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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Medien
Deutsche Qualitätspresse mit sich selbst total zufrieden
Queen beliebter als BRICS
Von Rüdiger Göbel

Als Queen Elizabeth II. zu Besuch in Deutschland war, haben sich die Medien überschlagen. Jeder Schritt der Monarchin wurde live übertragen und kommentiert. Im russischen Ufa kommen in dieser Woche die BRICS-Staaten zusammen. Sonderberichte vom Gipfel sind offensichtlich nicht geplant. Wer wundert sich da über die Glaubwürdigkeitskrise der Medien?
 
 
Für die Boulevardmedien war die viertägige Visite Ihrer Majestät Queen Elizabeth II. ein Hochamt. Bild produzierte Sonderseite um Sonderseite, sogar Pin-up-Seiten zum herausnehmen und zusammenkleben wie früher die Bravo von Beatles, Elvis und Mick Jagger. Die endlosen Live-Übertragungen im Fernsehen sorgten dafür, dass die Korrespondenten der Öffentlich-Rechtlichen selbst den Heckenschnitt vor Schloss Bellevue begutachteten, um die Zeit bis zum Eintreffen der königlichen Entourage bei Bundespräsident Joachim Gauck zu überbrücken. Bloß nicht die Einfahrt des royalen Bentleys verpassen. Adelsexperten sezierten die Familienverhältnisse der Windsors bis zurück ins Mittelalter.
 
Welche politische Relevanz hat die große royale Sause für die Bevölkerung? Null.
 
In Ufa westlich des Ural kommen in dieser Woche Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Amtskollegen aus Brasilien, Indien, China sowie Südafrika zusammen. In den fünf BRICS-Ländern leben drei Milliarden Menschen. Die vom Westen propagierte Isolation Russlands wegen des Ukraine-Konflikts ist damit ad absurdum geführt.
 
Mehr als 130 Punkte stehen auf der Agenda von Ufa, politische wie wirtschaftliche, darunter Alternativen zur westlich dominierten Bankenwelt. Eine ausführliche, informierende Berichterstattung vom BRICS-Gipfel in den deutschen Medien ist nicht zu erwarten. Sondersendungen im TV wie zum Beispiel bei G7-Treffen üblich, sind nicht angekündigt.
 
Vorwürfe, sie seien nicht glaubwürdig, weisen die Qualitätsmedien selbstredend zurück. ZDF-Intentant Thomas Bellut hat sich das von der Forschungsgruppe Wahlen, die auch sonst vom Sender für Umfragen bezahlt wird, bescheinigen lassen. In einem Gastbeitrag in der FAZ legt der Mann vom Zweiten selbstgerecht dar, "wie Zeitungen und öffentlich-rechtlicher Rundfunk geschätzt werden".
 
In den Medien gebe es derzeit eine angeregte Debatte über die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung, konstatiert Bellut. Die Themenfelder Ukraine – Russland, Gaza-Konflikt und auch der "Lügenpresse"-Vorwurf hätten für "teilweise heftiges Engagement von Zuschauergruppen gesorgt, die jeweils ihre Ansichten in der Berichterstattung wiederfinden wollten".
 
Die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung sei für alle Medien ein "wichtiges Thema", für einen öffentlich-rechtlichen, von allen finanzierten Sender sei es die "Existenzgrundlage". Der ZDF-Chef fragt daher: "Vertrauen die Zuschauer der Unabhängigkeit, der Korrektheit der täglichen Nachrichten, Dokumentationen und Reportagen, oder stehen sie der Werthaltigkeit, der Korrektheit der Botschaften skeptisch gegenüber?"
 
Die Forschungsgruppe Wahlen hat dies in einer repräsentativen Umfrage im Juni eruiert. Bei der Bewertung wurde wie beim bekannten Politbarometer eine Skala von minus fünf (unglaubwürdig) bis plus (glaubwürdig) fünf benutzt.
 
Die vom ZDF in Auftrag gegebene Studie macht das ZDF glücklich. Die Ergebnisse zeigen, freut sich Bellut in der FAZ, "dass die regionalen und überregionalen Tageszeitungen, die wöchentlichen Nachrichtenmagazine sowie die öffentlich-rechtlichen Sender von der großen Mehrzahl der in Deutschland Lebenden als glaubwürdig angesehen werden und weiterhin unverzichtbar sind". An der Spitze lägen die Zeitungen. Ihre "allgemeine Vertrauenswürdigkeit" werde bei den regionalen mit plus 2,5 und bei den überregionalen Tageszeitungen mit plus 2,4 "besonders hoch bewertet". – Besonders hoch? Mittelfeld im Positivbereich wäre die wohl logische Bezeichnung.
 
Egal, auch die wöchentlichen Nachrichtenmagazine wie Spiegel und Focus sowie die öffentlich-rechtlichen Sender sind mit den Werten +2,2 und +2,0 doch sehr gut. Die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF mit +2,7 und +2,6 nachgerade "besonders glaubwürdig". Schwarzes Schaf ist nicht Golineh Atai, die auf dem Kiewer Maidan partout keine Faschisten sehen wollte. Nein, es sind lediglich Boulevardmedien wie Bild. Das auflagenstärkste Blatt landet den Angaben zufolge bei - 2,0. Belluts Schlussfolgerung: "Die Führungsposition der Tageszeitungen ist beeindruckend. Sinkende Auflagen haben nichts mit einem Vertrauensverlust zu tun, sondern offenbar mit einem veränderten Nutzungsverhalten." Und: "Das Vertrauen in Qualitätsmedien besteht."
 
Also weitermachen wie bisher. Hinter der Queen eine Schleimspur ziehen und um Ufa einen großen Bogen machen.
 
Die Leserreaktionen in der Wahrheitspresse etwa zur Stimmungsmache beim Ukraine-Konflikt gegen Russland wären demnach "Putins Trollen" geschuldet? Das schreibt ZDF-Intendant Thomas Bellut natürlich nicht, es ist aber die logische Schlussfolgerung aus seiner Selbstbeweihräucherung.
 
Und Kritiker der israelischen Besatzungspolitik – in dieser Woche jährt sich der Gaza-Krieg "Operation Protective Edge" (Fels in der Brandung), bei dem im Sommer 2014 mehr als 2.100 Palästinenser getötet wurden, darunter 493 Kinder – werden kurzerhand zu Antisemiten erklärt. Da sind sich die Qualitätsmedien aber so was von sicher. (PK)
 
Dieter Göbel hat diesen Kommentar für Sputniknews geschrieben, wo wir ihn mit Dank übernommen haben.
http://de.sputniknews.com/meinungen/20150708/303134263.html#ixzz3fIsjMciS


Online-Flyer Nr. 519  vom 15.07.2015



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