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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Kultur und Wissen
Masken historisch und in der Periode Neuer Normalität
A wie Abstandhalten, H wie Händewaschen
Ein Essay von Rudolph Bauer

Erst gab es sie nicht. Nicht einmal ausreichend für das Personal in Krankenhäusern und Altenheimen. Eine ganze Sendung aus China war abhanden gekommen. Es hieß, dass sie nicht schützen würden vor einer Infektion. Plötzlich wurde verkündet, sie seien doch hilfreich. Dann wurden sie zur Pflicht. Aber nicht jede Art, hieß es, schütze vor Ansteckung. Man selber sei durch sie nicht geschützt, andere dagegen schon. Dann heißt es, selbstgebastelte aus Kaffeefiltern seien auch wirksam. Daran kamen Zweifel auf. Schließlich wurden sie zur Pflicht im Öffentlichen Nahverkehr und in den Supermärkten. Nach den Gebrauch zu waschen bei 60 Grad. Zum Schulbeginn nach den Ferien müssen Kinder und Jugendliche sie tragen. Wovon reden wir?  Von den sog. Hygiene- oder Alltagsmasken. Von der Neuen Normalität.

So neu, wie es die Rede von Neuer Normalität erscheinen lässt, ist das Tragen von Masken aber nicht. Das Wort soll aus dem Arabischen kommen, vermutet das Herkunftswörterbuch des Dudens (1963: 426). Das arabische „mashara“ sei gleichbedeutend mit „Verspottung; Possenreißer; Possenreißerei“. Im 17. Jahrhundert als Lehnwort aus dem Französischen („masque“) bzw. zuvor aus dem Italienischen („maschera“) und Spanischen („máscara“) in die deutsche Sprache übernommen, bedeute es „Gesichtslarve; Verkleidung; kostümierte Person“ (ebd.).

Masken und ihre Geschichte

Bevor die Bezeichnung „Maske“ den deutschen Sprachschatz bereicherte, existierte schon das damit Bezeichnete: die das Gesicht bedeckende Larve als magischer Kultgegenstand und als antikes Theaterrequisit. Bei sakralen Opfer- und Weihehandlungen wurden (und werden in indigenen Kulturen auch heute noch) Gesichtsmasken im Rahmen religiöser oder vorreligiöser Rituale getragen. Die kultische Austreibung böser Geister und Dämonen hat sich als Motiv bis in die Gegenwart erhalten: im deutschsprachigen Raum etwa bei der Basler Fasnacht oder der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Die Masken waren bzw. sind „Ausdruck der magischen Ichlosigkeit“, so der Schweizer Kulturhistoriker und -philosoph Jean Gebser (1949: 138). Vor diesem Entstehungshintergrund wurden sie „zu der ‚Maske‘ in unserem heutigen Sinne“: denn diese entpersönliche oder verdecke das wahre Ich, das sich hinter ihr verbirgt.

Auf den magisch-mythischen Ursprung lässt sich auch die antike Theatermaske zurückführen. Sie trug eine Mundöffnung für den deklamierenden Schauspieler und hieß daher „durchklungene“, d. h. „persona“ auf Lateinisch. Aus dieser Sprachwurzel ist unser Wort „Person“ hervorgegangen. Aus dem Mund der Schauspielermaske spricht nicht dessen Ich, sondern „ich-los“ die Person der von ihm verkörperten Rolle. Entpersönlichung meint hier die Aufgabe (im doppelten Wortsinn) der Rolle als Person. Auf dem Theater und in der Oper, im Film und beim Fernsehen hat sich das Wort „Maske“ bis heute erhalten. Hier bezeichnet es sowohl das geschminkte Aussehen der Darsteller als auch den Raum, in dem die Schminke aufgetragen wird.

Masken im heutigen Sinn

Maske im heutigen Sinn bezeichnet alle möglichen Arten der Mund-Nasen-Bedeckung. U. a. sollen Hygiene- oder Schutzmasken vor einer infektiösen Ansteckung schützen Zur Zeit der Pest im 14. Jahrhundert trugen die Pestdoktoren „Schnabelmasken“. Gasmasken werden sowohl am Arbeitsplatz als auch bei Feuerwehr- und Kriegseinsätzen zum Schutz vor Chemikalien und giftigen Gasen verwendet. Es gibt Totenmasken aus Gips oder Wachs mit dem Gesichtsabdruck eines Verstorbenen, Chloroform-Masken zur Betäubung bei Operationen, Gesichtsschutz-Masken beim Sport, Sturmhauben und Gummimaske, um nicht erkannt zu werden. Nicht zuletzt: Karnevalsmasken.

