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Aktueller Online-Flyer vom 16. April 2024  

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Kultur und Wissen
3. Kölner Literaturtage mit „Wasserzeichen“
Kapitäninnen der Freiheit
Mischi Steinbrück - interviewt von Anneliese Fikentscher

Unter dem Motto „Wasserexistenzen“ taucht Mischi Steinbrück in die versunkene, hierzulande unbekannte Geschichte der griechischen Kapitäninnen ab, die mit ihren Schiffen, ihren Waffen und ihren eigenen Kampfeinsätzen in den 1820er Jahren wesentlich zur Befreiung Griechenlands von der osmanischen Fremdherrschaft beitrugen. Wasserexistenzen sind aber auch Schwamm- und Korallentaucher, von denen ein Lied erzählt. Und Wasserexistenzen, zaubrische, menschliche und exemplarische tummeln sich in Lota Ponitkas Erzählungen. Vor der Veranstaltung am kommenden Sonntag, dem 15. Oktober, sprachen wir mit der seit 1969 in Köln beheimateten Wiener Schauspielerin und Sängerin Mischi Steinbrück.

Anneliese Fikentscher: Wie bist Du auf die griechischen Frauen – im speziellen auf die Freiheitskämpferinnen aufmerksam geworden?


Mischi Steinbrück: Mir ist aufgefallen, dass die griechischen Frauen ganz viele starke Charaktere sind, ganz starke Persönlichkeiten. Das wollte ich im Lied dokumentieren und hab damals mit einer griechischen Historikerin eine Sendung beim wdr gemacht. Und diese Historikerin hat mich darauf hingewiesen, dass es zu Zeiten der Unabhängigkeitskriege, die Griechenland gegen die Türkei geführt hat, auf dem Land, in den Dörfern üblich war, dass die Frauen im Ältestenrat mit saßen und Stimmrecht hatten. Sie hatten Stimmrecht, weil ihre Söhne gekämpft haben. Das ist jetzt in dem Programm, dass ich im Rahmen der 3. Kölner Literaturtage aufführen werde, bei den Kapitanisas noch mal anders. Die haben ihr Stimmrecht, weil sie Kapitäninnen geworden sind.

Wie viele Kapitäninnen kennst Du auf der Welt? Was glaubst Du wieviele es gibt? Was schätzt Du?

Oh, keine Ahnung. Jetzt, heutzutage, vielleicht 10 (Prozent?). Höchstens. Ich hab gemeint die Zahl, also 10 Kapitäninnen. Im vergangenen Jahr (2016) haben wir eine Solidaritätsveranstaltung für griechische Autorinnen gemacht, da kam auch das Gespräch auf die Freiheitskämpferinnen. - Ja, aber wieso Kapitäninnen, wurde ich gefragt. Ich wusste nur von einer, dass sie tatsächlich Kapitänin war. Ich dachte, der Begriff Kapitänin in diesen griechischen Freiheitskämpfen war der Begriff dafür, wenn Frauen Anführerinnen waren. Ich bin aber dahinter gekommen, dass die erste, über die ich in diesem Programm berichten werde, den Titel Kapitänin erhalten hat, nachdem sie tatsächlich eine Schlacht angeführt hat.

Über wie viele Kapitäninnen wirst Du berichten?

Über drei und die erste ist die Laskarina Bouboulina. Die ist als Bouboulina auch als Name in Griechenland sehr bekannt. Welche Geschichte hinter dem Namen steckt, weiß ich nicht, ob viele junge Griechinnen und Griechen das heute wissen, aber der Name wurde auch satirisch verwandt in dem Film Alexis Sorbas. Da hat der Alexis Sorbas nämlich seine ältliche Geliebte nur spaßeshalber seine Bouboulina genannt. Ja, das war also die erste. Das ist auch so in der Reihenfolge, da war sie auch die älteste von den Dreien.

Die haben alle zur gleichen Zeit gelebt und im gleichen Umfeld gewirkt?

