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Inland
Konrad Adenauer: Vor hundert Jahren wurde der spätere erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zum Kölner Oberbürgermeister gewählt
Mit Kaiser, Kirche und Kapital
Von Werner Rügemer

Eine Anmerkung vorweg: Die Tageszeitung 'junge Welt' hat den Artikel in der Ausgabe vom 18.9.2017 – unabgesprochen an zahlreichen Stellen verfälschend umgeschrieben – veröffentlicht. Die NRhZ bringt ihn hier in unveränderter Original-Fassung:

Am 18.9.1917 wählten die beiden bürgerlichen Parteien im Kölner Stadtrat, das katholische Zentrum und die Unternehmerpartei der Liberalen, Konrad Adenauer zum Oberbürgermeister. Aber erst nach der Ermächtigung durch Seine Majestät durfte der Gewählte am 18. Oktober 1917 sein Amt antreten. In seiner Antrittsrede geißelte der Durchhaltepolitiker die „feindliche Eroberungsgier“, die auch „dem Rhein und seiner Metropole“ gelte und lobte völkisch den „Heldenmut des für immer geeinten Volkes“. Er schloss kaisertreu: „Wie könnten wir diese für Köln so bedeutungsvolle Stunde würdiger schließen als mit dem von heißer Dankbarkeit durchglühten Schwur der Treue zu Kaiser und Reich, dem Rufe: Seine Majestät, unser allergnädigster Kaiser und König, er lebe hoch, hoch, hoch!“


"Der Krieg und sein Schatten – Zwei alte Herren: reif fürs Panoptikum", Fotomontage von John Heartfield, 1961 (aus der Ausstellung "Die Kunst ist tot" in der Galerie Arbeiterfotografie, Köln)

Kriegswirtschaftliche Steuerung

Der Jurist trat 1906 in die katholische Zentrumspartei ein und wurde ohne fachliche Qualifikation zum Beigeordneten für Steuern und Märkte gewählt, 1911 zum Ersten Beigeordneten und damit zum Stellvertreter des Oberbürgermeisters.

Adenauer baute die Stadtverwaltung auf Kriegsbedürfnisse um. Köln hatte für die kriegswirtschaftliche Steuerung eine herausragende Bedeutung, sowohl auf militärischem wie zivilem Gebiet. Köln war Festungs- und Garnisonsstadt und wichtiger Standort der neuen Flugindustrie. Von Köln aus starteten mit Luftschiffen die ersten Bombenangriffe auf städtische Zivilbevölkerung in Europa, zuerst gegen die belgische Stadt Lüttich (Liège), dann auf Antwerpen und London.

Köln wurde wegen der Frontnähe zu einer deutschen Rüstungszentrale ausgebaut. 1917 hatten die schließlich 700 Rüstungsbetriebe etwa 100.000 Beschäftigte. Die Stadt war auch der westliche Verkehrsknotenpunkt des Reiches für Straßen, Schienen, Luft und den Rhein. Über Kölns Hauptbahnhof, Häfen, Flugplatz und die Innenstadt liefen Güter- und Menschentransporte.

Die „städtische Kriegsgesellschaft“ musste auch politisch und sozial zusammengehalten werden. Deshalb sorgte Adenauer wesentlich mehr für die unteren sozialen Schichten als er vorher getan hatte und später tun wird. So unterstützte die Stadt Arbeiterfamilien, die wegen Lohnausfalls des zum Militär eingezogenen Vaters bei ihren Mietern in Rückstand gekommen waren. Auch Kriegerwitwen wurden besonders unterstützt. Arbeitslose erhielten Barvorschüsse. In den Schulen finanzierte die Stadt das Frühstück für die Kinder der arbeitenden Frauen.

Im März 1917 wurde Adenauer als einer der ersten mit dem kurz zuvor vom Kaiser gestifteten preußischen „Verdienstkreuz für Kriegshilfe“ ausgezeichnet. Im letzten Kriegsjahr 1918 bekam der glühende Monarchist das Eiserne Kreuz am Friedensband 2. Klasse und dann noch den Roten Adler-Orden 4. Klasse.