Hier gelangt zur Geltung, dass der Mensch in der Maske unkenntlich wird. Der Philosoph Ernst Bloch (1959: 402) schrieb: „Die Maske ist zunächst Larve, als solche verbirgt, ja verneint sie das bisherige, das im bisherigen Leben dargestellte Ich.“ Er geht noch einen Gedankenschritt weiter: Der mit der Maske Vermummte, der nach eigenen Vorstellungen sich Maskierende, sei in der Anonymität der Verkleidung in der Lage, eine Rolle einzunehmen, die er „im Leben spielen möchte. Er ist als Henker, Lustmörder, Prinz gar nicht nur maskiert. Der gut Verkleidete hat sich entkleidet, so sieht er inwendig aus.“ (A. a. O.: 402) Die Maske offenbart das verborgene Selbstbild ihres Trägers, ihrer Trägerin. Damit verkehrt sich die Bedeutung von Vermummung. Sie kann sich zeigen als Mummenschanz, wenn im Karneval der Knecht zum Herrn wird oder der harmlose Untertan zum bösen Geist, der Ängstliche zur beängstigenden Fratze, die Landratte zum Piraten, der Feigling zum Wildwesthelden, der Harmlose zum Sheriff. Masken machen Täter; siehe den Mummenschanz des Ku-Klux-Clan, des Kommandos Spezialkräfte KSK und anderer Maskenträger in Uniform, hierzulande und weltweit, in Geschichte und Gegenwart.

Freilich erschweren Masken auch das Atmen. Mund und Nase sind lebensnotwendige Organe zum Ein- und Ausatmen, damit Sauerstoff ins Blut übertreten und CO? abgeatmet werden kann. Die Bedeckung der Atemorgane durch eine Maske schränkt Lungenbelüftung und Respiration ein. Sie unterbricht den ungehinderten Austausch zwischen Organismus und Atmosphäre, zwischen Leben und Umwelt, zwischen den inneren Organen und der äußeren Welt. Der von einer Schutzmaske bedeckte Mund ist ebenso für das Sprechen und die Nahrungsaufnahme wichtig. Der sprechende Mund und die Lippen sowie die durch beide gezeigte Mimik ermöglichen Kommunikation, d. h. den zwischenmenschlichen Austausch von Informationen und Wissen, Erkenntnis, Erfahrung, Urteil oder Sympathie. Kommunikation ist eine Sozialhandlung.

Die Aufnahme von Essen und Getränken ist lebenserhaltend. Sie kann außerdem Genuss bereiten: Gaumenfreuden, Ess- und Trinklust. Die Mund-Nasen-Bedeckung mit Maske ist so gesehen ein masochistisches Lusthemmnis, eine Genussbarriere. Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit bezeichnete den „Kampf gegen alles, was Lust, was Genuss ist“ als „das Kernstück der faschistischen Propaganda“ (1980: 12). So gesehen versendet die Auflehnung gegen die Maskenpflicht auf untergründige Weise ein doppeltes politisches Signal: Sie wendet sich zum einen gegen die „gekrönte“ (und „ungekrönte“) Corona-Obrigkeit, gegen Herrschaft und Unterdrückung. Zum anderen leistet sie Widerstand gegen eine bestimmte Denkweise, die dem Philosophen und Sozialtheoretiker Theodor W. Adorno aus dem Nazi-Faschismus bekannt war.

Die formalen Merkmale der von Adorno analysierten Denkweise, so schreibt er, lebten auch nach Beendigung der Nazi-Diktatur bis auf die Gegenwart fort, und zwar in weit höherem Maße als die Nazi-Doktrinen selbst (1963: 29 ff.). Zu den formalen Besonderheiten des faschistischen Denkens rechnet er „beflissene Anpassung ans je Geltende, zweiwertige Aufteilung nach Schafen und Böcken, Mangel an unmittelbaren, spontanen Beziehungen zu Menschen, Dingen, Ideen, zwanghafter Konventionalismus, Glaube an Bestehendes um jeden Preis.“ (A. a. O.: 41) Derlei Denkstrukturen und Syndrome seien als solche, dem Inhalt nach, zwar apolitisch, aber ihr Fortleben habe politische Implikationen – so auch im Kontext der gegenwärtig herrschenden Politik des Infektionsschutzes und angesichts der viralen Krisenfixierung. Wohl eher zufällig, aber bar jeder historischen Sensibilität erinnern die ersten beiden Buchstaben des gesundheitsministeriellen „AHA“-Mottos – A wie Abstandhalten, H wie Händewaschen und A wie Atemschutzmaske – auf erschreckende Weise an die Initialen von Adolf Hitler.