Mit etwa 10 Jahren Differenz. Zwei kamen von den Kykladen-Inseln, von Spetses die eine und von Mykonos die andere und eine kam vom thrakischen Festland oben aus dem Norden.

Wie sind die zusammengekommen. Was ist der Kern der Geschichte?

Die sind nicht zusammen gekommen, die haben jede ihre eigene Geschichte. Es geht um den Unabhängigkeitskrieg der Griechen von der osmanischen Fremdherrschaft. Griechenland gehörte zum großen osmanischen Reich.

Wir sprechen von der Zeit um...

1816, 1817... Davor fing es an, da haben sie Geheimbünde gegründet. Es gab schon viele einzelne Kämpfe, aber ab dieser Zeit sind die Kämpfe erfolgreicher geworden, weil auch finanzielle Hilfe aus dem Ausland kam. Und dann kamen auch aus Europa, auch aus Deutschland, auch aus Österreich junge Leute, die mit gekämpft haben. Also wie der Lord Byron. Der ist dann im Mesolongi – allerdings am Sumpffieber – gestorben. Der ist nicht "gefallen", aber er hat mit gekämpft. Dieser Unabhängigkeitskrieg hat in Europa große Sympathien gehabt. Und über den ist heftig berichtet worden.

Wo zum Beispiel?


Zum Beispiel in der Augsburger Zeitung, wo auch der Heine geschrieben hat. Es gab auch einen deutschen Romantiker, den Wilhelm Müller, das ist der, der die wunderschönen Texte geschrieben hat, die der Schubert vertont hat, also "Im Lindenbaum" usw.; der hat den Spitznamen Griechenmüller bekommen, weil der die griechischen Lieder der Zeit übersetzt hat. Die sind als kleine Broschüren reißend weggegangen. Das hat dem damals aufkommenden Nationalbewusstsein ganz viel an Begeisterung zugeführt.

Die zweite Kapitänin nach der Bouboulina ist dann die...

... Manto – auch Mando geschrieben – Mavrogenous. Das war eine junge, sehr, sehr schöne Frau, die nicht verheiratet war und demokratisch in Europa erzogen war, französisch, griechisch, türkisch konnte, bewandert war in Geschichte und Philosophie. Die hat unterstützt von ihrem Onkel, einem Popen, schon mit 20 Jahren angefangen, Bittbriefe an Europa zu schicken, um Unterstützung für diese Unabhängigkeitskriege zu erhalten. Hat dann aber selber kämpfend auf Mykonos mit ihren Leuten eine Schlacht gewonnen. Sie hat mit dem Schwert gekämpft, ja, Schwert, Gewehr, Dolch, alles. Und weil sie diese Schlacht gewonnen hat und so unglaublich tapfer war, hat sie die Mykonioten, die Bewohner der Inseln, die alles Handelsleute waren, hat sie die dafür gewonnen. Die wollten diesen Krieg eigentlich gar nicht führen, die waren dagegen. Die sind in irgendeiner Weise mit den Türken klargekommen. Die hat sie gewonnen, weil sie so bewundernswert aufgetreten ist und offensichtlich auch eine sehr begabte Rednerin war

Fehlt noch die dritte...

Die dritte, die Domna Wiswisi, liegt mir besonders am Herzen, weil die überhaupt niemand kennt. Und weil die da oben aus Thrakien kommt, wo Freunde von mir leben, ich also besondere Sympathie dafür habe. Die war die Tochter einer sehr reichen Reederfamilie und hat auch einen Reeder, den Wiswisi geheiratet. Der hat auch schon im Unabhängigkeitskrieg gekämpft, ist gefallen. Und sie ist dann mit ihren fünf Kindern auf ihr Schiff gegangen mitsamt ihrem gesamten Vermögen, hat alles eingesetzt und hat auch eine siegreiche Schlacht geschlagen.

Eine Schlacht reichte aber wahrscheinlich nicht...


