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Globales
Antwort auf die Kritik in der KRAZ am Vortrag "Herrscher und Vasallen"
Mit Nostalgie zur Erkenntnis?
Von Werner Rügemer

Am 8. April 2016 hielt Werner Rügemer auf Einladung des Euregioprojekts Frieden in der Katholischen Hochschulgemeinde Aachen den Vortrag „Herrscher und Vasallen – die schrittweise Eroberung Europas durch die USA“. Dazu veröffentlichte die Kritische Aachener Zeitung (KRAZ) am 13. April 2016 eine Kritik von Walter Schumacher. Ihr Titel war der Titel des Vortrags – mit einem Fragezeichen versehen: "Herrscher und Vasallen?". Werner Rügemer nimmt die Kritik unter die Lupe und kommt zu dem Schluss, dass sich mit dem in "linken" Kreisen vielfach noch kursierenden "vergilbten, nostalgischen Bild des bundesdeutschen Kapitalismus der Nachkriegszeit" der gegenwärtige transatlantische Imperialismus nicht erkennen lässt.

Was ist ein Vasall?

Der KRAZ-Autor Walter Schumacher stößt sich zunächst am Begriff „Vasall“. Er meint, er bedeute „komplette Unterordnung“, und damit sei schon bewiesen, dass meine Darstellung falsch sei. Ein schneller Blick in entsprechende Nachschlagewerke würde allerdings offenbaren, dass Vasall etwas anderes bedeutet. Selbst im üblichen Alltagslexikon für Hausfrauen, Schüler und Journalisten der Kritischen Aachener Zeitung, wikipedia, kann man sich in diesem Fall zutreffend informieren: Vasallen waren in der mittelalterlichen Feudalordnung Freie (!), die im Schutz eines mächtigeren Herren standen. Sie bekamen dafür Land, waren dem Herrn zu Treue verpflichtet, mussten eine bestimmte Zahl an Soldaten stellen, Abgaben machen und im Kriegsfall Hilfe leisten. Fürsten, Herzöge, selbst Könige konnten Vasallen sein; so war im 12. Jahrhundert der englische König Vasall des französischen Königs, weil der ihm in Frankreich zahlreiche Ländereien überlassen hatte, sodass der englische König zugleich als Herzog der Normandie Vasall des französischen Königs war.

Wie wurde Nazi-Deutschland „zerschlagen“?

Schumacher meint weiter, dass die USA insbesondere gegenüber Deutschland nach dem 2. Weltkrieg eine gute Rolle gespielt haben: „Die politische Zerschlagung von Nazi-Deutschland 1945 und eine systematische Integration und Beaufsichtigung unter den Fittichen der USA ist eine aus linker Sicht wünschenswerte Konsequenz der Nazi-Zeit.“ Radio Eriwan würde sagen: Im Prinzip ja, aber…

Das Aber überwiegt bekanntlich, und das kann man in tausenden von Geschichtsdarstellungen nachlesen, sogar bei wikipedia. Nazi-Deutschland wurde nur militärisch zerschlagen, aber nicht politisch und schon gar nicht wirtschaftlich/eigentumsmäßig. Die „systematische Integration“ von Ex-Nazi-Deutschland durch die USA bestand sehr schnell darin, 99,9 Prozent der Ex-Nazis in Konzernen, Banken, Geheimdienst, Militär, Polizei, Justiz, Presse, Verwaltung usw. in die „demokratische“ Ordnung zu „integrieren“. Der Herrscher setzte durch, dass die 99,9 Prozent der Ex-Nazis nicht bestraft wurden, dass sie ihre Kriegs- und Arisierungsgewinne, Rentenansprüche und Funktionen behalten durften, dass die BRD als Rechtsnachfolger von Nazi-Deutschland keine Reparationen zahlen musste und dass es bis heute keinen Friedensvertrag in Europa gibt. Soll das eine „Zerschlagung“ gewesen sein? Aus einem militärisch besiegten Feind wurde ein abhängiger Verbündeter: Das ist die härtere Variante der Vasallenbildung nach Art des Römischen Imperiums. Wobei dies alles auch möglich wurde, weil dies auch im Interesse der anderen, anfänglich wichtigeren europäischen Vasallen bzw. deren Eliten und Regierungen lag.

Die USA und ihre antikommunistischen Alliierten setzten durch, dass Deutschland geteilt und der Teilstaat Bundesrepublik gegründet wurde und dieser die Rechtsnachfolge des Nazi-Reiches übernahm. Das führende Personal der BRD konnte bei Bedarf mit seiner Nazi-Vergangenheit erpresst werden. Die USA setzten durch – auch gegen den Widerstand der Vasallen Frankreich und Großbritannien -, dass die BRD wiederbewaffnet wurde, auch mithilfe von Wehrmachtsoffizieren und dass die BRD Mitglied des US-geführten Militärbündnisses NATO wurde, die bis heute auf militärische Konfliktregelung setzt. Der Herrscher wird bekanntlich ungnädig, wenn der Vasall nicht mit in die Kriege zieht. Der Vasall übernimmt bekanntlich seit mehreren Jahren auf Drängen des Herrschers immer „mehr Verantwortung“ für mehr Kriegsbeteiligung weltweit, in Afghanistan zum Beispiel. Das will der Vasall auch selbst, aber ohne die Erlaubnis und die Aufforderung von jenseits des Atlantiks hätte er das nicht getan.

Was würden die Herrschenden in Deutschland ohne NATO tun?

