz als liberale Demokratien eindeutig und nützlich sind.
Für Deutschland und Europa stellt sich die Frage, ob unsere Interessen vis-a-vis China die gleichen sind wie die der herausgeforderten Führungsmacht USA. Und, wenn dies nicht überall der Fall sein sollte, wie diese Interessenunterschiede im Verhältnis zum übergeordneten Interesse an einem vitalen Bündnis mit Amerika zu bewerten sind.
Vor diesem Hintergrund findet gegenwärtig in Deutschland wie ganz Europa eine Neubewertung Chinas statt. Vorbei die Zeit, als China nur als lukrativer Markt und als Handelspartner gesehen wurde. Vorbei auch die Annahme, der wirtschaftliche Aufschwung Chinas werde zu einer neuen Mittelklasse führen, die zwangsläufig und rasch politische Liberalisierung erwirkt. Stattdessen etabliert sich zunehmend ein ganzheitliches China-Bild, in dem neben den Chancen auch die Gefahren gesehen werden, die mit Chinas systemischer Herausforderung an den liberalen Westen und die regelbasierte internationale Ordnung einhergehen.
Die zahlreichen Anknüpfungspunkte für die kritischere Bewertung Chinas lassen sich mit einigen Stichworten zusammenfassen: mangelnde Fairness und Normentreue in den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen; enger werdende Zusammenarbeit mit Russland; Bedrohung freier Handelswege im Indo-Pazifik; die Drohung, Taiwan mit Gewalt zu unterwerfen; rechtlich fragwürdiges Ausgreifen im Süd- und Ostchinesischen Meer; Untergraben der Einheit der EU durch gezielte, politisch konditionierte Investitionen in Süd- und Osteuropa; Aufbau von entwicklungspolitisch schädlichen Gläubigerbeziehungen in Lateinamerika und Afrika; massenhafte Menschenrechtsverletzungen, nicht zuletzt an der uigurischen Minderheit sowie den Bewohnern Hongkongs und Tibets.
Die Neubewertung Chinas in Deutschland führt zu einer Annäherung an das amerikanische China-Bild. Zugleich steht zu erwarten, dass sich die amerikanische China-Politik deutschen Vorstellungen annähert, indem Joe Biden sich von der konfliktfreudigen Strategie Trumps verabschiedet, eine Entkoppelung der amerikanischen und der chinesischen Wirtschaft zu betreiben. Wenn er stattdessen eine offenere Handelsbeziehung mit China sucht und Ausnahmen auf die Hochtechnologie und sicherheitsrelevante Produkte beschränkt, werden die transatlantischen Partner gegenüber China künftig viel stärker an einem Strang ziehen.
Um diesen Prozess politisch zu nutzen und zu lenken, sollte die Bundesregierung darauf drängen, das neue europäisch-amerikanische Forum zur China-Politik weiter aufzuwerten. Ziel dieses Forums sollte es sein, dass die transatlantischen Partner gegenüber China abgestimmt auftreten. Von besonderer Bedeutung sind dabei Fragen der geistigen Eigentumsrechte, des Investitionsschutzes, der Balance der Handelsströme sowie der Durchsetzung globaler Standards und Normen. Vereinbarungen wie das Europäisch-Chinesische Investitionsabkommen könnten künftig vorab und gemeinsam mit den Amerikanern daraufhin analysiert werden, welche geopolitische Bedeutung ihnen von der chinesischen Führung zugewiesen wird und ob sie dazu dienen können, einen Keil in das transatlantische Bündnis zu treiben. Um diesem Forum Gewicht zu verleihen, sollte es hochrangig geführt werden, zum Beispiel von Vizepräsidenten, nämlich der Vereinigten Staaten und der EU-Kommission.
Besonders dringlich ist die gemeinsame Bestimmung sicherheitsrelevanter Technologien und stringenter Richtlinien im Umgang mit chinesischen Käufern, Investoren und Anbietern. Hier ist es besonders erforderlich, die deutsche Betrachtung auf einen weiten Winkel zu stellen, also sehr wohl unternehmerische und technische, darüber hinaus aber auch sicherheits-, verteidigungs- und bündnispolitische Aspekte zu berücksichtigen. Deutschland sollte Kriterien vorschlagen, die in der EU und mit den USA konsensfähig sind, wie „sicherheitsrelevant“ zu definieren ist und auf welche Weise solche Technologien vor der Einflussnahme autoritärer Regime, darunter China, geschützt werden sollen. Auch darf die internationale Norm- und Standardsetzung nicht zunehmend China überlassen werden.