„Rettung der Stadt aus der Revolution“

Der flüchtende Kaiser entband alle Militärs und Beamten von ihrem Eid. Aber Adenauer verurteilte scharf die „schändliche, verhängnisvolle Flucht“ des Kaisers. Nun könne „das Land dem Bolschewismus in die Arme treiben.“

Als 200 revolutionäre Matrosen sich im November 1918 mit dem Zug Köln näherten und ihre inhaftierten Kameraden in der Festung befreien wollten, verlangte Adenauer vom Festungskommandeur: Einsatz der in Köln stationierten Soldaten! Die Matrosen nicht nach Köln kommen lassen, sondern auf offener Strecke verhaften! Generalleutnant Kruge, dessen Offiziere getürmt waren, unternahm nichts und verhinderte damit wahrscheinlich ein Blutbad.

Die Matrosen gelangten zum Hauptbahnhof und wurden von den SPD-Politikern Wilhelm Sollmann und Johann Meerfeld abgefangen. Sie gründeten bei einer Volksversammlung im Kölner Festsaal Gürzenich einen Arbeiter- und Soldatenrat, Vorsitzender war Sollmann. Adenauer wendete sich blitzschnell um 180 Grad und stellte dem neuen Souverän im Rathaus Räume, Telefone, Schreibkräfte, Schreibmaschinen und Papier zur Verfügung. Aber er gründete gleichzeitig den „Wohlfahrtsausschusses“ mit Vertretern der Parteien und der Unternehmer und ließ sich zum Vorsitzenden wählen.

Der Arbeiter- und Soldatenrat durfte Beauftragte in alle städtischen Gremien entsenden, vergaß aber beispielsweise, Adenauer und die anderen Repräsentanten der bisherigen Unordnung abzusetzen. Adenauer rühmte sich lebenslang, zusammen mit dem Kölner SPD-Chef Sollmann den Arbeiter- und Soldatenrat ausgetrickst und damit „die Rettung der Stadt aus der Revolution“ geschafft zu haben.

Das „Diktat von Versailles“

Er wetterte nach dem Krieg gegen das „Diktat von Versailles“. Vom deutschen Volke habe „man ein Schuldbekenntnis erpresst“. Durch die „unerträgliche Knechtschaft und Sklaverei“ werde „die nationale und staatliche Existenz vernichtet“, die deutsche Wirtschaft zerstört, „unsere Kinder welken“, Millionen Deutsche werden „einem langsamen Tode preisgegeben“, so schwadronierte er als Präsident des Deutschen Katholikentags 1922 in München.

Er geißelte den „Kommunismus“, der das deutsche Volk „entchristlichen“ wolle. Er geißelte die „Entartung der Großstadtbewohner“ und die „Sitten- und Autoritätslosigkeit“, die im „gemarterten Volk“ notwendigerweise genauso entstünden wie „Materialismus und Mammonismus“.

Als seine Alternative pries Adenauer das Christentum, die katholische Kirche und das katholische Zentrum. Auch Papst Benedikt XV. habe vor dem Versailler Vertrag gewarnt. „Sozialpolitik“ sei notwendig, sie könne sich an 1.900 Jahren christlicher Barmherzigkeit orientieren. Adenauer beschwor „die Katholiken Amerikas, Belgiens, Englands, die Katholiken der ganzen Welt und alle, die sich noch zum Namen Christi bekennen“: „Verhütet das Sterben eines Volkes von 60 Millionen!“

Großkapital und High Society

Der wichtigste Förderer Adenauers war zunächst der Kölner Bankier Louis Hagen. Seine Bank Levy war spezialisiert auf die Finanzierung neuer Industrie, zum Beispiel von Felten & Guilleaume in Köln, dem damals größten Unternehmen für Land- und Seekabel. Hagen war an Konzernen des Ruhrgebiets wie Thyssen beteiligt und organisierte Fusionen und Kartelle, etwa das Sprengstoffkartell. Er finanzierte grenzüberschreitende Fusionen mit dem Stahlunternehmen ARBED in Luxemburg. So wurde er während der 1920er Jahre Mitglied in Dutzenden von Aufsichtsräten: 1927 waren es 58, 1930 schon 93. Er wurde zum „König der Aufsichtsräte“ im Deutschen Reich. Hagen war zudem seit 1909 Kölner Stadtverordneter. Zunächst Mitglied der Liberalen Partei, trat er 1919 zu Adenauers Zentrum über. Von 1915 bis 1932 war er Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer.