Über Domna Wiswisi ist sehr wenig bekannt. Meine Quellen sind jetzt die griechische wikipedia, das habe ich mir übersetzt. Über die steht sehr wenig. Das wäre auch ein Grund, weswegen ich gerne ein Projekt machen würde, bei dem ich nochmal nach Thrakien kommen könnte, um da genauer zu forschen. Alle drei haben ein entsetzliches Ende genommen, das will ich aber nicht jetzt schon verraten.

Ein gleiches schreckliches Ende oder jede ihr eigenes?

Jede ein anderes. Alle drei sind sie aber nicht in den Schlachten gefallen. Aber alle drei haben sie siegreiche Schlachten gefochten. Ich find das einfach ungeheuerlich.

Was ist über das Alter der Kapitäninnen bekannt? Bouboulina...

Bouboulina war glaub ich schon 40. Die war schon zweimal verwitwet, hatte sieben Kinder. Die war also schon etwas älter. Während die Manto erst 20 oder 22 alt war, wo's losging. Und die Domna Wiswisi – auch der Mann gefallen, fünf Kinder schon – wird auch über 30 gewesen sein.


50-Drachmen-Schein, Vorderseite, 1964, mit Mando Mavrogenous


50-Drachmen-Schein, Rückseite, 1964


50-Drachmen-Schein, Rückseite, (bouboulinaagamemnonbanknote)


1-Drachme-Kupfermünze bouboulina Vorder- und Rückseite (quelle coinz.eu)


Portraits Mavrogenous und Bouboulina, Montage von Jürgen Rompf


Wobei zu dieser Zeit die Alterserwartung nicht so hoch war wie heute...

Das Alter, in dem die gestorben sind, ist nicht das Auffällige. Das Auffällige ist etwas anderes.

Das erhöht die Spannung. Hoffen wir, dass viele jetzt wissen wollen, wie das ausgeht. Du hast eine spezielle Beziehung zu Griechenland, hast häufiger schon Programme dazu gemacht. Wie ist es dazu gekommen?

Mir ist bei den Rebetiko und anderen Volksliedern aufgefallen, dass die griechische Frau im Lied gar nicht so nett und lieblich dargestellt wird – sie wird oft als Leidende dargestellt – aber eben auch sehr oft als selbstbewusste kämpferische Frau. Nicht unbedingt in politischen Zusammenhängen, sondern in privaten Zusammenhängen: selbstbewusst und dass sie sich nicht einkochen lässt von schönen Worten usw.. Das ist unglaublich beeindruckend, wenn man da genauer hinhört.

Du bist also über die Lieder zu den (Griechen und zu den) griechischen Frauen gestoßen?

Ja, über die Lieder.

Du wirst bei Deinem Programm (am Sonntag) über die Kapitäninnen auch Lieder vortragen...

Ja. Ich werde das Ganze einbetten in die seltsame Geschichte, dass 1832 ein bayerischer Prinz König von Griechenland wurde. Da gibt es ein österreichisches Lied, ein Volkslied, das Wachauer Schifferlied, da heißt es komischerweise: jetzt fahren wir nach Griechenland. Wieso heißt es in einem Wachauer Schifferlied: jetzt fahren wir nach Griechenland? Da setz ich an, wieso da einer nach Griechenland fährt. Und lande dann in der Ägäis, wo es ein ganz berühmtes, entzückendes Schwammtaucherlied gibt von einer Insel, auf der die Bouboulina geboren wurde. Dann geht's mit dieser Geschichte los... Es gibt immer auch Zwischentexte, poetische Betrachtungen über unerwünschte Geschichte... Das Schwammtaucherlied ist ein Wasserlied. Das Programm von Lota Ponitka und mir läuft ja unter dem Begriff Wasserexistenzen. Dann gibt es zwei Lieder, die sich auf den Tod beziehen. Das sind Kommentare zu den Arten von Tod, die die Kapitäninnen gefunden haben. (Ganz bin ich noch nicht fertig. Weiß noch nicht ob ich zwei Lieder von Theodorakis nehme. Davon wäre eins, das am Strand spielt – ein sehr melancholisches wunderschönes Lied. Und das andere wäre ein Lied zum Andenken an unbekannte Partisanen geschrieben ist. Aber das weiss ich noch nicht.)