Grundsätzlich sollte Deutschland gemeinsam mit den USA die Wechselseitigkeit (Reziprozität) zur Richtschnur der Beziehungen mit China machen. Es ist nicht länger akzeptabel, dass China einseitig Vorzüge internationaler Regeln und Abkommen nutzt, für eigene Regelverstöße aber keine Nachteile in Kauf nehmen muss. Diese falsche Rücksichtnahme – sei es aus Angst vor eigenen wirtschaftlichen Nachteilen oder in der Hoffnung, Nachsicht werde sich positiv auf Chinas zukünftiges Verhalten auswirken – ist nicht länger tragfähig, sie ist gefährlich.
Ob es um den Marktzugang geht, den Schutz geistigen Eigentums oder den Umgang mit Journalisten und Nicht-Regierungsorganisationen: Wo China sich nicht so verhält, wie es das umgekehrt für sich selbst in Anspruch nimmt, sollten die transatlantischen Partner abgestimmte Gegenmaßnahmen ergreifen. Das wird zwar auch von ihnen einen Preis verlangen, der aber vergleichsweise klein ist gegenüber dem Preis, den ein immer mächtigeres China fordern wird, das die Regeln der internationalen Ordnung nicht akzeptiert und nicht in sie eingebunden ist.
Chinas Herausforderung gegenüber dem Westen ist nicht nur eine machtpolitische, sondern vor allem eine ideologische. Auch in Zeiten, in denen Deutschland, Europa und Amerika darum ringen, ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden, sollten die liberalen Demokratien in dieser Frage selbstbewusster sein: Die offene Gesellschaft, geprägt von Freiheit, Demokratie und Gewaltenteilung, bleibt ein Erfolgsmodell von überragender Attraktivität.
Die Attraktivität verlangt aber auch, dass die offenen Gesellschaften für ihre Überzeugungen einstehen. Deswegen sollte Deutschland in Abstimmung mit den USA seine Beziehungen zu Taiwan stärken und die massenhafte Verletzung von Freiheitsrechten, etwa in Hongkong, kritisieren. Leisetreterei in solch grundsätzlichen Fragen ist nicht etwa realpolitische Klugheit, sondern Wasser auf die Mühlen der Autoritären, die den Westen für schwach, hohl und doppelzüngig halten. Vor allem verkennt die falsche Zurückhaltung die kraftspendende Wirkung solch klarer Unterstützung auf diejenigen, die für ihre Freiheit kämpfen.
Das bedeutet auch, dass Deutschland die Beziehungen zu like-minded democracies wie Australien, Japan und Südkorea intensivieren sollte – am besten, wie im Abschnitt zur Sicherheitspolitik angeregt, über modernisierte Partnerschaftsprogramme der NATO.
China fordert Deutschland wie kein anderes Land. Es ist zugleich Partner, Konkurrent und Gegner. Die chinesische Machtpolitik ist gleichermaßen zielgerichtet wie langfristig angelegt; sie bestraft Naivität. Amerika und Europa, besonders Deutschland, brauchen einander im Umgang mit China, als wechselseitige Kraftverstärker. Das funktioniert aber nur, wenn das transatlantische Handeln, quer durch alle Politikfelder, konsequent darauf ausgerichtet ist.
Deswegen brauchen Deutschland und Amerika auch in dieser Frage eine Neue Übereinkunft: Sie beginnt mit der Einsicht, dass transatlantische China-Politik eigene Sicherheitsinteressen und Menschen- und Völkerrecht ebenso vertreten muss wie die Prinzipien des freien und fairen Handels. Nicht konfrontativer als nötig, aber doch so entschieden, dass eine gemeinsame Zukunft in Wohlstand und Selbstbestimmung möglich ist – nicht gegen, sondern mit China.
Online-Flyer Nr. 762 vom 26.02.2021