NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

Fenster schließen

Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Die Flagge als Symbol der Unterdrückung und Ausgrenzung
Von Evelyn Hecht-Galinski

Der Kritik des Linken-Stadtverordneten Simon Aulepp ist es zu danken, dass endlich einmal ein Streit und eine Diskussionsgrundlage in Deutschland entstehen. Wer ist Jude und was bedeutet das Judentum in Deutschland? (1) Er stellt die berechtigte Frage, ob die Stadtverwaltung am Rathaus die Flagge von Saudi-Arabien hissen würde, wenn bei einem Anschlag in Deutschland Muslime getötet wurden? Allerdings erscheint mir in diesem Kontext Saudi-Arabien wenig hilfreich. Ich fände die Türkei den richtigen Staat in diesem Zusammenhang, wenn es darum geht, Mitgefühl bei rassistischen Morden auszudrücken. Immerhin leben etwa 3,5 Millionen türkischstämmige Bürger in Deutschland.

Keine Solidarität mit einer Armee, die "Hass und Freude am Töten zeigt"!


Während dagegen protestiert wird, wenn türkische Fußballer salutieren, wird es freudig hingenommen, dass deutsche Bürger sich freiwillig für die jüdische "Verteidigungsarmee" melden und damit als Deutsche eine Armee unterstützen, die die illegale Besatzung Palästinas mit allen völkerrechtswidrigen Mitteln sichert, einer Armee, die laut eigener Soldaten, die ihr Schweigen brachen, "Hass und Freude am Töten zeigt". (2)(3)(4)

Was sind das für Doppelstandards. Es scheint, wenn es um Muslime und Türken geht, dann spürt man die Islamophobie, die Deutschland und Europa ergriffen hat. Hat Deutschland, die deutsche Bundesregierung, jemals daran gedacht, nach den NSU-Morden an türkisch-stämmigen Menschen die türkische Flagge als Zeichen der Trauer oder Anteilnahme zu hissen? Niemals wäre diese Geste in Erwägung gezogen worden. Ja, der Holocaust bleibt ewig unvergessen, gibt aber kein Recht, diesen einseitig zu instrumentalisieren.

Die Frage, die Aulepp an den Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle stellte, war polemisch überspitzt, aber absolut berechtigt. Mit dem gescheiterten Anschlag eines rechtsextremen Täters in der Synagoge in Halle hat die David-Stern-Flagge nichts zu tun. Richtig wäre es gewesen, und da pflichte ich Aulepp vollkommen zu, zur Bekundung der deutschen Anteilnahme die deutsche Flagge auf Halbmast zu setzen. Schließlich war es kein Anschlag auf den "Jüdischen Staat", sondern es war eine Tat gegen eine Glaubensgemeinschaft. Allerdings fragt man sich schon angesichts der Antwort des OB Geselle, welches Glaubensverständnis er eigentlich hat? Auf Nachfrage der Presse meinte er doch tatsächlich, dass das Hissen der Israel-Flagge als "deutliches Zeichen der Solidarität mit den Menschen jüdischen Glaubens zu sehen ist“. Und: "Jede antisemitische Aktion ist auch immer ein Angriff auf den Staat Israel".

Antisemitismus nicht missbrauchen, um die Politik Israels damit vertuschen!

Ähnlich sieht man das auch in der Jüdischen Gemeinde und freute sich darüber, dass die Flagge vor dem Rathaus hing. Da fragt man sich schon, wie es sein kann, dass jüdische Bürger sich über diese Flaggenhissung freuen, zeigen sie damit doch nur, dass alle Kritik an Juden berechtigt ist, wenn sie sich hinter den "Jüdischen Staat" stellen und sich mit diesem solidarisieren. Wenn auch noch der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft meint, dass "man das Judentum und den Staat Israel nicht voneinander trennen darf", dann zeugt das von einem falschen Verständnis. Solange sich Juden in der Diaspora nicht klar Staat und Religion voneinander trennen, solange wird es nie ein "normales" Zusammenleben geben. Mir scheint, dem "Jüdischen Staat" und seiner Lobby kommt es sehr gelegen, wenn man Antisemitismus benutzt und die Politik Israels damit vertuschen kann, und um Kritik an dieser gar nicht aufkommen zu lassen. Ebenso kommt es dem "Jüdischen Staat" sehr gelegen, wenn Diaspora-Juden Angst gemacht wird, Unsicherheit erzeugt wird, damit sie vermehrt nach Israel auswandern. Eine gefährliche Art der Politik, die Antisemitismus erzeugt.

