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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Die share economy im Griff aggressiver Globalinvestoren
Weltgrößter Taxikonzern Uber und die Uberisierung
Von Werner Rügemer

Im englischen und französischen Sprachraum hat sich der Begriff „uberisation“ durchgesetzt, deutsch Uberisierung: Unternehmen der share oder gig economy organisieren mithilfe des Internets den direkten Kontakt zwischen Verbrauchern und Anbietern. Doch Großinvestoren befördern Monopolbildung und eine weitere Runde neoliberaler Kapital-Freiheiten. Der namensgebende Vermittler von Taxidiensten, Uber, 2009 in New York gegründet, vermittelt über seine websites und Smartphone Fahrdienste an private Autobesitzer, aber auch an professionelle Mietwagen- und Taxifahrer. Uber legt die Fahrpreise fest und kassiert bis zu 20 Prozent Gebühren. Die Fahrgäste zahlen über den Bezahldienst PayPal oder mit Kreditkarte an Uber.

Als erste Stadt im Ausland war Paris dran, dann folgten London, Sydney, Singapur, Kapstadt, Seoul, New Delhi und Peking, dann Großstädte in Osteuropa (Warschau, Kiew) und Afrika (Lagos/Nigeria). Danach wurden in Westeuropa bisher zum Beispiel Zürich, Wien, Berlin und München erschlossen.

Für diese teure Expansion bekam Uber zunächst Milliardenkredite von der Wall Street, etwa von Goldman Sachs, dann auch von Google und Microsoft. Inzwischen investieren für die Expansion in Asien auch der japanische Autokonzern Toyota und der indische Autokonzern Tata: Sie wollen mithilfe von Uber auch ihre Märkte ausweiten.

Kein einziger Taxifahrer hat ein Arbeitsverhältnis mit dem Konzern. Ihm gehört kein einziges Taxi. Er benötigt nur 6.700 Angestellte. Aber er ist in wenigen Jahren in die globale Finanz-Topliga aufgestiegen. Er hat einen Marktwert von 60 Milliarden, also mehr als das Doppelte der Deutschen Bank und das Zehnfache der Lufthansa.

Die beiden führenden Taxivermittler Chinas, Didi Dache und Kuaidi Dache, haben zu Didi Kuaidi fusioniert und sind seit August 2015 an GrabTaxi in Singapur beteiligt. Fusion und Expansion werden vom chinesischen Staatsfonds China Investment Corporation CIC finanziert, um Uber aus China möglichst heraus zu drängen. (1) In Asien haben einige Uber-Konkurrenten Ende 2015 sogar eine „globale Anti-Uber-Allianz“ gebildet. (2) Dazu gehören Didi Kuaidi, GrabTaxi, Ola und Lyft. Sie ermöglichen ihren jeweiligen Kunden den leichten Zugang zu den Diensten der anderen, regional starken Unternehmen. Ola ist der größte Taxivermittler in Indien und Lyft operiert in 60 US-Städten.

Uber holte 2016 für sein Strategiegremium Neelie Kroes, die ehemalige EU-Wettbewerbskommissarin, den Ex-US-Verkehrsminister Ray LaHood, den Ex-Premier Perus Roberto Donino und die saudische Prinzessin Reema bint Bahar: Sie bekamen Unternehmensanteile und sollen helfen, die Marktführerschaft des inzwischen weltweit größten Taxiunternehmens abzusichern. (3)

Parship, Flixbus, airbnb, UpWork…

Auch Medienkonzerne suchen nach neuen Geschäftsfeldern und Zielgruppen. Die Partnervermittlung Parship, zu der GayParship für homosexuelle Zielgruppen gehört, 2000 in Hamburg gegründet, geriet schnell in die Fänge der Verlagsgruppe Holtzbrinck (Handelsblatt, Die Zeit, Scientific American).

Als Parship in Europa expandierte, wurde es 2015 von den Private Equity-Investoren Oakley und Permira aufgekauft. (4) Sie kauften noch den Liebes-Vermittler Elite Partner hinzu. Schon im September 2016 wechselte die neugebildete Parship Elite Group wieder den Eigentümer: Das TV-Unternehmen ProSiebenSat.1 will mit den mehreren Millionen Single-Abonnenten sein Digital- und Werbegeschäft erweitern.