Du hast Dich selbst auch in vielen gesellschaftlichen Kämpfen eingesetzt, wenn man Deinen Lebenslauf betrachtet.

In gewisser Weise hat das auch etwas damit zu tun, weil mein erster konkreter Einstieg in basispolitische Arbeit war in (Köln-) Nippes bei den Mieterkämpfen 1972, wo ich durch die Häuser der Siebachstraße, Merheimer Straße gegangen bin und habe Mieter befragt, und da hab ich viele griechische Familien kennen gelernt, die in die Kämpfe verwickelt waren. Da gab es einen "kleinen Kaussen" (Miethai, der die Häuser hat verkommen lassen, irre Miete genommen hat). Es wurde ein Mieterkomitee gegründet. Und die Griechinnen und Griechen sind mir von Anfang an aufgefallen durch ihr Selbstbewusstsein und auch Klassenbewusstsein. Sie wussten über ihre Rechte Bescheid, und sie konnten das artikulieren. Das waren für mich Lehrerinnen und Lehrer. Damals haben wir dieses Mieterkomitee in Nippes gegründet. Ein Jahr lang haben wir – mit zwölf Familien glaube ich, waren das: türkische, deutsche, jugoslawische, griechische – jeden Sonntag Vormittag uns getroffen. Alle haben immer lange, immer die gleichen Sachen erzählt, aber es war wichtig, dass es jeder erzählt hat. Nach einem Jahr sind wir zu dem Ergebnis gekommen: jetzt muss die Miete einbehalten werden. Die ist dann auf ein Sperrkonto gegangen, und in der Auseinadersetzung mit dem Vermieter haben wir einen Prozess gewonnen.

Da haben sich Griechen und Türken (anders als zur Zeit der Kapitäninnen) gut verstanden?

Ja, das war damals kein Problem. Die Griechen hatten damals noch das Problem der Diktatur. Die waren in der Öffentlichkeit in den Kneipen sehr, sehr vorsichtig und haben jedem, der da politisch Reden schwingen wollte, gesagt: halt den Mund, hier haben die Wände Ohren. Das war so. Und es gab auch Verräter. Da wurden wir drauf aufmerksam gemacht, wer das ist.

Dann hast Du das erste Kölner Frauenorchester gegründet. Wie kam es dazu? Was das Programm?

Das war ein Jahr danach, 1979. Es ging gar nicht so sehr um das Wesentliche, Frau zu sein. Das Wesentliche war der Kampf gegen die Stadtautobahn an der Inneren Kanalstraße. Ich bin damals mit Klaus dem Geiger auf der Straße gewesen und andere Mädchen und Frauen haben auch ihre Erfahrungen mit männlichen Musikern gemacht – auch in diesen politischen Zusammenhängen – es waren die gleichen Erfahrungen. Da haben wir uns gesagt: das ham wir nicht nötig. Mach mer selber.

Viele dieser Kämpfe sind heute noch aktuell, vielleicht schlimmer denn je...

Ja, ja. Ich hab einmal gesagt, es geschieht dieser ganzen Mischpoke recht. Warum haben sie sich nicht engagiert bei uns? WARUM? Wenn's keine Gegenwehr gibt, dann wird's (weg-)genommen. Und dann gibt es Änderungen der Mietgesetze zu Ungunsten der Mieter. Das ist alles in dieser blöden Zeit, die sich sozusagen nach dem Mauerfall etabliert hat, untergegangen. So war mein politisches soziales Engagement von früh an mit den Griechen verbunden.

Deine Zusammenarbeit mit Heinrich Pachl, Erasmus Schöfer im Theater der wahre Anton kam später?

Nein, das war zur gleichen Zeit. Pachl, Schöfer, das war von 1970 bis 75. Das hieß zu Anfang etwas langatmig Industrietheater Rhein/Ruhr. Und dann nur mehr der Wahre Anton, Volkstheater Köln.

