NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

Fenster schließen

Medien
Programmkritik an der manipulierenden Berichterstattung von ARD-aktuell mit ihrer Tagesschau
Gegen die Macht um Acht
Von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer

Die Berichterstattung von ARD-aktuell über die Situation im syrischen Ost-Ghouta leider unter dieser propagandistisch verzerrten Perspektive. Und in Sachen Eisenbahnerstreik in Frankreich zeigt sich ARD-aktuell gewerkschaftsfeindlich.  Darum geht es in dieser Woche bei der Programmkritik von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer. "Die ARD-Nachrichten sind der Taktgeber für die meisten Medien der Bundesrepublik Deutschland. Wer sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt, der kritisiert den Kern des deutschen Journalismus. Die Tagesschau-Maschine ist weder verlässlich noch neutral und keinesfalls seriös. Sie ist nur wenig Anderes als eben fünfzehn Minuten Staatsfunk." So heißt es im Vorwort des im Mai 2017 erschienenen Buches "Die Macht um acht – Der Faktor Tagesschau" von Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam.

Vorweg: Wir verzichten zukünftig auf die Rubrizierung "Programmbeschwerde" und auf entsprechende Schreiben an den NDR-Rundfunkrat. Viele hundert Male haben diese Prozeduren nur zu unergiebigem Schriftwechsel geführt, mit hohem Zeitaufwand für uns. Wir halten argumentative öffentliche Auseinandersetzung mit dem problematischen Informationsangebot aber weiterhin für nötig und werden sie im neuen Format – wie hier – als "Programmkritik" fortsetzen. Siehe dazu nachfolgendes Schreiben vom 3. April 2018 an den NDR-Rundfunkrat:
    Sehr geehrter Herr Dr. Hörmann,

    wir haben Ihr Schreiben vom 23.3.2018 zur Kenntnis genommen. 19 Programmbeschwerden, pauschal abgelehnt, einige erst nach Ablauf von fast einem Jahr seit Eingabe, allesamt argumentationslos und ohne jegliche Begründung „erledigt“. Diese siebente Massenabfertigung demonstriert nur einmal mehr die Abwesenheit von Sachkompetenz und Bürgersinn im gesamten Rundfunkrat. Ihnen als Vorsitzendem blieb es vorbehalten, das Rechtsmittel "Eingabe" nach § 13 NDR-StV – unter Inanspruchnahme der Beihilfe Ihrer Politikerfreunde in den Staatskanzleien – noch weiter zu entwerten, Eingaben beliebig und zwecks Arbeitsvermeidung in "Anregungen" oder "Beschwerden“ einzuteilen und ihnen allenfalls eine formale Larifari-Behandlung angedeihen zu lassen. Zu Ihrem rechtsmissbräuchlichen Umgang mit einem Grundrecht der Rundfunkteilnehmer wollen wir nicht länger Material liefern. Auf Ihre formale Erledigung unserer noch offenen (+) 50 Beschwerden legen wir aus den genannten Gründen keinen Wert mehr.

    Mit freundlichen Grüßen
    Friedhelm Klinkhammer, Volker Bräutigam

"Der Kampf um Ost-Ghouta durch die Tagesschau-Brille gesehen: Mindestens fünf Programmverstöße in einem einzigen kurzen Beitrag" - Programmkritik an der Berichterstattung von tagesschau.de am 01.04.2018


Screenshot aus tagesschau.de vom 01.04.2018

Sechs Jahre lang führten internationale Söldner und mehrere islamistische Terroristenorganisationen ein grauenhaftes Regime im syrischen Bezirk Ost-Ghouta. Sie erzwangen religiöse und ethnische „Säuberungen“, sperrten Andersgläubige (Alawiten) in Käfige und nutzten sie als menschliche Schutzschilde gegen Angriffe der syrische Armee.  Aron Lund, schwedischer Journalist, hat dokumentiert, wie die "Rebellen" und "Aufständischen" in Ost-Ghouta hausten und wie diese Herrschaft der islamistischen, salafistischen Milizen und ihrer Schariagerichte in der Praxis aussah (1). In all der Zeit war das Leid der Einwohner Ost-Ghoutas der Redaktion ARD-aktuell kaum eine Zeile wert. Selbst der permanente Beschuss von Wohngebieten im benachbarten Damaskus durch die "Rebellen" mit hunderten getöteten Zivilisten fand in der Tagesschau kaum Erwähnung.

