NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 09. November 2024  

Fenster schließen

Krieg und Frieden
Zur Diskussion gestellt
Der Beginn des Zweiten Weltkriegs – eine differenzierte Betrachtung
Von Wolfgang Effenberger

Guido Giacomo Preparata beschreibt in seinem 2005 erschienenen Buch "Conjuring Hitler – How Britain and America made the Third Reich" (Hitler heraufbeschwören – Wie Großbritannien und USA das Dritte Reich haben entstehen lassen), wie die Strategie von USA und Großbritannien darauf ausgerichtet war, Deutschland und die Sowjetunion gegeneinander in die Schlacht ziehen zu lassen – beginnend in den 20er-Jahren damit, die Aufrüstung Deutschlands, den Aufstieg der NSDAP und dann die einzelnen militärischen Schritte Hitler-Deutschlands hin zur Operation Barbarossa, des Feldzugs gegen die Sowjetunion, zuzulassen und zu fördern. In diesem Sinne sorgte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) mit Sitz in Basel, an deren Spitze von 1940 bis 1946 der US-amerikanische Bankier Thomas H. McKittrick stand, für die Finanzierung der Kriegsmaschinerie Hitler-Deutschlands. Anlässlich des 80. Jahrestages des Einmarsches der deutschen Armee am 1. September 1939 in Polen untersucht Wolfgang Effenberger – ohne damit die Verbrechen Hitler-Deutschlands beschönigen zu wollen – den Weg in den Zweiten Weltkrieg aus einer anderen Perspektive.


Der 1. September 1939 gilt für die westlichen Geschichtsbücher als ultimativer Beginn des 2. Weltkriegs. In der Nacht auf den 1. September 1939 wurde der von der SS inszenierte polnische Überfall auf den oberschlesischen Sender Gleiwitz gemeldet. Er wird heute im gleichen Atemzug mit dem so genannten Tonkin-Zwischenfall vom 4. August 1964 genannt. Einen Tag nach diesem Zwischenfall bombardierte ein amerikanisches Bombergeschwader Hanoi (das ist in der kurzen Zeit nur schwer möglich). Nur Stunden nach dem Überfall auf den Sender Gleiwitz (hier ist ein Kausalzusammenhang völlig unmöglich) marschierte ein Millionenheer in Polen ein. In den frühen Morgenstunden hatte Hitler – ohne Gleiwitz zu erwähnen – verkündet: „Seit 5.45 wird zurückgeschossen“. (1)

In den Monaten zuvor hatte sich das deutsch-polnische Verhältnis durch intrigante britische Einflussnahme auf die polnische Außenpolitik dramatisch verschlechtert. In der Folge hatte Hitler den mit Josef Pilsudski am 26. Januar 1934 geschlossenen Nichtangriffspakt mit Polen – künftige Streitfragen sollten friedlich gelöst werden - am 28. April 1939 aufgekündigt. Und das vier Wochen nach der britisch-französischen Garantieerklärung für Polen. Die Spannungen nahmen zu und im Sommer war die Kriegsbereitschaft auf beiden Seiten dramatisch angestiegen.

Der aus einer jüdischen Gelehrtenfamilie stammende Journalist Immanuel Birnbaum (1894-1982) - er hatte nach der Machtübernahme Zuflucht in Warschau gefunden - schildert eindrücklich seine Erlebnisse auf der Bahnfahrt im Sommer 1939 nach Riga. In seinem Abteil wurde er Zeuge, wie polnische Offiziere davon schwärmten, „daß sie ein paar Tage nach dem sicher bevorstehenden Kriegsausbruch in Berlin einrücken würden.“ (2) Für Birnbaum stand der Krieg unverrückbar fest. Schon Ende April 1939 hatte er eine wichtige außenpolitische Erklärung des polnischen Außenministers und Oberst der polnischen Armee Józef Beck für die Basler Nachrichten dahingehend kommentiert, dass ein Krieg durch die Ablehnung der Vorschläge Hitlers unvermeidlich und ein Kriegsausbruch auch zwischen Deutschland und Polens westlichen Verbündeten wahrscheinlich geworden sei. (3)

