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Kultur und Wissen
Weniger ist Mehr
Fieser Süßling
Von Harald Schauff

Das Fett hat seinen schlechten Ruf weg als Ernährungsschädling. Ein Dick- und Krankmacher sei es, die Kalorienbombe an sich, der Inbegriff des überflüssigen, überschüssigen Nahrungsanhängsels. Allein durch die Sprache bekommt das Fett sein selbiges zur Genüge ab. Siehe und lausche Worten wie ‘Fettsucht’ und ‘Fettleibigkeit’. Die notorische Gleichsetzung Fett = Übergewicht hat dem Ansehen des Nahrungsbausteines massiv zugesetzt. Selbst neutrale Begriffe wie ‘Fettgehalt’ und ‘Fettsäuren’ erhalten so einen faden Beiklang.

Es gibt dafür historische Gründe: Die Ächtung des Fetts beginnt im Amerika der 50er Jahre. Damals sucht man nach der Ursache für den deutlichen Anstieg von Herzinfarkten, zumal auch der damalige US-Präsident Eisenhower zu den Betroffenen zählt. Der Physiologe Ancel Keys betreibt eine groß angelegte Studie über Essverhalten und Fettanteile in der Nahrung. Scheinbar besteht ein Zusammenhang zwischen den Todeszahlen und der Menge von Fett und Cholesterin in der Nahrung.

Der britische Wissenschaftler John Yudkin hegt daran seine Zweifel. Er macht nicht Fett, sondern Zucker verantwortlich für Volksleiden wie Fettleibigkeit, Diabetes und Herzerkrankungen. Es kommt zu einem wissenschaftlichen Schlagabtausch. In Washington orientieren sich Experten und Kongressabgeordnete an den Aussagen von Keys. Hersteller reduzieren die Fette in den Nahrungsmitteln stark.

Bei aller Fettfeindlichkeit, der Stoff hat auch Vorzüge: Er ist Träger für Geschmacks- und Aromastoffe und wichtig für die Konsistenz. Darin ähnelt er dem Zucker. Auch dieser schmeichelt dem Gaumen, erzeugt ein angenehmes Gefühl im Mund und sorgt für Masse und Bindung. Zucker bietet sich somit an als perfekter Ersatzstoff für Fett. Deshalb befindet sich in Light-Produkten mehr Zucker und weniger Fett.

Einige Jahrzehnte später gibt Keys zu: Seine Studie ist gefälscht. Die veröffentlichten Daten stammen nur aus 7, nicht aus 22 Ländern. Er unterschlug einfach, was nicht seiner Theorie entsprach. Doch das Rad lässt sich nicht zurück drehen. Zucker hat sich durchgesetzt. Er steckt in 80 % aller industriell verarbeiteten Lebensmittel. Die ZDF-Wissenschaftssendung ‘Leschs Kosmos’ nahm den großen Versüßer (Sendung vom 7.2.2017) kritisch unter die Lupe und schilderte auch den erwähnten wissenschaftlichen Streit. Außerdem war zu erfahren: Jede/r Deutsche nimmt pro Jahr im Schnitt 35 Kilogramm Zucker zu sich. Der süße Stoff ist häufig auch in vermeintlich gesunden Lebensmitteln versteckt. 100 ml Salatdressing enthalten sieben Würfelzucker, etwa fünf stecken in einem kleinen Joghurt.

Die körperlichen Auswirkungen erhöhten Zuckerkonsums testet ein junger Australier im Selbstversuch. Über längere Zeit ernährt er sich hauptsächlich von Light-Produkten mit geringem Fett-, jedoch hohem Zuckeranteil. Nach 12 Tagen hat er über drei Kilo zugenommen, nach 60 Tagen sind es 8,5 kg. Sein Bauchumfang ist um 10 cm gewachsen, seine Fett- und Blutzuckerwerte sind erhöht. Dabei nahm er die gleiche tägliche Kalorienmenge zu sich wie vor dem Versuch. Anstelle pflanzlicher Fette hatte er mehr zuckerhaltige Lebensmittel konsumiert.

Fazit: Eher als das verteufelte Fett macht der Zucker krank. Sein erhöhter Verbrauch kann nicht nur zu Übergewicht führen, der erhöhte Blutzuckerspiegel lässt auch die Haut schneller altern. Der Zuckerkonsum sollte also deutlich herunter geschraubt werden und die Nahrungsmittelindustrie angehalten, den Zuckeranteil in Lebensmitteln zu verringern. Wieder einmal ist Weniger Mehr: Weniger Zucker = Mehr Gesundheit.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe April 2017, erschienen.

Online-Flyer Nr. 611  vom 03.05.2017



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