Das bringt uns natürlich zur Thematik der Instrumentalisierung einer Religion. Es gibt kein "jüdisches Volk", sondern nur eine jüdische Religionsgemeinschaft, siehe auch Schlomo Sand. (5)(6) Schon seit dem Anspruch der Anerkennung von Israel als "Jüdischer Staat" begann diese Verquickung von Judentum und Politik als Herrschafts- und Unterdrückungsmodell. Israel ist ein Staat, der sich auf dem Land Palästina etabliert hat und das seit seiner Staatsgründung 1948 systematisch etwa 750.000 Palästinenser ethnisch vertrieben hat, bei der Nakba, der Katastrophe. An diese Vertreibung darf nicht erinnert werden, fürchtet man doch die Bloßstellung. Aus diesem Grund versucht man immer wieder, auf die "Anerkennung des Existenzrechts zu pochen, das inzwischen zur "deutschen Staatsräson" gehört. Ein völlig unsinniges Anliegen, einen Staat anzuerkennen, der weder feste Grenzen, noch eine Verfassung hat. Gerade in Deutschland versucht man immer wieder seitens der Israel-Lobby die Nakba-Ausstellung zu diskreditieren und zu verhindern. (7)(8)

Dieser völkerrechtswidrige Landraub ist weltweit bekannt, wird kritisiert, mit UNO-Beschlüssen verurteilt, aber niemals mit Sanktionen oder Sanktionsandrohungen belegt. Alle Maßnahmen, die die westliche "Wertegemeinschaft" gegen Russland, Iran, Türkei und andere Staaten so leicht verhängt oder androht, kommen beim "Jüdischen Staat" nicht zum Tragen.

Holocaust nicht zum Außerkraftsetzen von Menschen- und Völkerrecht missbrauchen!

Der Holocaust scheint alle Mittel zu rechtfertigen und setzt die Menschenrechte und das Völkerrecht außer Kraft, wenn es um den "Jüdischen Staat" geht. Das betrifft Deutschland natürlich extrem, aufgrund der Täter-Vergangenheit. Aber diese philosemitische Politik ist in keiner Weise zu rechtfertigen, sondern erzeugt ganz im Gegenteil eine Abwehr. Wenn, wie schon so oft geschehen, Kanzlerin Merkel, alle Angriffskriege, ethnische Säuberungen oder Präventivmorde mit "Selbstverteidigung" rechtfertigt, so ist das niemals mit "deutschen-christlichen-Werten" zu vereinbaren.

Deutsche Juden, die sich zum Judentum als Glaubensgemeinschaft bekennen, zahlen dieselbe Kultussteuer wie christliche "Glaubensbrüder" an den deutschen Staat. Jetzt ist die Frage zu stellen, geht die jüdische Kultussteuer zum Teil oder ganz an den "Jüdischen Staat"? Sieht man das Verhalten deutscher Politik im Verhalten zu Juden und Israel, dann muss man sich mit diesem Thema befassen. Haben deutsche Bürger jüdischen Glaubens einen deutschen oder einen israelischen Pass?

Wenn dann auch noch der Kasseler SPD-Fraktionsvorsitzende Teilen der Linken vorwarf, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen, dann ist das ein peinliches Ablenkungsmanöver von diesem Vorfall. Das Existenzrecht Israels hängt allein von diesem Staat ab und ist weder legitim noch gesichert, solange dieser Staat nicht die illegale Besatzung Palästinas aufgibt, nicht die aggressive Politik gegen Nachbarstaaten beendet und sich nicht entschließt, in Frieden mit seiner Umwelt zu leben. (9)(10)

Keine Sonderrolle, für NICHTS und NIEMANDEN!

