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Globales
Wir lehnen den Gesetzentwurf ab, der es den wegen Terrorismus Verurteilten verbietet, sich zu verteidigen! Schluss mit der Kriminalisierung der Verteidigung!
Gegen die Kriminalisierung der Rechtspraxis in Peru
Von GJ (Peru, Lima, August 2019)

Wenn sich das bürgerlich-demokratische System in einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise befindet, neigt es dazu, als Reaktion die Proteste des Volkes zu kriminalisieren und natürlich die Ideen, sie sich gegen das kapitalistische System wenden, abzulehnen. In Peru erleben wir gegenwärtig die schwerste allgemeine Krise des peruanischen Staates, all seine Institutionen sind davon betroffen: Die Legislative, die Exekutive und die Judikative sind durch Korruptionsskandale diskreditiert; die Implementierung der neoliberalen Politik, die zunehmende Ausbeutung des peruanischen Volkes, die verschärfte Aberkennung der Grundrechte führt zu einem gerechten Kampf des peruanischen Volkes. Die Antwort des Systems darauf ist die Unterdrückung sämtlicher Proteste der Bevölkerung. Diese Unterdrückung richtet sich gegen demokratischen Organisationen des Volkes. Die Reaktion des politischen Systems drückt sich wiederum in der Kriminalisierung des politischen Kampfes aus. Mit dem seit 40 Jahren angewandten Kriegsrecht werden Dissidenten und Systemkritiker nicht mehr als Menschen, sondern als Feinde betrachtet.

Darüber hinaus gibt es jetzt neu den Gesetzesentwurf gegen die AnwältInnen Perus. Dieses Gesetz, sollte es verabschiedet werden, hindert die wegen „Terrorismus“ Angeklagten, Inhaftierten oder Verurteilen daran, adäquaten Rechtsschutz für sich in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich um ein reaktionäres Gesetz, welches dem Wesen und den Grundprinzipien eines demokratischen Systems zuwider lauft. Der Pluralismus und das Recht auf Opposition zeichnen jede demokratische Gesellschaft aus, und das lässt nicht zu, dass die Meinungs- und Gedankenfreiheit eingeschränkt und der bestehenden Ordnung unterworfen wird.

Es handelt sich um ein repressives und diskriminierendes Gesetz, welches die Wiedereingliederung der Gefangenen in die Gesellschaft und die Gleichheit vor dem Gesetz massiv behindert oder gar verunmöglicht.

AnwältInnen werden diskriminiert und unterdrückt, ihnen werden Sanktionen und Berufsverbote auferlegt, wobei ihr einziges „Verbrechen“ in der Verteidigung der politischen Gefangenen besteht.

Dieses Gesetz soll verhindern, dass die des Terrorismus Angeklagten von AnwältInnen ihrer Wahl verteidigt werden. Dieses Gesetz zeichnet sich durch Sanktionen und durch Machtmissbrauch aus.

Die AnwältInnen der Verteidigung in den Fällen MOVADEF (1), Tarata (2), Soras, El Frontón, Castro Castro (3) und vielen anderen aus den Prozessen auszuschließen, ist die Strategie des peruanischen Staates angesichts der Unfähigkeit seiner Staatsanwälte und Anwälte. Darüber hinaus entlarvt ein solches Vorgehen diese Prozesse als Farce. In einem Rechtsstaat und in einer Gesellschaft, die von sich behauptet, demokratisch zu sein, haben alle, die wegen eines Verbrechens verurteilt wurden und die ihre Strafe verbüßt haben, das verfassungsmäßige Recht wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden. Diejenigen jedoch, die wegen „Terrorismus“ verurteilt wurden, werden, auch wenn sie ihre Strafe verbüsst haben, ausgeschlossen, von der Gesellschaft verbannt, und zum Teil stehen sie weiterhin auf Fahndungslisten. Dahinter verbirgt sich die reaktionäre Vorstellung, dass diese Gefangenen keine Menschen seien. Das ist die Politik der Immunisierung eines Carl Schmitt (4) oder eines Mezger von Lizt (5).

Dieses Gesetz soll zu den Antiterrorgesetzen hinzugefügt werden, als Teil einer Antiterrorpolitik, die auf dem Konzept des Kriegsrechts basiert, welches in Peru seit 40 Jahren in Kraft ist und welches beweist, dass keine der Personen, die wegen „Terrorismus“ verurteilt wurden, rechtmäßig verurteilt wurde. All dies ist Teil der faschistischen Machtübernahme, die schleichend eingeführt wird.

Dieses Gesetz ist ein Bestandteil der politischen Verfolgung. Während des Volkskrieges wurden Anwälte, welche die Kriegsgefangenen verteidigten, ermordet oder sie verschwanden: Yangali, Febres, Terrones, Vasquez, Pardavé, Valle, Zanabria, Cartagena und andere. Heute, da nun der Krieg vorbei ist und sie die Menschen nicht mehr so einfach ermorden können, wird ihnen das Recht auf Ausübung ihres Berufes verweigert, sie werden belästigt, sie werden verfolgt, sie werden gerichtlichen und administrativen Verfahren unterworfen, wie zum Beispiel im Prozess gegen Dr. Fajardo. Dieses Verfahren hat seinen heiklen Gesundheitszustand verschlimmert und schließlich zu seinem Tod geführt. Im Fall gegen Dr. Crespo wurde der Angeklagte zunächst wie zur Beschönigung freigesprochen. Im Fall MOVADEF wurden den Anwälten der Verteidigung Kündigungen vor der Ethikkommission und Kündigungen vor der Anwaltskammer ausgesprochen. Beweismaterial wurde beschlagnahmt und nicht zugelassen, einige AnwältInnen wurden von der Verteidigung ausgeschlossen.