Mit Hagen, den Bankiers von Oppenheim, Paul Silverberg (Rheinbraun), dem Bankier Robert Pferdmenges (Dresdner Bank und Sal. Oppenheim), Richard Stollwerck (Schokoladeunternehmen), MaxClouth (Gummi-Fabrik), Alfred Tietz (Kaufhäuser), dem Verleger August Neven DuMont (Kölnische Zeitung, Kölner Stadt-Anzeiger) und dem aufsteigenden Privatbankier Kurt Freiherr von Schröder, neuer Chef der alteingesessenen Kölner Investmentbank J.H. Stein, gründete Adenauer 1928 in kleiner Männerrunde den Kölner Rotary-Club. Präsident war Pferdmenges, lebenslang Adenauers heimlicher Spendenbeschaffer, auch in dessen Zeit als Bundeskanzler und CDU-Vorsitzender.

Der Kölner OB wurde in ein Dutzend Aufsichtsräte berufen, z.B. Deutsche Bank, Rheinbraun, RWE, Ruhrgas, Lufthansa. Dort traf er auch die wichtigsten Industriellen und Bankiers des Deutschen Reiches, Thyssen, Vögler, Klöckner, Flick, Silverberg, Krupp, Duisberg. Adenauer wurde in diesem Kreis zum politischen Wunschkandidaten. 1925 schrieb August Thyssen an ihn: „Hoffentlich kommt bald die Stunde, wo Sie mit tüchtigen Leuten an die Spitze der Regierung treten, die unsere Bedürfnisse verstehen.“

Separatismus und Westintegration

Gegen das „Diktat von Versailles“ sympathisierte das Adenauer-Milieu zunächst mit Vorschlägen für eine „rheinische Republik“. Eine andere Variante hieß Rheinisch-Westfälische Republik, westdeutsche Republik oder Rheinstaat. Der sollte durchaus zum Deutschen Reich gehören, aber nicht der Weimarer Verfassung unterliegen. 1923 sondierten Adenauer und Stinnes in Paris, ob dort Interesse an einer westeuropäischen Wirtschaftsunion bestehe, Lothringen, Belgien und Luxemburg inbegriffen. Aber es klappte nicht.

Danach schwenkten Adenauer & Co schnell auf eine westeuropäische Perspektive um: 1923 Paneuropa-Union, ab 1925 leitete Adenauer die Ortsgruppe des Europäischen Kulturbundes. Die Förderer Adenauers waren hinsichtlich Verfassung wie Territorium nicht auf einen bestimmten Staat festgelegt, sondern suchten einen Staat, der ihren Interessen am besten dienen sollte.

Die USA organisierten nach dem Krieg für das Deutsche Reich ein Kreditprogramm. 1924 trat es als Dawes-Plan inkraft, genannt nach Charles Dawes von der National City Bank in New York. Sein Stellvertreter war Owen Young, Chef von General Electric. Damit sollte die deutsche Wirtschaft wieder aufgebaut werden – aber, wie beim Marshall-Plan nach dem 2. Weltkrieg, sollte die Ansiedlung von US-Unternehmen erleichtert und der Absatz von US-Waren gefördert werden.

USA sollen Europa führen!

Der Kölner OB nutzte mehr als die OBs anderer Städte den Dawes-Plan. Über Wall Street-Banken ließ er Kölner Kommunalanleihen mit 7 Prozent-Rendite an US-Anleger verkaufen. Der Autokonzern Ford hatte 1926 seine erste Niederlassung in Berlin eröffnet. Adenauer holte 1930 die zweite Ford-Niederlassung und die deutsche Ford-Zentrale nach Köln. Dabei spielten Steuervorteile eine Rolle, die der OB heimlich gewährte, an den Stadtverordneten vorbei.