Dein Auftritt findet statt im Rahmen der 3. Kölner Literaturtage unter dem Thema Wasser/Wasserzeichen, die am 4. Oktober 2017 begonnen haben. Wasser steht für Vieles, Symbolisches. Was bedeutet das für Dich?

Für mich ist das nie symbolisch, weil ich liiiebe das Wasser. Das Meer vor allen Dingen. Das ist jedes Mal ein Jungbrunnen, wenn ich da rein steige. Na, ja. Innerhalb meiner Texte ist der Ozean eine Metapher für Erinnerung. Den symbolischeren Teil wird der Lota Ponitka bestreiten. Er wird möglicher Weise auch etwas Mystisches darein bringen. In einem seiner Texte, die ich kenne, geht es um einen keltischen Fischer an der englischen oder schottischen Küste...

Jungbrunnen steht für den Lebensquell Wasser. Auf der anderen Seite beobachten wir weltweit bei unterschiedlichen Bedingungen die Wasserknappheit bis zu Wasserkriegen oder die künstliche Verknappung z.B. in Palästina...

Noch vor kurzem hatten wir den Besuch eines Wasseraktivisten aus Saloniki. Seit 2013 haben sie dort eine ganz große Bewegung wegen der Privatisierungspläne der Wasserwerke in Saloniki. Das ist absolut beeindruckend, was die da alles auf die Beine gestellt haben. Den genauen Stand weiss ich jetzt nicht. Aber es gibt ja auf der ganzen Welt diese Wasserbewegungen, und der Aktivist aus Saloniki war dort schon unterwegs.

Im Zusammenhang mit dem 1. Kölner Frauenorchester meintest Du, es ginge nicht vorrangig um das Thema Frau. Würdest Du Dich in irgendeiner Form trotzdem als Feministin oder Kämpferin für Frauenrechte verstehen?

Kämpferin in dem Sinn bin ich da nicht geworden. Aber ich muss sagen, dass ich die Entwicklung in Deutschland, die Position und das Bewusstsein, das Frauen haben, erschreckend finde. Ich hatte eine Zeit lang das Gefühl, dass meine Mutter (die mit 96 Jahren gestorben ist) emanzipierter war als hier allgemein die Frauen. Meine Erinnerung – ich bin ja schon älter – in den 50er Jahren hatte ich schon Bewusstsein und hab mitbekommen, in Wien, in meiner Umgebung haben alle Frauen gearbeitet, alle Mütter haben gearbeitet, haben auch Heimarbeit gemacht, und sie haben sich gegenüber den Männern behauptet. Das waren selbstbewusste Frauen. Nicht so selbstbewusst, dass sie sich gern hätten scheiden lassen, wenn die Männer ekelhaft waren, da war dann doch das Bewusstsein, als Ehefrau gesellschaftlich, gesetzlich geschützter zu sein. Das hat die Entscheidung behindert. Aber insgesamt waren das selbstbewusste Frauen, und auch die Abtreibung war kein Tabu.

Feminismus muss ja nicht nur im Hinblick auf die Mann-Frau-Beziehung und deren Konflikte bestehen, sondern auf den eigenen Antrieb, für das selbständige Leben einzustehen... Das ist bei den Kapitäninnen ja auch zu beobachten.

Ja, ja. Das ist auch etwas, was ich letzten Endes erst gelernt habe. Als Schauspielerin war ich ganz darauf fixiert, dass mir der Regisseur sagt, was ich zu machen habe.

Regisseurinnen gab's keine?