Die an vielen anderen Kriegsherden im Land unter Feuer stehende syrische Armee hatte den Bezirk östlich der Hauptstadt Damaskus zwar isolieren können, aber erst zu Beginn dieses Jahres verfügte sie über ausreichende Kräfte für den Kampf zu seiner Befreiung. Prompt startete ARD-aktuell ihre Propaganda-Kampagne: gegen die syrische Armee und deren Verbündete, die Streitkräfte der Russen und der iranischen Hisbollah. Sie hätten das Gebiet und seine hunderttausende Zivilisten „eingeschlossen“ und versuchten nun mittels rücksichtsloser Bombardierung, es zu „erobern“.

Die Tagesschau-Berichterstattung über den syrischen Versuch, die Bewohner Ost-Ghoutas vom Terrorregime zu befreien, den Mörserbeschuss der "Rebellen" mit seinen tödlichen Folgen für die Bewohner der Hauptstadt Damaskus zu beenden und nach Jahren grauenhafter islamistischer Tyrannei die staatliche Ordnung wiederherzustellen, litt von Anbeginn unter dieser propagandistisch verzerrten Perspektive.

Chefredakteur Dr. Gniffke bot für ihre Beibehaltung alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel auf, einschließlich der ARD-Korrespondenten, die irgend dafür infrage kamen. Seine redaktionelle Linie folgte getreulich der vergifteten agitatorischen Parole, die Bundeskanzlerin Merkel am 22.Februar 2018 ausgegeben hatte: "Was wir im Augenblick sehen, die schrecklichen Ereignisse in Syrien, der Kampf eines Regimes nicht gegen Terroristen, sondern gegen seine eigene Bevölkerung, die Tötung von Kindern, das Zerstören von Krankenhäusern, all das ist ein Massaker, das es zu verurteilen gilt“.

Für zu regierungsfrommem Konformismus angehaltene Journalisten hieß es also, zu „verurteilen" anstatt objektiv zu berichten. Am 23. 2. ließ denn auch WDR-Reporter Hermann Krause (ARD-Studio Moskau), erfahrener antirussischer Propagandist, getreulich Merkels Agitation eine Tirade über russische Medien vom Stapel, weil deren Lageberichte aus Syrien natürlich keine transatlantische AgitProp im Stil der berüchtigten „Brutkastenlüge“ enthielten. Sie sahen vielmehr so aus (Auszug aus einem russischen TV-Beitrag): "Nun zu einem anderem Thema - die humanitäre Krise in Ost-Ghouta. In dieser Zone der Deeskalation beschießen die Kämpfer die Zivilbevölkerung. Sie benutzen die Menschen als Schutzschilder. Die Terroristen blockieren die Ausgänge der Stadt und lassen keine humanitäre Hilfe zu."

Dem ARD-Krause gefiel das nicht. Er überging die dschihadistischen Verbrechen – genau wie seine Vordenkerin im Kanzleramt – mit Vorwürfen wie diesen: "Kein Wort über Bombardierungen von Seiten der syrischen Luftwaffe. Dass auch russische Bomben auf die umkämpfte Stadt fallen, wie von westlichen Medien gemeldet – auch darüber kein Wort." Das sagt auch noch ein Herr Krause, der als notorischer Exponent der einseitigen Berichterstattung bekannt ist..