Der Vorschlag der CAL (colegio de abogados, Anwaltskammer) ist geprägt von den Positionen der extremen Rechten, die im Parlament den aktuellen Kongress dominiert. Dies ist ein autoritärer und reaktionärer rechter Flügel, dessen herausragender Programmpunkt der „Kampf gegen den Terrorismus“ ist. Ein rechtsextremer Flügel mit antidemokratischen Wurzeln, der gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt und mitten in der allgemeinen Krise des Systems in Korruption versunken ist und dem es auch vollkommen egal ist, das demokratische System zu entwerten. Solange das System regiert, braucht die extreme Rechte jedoch die Berufe, um den halb-bourgeoisen Schein aufrecht zu erhalten. Dieses Gesetz hat einen klassenspezifischen Charakter, es ist ein Gesetz der Rechtsextremem, nicht nur gegen die Anwaltschaft sondern gegen alle freien Berufe. Was sie wollen, sind Berufsleute, die nicht gegen die Ausbeutung und Unterdrückung opponieren.

Dieses Gesetz verstößt gegen die Bestimmungen der "Grundprinzipien für die Rolle der Rechtsanwälte", die vom Achten UN-Kongress zur Verhütung der Kriminalität und zur Behandlung von Straftätern vom 27. August bis 7. September 1990 in Havanna, Kuba, angenommen wurden. Auszüge:

    Die Grundprinzipien der Rolle des Rechtsanwalts müssen von den Regierungen im Rahmen ihrer nationalen Gesetzgebung und Praxis berücksichtigt und respektiert werden. (…):

    Kompetenz und Vorbemerkung:

    10. Regierungen, Berufsverbände von Rechtsanwälten und Bildungseinrichtungen stellen sicher, dass es bei der Aufnahme oder Ausübung des Berufs keine Diskriminierung von Personen aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Eigentum, Geburt, oder sozialem Status geben darf. Die Bedingung, dass ein Rechtsanwalt Bürger des betreffenden Landes sein muss, wird nicht als Diskriminierung angesehen. (…)

    Garantien für die Ausübung des Berufes:

    16. Die Regierungen müssen sicherstellen, dass Rechtsanwälte (a) in der Lage sind, alle ihre beruflichen Funktionen ohne Einschüchterung, Behinderung, Belästigung oder unzulässige Einmischung auszuüben; (b) in der Lage sind, frei mit ihren MandantInnen im In- und Ausland zu reisen und zu kommunizieren; und (c) nicht strafrechtlich verfolgt oder administrativ, wirtschaftlich oder anderweitig bestraft werden für Maßnahmen, die in Übereinstimmung mit anerkannten beruflichen Pflichten, Regeln und ethischen Standards ergriffen werden. (…)

    18. Rechtsanwälte werden nicht mit ihren Mandanten oder mit den Ursachen ihrer Mandanten als Ergebnis der Ausübung ihrer Funktionen identifiziert. (…)

Wir appellieren an alle JuristInnen und Rechtsfachleute, an alle Organisationen, sich gegen den Gesetzentwurf zu äussern, ihn anzuprangern und abzulehnen, denn: Dieses Gesetz kriminalisiert die Ausübung der beruflichen Verteidigung. Gestern waren es die LehrerInnen, heute ist es die Anwaltschaft, und morgen wird es auf weitere Berufe ausgedehnt werden.


Fußnoten:

1 MOVADEF, Bewegung für Amnestie und zur Verteidigung der Grundrechte (http://www.movadef.net/)

2 https://pcp71028.blogspot.com/2017/04/opinion-on-tarata-process.html

3 Soras, El Frontón, Castro Castro: Weitere Prozesse

4 Carl Schmit 1888-1985 war ein deutscher Staatsrechtler. Schmitt engagierte sich ab 1933 für das NS-Regime: Am 1. Mai 1933 trat er in die NSDAP ein und gehörte ihr bis zum Ende der NS-Herrschaft an. Die Nürnberger Gesetze von 1935 nannte er eine „Verfassung der Freiheit“. Im Jahr 1936 wurde ihm jedoch Opportunismus vorgeworfen, und er verlor seine Parteiämter, blieb aber bis 1945 Mitglied der NSDAP und des Preußischen Staatsrats.

5 Mezger war 1925 Professor und Lehrstuhlinhaber in Marburg, ab 1932 lehrte er in München. In der Zeit des Nationalsozialismus war Mezger Mitglied der NS-Akademie für Deutsches Recht. 1935 schrieb er als Beitrag zu Hans Franks Nationalsozialistischem Handbuch die Abhandlung Der strafrechtliche Schutz von Staat, Partei und Volk. Mezger definierte während der Strafrechtslehrertagung 1935 rechtswidriges Handeln als "Handeln gegen die deutsche nationalsozialistische Weltanschauung"

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