Doch, ich hatte eine sogar ganz berühmte: die Angelika Hurwicz, eine Brecht-Schauspielerin. Die mochte mich auch gern. Aber es war, als ich angefangen habe und über Jahre hinweg, dass man nicht mit eigenen Vorstellungen und Ideen über die Rollengestaltung über die Stückgestaltung überhaupt zu den ersten Proben kam. Insofern war man sehr ausgeliefert. Also ich war sehr ausgeliefert der Qualität oder Nichtqualität – der sowohl künstlerischen als auch menschlichen – der Herren Regisseure. Und das war mit ein Grund, weswegen ich die Karriere beendet habe, weil mir dieses Gott ähnliche Bewusstsein dieser Männer unerträglich geworden war. Und auch das, was es mit bewirkt hat, Intrigen nur zum Beispiel. Leider, leider, weil ich empfinde mich nach wie vor als Theatermensch, hab Theater immer geliebt. Wenn gutes Theater ist, bin ich begeistert, und bei schlechtem Theater könnt ich aufschreien und aufspringen. Das ist mir ganz, ganz wichtig. Das hab ich erst langsam gelernt, als ich angefangen hab bei Pachl und Schöfer, da war schon die Idee, wir schreiben zusammen. Das ist aber erstmal auch nicht so gelaufen. Da haben die Herren geschrieben und was du selber angebracht hast, war in einem Fall voll akzeptiert, wurde immer späteren Verlauf aber immer unglücklicher. Deswegen habe ich dann auch aufgehört und mich auf eigene Texte konzentriert. In meinen biographischen Angaben schreibe ich: Heirat und Emanzipation, was wirklich witziger Weise erst in dieser Zeit angefangen hat, dass ich mühsam, mühsam mir Positionen erarbeitet habe, die ich dann auch artikulieren konnte.

Aus den Anfängen des griechischen Theaters ist bekannt, dass die ersten Menschen sich nicht als Regisseure sondern als Spielleiter verstanden oder verstanden wurden. Also mehr im Sinne einer Organisation... Da gab es den künstlerischen Regisseur so gar nicht.

Weiß ich nicht, da fällt mir aber dazu ein, dass es aus dem Religiösen kam...

... die Mysterienspiele...

es um Riten ging...

Was vermitteln uns die Kapitäninnen in der heutigen Zeit?

Das ist meiner Ansicht nach die Schwierigkeit. Daran knabbere ich, weil es mir immer wie ein Pflock vor Augen war: Ja, aber die Frauen, die waren reich. Die Frauen, die konnten viel einsetzen. Das betrifft mich und die Masse der Menschen und der Frauen gar nicht. Aber es ist trotzdem so, als ich über die gelesen hab, dass mich das so angemacht hat. Was Du vorhin gesagt hast, dass die Frauen sich für ihr Leben einsetzten, dass sie eine Lebensgestaltung vor Augen hatten... Sie haben sich auch gegen den Islam eingesetzt und gegen das Frauenbild, das dort herrschte.

Konkret die Kapitäninnen?

Ja, die Mando (Manto) Mavrogenous sagt in einem Brief: die Barbaren. Es war ja bekannt. Die Paschas, die dort als regionale Fürsten residiert haben, die haben natürlich auch die griechischen Mädchen sich unter den Nagel gerissen. Da gibt es unendlich viele Sagen und Erzählungen, wie viele sich umgebracht haben und gemeinsam Selbstmord gemacht haben, usw., und so fort. Das war allgemeines Wissen in diesem Griechenland, wie da die Frauen behandelt werden.

Reich sein bedeutet aber nicht automatisch, diesen Ansporn und Antrieb für eine kriegerische Handlung mit persönlichem Einsatz zu erbringen...

Ja. Am besten weiss ich das von der Mando, weil es über sie einen historischen Roman gibt, wo ich annehme, dass der ganz gut recherchiert ist, dass aus ihrer europäischen Bildung heraus und ihrer Begeisterung für die französische Revolution, als Demokratin, ganz viel im Vorfeld war, was sie als Instrumentarium hatte, um sich zu wehren. Bei den anderen weiss ich das nicht. Bei der Laskarina Bouboulina wird gesagt, dass auch Rache im Spiel war, weil zwei ihrer Männer im Krieg umgekommen sind.

Gibt es Bilder? Wie hat man die sich vorzustellen?