Charaktermasken: ihre Eigenschaft und Funktion

Die Masken-Politik der Bundesregierung und der Länder macht im übertragenen Sinne mundtot. Sie unterbindet die „unmittelbaren, spontanen Beziehungen zu Menschen“ und zwischen ihnen. Wo das Maske-Tragen sich als sinnlos oder höchst fragwürdig erweist – etwa in Kindergärten und an den Schulen –, funktioniert es als scheinbar smartes Disziplinierungsritual, das an gezielte Unterwerfungsmethoden sowohl in Haft- und Disziplinaranstalten als auch beim Militär erinnert. Die damit angesprochene Dimension „strukturelle Zwänge“ (Klaus Ottomeyer) findet sich wieder bei einem Topos der marxistischen Theorie: beim Begriff „Charaktermaske“.

Der Begriff verweist auf die bei der Begegnung konkret-sinnlicher Personen zutage tretende Formbestimmtheit, die aus der Eigendynamik der ökonomischen Verhältnisse resultiert. Karl Marx benennt damit die historisch spezifischen Konstitutionsbedingungen von entfremdeter Individualität im Kapitalismus: „So albern es daher ist, diese ökonomisch bürgerlichen Charaktere von Käufer und Verkäufer als ewige gesellschaftliche Formen der menschlichen Individualität aufzufassen, ebenso verkehrt ist es, sie als Aufhebung der Individualität zu betränen. Sie sind notwendige Darstellung der Individualität auf Grundlage einer bestimmten Stufe des gesellschaftlichen Produktionsprozesses“ (1964: 76). „Charaktermaske“ orientiert als Begriff der politischen Ökonomie nicht auf ein konkret begreifbares Ding, welches die Mund-Nasen-Bedeckung objektiv ist. Der Terminus deutet im übertragenen Sinn vielmehr auf eine Relation hin: auf das sozial-sachliche (nicht das individuell-persönliche) Verhältnis der Menschen zueinander, innerhalb der Klassengesellschaft.

Die Charaktermasken-Eigenschaft umfasst schlussendlich als politische Relation nicht nur den wirtschaftlichen Bereich, sondern auch die Funktion staatlicher, wissenschaftlicher, medialen, militärischer und zivilgesellschaftlicher Institutionen sowie die des politischen Handelns ihrer Akteurinnen, ihrer Akteure. In der Politik des demokratischen Parlamentarismus kommt beispielsweise den Parteiprogrammen und der Kandidatenauswahl eine symbolisch-rituelle Bedeutung zu. Gleicherweise symbolische Ritualeigenschaft besitzt „der rationale Charakter der Stimmabgabe; die Realität der Kontrolle, die Wahlen über die Regierungspolitik ausüben; der rationale, bloß ausführende Charakter der Rechtsprechung und des Vollzugs von Gesetzen durch die Behörden“, so der US-Politologe Murray Edelmann (1976: 15).

Die Maskierung entlarven! Den Spott durchschauen!

Die Politik und ihre Akteure verbergen ihre wahren Absichten im übertragenen Sinn hinter solchen Masken wie „freiheitlich-demokratische Grundordnung“, „westliche Werte“, „transatlantische Partnerschaft“, „humanitäre Intervention“, „internationale Verantwortung“ oder – wie im Corona-Fall – hinter dem Mythos der „Solidarität mit Risikogruppen“, der „Systemrelevanz von Pflegekräften“ oder der vielfach beschworenen „Gefahr der zweiten Welle“. (Was nicht heißen muss, dass in jedem Einzelfall die Maske von der wahren Absicht oder Überzeugung abweicht.) Auch das Militär setzt auf Camouflage, etwa als „Friedensmacht“ oder „Ordnungsfaktor“ zur „Friedenssicherung“, „defensiv“ und „zur Verhinderung von Konflikten“. Entsprechend lautet die Maskierung des zuständigen Ministeriums nicht Kriegs-, sondern Verteidigungsministerium.