Airbnb ist die Abkürzung für Air bed and breakfast (Luftmatratze mit Frühstück). Das Unternehmen agiert wie Uber als online-Plattform und vermittelt Unterkünfte bei privaten Vermietern und in Hotels. 2009 in San Francisco gegründet, ist es inzwischen in praktisch allen Staaten des Planeten tätig. Das Luftmatratzen-Image ist längst abgelegt: Inzwischen werden vor allem Zimmer auch in den teuersten Hotelketten vermittelt. Airbnb und Facebook, LinkedIn & Co kooperieren. In Deutschland fasste Airbnb durch den Aufkauf des kleinen Konkurrenten Accoleo Fuß. Finanziert haben den Aufstieg start up-Investoren aus Kalifornien und der Fonds DST Global des russischen Unternehmers Yuri Milner.

Flixmobility GmbH, kurz Flixbus genannt, entstand aus kleineren Busunternehmen. Die Bundesregierung hob durch das novellierte Personen-Beförderungs-Gesetz Anfang 2013 bisherige Grenzen für den Fernbusverkehr auf. Daimler Mobility Services und die Verlagsgruppe Holtzbrinck stiegen ein. So konnten die kleineren Fernbusunternehmen der Post und der Bahn aufgekauft werden. Den nächsten Zukauf des Konkurrenzunternehmens MeinFernbus finanzierte der US-Private Equity-Fonds General Atlantic. So kann Flixbus schon nach wenigen Jahren fast 90 Prozent des Marktes beherrschen. Auch Flixbus vermittelt nur, besitzt keinen einzigen Bus und hat keinen einzigen Fahrer angestellt. Vielmehr werden nach dem Franchise-System gegenwärtig 250 mittelständische Busunternehmen lizensiert und koordiniert. Dafür sind europaweit nur etwa 500 eigene Beschäftigte nötig.

Die Investoren geben Kredite für den schnellen Aufkauf von Konkurrenten und start ups. Wettbewerb wird ausgeschaltet, Monopole werden befördert. Die Investoren nehmen in der Erwartung späterer Gewinne durchaus jahrelange Durststrecken in Kauf, treiben aber auch dazu, sofort jede Möglichkeit zu Preis- und Gebührensteigerungen auszuschöpfen. So nutzte Uber eine Notsituation in Australien, wo Bürger evakuiert werden mussten, um Fahrpreise zu verdreifachen. (5) Flixbus hat Fahrpreise innerhalb von zwei Jahren um bis zu 40 Prozent erhöht.

Arbeitsverhältnisse, Steuern, Datenschutz…

So versuchen die Unternehmen der share economy in den USA und weltweit erstmal, sich gegen alle einschlägigen Regularien durchzusetzen. Man  nutzt weltweit die Prekarität von Millionen (Schein)Selbständigen. In mehreren Staaten, zum Beispiel in Frankreich, musste Uber seine Vermittlung von privaten, nicht lizensierten Autobesitzern einstellen; sie hatten keine geeichten Kilometerzähler, keine Versicherung, keine Nachweise über Sehtests und den technischen Zustand ihres Autos.

Erst nach heftigem Protest professioneller Taxifahrer und einigen Gerichtsurteilen gab Uber die Vermittlung privater Fahrer 2015 auch in Deutschland auf, ähnlich in New York. Von der Gewerkschaft GMB unterstützt, erreichten Uber-Fahrer in Großbritannien Ende Oktober 2016 ein Urteil, wonach sie als Angestellte mit Mindestlohn und Urlaubsgeld zu behandeln sind. Uber geht in die Revision. Wo es keine nachhaltigen Proteste und Gesetze gibt, macht man weiter.

Verwaltung und Staatsanwalt in New York stellten bei der Vermietung durch Airbnb Steuerhinterziehung ebenso fest wie Zweckentfremdung von Wohnraum und steigende Mieten. Nach Schätzungen in Frankreich, wo sich das Parlament mit dem neuen Geschäftsfeld beschäftigt hat, wird nur ein minimaler Teil der Einkommen der TaxifahrerInnen versteuert. (6) Den Europasitz hat Uber wie andere Konzerne in die Finanzoase Niederlande verlegt.

Die Vermittler erfassen extrem viele Daten ihrer Kunden. Uber kennt über GPS die Fahrrouten und –Zeiten, Stopps, Passagiere. Die Datenverarbeitung findet vor allem in den USA statt. Was passiert mit den Daten? Welche Verpflichtungen exekutieren die Unternehmen aus dem US-Patriot Act, etwa in der Zusammenarbeit mit Geheimdiensten?

Neoliberale Erneuerung?

Es gibt gute, eigentlich zwingende Gründe, um aus der unfreien Arbeit und aus den sonstigen asozialen Verhältnissen des bisherigen westlichen Kapitalismus auszubrechen.