Es folgt das übliche propagandistische Verfahren von ARD-aktuell: Keine präzise Quellenangabe; Verkehren von Ursache und Wirkung; Konzentration auf den Schrecken anstatt auf dessen Ende; Ablenkung davon, dass nicht syrische Armee und deren Verbündete das Terrorregime in Ost-Ghouta eingerichtet und geführt hatten, sondern Dschihadisten, Kopfabschneider, Terroristen und Söldner aus aller Herren Länder; Schweigen darüber, dass deren Herrschaft mittels Mord und Totschlag von der „Westlichen Wertegemeinschaft“ unterstützt, finanziert, bewaffnet und angeleitet worden war mit dem Auftrag: "Assad muss weg“. Das geostrategische Interesse des Westens an der Eroberung und Aufteilung Syriens und seiner Ressourcen und an der Nutzung des Landes als weiteres Aufmarschgebiet gegen Russland und dessen Verbündeten blieb bei der ARD-aktuell-Berichterstattung außen vor.

Seine Propagandakampagne setzte ARD-aktuell in der gleichen Methodik fort, die auch in der Berichterstattung über die Befreiung Ost-Aleppos praktiziert worden war: mit einem grausigen Mix aus fragmentarischen Fakten, Hetze, unbestätigten Meldungen, Vermutungen und wüsten Behauptungen aus trüben Dschihadisten-Quellen. Ein paar Kostproben:

"Hunderte Tote. Zivilisten, Kinder. Bombardierte Krankenhäuser. Unbestätigten Meldungen zufolge Fassbomben der syrischen Armee." "In Ost-Ghouta sind etwa 400.000 Menschen fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten... Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete zudem, die syrische Luftwaffe habe mehrere Dörfer in der Enklave beschossen. Ein Hubschrauber habe zwei Fassbomben abgeworfen, in einigen Orten seien zudem Raketen und Granaten eingeschlagen."

SWR-Korrespondent Hechler (ARD-Studio Kairo), persönlich im Wortsinne weitab vom Schuss, wartet gar mit Videos aus Ost-Ghouta auf. Die Herkunft des Filmmaterials bleibt unerwähnt, es handelt sich eindeutig nicht um Eigenproduktion, sondern um Erzeugnisse der dschihadistischen Mörder. Gezeigt werden nicht informierende, sondern emotionalisierende Bilder von Opfern des Krieges. Das Leiden der syrischen Zivilbevölkerung wird instrumentalisiert mit dem üblichen Fingerzeig auf Assad und seine Verbündeten als die "Schuldigen".

Obwohl kein ARD-Reporter Ost-Ghouta betreten und sich selbst davon überzeugt hat, wird in dem Beitrag behauptet: "Aber die meisten der 400.000 Menschen in Ost-Ghouta ... bleiben dort, weil sie Angst vor den Assad-Truppen haben, vielleicht auch, weil Aufständische sie an der Flucht hindern."

“Angst vor den Assad-Truppen” wird somit zur Tatsache erhoben. Behinderung durch “Aufständische“ bleibt hingegen nur ein “Vielleicht”. Das ist gezielt propagandistische Spekulation: Nichts wird belegt, aber mörderische Terroristen werden zu “Aufständischen” geadelt.

Die beweislose und auf puren Gerüchten basierende Verdächtigung, die syrische Armee habe trotz Chemiewaffenverbots Giftgas eingesetzt, durfte in diesem ARD-Prachtstück von AgitProp natürlich ebenfalls nicht fehlen: "Mediziner und Anwohner meldeten am Mittwochabend Todesfälle durch Ersticken und Menschen, die Schwierigkeiten beim Atmen hatten. Sie warfen der Regierung vor, in der Nacht Chlorgas eingesetzt zu haben. Ein Chirurg in Ost-Ghouta sagte, er habe Kinder mit Atemproblemen behandelt. Eine unabhängige Bestätigung gab es nicht."

Als sich abzeichnet, dass die von der ARD medial geradezu gehätschelten Terroristen auf der Verliererstraße sind, meldet Gniffkes Qualitätstruppe: Angesichts der anhaltenden Gefechte flüchteten erneut Tausende Zivilisten aus Ost-Ghouta."

Mit keinem Wort wird darauf hingewiesen, dass es eine Flucht vor den Terroristen war, über von syrischer Armee und Russen gesicherte Fluchtkorridore. Solche hilfreichen Hinweise für ein objektiveres Bild vom Geschehen wurden dem TV-Zuschauer nicht gewährt. Zwischendurch stattdessen der Rückgriff auf Behauptungen des obskuren Kleiderhändlers aus Coventry und seiner “Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte”: "Im syrischen Rebellengebiet Ost-Ghouta sind Aktivisten zufolge bei einem Angriff auf eine Schule mindestens 22 Menschen getötet worden, darunter 16 Kinder."

