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Globales
Debatte um den Brexit
Peinlich, oberflächlich, arrogant, lächerlich
Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

Die Maybrit-Illner-Sendung über den Brexit am Donnerstag 14.3.2019 war peinlicherweise schlecht vorbereitet und von kaum zu überbietender Oberflächlichkeit gekennzeichnet. Die dramatischen Debatten zum Brexit im britischen Parlament, im House of Commons, sind hoch politisch und gehen über das eigentliche Thema hinaus, denn es geht dabei um die Einheit des Vereinigten Königsreichs von Großbritannien und Nordirland, die große Risse zeigt, wie Debattenbeiträge im Unterhaus belegen: Schottlands Vertreter im Unterhaus plädieren dafür, dass ihr Land Mitglied in der EU bleibt, und Nordirland könnte sich der Republik Irland anschließen. Aber es ist wohl zu viel verlangt, dass sich eine deutsche Redaktion in die Sache richtig einarbeitet, wozu natürlich gehören würde, die englische Sprache gut zu beherrschen.

Fakten spielen für solche Redaktionen keine Rolle. Der Brexit ist ein Fakt. Eine Fristverlängerung für den Austrittstermin zu bekommen, bedeutet nicht, dass sich am Brexit etwas ändert, sondern nur, dass die notwendigen Gesetze für seine Implementierung verabschiedet werden können und müssen, um den Brexit ordentlich zu verwirklichen. Offensichtlich gibt es Leute, sowohl in der EU, besonders in Deutschland, als auch in Großbritannien, die die Sache rückgängig machen wollen, d.h. den Brexit als inexistent ansehen und den erklärten Willen der Mehrheit der Staatsbürger des Vereinigten Königreiches im Referendum vom 23. Juni 2016 einfach nicht respektieren wollen, weil er nicht in ihrem Interesse zu sein scheint. Solche Hasardeure sprechen von „Chaos und Schrecken“, denn sie wollen die Tatsachen nicht anerkennen. Chaos gibt es nicht – auch wenn das bei „Maybrit Illner“ ein zusammengeschnittener Einspieler hinsichtlich der Debatten und Abstimmungen im Unterhaus arroganterweise zu vermitteln versucht - und darf es nicht geben, wenn alles ordentlich auf den Weg gebracht wird, d.h. die entsprechenden Gesetze im Unterhaus verabschiedet werden, wie sie die Regierung von Theresa May vorbereitet hat. Von Schrecken zu sprechen, ist eine lächerliche deutsche Übertreibung.

Ultra-reaktionäre Leute wie die deplatzierte Tochter von Helmut Schmidt haben in einer solchen Diskussion nichts zu suchen, in der es nicht zu böswilliger Verunglimpfung des Chefs der Labour-Partei Jeremy Corbyn kommen sollte, wie aus dem Mund von Frau Schmidt, sondern mit gut begründeten dargelegten Positionen zum Thema zu debattieren wäre.

Das besorgniserregende Phänomen fehlender Kompetenz und Glaubwürdigkeit der Medien ist in Deutschland und Europa bemerkenswert auffällig. Niemand hat die Legitimität aufgrund von Unsachlichkeiten und konstruierten Beschimpfungen eine klar exponierte Realität zu verschweigen. Das deutsche Establishment, deutsche Redaktionen müssen lernen, den Brexit zu akzeptieren und ihn zu respektieren als eine demokratische souveräne Entscheidung des britischen Volkes, die nicht zur Disposition der Deutschen steht. Ist das zu zuviel von deutschen Journalisten und Politikern verlangt?

Die Diskussionen im britischen Parlament sind hoch kultiviert, und könnten sowohl für deutsche Abgeordnete als auch für deutsche Journalisten, denen häufig eine solide, gute Bildung fehlt, sehr bereichernd wirken.