Der "Jüdische Staat" war von Gründung an darauf bedacht, allein für jüdische Bürger ein Land einzunehmen und mit dem Hinweis "von Gott gegeben" und „Rückkehr in die 2000 Jahre alte Heimstätte des jüdischen Volkes" schloss man von Anfang an alle Ansprüche der Ureinwohner Palästinas, der Palästinenser, aus. Mit dieser Politik hat man es weit gebracht. Das legale, von der UNO mit Beschluss bekräftige Rückkehrrecht wird von der "Wertegemeinschaft" negiert, während Israels mehr als völkerrechtswidriger Anspruch auf Palästina bekräftigt wird. Alles wird aus schlechtem Gewissen, Traumatisierung der Schuld nach dem Holocaust unterstützt. Diese spezielle philosemitische deutsche Politik führt uns direkt in neue Schuld und Antisemitismus, die auch vor kritischen Juden nicht halt macht.

Angefacht durch den Zentralrat der Juden und andere internationale jüdische Organisationen hat man es geschafft, die Verbundenheit zwischen Diaspora-Juden und dem "Jüdischen Staat" auf ein gefährliches Podest zu stellen, das in Wirklichkeit streng getrennt sein sollte. Solange sich jüdische Bürger nicht klar entscheiden, ob sie sich als deutsche Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten fühlen oder aber als israelische Bürger, die sich im Zweifel über ihre wahre Identität befinden, solange kann es niemals die gewünschte und so wichtige Normalität im Zusammenleben geben. Mir scheint, trotz aller Bekundungen deutscher jüdischer Funktionäre, ist diese "Normalität" nicht gewollt. Nur durch diese un-normale Sonderstellung und Überhöhung kann auf die ständige Bedrohung des "Jüdischen Staates" hingewiesen werden, um so von den kriminellen Schandtaten Israels abzulenken.

Dürfen jüdische Bürger wirklich in diese Falle laufen? Wollen sie als vollwertige Bürger anerkannt werden oder als geschützte Exoten ständig eine "Sonderrolle" einnehmen? Besonders schlimm ist es, wenn das neu geschaffene Amt der Bundesregierung, des "Antisemitismusbeauftragten", ständig diese Rolle hervorhebt. Wir haben zwar eine Schwemme dieser neuen "Berufsgruppe", brauchen aber tatsächlich einen Rassismusbeauftragten, der die Anschläge gegen Muslime und Moscheen und Flüchtlingsheime auf die gleiche Stufe wie Antisemitismusanschläge stellt. Keine Sonderrolle, für NICHTS und NIEMANDEN!

Die Davidstern-Flagge ist das Zeichen und Symbol der Unterdrückung und Ausgrenzung!


Fußnoten:

(1) https://www.hna.de/kassel/mitte-kassel-ort248256/nach-anschlag-auf-synagoge-in-halle-debatte-ueber-gedenken-in-kassel-13196576.html
(2) https://www.deutschlandfunk.de/debatte-um-salutgruss-in-der-tuerkei-niemand-wird-beleidigt.1346.de.html?dram:article_id=461428
(3) https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_19431610/israels-soldaten-brechen-ihr-schweigen.html
(4) https://www.bild.de/regional/thueringen/thueringen-aktuell/ivo-dierbach-aus-erfurt-in-seinem-urlaub-dient-er-israel-65958846.bild.html
(5) https://www.nzz.ch/feuilleton/es-gibt-kein-juedisches-volk--aber-ein-israelisches-1.18215814
(6) https://www.heise.de/tp/news/Es-gibt-kein-israelisches-Volk-2017088.html
(7) https://www.nzz.ch/unerwuenschte_palaestina-ausstellung-1.10402907
(8) https://taz.de/Palaestinaausstellung-und-Antisemitismus/!5631151/
(9) https://www.theguardian.com/world/2001/jan/03/comment.israelandthepalestinians
(10) https://www.foreignpolicyjournal.com/2019/03/15/why-israel-has-no-right-to-exist/


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" ausgezeichnet.


Online-Flyer Nr. 725  vom 13.11.2019



Startseite           nach oben