Ein noch eindrucksvollerer Zeitzeuge ist der ehemalige polnische Präsident, General Woijech Jaruzelski. Er beschrieb 1993 in seinen Erinnerungen eindrucksvoll die im Sommer 1939 spürbare Kriegsatmosphäre:

„Seltsamerweise verbanden die jungen Leute meines Alters damit aber keinerlei Gefühl der Bedrohung oder Gefahr... Der Erste Weltkrieg war den Polen nicht im Gedächtnis geblieben. Während der Unabhängigkeit mußten sowohl Soldaten, die an der Seite der Alliierten oder in den Reihen der Zarenarmee, als auch diejenigen, die mit den Österreichern gekämpft hatten (die berühmten Legionen von Pilsudski), integriert werden. Der Krieg von 1920 gegen Sowjetrußland wurde als erfolgreich angesehen und hatte ein Gefühl der Unbesiegbarkeit hinterlassen. Immer wieder tauchte dabei dieser Diminutiv (Verkleinerung, Verniedlichung, W.E.) „kleiner Krieg“ und die folkloristische Umschreibung des Krieges als Abenteuer auf. Der zweite Grund war die Propaganda des Staates, der Regierung und der Armee. Wir sind eine Macht. Wir sind ein großes Land. Niemand wird uns irgend etwas wegnehmen. Einmal drangen wir in der Tschechoslowakei ein und nahmen die Region Teschen in Besitz (in Absprache mit Deutschland, das einen Tag zuvor, am 1. Oktober 1938, in das von Deutschen bewohnte Sudetengebiet einmarschiert war, W.E.). Dann richteten wir ein Ultimatum an Litauen, das sich zurückziehen mußte. Überall Defilees und Paraden; eine ständige Zurschaustellung von Macht. Und vor allem eine dauernde Geringschätzung der Kräfte des Gegners. Die Panzer der Deutschen sind aus Pappe, oder sie bleiben im Schlamm und im Sand der polnischen Ebenen stecken. Unsere Kavallerie fegt sie schneller hinweg, als es dauert, diesen Satz zu sagen. Die Bolschewiken zählen sowieso nicht, eine Armee auf tönernen Füßen. Und außerdem haben wir mächtige Verbündete im Westen. Deshalb konnten wir von einem zukünftigen Krieg sprechen, ohne dabei die geringste Bedrohung oder Gefahr zu empfinden. Heute erscheint das unerhört, und wenn ich daran denke, schäme ich mich. Doch damals wünschten wir uns diesen Krieg herbei. Wir konnten endlich zeigen, wozu wir fähig sind, wir würden Helden sein, wir gingen überall hin, wo wir gebraucht würden, um zu kämpfen, und wir würden diesen Deutschen zeigen, mit wem sie es zu tun hatten. Manchmal, wenn wir erfuhren, daß jemand eine neue Friedensinitiative gestartet hatte, oder wenn die Spannungen nachgelassen hatten, fragten wir uns: 'Wozu soll das gut sein?'. Verpassen wir den Deutschen eine Tracht Prügel, marschieren wir nach Berlin und damit Schluß! Unser Alter und eine im wesentlichen romantische Vorstellung von der Geschichte – 'Wie hübsch ist doch der Krieg' – sind die Gründe für diese totale Leichtfertigkeit. Die Wahrheit sollte uns auf grausame Weise aus diesen Träumen reißen. Doch das kam später“. (4)

Angesichts der Spannungen zwischen Deutschland und Polen hatten am 25. August 1939 Hitler und Stalin zum Schrecken der Westmächte einen Nichtangriffsvertrag unterzeichnet. Und seither finden sich immer wieder Karten von einer Teilung Polens zwischen Deutschland und der damaligen Sowjetunion - so auch bei Prof. Dieter Blumenwitz. (5) Hier verläuft die Teilungslinie entlang der Weichsel und teilt sogar Warschau:



Doch am 17. September 1939 marschierten die Truppen Stalins nur bis an die so genannte Curzon-Linie (mit der Grenzstadt Brest-Litowsk) - die offizielle Nachkriegsgrenze zwischen Sowjetunion und Polen, die auf der Konferenz von Jalta (4. bis 11. Februar 1945) bestätigt wurde und die auch heute noch die Ostgrenze Polens ist.