“Informationen”, für die es keinerlei Beweise gab, keine weiteren Fakten, keine Bestätigung aus anderen Quellen. Mutmaßlich reine Erfindungen.

Nach der Kapitulation der meisten Terroristen-Verbände  dann SWR-Korrespondent Kühntopp (ARD-Studio Kairo), bekannt als Saudi-Arabien-Fan, mit einem Resümee:

"Syrische Staatsmedien feiern 'Befreiung' von Ost-Ghouta" schrieb er angesäuert und setzte das Wort “Befreiung” in Anführungszeichen, um den ganzen Vorgang fragwürdig zu machen. Freilich, für die bis dato in Ost-Ghouta herrschenden terroristischen Besatzer war es eine Niederlage, der erzwungene Abzug aus dem Bezirk.

Einfacher und zudem wertungsfrei wäre es demnach gewesen, auf den Begriff “Befreiung” ganz zu verzichten und lediglich von einer Einnahme des Bezirks zu schreiben.

Kühntopps Wertung ist unvereinbar mit der Pflicht zur unparteiischen Berichterstattung.

Weiter heißt es: "Ghouta unter Assads Kontrolle".

Diese Schlagzeile ist unvereinbar mit der Richtlinie im Rundfunkstaatsvertrag, "sachlich und objektiv" zu berichten. Sie ist eine negativ konnotierte, personalisierende und abwertende Formel, die in agitatorischer Absicht ignoriert, dass ein militärischer Akt zur Wiederherstellung legaler Staatlichkeit stattgefunden hat. Korrekt wäre der Ausdruck "unter Kontrolle der syrischen Regierung" gewesen. Personalisierung und Dämonisierung von Politikern in Konfliktlagen sind hingegen staatsvertragswidrige Mittel der Desinformation und Propaganda.

Wochenlang behauptete ARD-aktuell, 400.000 Menschen seien in Ost-Ghouta eingeschlossen. Jetzt heißt es erst vorsichtiger "zunächst lebten noch 400.000 Menschen" in der Stadt. Und dann, ohne jegliche Erklärung, ist plötzlich nur noch von 100.000 Menschen die Rede, die die Stadt verließen. Wo ist der Rest geblieben?

Eine Antwort hat und bietet ARD-aktuell nicht. Es ist dasselbe methodische Dilemma wie bei der Befreiung Ost-Aleppos: Von den aufgebauschten Zahlen, erfunden und verwendet zur Verstärkung des Effekts der antirussischen und antisyrischen Propaganda, kommt ARD-aktuell mit Anstand nicht wieder herunter, also werden sie einfach nicht mehr erwähnt. Das Kollektivgedächtnis ist kurz, meint man bei ARD-aktuell zu wissen.

Kein Wort auch über die "Weisshelme" und ihre Freunde, die das ARD-Studio im 1000 km entfernten Kairo gegen gutes Rundfunkgebühren-Geld mit dschihadistischen Propagandafilmchen über Ost-Ghouta versorgt hatten. Wie bereits in Ost-Aleppo verschwanden diese "Aktivisten" schlagartig von der Bildfläche und aus der Berichterstattung.

Gut informierte Quellen (2) berichten, dass sie den Terroristen und dem Heer internationaler Söldner nach Idlib, dem letzten Zufluchtsort der Kopfabschneider im Nordwestzipfel Syriens gefolgt sind. Das Verschweigen des Verbleibs der "Weisshelme" verstößt gegen das staatsvertragliche Gebot, "umfassend", d.h. über alle wesentlichen Fakten zu berichten.  

Kühntopp führt weiter aus: "Mitte März entkamen die ersten Zivilisten der Hölle, zu der Ost-Ghouta geworden war..."