Diese Mando Mavrogenous war außerordentlich hübsch. Laskarina Bouboulina eher nicht. Von der Domna Wiswisi gibt es ein Portrait, das sieht auch nicht geschönt aus und ist sehr ansprechend.

Von der Bouboulina gibt es die Prägung auf einer Münze?

Ja, und die Mando war auch auf einer Münze, einem Zwei-Drachmen-Stück. Ich hab die mal gehabt, die Drachmen, aber ich sie weggeschmissen, weil die nichts mehr wert waren. Ich hab's mir nicht zur Erinnerung aufbewahrt. Ich hab danach gesucht, aber nichts mehr gefunden.

Auf was für einer Münze war die Bouboulina abgebildet?

Auf einem Ein-Drachmen-Stück. Ganz was Miserables. Das hatte einen Wert von 0,7 Pfennig, wenn überhaupt.

Aber sowohl Bouboulina als auch Mando waren auf einem 50-Drachmen-Schein abgebildet. Und – mensch staune: die russische Marine erkennt Bouboulina posthum den Rang einer Admiralin zu...

... und auf der Insel Spetses, von der sie und ihr Vater stammt, wurde ihr ein überlebensgroßes Standbild errichtet...


Die Veranstaltung

Lesung und Lied am Sonntag, 15. Oktober 2017, um 17 Uhr, zur blauen Stunde in der Galerie ARBEITERFOTOGRAFIE, Köln-Nippes, Merheimer Straße 107. Eintritt frei – Spenden willkommen


Mischi Steinbrück

Mischi Steinbrück kam Ende 1969 als Schauspielerin aus Wien nach Köln ans Schauspielhaus und beendete nach hervorragenden Engagements hier ihre damals bereits 7jährige Theaterkarriere. Sie begann mit Erasmus Schöfer und Heinrich Pachl das 1. Freie, politische Theater in Deutschland. Von diesem trennte sie sich 1975, heiratete und emanzipierte sich: sie begann, eigene Texte, vorerst politische Lieder, später soziokulturelle Features für den WDR zu schreiben. Sie gründete das 1. Kölner Frauenorchester, trennte sich 1982 und begann 1984 eine kabarettistische Laufbahn, die mit dem Mauerfall ihr Ende fand. Ab den 90ern tritt sie solistisch mit etlichen Musikprogrammen singend auf. Mit dem literarischen Schreiben begann sie erst 2009. 2012 beendet sie ihr erstes Stück EIN URWALD IN EUROPA, eine aristophanische Komödie über Basisdemokratie und Umweltschutz in Griechenland, 2017 ihre Wiener Posse CATCHWALK FÜR EURYDIKE. Mischi ist Mitglied im VS Köln und mit EIN URWALD IN EUROPA wurde sie in den Verband der griechischen Autor/innen in Deutschland aufgenommen.

Zu den griechischen Themen hat sie seit 1972 eine zuerst politische, dann freundschaftliche und schließlich auch künstlerisch enge Beziehung. Sie brachte Lieder- und Rebetikoprogramme als Sängerin und Übersetzerin auf die Bühne. Mit POLITIA GAMMA von Mikis Theodorakis und seinem Bürgerkriegszyklus TA LYRIKA als deutsche Erstaufführungen trat sie in vielen Städten Deutschlands und einigen Griechenlands auf.

Die „Kapitäninnen der Freiheit“ versteht sie als Beginn eines neuen, wesentlich umfangreicheren Projekts, in welchem die griechischen Befreiungskämpfe und ihre Spiegelung und Bedeutung in der deutschen Romantik dargestellt werden.

weiterer Termin in Bonn:

Die Wiener mythologische Posse CATCHWALK FÜR EURYDIKE wird sie demnächst, am 5. November 2017, auch einem Sonntag und auch nachmittags um 17 Uhr, in Bonn, im dortigen Oxford-Club, Adenauer Allee 7 als Premierensolo lesen, bzw. performen.

http://www.mischi-steinbrueck.de/

Online-Flyer Nr. 632  vom 11.10.2017



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