In der Wochenendausgabe vom 17./18. Januar 1982 hielt die Süddeutsche Zeitung in ihrem aktuellen Lexikon unter „Konferenz von Jalta“ die polnischen Grenzverschiebungen fest: „Im Osten behält die Sowjetunion den größten Teil des 1939 annektierten Gebiets“. Die Entstehung der polnischen Ostgrenze von 1939 bleibt unerwähnt. „Soll vergessen sein“, schrieb ich damals in einem Leserbrief an die SZ (6), „daß im April 1920 und im Verlauf weiterer Kampfhandlungen die Verbände des [polnischen] Generals Rydz-Smigly die Ukraine besetzten? Der anschließend in Riga (18.3.1921) erzwungene Friedensschluß (die Sowjets waren durch die Konterrevolution geschwächt) verlegte die vom 8.12.1919 festgelegte polnische Grenze um ca. 200 km nach Osten. Nach Angaben auf Grund polnischer Quellen (7) umfaßte die Bevölkerung zwischen der Curzon-Linie und der nunmehrigen polnischen Ostgrenze etwa [zwölf] Millionen Ukrainer und Weißrussen [...] und nur etwa 1,5 Millionen Polen.“

2013, 74 Jahre nach der Weichenstellung für einen neuen europäischen Krieg, kam der am 25. August 1939 geschriebene Entwurf der Rede des britischen Königs George VI. – in der der Ausbruch des Krieges angekündigt wurde – durch eine Versteigerung bei Sotheby’s an die Öffentlichkeit. (8) Sie war am Tag des Hitler-Stalin-Paktes zu Papier gebracht worden. Der frühe Entwurf warf Deutschland vor, ein Tyrann zu sein, der die Welt mit roher Gewalt dominieren wolle, und betonte, dass "wir für die Grundsätze von Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen".

In der endgültigen Rede, die der König am 3. September der Nation und dem Commonwealth vorlas, war der Ton gleich geblieben, der Inhalt aber teilweise deutlich verändert. Zum Beispiel erwähnte sie Deutschland oder Hitler nicht namentlich, sondern nur "unsere Feinde". (9)

Im Kommentar zum frühen Entwurf bei Voltaire-Net wird die Vermutung geäußert, „dass das Vereinigte Königreich, entgegen der offiziellen Version, nicht in den Krieg wegen der Invasion von Polen getreten ist, sie also nur einen Vorwand darstellte, sondern aus anderen Gründen.“ (10)

Betrachtet man die Weltlage von 1937, so verstärkt sich diese Vermutung. Nach einem brutalen Eroberungsfeldzug hatte Italien Abessinien (das heutige Äthiopien) niedergeworfen und 1937 ein barbarisches Besatzungsregime aufgezogen – zwischen 150.000 und 700.000 Äthiopier sollen zu Tode gekommen sein. (11) Aus diesem italienischen Eroberungskrieg entwickelte sich dann ab 1940 mit Unterstützung Deutschlands der Feldzug in Nordafrika.

Ein weitaus größerer Krieg tobte in Asien. Nachdem Japan die Mandschurei erobert hatte - der Völkerbund hatte sich herausgehalten - starteten die Japaner am 7. Juli 1937 eine umfassende Invasion in China (Zweiter Japanisch-Chinesischer Krieg), die bis Anfang September 1945 dauerte. Japan ging es um die Ausplünderung wichtiger Rohstoffe und die Ausweitung des japanischen Einflusses in China und im gesamten pazifischen Raum. Am 2. September 1945 beendete die Kapitulation des japanischen Kaiserreichs die letzten zwischenstaatlichen Feindseligkeiten des Zweiten Weltkriegs. Der zweite Weltkrieg endete da, wo er seinen Anfang genommen hatte. Die Ursachen lagen aber noch weiter zurück, denn schon im Versailler Vertrag war der Weg in den Zweiten Weltkrieg gepflastert worden. Der französische Marschall Ferdinand Foch – federführend bei den Waffenstillstandsverhandlungen im November 1918 – kommentierte den Vertrag lakonisch: „Das ist kein Frieden. Es ist ein Waffenstillstand auf 20 Jahre.“ (12)