Das ist Boulevard-Journalismus primitivster Art. Er unterstellt zumindest indirekt, dass der Bezirk erst mit Beginn der Befreiungskampagne der syrischen Armee zur “Hölle” wurde; aufgrund aller Zeugenaussagen aus dem nun wieder befriedeten Ost-Aleppo ist aber davon auszugehen, dass in Ost-Ghouta bereits seit mehr als fünf Jahren fürchterliche Zustände herrschten.

Der kurze Beitrag der ARD-aktuell verstößt mindestens fünfmal gegen maßgebliche Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages, ganz zu schweigen von den unzähligen Verstößen seit Beginn der Kampagne am 22.2.2018. Verletzt wurden die Verpflichtung zu objektiver, unabhängiger und sachlicher Berichterstattung, gestützt auf überprüfte Fakten, sowie der Auftrag, den Zuschauer zu einem eigenständigen sachgerechten Urteil zu befähigen. Auch der Auftrag, zur Völkerverständigung Dienliches beizutragen, wurde nicht erfüllt.

Diese gesetzlichen Verpflichtungen, gegen die ständig und skrupellos verstoßen wird, sind in §§ 5.7 und 8 NDR Staatsvertrag, § 11e Rundfunkstaatsvertrag sowie in den daraus abgeleiteten “Grundsätze für die Zusammenarbeit im ARD-Gemeinschaftsprogramm Erstes Deutsches Fernsehen  und anderen Gemeinschaftsprogrammen und -angeboten” festgelegt. Wie die bisherigen Erfahrungen gezeigt haben, sind diese gesetzlichen Verpflichtungen für ARD-aktuell, für die Intendanten und ihre Hilfswilligen in den Rundfunkräten allerdings nur Makulatur.

1 https://tcf.org/content/report/into-the-tunnels/
2 u.a. https://nocheinparteibuch.wordpress.com


"Doktor Gniffkes Macht um acht - Gewerkschaftsfeindlich im Arbeitskampf" - Programmkritik an der Berichterstattung der Tagesschau am 03.04.2018 und 04.04.2018 sowie der Tagesthemen am am 03.04.2018 und 04.04.2018



Screenshot aus der 20-Uhr-Tagesschau vom 03.04.2018


Screenshot aus der 20-Uhr-Tagesschau vom 04.04.2018

Gleich am ersten Tag des Eisenbahnerstreiks meldete die ARD-aktuell in der Tagesschau-Hauptausgabe um 20 Uhr: “Schwarzer Tag für Frankreich”. Damit war die Perspektive auf das Geschehen im Nachbarland festgelegt. Das Kronjuwel des deutschen Qualitätsjournalismus informierte, die Streikenden wollten die “Kraftprobe mit Macron”, seien gegen “die Öffnung der französischen Bahngesellschaft für private Anbieter”, wehrten sich gegen die “Abschaffung zahlreicher Privilegien”. Dieser parteiische Stil prägte die Berichterstattung am 3. und 4. April in Tagesschau und Tagesthemen.

Ein Journalist, der soziale Errungenschaften, die von der Arbeitnehmerschaft in Generationen erkämpft wurden, als “Privilegien” klassifiziert, der nimmt auf ebenso subtile wie wirksame Art Partei. Er missdeutet einen Abwehrkampf gegen Billiglöhne und Arbeitsplatzverlust als amoralische Besitzstandwahrung – Botschaft im Kontext: in Zeiten, in denen alle den Gürtel gefälligst enger schnallen sollen.

Sachliche und distanzierte Berichterstattung über Arbeitskämpfe und Klassengegensatz wären geboten, erst recht, wenn es um mehr als nur ein paar Lohnprozente geht. Doch steht gerade die seriöse Nachrichtengestaltung über Arbeitskämpfe nicht in guter ARD-aktuell-Tradition. Besonders dann nicht, wenn Gewerkschaften es dabei als ihr selbstverständliches Recht ansehen, für die Bewahrung einer  dem Volk gehörenden Staatsbahn vor Privatisierung mit all deren schädlichen Folgen für die Beschäftigten wie für die Bahnkundschaft einzustehen. Das kennen wir aus dem Kampf um die Privatisierung staatlicher deutscher Betriebe zur Genüge.