Am 26. Januar 1931 besuchte der US-Botschafter in Deutschland, Frederic Sackett, die Ford-Fabrik. Adenauer kündigte erfreut die Eröffnung der Zweigstelle Köln der Amerikanischen Handelskammer an. Er machte sich zum Sprecher ganz Europas und der Weltgeschichte: „Von Ihrem Lande erwartet Europa die führende Hand… Ich habe die Überzeugung, dass Ihr großes und starkes Land, Herr Botschafter, die weltgeschichtliche Rolle, die das Geschick ihm zugewiesen hat, erfasst hat und dass es den Mut hat und das Vertrauen zu sich und der Welt hat, im geeigneten Augenblick die Führerschaft auf dem Wege zur wirklichen politischen und wirtschaftlichen Befriedung Europas mit entschlossener Hand zu übernehmen.“

Sackett, reicher Unternehmer im Bereich der Energiewirtschaft, wird danach die Regierungsübernahme durch Hitler befürworten: „Aus Sicht stabiler politischer Bedingungen ist es vielleicht gut, dass Hitler nun in einer Situation ist, die gesamte Macht zu übernehmen.“

„Volk ohne Raum“

Mit einigen der „Ruhr-Barone“ tat sich Adenauer 1928 im Bund zur Erneuerung des Reiches (BER) zusammen. Man forderte ein autoritäres Präsidialsystem, um der neumodischen Republik – sie barg ja die „Gefahr des Kommunismus“ - Einhalt zu gebieten. Ziel war eine neue Form der Monarchie mit eingeschränkten Rechten einer Volksvertretung. Privatwirtschaftliche Investitionen sollten langfristig gesichert werden.

Die meisten BER-Mitglieder gehörten auch dem Geheimbund „Ruhrlade“ an, gegründet in der palastartigen Villa Hügel des Rüstungsindustriellen Krupp. Der Bund finanzierte die nationalistischen und antimarxistischen Parteien und auch das Zentrum, schließlich auch die NDSAP.

Adenauer engagierte sich in der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG), in der sich auch führende Industrielle wie der frühe Hitler-Finanzier Emil Kirdorf (Gelsenberg AG, Vereinigte Stahlwerke) tummelten. Sie forderten die Kolonien zurück, die Deutschland durch den Vertrag von Versailles verloren hatte.

Der Kölner OB ließ in der 1928 von ihm organisierten, internationalen Presseausstellung „Pressa“ in Köln eine koloniale Sonderschau einrichten. Dort prangte ein Plakat mit dem Adenauer-Zitat: „Das Deutsche Reich muss unbedingt den Erwerb von Kolonien anstreben. Im Reiche selbst ist zu wenig Raum für die große Bevölkerung. Wir müssen für unser Volk mehr Raum haben und darum Kolonien.“ Daneben waren zwei Landkarten aufgestellt: Eine kleine Deutschlandkarte mit der Überschrift „60 Millionen ohne Raum“, daneben eine große Afrikakarte mit der Überschrift „Raum ohne Volk“.

Als Vizepräsident der DKG organisierte der Kölner OB 1931 eine große Kolonial-Kundgebung. Laut Übersee- und Kolonialzeitung wandte sich Adenauer als Hauptredner gegen „die Haltlosigkeit der kolonialen Schuldlüge“ der Siegermächte. Er forderte „aus wirtschaftlichen, vor allem aber aus ethischen Gründen die Rückgabe der deutschen Kolonien“. Es sei unhaltbar, dass man Kleinstaaten wie Portugal, Belgien und Holland „riesige Kolonialräume mit Millionen von Eingeborenen anvertraue, dem größten Volk Europas aber, den 60-80 Millionen Deutschen, jeden Raum zur freien Entfaltung seiner Kräfte verweigere, ja uns Deutsche von der großen Kulturaufgabe der Leitung und Erziehung der unmündigen Völker ausschließe“.

Von 1920 bis 1933 war Adenauer auch Präsident des Preußischen Staatsrats. Innerhalb der Weimarer Republik wurde der Freistaat Preußen als halbmonarchischer Wurmfortsatz beibehalten, der Preußische Staatsrat war das Oberhaus zum preußischen Landtag. Adenauer &Co nutzten den Freistaat Preußen – er bedeckte zwei Drittel des Territoriums - als Gegengewicht gegen die Weimarer Demokratie.