Es gibt einen Brexit-Vertrag zwischen der EU und Großbritannien. Darüber redet niemand als ob es ihn nicht gäbe, obwohl sich am kommenden Dienstag (19.3.2019) das britische Parlament darüber äußern und abstimmen wird, denn nur wenn dann das Unterhaus (House of Commons) das Vertragswerk mehrheitlich annimmt, wird die britische Regierung bei der EU die Fristverlängerung beantragen, die das Unterhaus bereits in der vergangenen Woche gebilligt hat, in der es auch einen EU-Austritt ohne Vertrag, den „ungeordneten Brexit“ abwies, also ein völlig gut bedachtes Vorgehen der britischen Premierministerin, das nur für Ignoranten und Missgünstige eine Sache von „Chaos und Schrecken“ sein kann. Dass von verschiedenen Seiten in deutschen Medien mit diesen „buzz words“ hantiert wird, lässt vermuten, dass interessierte Kreise ein antibritisches Klima schaffen und die Ursache für eine bevorstehende deutsche Wirtschaftskrise auf die britische Politik und den Brexit schieben wollen, anstatt sich mit den eigenen wirtschaftlichen Verfehlungen zu beschäftigen, die schon Jahre zurückliegen. Die schlecht verstellte Eitelkeit und Böswilligkeit in deutschen Redaktionen gegenüber London lassen plausibel darüber spekulieren.

Die alleinige Reproduktion von Meinungen hier und da oder das Schreiben von “Stories“ en vogue, jetzt mit der neuen Vokabel „Narrativ“ belegt, ist pure Banalität, die zur Destruktion und Dekadenz einer Demokratie führt, indem sie lediglich die Unbildung der Menschen fördert und ihr dient.

Die Boulevard-Presse hat Raum für solche Stories, für Sensationen und Skandale, für zirkulierende Gerüchte und Gemurmel, die ein gewisses Publikum interessieren. Aber eine wahre funktionierende Demokratie benötigt gut ausgebildete Journalisten. Sonst handeln sie in Demagogie mit nebensächlichen Banalitäten, anstatt ihre gesellschaftliche Funktion bewusstvoll zu erfüllen. Ein solches Verhalten beeinträchtigt aber die gute Funktionsfähigkeit einer Demokratie.

Der Auftritt eines Unternehmers offenbarte diese Banalitäten bei der Maybritt-Illner-Sendung über den Brexit am 14.3.2019. Die BBC-Teilnehmerin stellte sie mit ihrer Bemerkung erfrischend bloß: „Ich würde auch eine Badewanne von Ihnen kaufen.“ Die deutsche Öffentlichkeit versteht aber nicht diese angebrachte sarkastische britische Ironie.


Verfasst am 17.3.2019 unter Bezugnahme auf Maybrit-Illner-Sendung am 14.2.2019: "Brexit-Poker - Schrecken ohne Ende?"

Luz María de Stéfano Zuloaga de Lenkait ist chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.). Sie war tätig im Außenministerium und wurde unter der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen. In Deutschland hat sie sich öffentlich engagiert für den friedlichen Übergang der chilenischen Militärdiktatur zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, u.a. mit Erstellen von Gutachten für Mitglieder des Deutschen Bundestages und Pressearbeit, die Einheit beider deutschen Staaten als ein Akt der Souveränität in Selbstbestimmung der beiden UN-Mitglieder frei von fremden Truppen und Militärbündnissen, einen respektvollen rechtmäßigen Umgang mit dem vormaligen Staatsoberhaupt der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker im vereinten Deutschland, für die deutsche Friedensbewegung, für bessere Kenntnis des Völkerrechts und seine Einhaltung, vor allem bei Politikern, ihren Mitarbeitern und in Redaktionen. Publikationen von ihr sind in chilenischen Tageszeitungen erschienen (El Mercurio, La Epoca), im südamerikanischen Magazin “Perfiles Liberales”, und im Internet, u.a. bei Attac, Portal Amerika 21, Palästina-Portal. Einige ihrer Gutachten (so zum Irak-Krieg 1991) befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.


Online-Flyer Nr. 697  vom 20.03.2019



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