Allein diese drei Mosaiksteine – Polen, Italien und Japan – lassen vermuten, dass tatsächlich der Zweite Weltkrieg ebenso wie der Erste vielfache und vor allem andere Ursachen hatte, als offiziell zu lesen ist. Sicher ist, dass dieser Krieg in einem weitaus größeren weltpolitischen und geschichtlichen Zusammenhang zu sehen ist, als bisher angenommen - doch wen interessieren die wahren Zusammenhänge - und kann man ihnen überhaupt auf die Spur kommen?

Die Akten zur DEUTSCHEN AUSWÄRTIGEN POLITIK wurden 1945 von den USA, England und Frankreich in Verwahrung genommen und 1955 in „überarbeiteter“ Form zurückgegeben. Dagegen lagern im Londoner Hanslope Park seit 1856 (Krimkrieg) annähernd 1,2 Millionen Dokumente, die niemand einsehen darf. (13) Was soll hier verborgen werden?

Voraussetzung für einen künftigen Frieden ist die genaue, wahrheitsgetreue Aufarbeitung der Vergangenheit. Solange wesentliche Dokumente unter Verschluss gehalten werden, können wir nur versuchen, aus Mosaiksteinen ein Bild zusammenzusetzen. Interessengeleitete Geschichtsinterpretationen und die damit geschürten Emotionen sind jedoch denkbar schlechte Paten für eine objektive, realistische Geschichtsbetrachtung. Doch der diffamierende Kampfbegriff „Revisionismus“ ist nicht geeignet, die dringend notwendige, aufrichtige Revision der allseits bekannten Narrative zu fördern.


Anmerkungen

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Hitlers_Rede_vor_dem_deutschen_Reichstag_am_1._September_1939
(2) Immanuel Birnbaum: Achtzig Jahre dabei gewesen, München 1974, S.143
(3) Wolfgang Effenberger/Reuven Moskowitz: Deutsche und Juden vor 1939, Ingelheim a. R. 2013, S.453
(4) Woijech Jaruzelski: Mein Leben für Polen, München 1993, S.40/41
(5) Dieter Blumenwitz: Denk ich an Deutschland, München 1989, S.64
(6) Wolfgang Effenberger: Polens historisches Schicksal, Süddeutsche Zeitung vom 11.2.1982, S.36
(7) Polen, Deutschland und die Oder-Neiße-Grenze; Ostberlin, 1959, S.863,928f
(8) „Der zweite Weltkrieg wurde vor der Invasion von Polen beschlossen“
Voltaire Netzwerk | 12. Dezember 2013 unter https://www.voltairenet.org/article181442.html (aufgerufen 17.8.2019)
(9) William Turvill: It's too long-winded! What George VI's adviser thought of early draft of the King's Speech, Daily Mail, 24. November 2013
(10) „Der zweite Weltkrieg wurde vor der Invasion von Polen beschlossen“
Voltaire Netzwerk | 12. Dezember 2013 unter https://www.voltairenet.org/article181442.html (aufgerufen 17.8.2019)
(11) Berthold Seewald: Mussolinis Vizekönig verwüstete halb Äthiopien
Veröffentlicht am 16.08.2012 unter https://www.welt.de/kultur/history/article108645229/Mussolinis-Vizekoenig-verwuestete-halb-Aethiopien.html (aufgerufen am 17.8.2019
(12) zitiert in Paul Reynaud: Memoires (1963) Band 2, S.457
(13) „Foreign Office hoarding 1m historic files in secret archive“ unter https://www.theguardian.com/politics/2013/oct/18/foreign-office-historic-files-secret-archive, aufgerufen 17.8.2019


Siehe auch:

BIZ: Zentrum einer weltweiten Verschwörung des reaktionären Finanzkapitals
Wie der Weltkrieg der Nazis finanziert wurde
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 490 vom 24.12.2014
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21134

Online-Flyer Nr. 716  vom 28.08.2019



Startseite           nach oben