Adenauer warb 1932 den Staatsrechtler Carl Schmitt für die neu eröffnete Kölner Universität. Seit 1925 hatte sich die Kölner Zentrumspartei an diesem späteren Kronjuristen Hitlers orientiert. Der brachte Adenauers etwas holperige Krisenanalyse auf ein „wissenschaftliches“ Niveau: Allgemeine Wahlen und Parlamentarismus seien eine überholte bürgerliche Erscheinung. Notwendig sei ein Führer, der mit einem „starken Staat“ die „freie Wirtschaft“ schütze.

Wirtschaft: Aufstieg und Scheitern

Adenauer förderte den Ausbau der Messe und des Flughafens, ebenso die Autoindustrie und den Bau großer Straßen. Er setzte 1927 den Bau der Rennstrecke Nürburgring in der Eifel durch und förderte den Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC), der sich verpflichtete, auf dem Nürburgring Rennen zu organisieren. Noch vor Hitler weihte er 1932 den ersten Autobahn-Abschnitt ein, zwischen Köln und Bonn.

Mit dem Ausbau des Industriegebiets Niehl und dem damit verbundenen Industriehafen hatte der OB für die nächsten Jahre 50.000 neue Arbeitsplätze versprochen. Als endlich die Glanzstoff AG als erstes großes Unternehmen 1926 hier mit der Kunstseideproduktion begann, versprach die Stadtverwaltung 10.000 neue Arbeitsplätze – in der kurzen Blütezeit zwei Jahre später waren es 2.500. Die zweite große Ansiedlung war die von Ford 1931– es wurden maximal 600 Arbeitsplätze. Die Höchstzahl aller Arbeitsplätze belief sich auf 3.400.

Adenauers kommunale Standortpolitik war Teil der Wirtschaftspolitik seiner Freunde: Wirtschaften auf Kredit, Bank- und Unternehmensgewinne sichern, spätere Erfolge für Arbeitsplätze in Aussicht stellen!

Seine Großprojekte – Grüngürtel, Universität, Mülheimer Brücke, Flughafen, Industriehafen und Industriegebiet Niehl, Stadion, Messe – hatten durchaus, allgemein betrachtet, ihre Plausibilität. Kredite und Anleihen gab er über befreundete Kölner Banken und ab 1924 im Rahmen des Dawes-Plans an der Wall Street in Auftrag. An erster Stelle stand allerdings die Deutsche Bank.

Die hohe Kreditfinanzierung wäre aber nur bei allgemeinem, stetigem Wachstum und Lohnerhöhungen langfristig sinnvoll gewesen, aber sie bewirkte in Köln und anderswo im westlichen Kapitalismus natürlich das Gegenteil: Krise, Rezession, Arbeitslosigkeit. Ab 1928 kam es auch in Deutschland zur Finanz- und Wirtschaftskrise, die vom Börsencrash in den USA ausging. Die Reichsregierung, die preußische Regierung und die Kölner Stadtverwaltung kürzten ganz selbstverständlich im Sozialen und bei den unteren Schichten der Bevölkerung.

Ab 1929 war der städtische Haushalt zerrüttet. Adenauer stoppte die Schuldentilgung. Die üblichen Kredite wurden nicht mehr gewährt, auch weil er der Wall Street-Bank Lee Higginson schon 1928 heimlich ein Vorrecht für die Kreditrückzahlung zugestanden hatte.

Reicher Spekulant

Er sorgte nach dem Vorbild seiner Freunde auch gut für sich selbst. Seine bis 1933 stetig wachsenden Einkünfte umfassten 1. Hohes Einkommen als Oberbürgermeister, 2. die exzessive Erstattung seiner Wohnkosten, 3. Tantiemen aus einem Dutzend Aufsichtsratsmandaten bei Deutscher Bank, RWE, Lufthansa usw., 4. Entschädigung und Tagegelder als Präsident des Preußischen Staatsrates, 5. persönliche Geld- und Aktienspenden von Bankern und Unternehmern, 6. Gewinne aus Insider-Wertpapiergeschäften, 7. zinslose Kredite aus der Stadtkasse und durch Unternehmer.

Ende 1927 war sein Aktiendepot 1,298 Millionen Mark wert, nach heutiger Kaufkraft etwa 8 Millionen Euro. Seine Einkünfte des Jahres 1930 gab er mit 108.250 Mark an, für 1932 mit 114.000 Mark, wobei das Wohngeld von 43.000 Mark und sonstige Nebenleistungen nicht enthalten waren. Das wären nach heutiger Kaufkraft 700.000 bis 800.000 Euro. In diesen Jahren bettelten vor seiner Kölner Villa und in umliegenden Straßen zahlreiche Arbeitslose, die nichts bekamen und zudem vom Vermögen ihres OB keine Ahnung hatten.