Doch die Verursacher und Gewinner der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise sind durch sie noch stärker geworden als zuvor. Die Regierungen diesseits und jenseits des Atlantiks schauen zu. Sie sehen keinen Regelungsbedarf. Die Investoren nutzen die weiterdauernde Krise, um den bisherigen Kapitalismus in neue Form zu bringen. Das tun sie auch schon, bevor die transkontinentalen Freihandels- und Investitionsabkommen wie TTIP und TISA dies wohl noch stärker fördern würden.

Der technologische Brutkasten steht im kalifornischen Silicon Valley. Die jungen, hochselektierten Kreativen aus dem Milieu der teuersten Eliteuniversität im kalifornischen Stanford – nur 5 Prozent der Bewerber werden für das jährlich 100.000 US-Dollar teure Studium zugelassen - hassen jede gesellschaftliche Regulation. Sie wollen Freiheit, noch mehr Freiheit, alle Freiheit, jedenfalls für sich selbst. Sie wollen den Bruch mit dem altertümlich erstarrten Kapitalismus.

Sie wollen allerdings nur einen technologischen Bruch: tech disruption lautet das Zauberwort. Sie sind keine Antikapitalisten, sondern fundamentalistische Prokapitalisten. Demokratie? Arbeitsrechte? Steuern zahlen? Kundendaten schützen? Es gilt nur: Als kleines oder großes Genie so schnell wie möglich reich werden, rücksichtslos handeln und Macht ausüben können – und gleichzeitig softig daherreden, in Jeans und ohne Krawatte herumlaufen, sich vegetarisch oder vegan ernähren.

Einige dieser Unternehmen wurden wie Uber schnell zu Weltkonzernen. Netflix mit 65 Millionen TV- und Filmabonnenten ist 50 Milliarden US-Dollar wert. Airbnb ist mit 24 Milliarden fast schon so viel wert wie die größten Hotelketten Hilton und InterContinental, deren Zimmer man vermittelt. Die Großinvestoren sichern sich bei den erfolgreichen Aufsteigern die Kapitalmehrheit, belassen aber den kreativen Unternehmensgründern Anteile, die schnell viele Millionen wert sein können. Die Jungen können sich zudem kräftige Geschäftsführergehälter und Boni auszahlen.

Ständig werden neue Bereiche erschlossen: UpWork vermittelt Jobs an 12 Millionen registrierte Freiberufler (free lancer). TaskRabbit vermittelt Putz-, Liefer- und Reparaturdienste. NetFlix vermittelt seinen Abonnenten TV und Filme, Gett vermittelt innerstädtische Briefauslieferung, Spotify vermittelt Musik. Dutzende Unternehmen bieten Finanz- und Essensdienste an. Die meisten haben ihren Sitz in Silicon Valley oder San Francisco, werden von Investoren aus kleineren start ups zusammengeschoben und global ausgerichtet. Nachahmer blühen rund um den Globus.

Politische Gestaltung!

Die digitalen Möglichkeiten könnten aber auch für die bessere Lebens- und Arbeitsgestaltung für mehr Menschen und für die Allgemeinheit genutzt werden. Wenn alte, privilegierte Vermittler überflüssig werden, muss das den bisherigen und neuen Beschäftigten und den Konsumenten zugute kommen. Gesetzgeber und Kommunen, wie es teilweise zumindest versuchsweise bereits imgange ist, können eingreifen. Die Stadtverwaltung von Wien hat 2015 begonnen, die Möglichkeiten im städtischen Transport- und Beherbergungswesen zu nutzen. So manche der vielen in unterschiedlichem Status tätigen Freiberufler sind vor allem in den USA dabei, neue Organisationsformen zu bilden.

Jede Technologie ist ambivalent und bedarf der politischen Gestaltung – diese ist mindestens genauso der Kreativität und des Geldes wert.


Fussnoten:

1 Uber’s biggest rival in China invests in an Uber rival in Singapore, Fortune.com 19.8.2015
2 Lyft joins with Asian Rivals to compete with Uber, New York Times 3.12.2015
3 Frühere EU-Kommissarin Neelie Kroes heuert bei Uber an, FAZ.net 5.5.2016
4 Angriff aus dem Dunkeln, Handelsblatt 15.8.2016
5 Wikipedia: Uber (Unternehmen), abgerufen 8.11.2016
6 Valentin Bontemps/AFP: “Uberisation” of economics pinching state tax revenues, http://businessinsider.com/afp-uberisation, abgerufen 20.8.2016

Online-Flyer Nr. 593  vom 21.12.2016



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