Schumacher fragt: Was würden die Herrschenden in Deutschland machen, wenn Deutschland kein Vasall mehr wäre? Sie würden doch wohl weiter so herrschen wie bisher! Der Vasall würde doch weiter in seine Kriege ziehen! Schumacher meint, ich hätte darauf nur ausweichend geantwortet und ich hätte dazu keine Antwort. Diese Frage war aber nicht Gegenstand des Vortrags, der mit der Jahrhundert-Geschichte seit 1914 schon ausgelastet war. Aber die Antwort ist aus meiner Darstellung leicht zu erschließen.

Wenn die Bevölkerungen in Deutschland und in Europa sich für den Austritt aus der NATO einsetzen würden, wären sie nicht nur mit dem Herrscher konfrontiert, sondern auch mit dessen europäischen Vasallen bzw. deren Führungen, die die NATO ebenfalls heftig verteidigen. Im Kampf für den NATO-Austritt würde also, würde er antiimperialistisch geführt und wäre er erfolgreich, auch „der Feind im eigenen Land“ geschwächt und an Kriegen gehindert. Das würde natürlich auch auf alle anderen NATO-Mitgliedsstaaten wie Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, Kroatien usw. zutreffen.

Und das würde auch für andere vasallische Verhältnisse gelten, etwa im internationalen Finanz- und Wirtschaftssystem (Weltbank, Freihandels-, Kredit- und Ratingsystem, Finanzoasen, Schiedsgerichte…), in der UNO, bei den Geheimdiensten und so weiter, also überall da, wo Herrscher und europäische Vasallen zusammenarbeiten.

Wie ginge ein Austritt europäischer Staaten aus der NATO vor sich?

Schumacher fragt: Was würde also der NATO-Austritt für die Europäer bringen? Eine gute Frage, übrigens auch für den Rest der Welt. Antwort: Mehr Frieden würde möglich. Die NATO beruht auf einer Lüge. Sie war nie ein „Verteidigungs“bündnis, sondern auf die Beherrschung Osteuropas gerichtet. Als der sozialistische Block zusammenbrach, löste sich die NATO nicht auf, sondern erweiterte sich so schnell wie noch nie und provoziert – Herrscher und Vasallen gemeinsam – eine neue Kriegsgefahr in Europa, zudem mit dessen wirtschaftlicher Schädigung. Wie es der Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski 1996 schrieb: „Die einzige Supermacht“ (so der Titel seines Buches) könne sich als solche auf Dauer nur halten, wenn sie Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok beherrsche.

Übrigens schrieb der damalige deutsche Außenminister Genscher im Vorwort zur deutschen Ausgabe: „Im Raum von Lissabon bis Wladiwostok entscheidet sich deshalb das künftige Schicksal Amerikas.“ Amerikas! Genscher, dieser freie Vasall, lobte die Herrscher-Strategie: „Ein immer engeres transatlantisches Bündnis, die fortschreitende Einigung Europas und die Erweiterung der Europäischen Union liegen für ihn (=Brzezinski) im vitalen Interesse Amerikas.“ Amerikas!

Angloamerikanische Investoren ohne Einfluss?

Schumacher meint schließlich, die Bedeutung angloamerikanischer Investoren in Deutschland und Westeuropa sei nicht so bedeutsam wie von mir dargestellt. Er möchte das belegen dadurch, dass der Großinvestor Blackrock in deutschen Unternehmen nirgends über einen 2-Prozent-Anteil hinauskomme.

Dazu ist zu sagen: Die Publizitätspflicht in Deutschland beginnt bei 3 Prozent, d.h. Aktiengesellschaften wie Deutsche Bank, Adidas, VW, Bayer müssen nach Wertpapierhandels-Gesetz erst dann ihre Aktionäre namentlich benennen, wenn deren Anteil 3 Prozent überschreitet. In allen deutschen Dax-Konzernen hat Blackrock ab 3 bis etwa 10 Prozent. Deshalb sind nirgendwo „im Internet“, wie Schumacher behauptet, 2-Prozent-Anteile von Blackrock zu finden – außer in den sehr häufigen Fällen, dass Blackrock seine Aktien, etwa wie bei Bayer, auf 6 verschiedene Tochterfonds verteilt. Da kann in einem der Fonds schon mal ein 2-Prozent-Anteil stecken – das entdeckt Schumacher, klammert sich daran und glaubt, einen Beleg für seine falsche Darstellung gefunden zu haben.

Man muss hinzufügen: Das Gewicht und das Geschäftsmodell von Blackrock und der anderen Investoren wie Fidelity, Carlyle, Invesco und Allianz Global Partners bestehen darin, dass sie gleichzeitig an den wichtigsten Konzernen und Banken Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, der USA usw. beteiligt sind und dass man heute eben schon mit 3 oder 4 oder 5 Prozent Großaktionär ist. Gleichzeitig berät Blackrock beispielsweise die US-Regierung, die griechische Regierung und die Europäische Zentralbank.

Wer heute mit einem vergilbten, nostalgischen Bild des bundesdeutschen Kapitalismus der Nachkriegszeit operiert, kann den gegenwärtigen transatlantischen Imperialismus gewiss nicht erkennen. Ich empfehle zu dieser Frage meine Analyse „Die transnationale kapitalistische Klasse – Strukturen der globalen Machtelite“ (Zeitschrift Hintergrund 1/2016, S. 72–75).


Siehe dazu:

Walter Schumacher:
Kritik am Vortrag "Herrscher und Vasallen" in der KRAZ
Rügemer: Herrscher und Vasallen?
Über die schrittweise Eroberung Europas seit dem ersten Weltkrieg
https://kraz.ac/ruegemer-herrscher-und-vasallen-1902

Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann:
Bericht über den Vortrag in der NRhZ
Herrscher und Vasallen
Werner Rügemer über den Jahrhundertfeldzug der Weltmacht Nr. 1 in Europa
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22690

Online-Flyer Nr. 558  vom 20.04.2016



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