1930 sickerte durch, dass der Kölner OB sich auch persönlich katastrophal verspekuliert hatte. Die Glanzstoff AG mit der Niederlassung im Kölner Gewerbegebiet ließ im Frühjahr 1928 in New York neue Aktien der US-Kunstseide-Tochter American Glanzstoff Corporation an die Börse bringen. Für den Verkauf der Aktien an Freunde legte Glanzstoff-Direktor Fritz Blüthgen einen Sonderfonds in Amsterdam an. Das war die neben der Schweiz damals beliebteste Finanzoase der deutschen High Society. Adenauer nutzte sie ganz selbstverständlich.

Adenauer kaufte die Aktien mithilfe eines Millionen-Kredits der Deutschen Bank. 1929 mit der in den USA aufkommenden Finanzkrise stürzte der Aktienwert ab: 1928 betrug der Kurswert 1,33 Millionen Mark, im Oktober 1929 noch 110.000 Mark. Die Deutsche Bank forderte die Rückzahlung des Kredits, hielt das aber vor der Öffentlichkeit geheim, auch nach 1933 (und auch nach 1945).

„… meinetwegen auch Hitler“


In der politischen Krise ließ sich der Spekulant vom Staatsrechtler Carl Schmitt beraten, dem er den Lehrstuhl an der Kölner Universität verschafft hatte. Ab August 1932 plädierte Adenauer, der von Anfang an Mussolini bewunderte, für die Beteiligung Hitlers an der Reichsregierung. „Die Zentrumspartei verlangt dringend den Eintritt der Nationalsozialisten in die Reichsregierung. Sie wird bereit sein, alsdann diese Regierung zu tolerieren. Der Begriff des Tolerierens ist dehnbar zwischen politischer Mitarbeit und Gewehr bei Fuß stehen.“

Im Kölner Rotary-Club warb Adenauer am 12. Dezember 1932 dafür, „dass, sobald die politische Lage das erlaubt, in Preußen eine Regierung zusammen mit den Nationalsozialisten… gebildet wird.“

Als Präsident des preußischen Staatsrats erklärte Adenauer im Februar 1933, dass in Preußen „eine Regierungsbildung zwischen NSDAP und Zentrum sofort möglich“ sei, und zwar mit Hermann Göring als Ministerpräsident.

Nach seiner Absetzung durch die NSDAP schrieb Adenauer im Juni 1933 an die befreundete Bankiersgattin Dora Pferdmenges: „Meines Erachtens ist unsere einzige Rettung ein Monarch, ein Hohenzoller oder meinetwegen auch Hitler“.

Adenauer konstatierte, dass auch seine eigene Partei leider nicht in der Lage gewesen war, „sich dem neuen Geist zu öffnen“. Er bejahte die Variante Hitler als die nach den Umständen einzig mögliche Lösung. Für die Rettung des kapitalistischen Systems nahm er jeden Kollateralschaden in Kauf, auch Faschismus und Krieg.

So wird Adenauer nach Hitlers Ende der ideale Politikdarsteller sein für die endlich erreichte und endlich US-geführte Gründung eines Separatstaats namens BRD.


Letzte Buchveröffentlichung von Werner Rügemer: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet. Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur. Papyrossa Köln 2. Auflage 2017. Darin auch das Kapitel: „1933: Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer wird durch einen Bankier abgelöst“


Veranstaltungshinweis: 7. November 2017, 19.30 Uhr. Der Überbürgermeister. Podiumsdiskussion über Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer, aus Anlass seiner Wahl vor 100 Jahren. Teilnehmer: zwei Vertreter der Konrad Adenauer-Stiftung, Werner Jung vom NS-Dokumentationszentrum, Wolfgang Uellenberg-van Dawen (DGB) und Werner Rügemer, Moderation: Martin Stankowski. Ort: Karl Rahner-Akademie, Köln, Jabachstrasse 4-8

Online-Flyer Nr. 631  vom 04.10.2017



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