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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Schreiben an Michael Müller, regierender Bürgermeister von Berlin, 24.11.2020
Rücktritt ist keine Lösung, aber ein Schritt ans Licht
Von Jürgen Quantmeyer

Sehr geehrter Müller, gestern haben Sie Ihren Werbebrief in meinen Briefkasten geworfen; dies ist in Missachtung des Aufklebers auf dessen Deckel mit dem unzweideutigen Werbeverbot, ein klarer Rechtsbruch. Er wiegt jedoch viel weniger als ihr politisches Gebaren. Sie werden wohl in Zukunft noch in ganz anderen Dimensionen Justitia begegnen. Schon als Senator für Stadtentwicklung haben Sie großes Leid über weite Teile der Berliner Bevölkerung gebracht, indem Sie den großen Teil der Sozialwohnungen an Investoren, genauer an Spekulanten verramscht haben. Und nun wird Ihr Tun unter dem Vorwand einer Pandemie seit Monaten immer unheilvoller: mit dem denglischen Neuzeiteuphemismus "lockdown" treiben Sie hunderttausende Bürgerinnen und Bürger unser Stadt im Wortsinn in den Irrsinn: die Krankheit, der wirtschaftliche Ruin durch Verlust der Arbeit oder des eigenen Unternehmens, aber auch die soziale Verarmung durch Ihre elende Spaltung der Gesellschaft mit Abstand, Denunziation, Hass und all den schrecklichen Beschädigungen. Und letztlich die nackte Verzweiflung bis hin zum Suizid! Was sind Sie nur für ein Mensch?

Am Abend des 01. August haben Sie im RBB mich mit vielen anderen Bürgern, die am Brandenburger Tor, dem Tor der Freiheit, für eben diese Freiheit und gegen den Niedergang der Demokratie und unserer Grundrechte friedlich demonstriert haben, diffamiert und mit Ausdrücken wie "Randalierer" beschimpft. Die gruseligen Rechtsbrüche am 29. August übergehe ich hier, auch wenn schon damals Wasserwerfer als Drohkulisse aufgefahren wurden.

18.11.2020: Höhepunkt staatlicher Willkür - wie Unmenschen verletzt oder verhaftet oder vertrieben


Am 18.11.2020 dann der bisherige Höhepunkt der staatlichen Willkür: Hier wurde ja im weiteren Tagesverlauf der seit dessen Bestehen weitestgehende Eingriff gegen Geist und Artikel des Grundgesetzes vom Bundestag beschlossen. Zuvor hatten die Abgeordneten angeblich trotz mannigfacher Umwehrung ihrer Trutzburg Reichstag, allerdings noch ohne Wassergraben, Angst vor bürgerlichen Willensbekundungen auf der Reichstagswiese. So wurden dort vom Heimatminister jedwede Versammlungen untersagt. Die wieder völlig friedlichen Bürger versammelten sich darauf gemäß ordentlicher behördlicher Anmeldung an der Marschallbrücke und am nach Osten abgeriegelten Brandenburger Tor. Dann setzte - nach dem schon bekannten Prelude "zusammendrängen – Abstandsgebot vorwerfen – auflösen" der bislang brutalste Angriff staatlicher Gewalt gegen wehrlose Bürger ein. Frau Slowik setzte - wie man vermuten darf, mit Herrn Geisels und Ihrem Oberbefehl aus der Distanz - mindestens vier Wasserwerfer – das hat es in Berlin seit Jahrzehnten nicht gegeben – und die berüchtigt schlagkräftigsten Truppenteile ihrer Polizeibrigaden ein. Wir wurden alle wie Unmenschen verletzt oder verhaftet oder vertrieben. Einem Glücksfall und dem freundlichen Hinweis einer Polizistin - vielen Dank - ist geschuldet, dass ich zwischen den allseits abriegelnden Polizeitruppen mit meiner völlig geschwächten Begleiterin dem Kesseltreiben in den Park entkommen konnte. Wollen Sie das? Ist das Ihre Art von Schutz der Volksgesundheit?

22.11.2020: SCHWEIGEmarsch durch Prenzlauer Berg - von wilden Horden aggressiver Menschen bedroht

Am 22.11.2020 wurden wir auf unserem wieder völlig friedlichen und AHA-konformen SCHWEIGEmarsch durch Prenzlauer Berg über Stunden von wilden Horden sehr agressiver Menschen bedroht, die neben unserem Zug herliefen bzw. marschierten. Sie kreischten und schrien - am Totensonntag - ständig, immer wieder mit Begriffen wie Nazis und Faschisten. Sie trugen keine braunen Hemden, sondern die typische schwarze Kluft. Und es waren viele sehr junge Menschen. Ich habe mich gefragt, ob womöglich überhaupt einer dieser Leute den Begriff "Faschist" hätte definieren können. Sehr geehrter Herr Müller, merken Sie, welche Saat da aufgeht? Oder übersteigt es Ihre Vorstellungskraft, dass sich Geschichte auch nach fast 90 Jahren wiederholen kann? Ja, ich hatte an diesem Sonntag wieder Angst. wie viele Andere, und auch wegen meiner körperlichen Unversehrtheit. Aber an diesem Tag war der andere, der mächtigere Teil der Berliner Polizei auf der Straße. Diese tapferen Bürgerinnen und Bürger in Uniform, die sich nicht nur ihrem Job  oder Eid verpflichtet fühlen, stehen mit Herz und Verstand ein für unser aller Recht und Freiheit und Frieden. Sie haben uns tatkräftig und letztlich erfolgreich beschützt und Schlimmeres verhindert. Ich bin diesen Frauen und Männern sehr dankbar und bekunde meinen tiefen Respekt vor ihrem Mut und Ihrer Unerschrockenheit.

Zurücktreten und verschwinden

Ältere Herren wie ich reden wohl gern von der guten alten Zeit und, dass früher alles besser war. Jedenfalls wäre ein derart katastrophaler Politiker mit Ihrem Schadenskonto längst und ohne Umschweife zurückgetreten und in der informationellen Diaspora verschwunden. Aber das ist wohl heute der übliche kommode Weg, dass Sie im Bundestag verschwinden wollen, falls Ihre erbarmungswürdige Partei im nächsten Herbst noch die 5-Prozent-Hürde überklettert. Und vielleicht treffen Sie dann dort zum beschaulichen Plausch auf einem Hinterbänkchen Ihre noch Vorsitzende Saskia Esken. Das ist die Dame, die uns nicht als Randalierer beschimpft wie Sie, sondern schlicht als Idioten. Dann werden Sie beide hoffentlich an die guten alten Zeiten denken, als Willy Brandt, ein sehr ehrenhafter SPD-Vorsitzender, von allen Deutschen einforderte: MEHR DEMOKRATIE WAGEN! Mit ernstem Gruß

Online-Flyer Nr. 758  vom 02.12.2020



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