Nicht unähnlich tarnen sich Lehrer und Professorinnen, Wissenschaftler und Forscherinnen, Talkshows, Think-Tanks und Leitmedien mit Exzellenzrhetorik, Uni-Bluff, Expertenstatus, neuesten Forschungsergebnissen und aktuellen Umfragewerten. Ein ebenso zweifelsfreier Hort der symbolischen Selbstinszenierung sind zivilgesellschaftliche Nichtregierungsorganisationen, etwa Wohlfahrtsverbände und Stiftungen wie die von Melinda und Bill Gates. Die philanthropischen Player „sind geneigt, ihre Status- und Geldinteressen in einen Mythos zu übersetzen, der z. B. ihr Verhalten als Dienst am Gemeinwohl definiert“, schreibt Edelmann (1976: 108).

Mit der Maske der „Objektivität“, der „Authentizität“ und „Originalität“ einerseits, der „Freiheit“ (Pressefreiheit, Meinungsfreiheit) andererseits arbeiten viele Medien. Sie täuschen Ausschnitte der Wirklichkeit als die gesamte Realität vor. Sie simulieren Welt und Weltanschauung. Sie fungieren als „Bildermaschine für den Krieg“ (Peter Bürger). Sportberichterstattung ersetzt Anleitung zur Körperertüchtigung, Kriminalfilme suggerieren Spannung, Unterhaltung tarnt Not, die Dokumentation des Elends die Massenarmut.

Wenn auf der einen Seite „Masken“ im übertragenen Sinn irreführend sind und die wahren Absichten von Institutionen und Akteuren verbergen, so sind letztere auf der anderen Seite nicht darum verlegen, ihrerseits das Vorhandensein von negativ konnotierten „Masken“ zu behaupten. Ihr Ziel ist es, die angeblich wahren Absichten der so „Maskierten“ zu entlarven. Die im Zusammenhang von Corona praktizierte Methode der allgemeinen Verspottung und der pauschalen politischen Diffamierung  bedient sich u. a. solcher „Masken“ wie „Verschwörungstheoretiker“, „Coronaleugner“, „Aluhüte“, „Esoteriker“, „Impfgegner“, „unverantwortlich“, „unsolidarisch“ und „rechtsoffen“.

So schließt sich der Kreis: Ausgehend vom arabischen Ursprungsverständnis „Spott“ haben sich im Laufe der Zeit viele sonstige Bedeutungen kultischer, ethnologischer, kultureller, biologischer, gesellschaftlicher, ökonomischer sowie politischer Art herausgebildet. In Anbetracht der symbolischen „Masken“-Funktionen im unmittelbaren und übertragenen Sinn landen wir schließlich wieder beim verächtlichen Spottgelächter des Konformismus einer „Neuen Normalität“ – einer „Maske“ ebenfalls, hinter der die kommenden Insolvenzen und Arbeitslosenzahlen verborgen werden und welche zum Ziel hat, jeden Zweifel, jede Kritik und jeden Widerstand ins gesellschaftliche Abseits zu bugsieren. Diese Absicht gilt es zu durchschauen.


Literatur:

Adorno, Theodor W. (1963): Eingriffe. Neue kritische Modelle. Frankfurt/M.
Bloch, Ernst (1959): Das Prinzip Hoffnung. Teil I-V. Kap. 1-37. Frankfurt/M.
Bürger, Peter (2007): Bildermaschine für den Krieg. Das Kino und die Militarisierung der Weltgesellschaft. Hannover
Das Herkunftswörterbuch. Die Etymologie der deutschen Sprache. Duden Bd. 7 (1963). Mannheim, Wien, Zürich
Edelman, Murray (1976): Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns. Frankfurt/Main
Gebser, Jean (1949): Ursprung und Gegenwart. Erster Band: Die Fundamente der aperspektivischen Welt. Stuttgart
Marx, Karl (1964): Zur Kritik der politischen Ökonomie; in: MEW 13: 1-160
Ottomeyer, Klaus (1976): Soziales Verhalten und Ökonomie im Kapitalismus. Vorüberlegungen zur systematischen Vermittlung von Interaktionstheorie und Kritik der politischen Ökonomie. Gießen
Theweleit, Klaus (1980): Männerphantasien. 2. Männerkörper – Zur Psychoanalyse des weißen Terrors. Reinbek bei Hamburg

Online-Flyer Nr. 752  vom 26.08.2020



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