ARD-aktuell berichtete nun zwar über die Forderungen der französischen Gewerkschaften und über die Grunddaten des Konflikts halbwegs vollständig. Doch geschah das in einem durchgehend negativ besetzten Kontext: Zugverspätungen, kurzfristige Fahrplanänderungen, Behinderungen für die Bahnkunden, Gefährdung des Transportwesens, Verkehrschaos mit existenziellen Schädigungen für das Gemeinwesen. Von einer sauberen und neutralen Trennung nach Ursachen und Zielsetzungen, Motiven und Wirkungen des Arbeitskampfes konnte keine Rede sein.

Unverkennbar war der Blickwinkel der ARD-aktuell dabei: Die Agenda 2010 für Deutschland diente als ideeller Vergleichsmaßstab.

Der Redaktion ging es offenbar darum, den Merkel-Freund Macron von kritischer Betrachtung seiner arbeitnehmerfeindlichen neoliberalen Gesetzgebung zu verschonen, so gut es eben noch ging. Die Streikberichte kamen, wenn überhaupt, an beiden Tagen nur unter “ferner liefen” in den Sendungen vor. Unerwähnt blieben wesentliche Details: Ein Eisenbahner vom Pariser Bahnhof Saint Lazare – einer der Hauptknotenpunkte des Regionalverkehrs – wurde nach seiner Teilnahme am Streik sehr öffentlichkeitswirksam von der Polizei verprügelt. "Exempel statuieren" hieß das in früheren finsteren Zeiten. Im Auftrag der Unternehmensleitung der Staatsbahn SNCF sprengte ein privater Sicherheitsdienst in Lyon unter brutalem Gewalteinsatz eine Streikversammlung auf dem Bahnhofsgelände. Es gab auch in Paris Polizeiangriffe auf Streikversammlungen und Festnahmen von Streikenden. Die französische Entwicklung Richtung Polizeistaat wurde einmal mehr unterstrichen.

Zum Formalen: Am 3. April berichtete die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau erst am Schluss der Sendung mit einem Beitrag von 1’32” Länge im Stil “Schwarzer Tag für Frankreich”.  Die Tagesthemen brachten dieses Tagesthema gar nicht. Börsennachrichten, Ereignisse in den USA, eine werbende Spielfilmkritik hatten Vorrang. Ähnlich am 4. April: Da dominierten höfische Berichte wie der über den Jordanienbesuch des Außenministers Maas (“NATO-gestyltes Strichmännchen“ / Dieter Dehm). Der Bahnstreik in Frankreich bekam nur ein paar Sekunden, und wieder standen dabei die Verkehrsbehinderungen im Vordergrund. Die geplante Zerschlagung der französischen Bahn erhielt an diesem Abend ein verschleierndes Etikett: Vom "Umbau" war diesmal die Rede.

Fazit: ARD-aktuell verstand sich auf staatstragende Nachrichtengestaltung und Rücksicht auf politische Belange in der Beziehung zwischen Kanzlerin Merkel und dem “Modernisierer” Macron. Der Tenor über den Arbeitskampf um die französische Bahn war entschieden gewerkschaftsfeindlich. Ebenso feindselig wie von aller Streikberichterstattung der ARD-aktuell gewohnt. So haben wir im Monat März gerade einmal 90 Sek  Film über den gesamten bisherigen ver.di-Streik im Öffentlichen Dienst gesehen – Börsennachrichten demgegenüber mindestens 960 Sekunden.

Detlef Ahting (DGB), Susanne Kremer (DGB), Laura Pooth (DGB), Susanne Schöttke (DGB), Uwe Polkaehn (DGB), Rudolf Klüver (DBB) und Sabine Prilop (VDS) sind „unsere" Gewerkschaftsvertreter im NDR-Rundfunkrat; sie kratzt der antigewerkschaftliche Stil nicht, er hat sie nie gekratzt, soweit wir das überblicken. Sie sitzen, um im Bilde zu bleiben, im Schlafwagen und lassen sich bedienen.

Online-Flyer Nr. 654  vom 11.04.2018



Startseite           nach oben