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Inland
Hauptversammlung des Städtetags: „Wachsendes Gefälle zwischen den Städten"
Krisengeplagtes Ruhrgebiet
Von Lothar Reinhard

Vom 9. bis 11. Juni fand die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Dresden statt unter dem Motto „Wachsendes Gefälle zwischen den Städten – Entwicklungschancen für alle sichern!“
 

Mülheimer OB Dagmar Mühlenfeld (SPD)
NRhZ-Archiv
Als Vertreter aus dem krisengeplagten Ruhrgebiet wurde man bereits etwas neidisch, die vielen wunder-schönen Errungenschaften der schuldenfreien ehemaligen DDR-Stadt aus dem „Tal der Ahnungslosen“ erleben und besichtigen zu können. Doch egal, es sei ihnen gegönnt, wenn die stark wachsende Disparität der deutschen Städte endlich getreu des obigen Mottos angegangen würde.
 
Doch viel schlimmer als der klammheimliche Neid etwa auf die nagelneuen Straßenbahnen u.v.m. hinterließ das quasi-Null-Ergebnis des Städtetages einen sehr faden Nachgeschmack. Die ca. 1000 Delegierten verabschiedeten eine Dresdener Erklärung, die zwar in allen Punkten richtig ist, aber völlig nebulös und vage bleibt, wie denn die himmelschreiende Disparität geändert werden solle und könne. Kurzum: Blabla, aber politisch völlig austariert. Doch schauen wir uns an, was da sonst zu dem höchst brisanten Thema noch passierte:
 
Bekanntermaßen ist das Ruhrgebiet mit seinen 5 Miollionen Menschen die Absteigerregion Deutschlands überhaupt. Hier ist dringender Handlungsbedarf, denn serienweise brechen auch noch ganze Teile wichtiger Betriebe ein, ob Opel, Thyssen-Krupp, RWE, Karstadt, Hochtief, Siemens, Tengelmann u.v.m.. Der Milliardenstau beim ÖPNV, die vielerorts explodierten Sozialkosten u.v.m. kommen noch hinzu.
 
Die Ruhrgebietsstädte sind bereits hyperverschuldet oder wie meine Stadt Mülheim sogar bilanziell überschuldet. Der letzte Bertelsmann-Bericht zur Pro-Kopf-Verschuldung zeigt die besorgniserregende Dramatik der Verschuldung. In anderen Städten des Reviers sieht es ähnlich aus, zumindest was die Zuwachsraten angeht:
 
Stadt                   2014                            2004     prozentuale Veränderung
 
Oberhausen       8908 €                          4982 €                +    78,8%
 
Mülheim            8078 €                          3449 €                 +   134,2%
 
Hagen                7602 €                          3797 €                +   100,2%
 
Duisburg            6575 €                          4852 €                +   35,5%
 
Essen                  5811 €                          3440 €               +    68.9%
 
Bochum              4707 €                           2681 €              +    75,6%
 
Im 8-köpfigen Präsidium des Städtetages war das Ruhrgebiet bisher nur vertreten durch die Mülheimer OB Dagmar Mühlenfeld. Obwohl sie im September nicht mehr zur Wahl antritt, wurde sie auch in das neue Präsidium gewählt, allerdings nur bis zum 20.10., danach wird sie durch die Saarbrücker OB Charlotte Britz ersetzt. Unabhängig von der Frage, warum Frau Mühlenfeld für diese kurze Zeit überhaupt wiedergewählt wurde (oder werden wollte), zeigt bereits die Zusammensetzung des Präsidiums und wie wenig das Motto dieses Städtetages wirklich allen ernst war und ist. Von dem mit Abstand größten Bundesland NRW ist demnächst nur noch der Wuppertaler OB im Vorstand, dafür 2 aus Bayern und 2 aus Baden-Württemberg.
 
Die Fragen von Quotierung und Parteienproporzen waren wohl viel wichtiger als die reale Problemlage. Von den vielen NRW-Großstädten über 500.000 Einwohnern ist daher auch niemand dabei, weder aus Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen oder Duisburg.
 
Auch sonst bekam man bei den Reden und Tätigkeitsberichten des/der Präsidenten/in oder in den Foren mit ehrgeizigen Titeln wie „Städte im Abschwung – Städte im Aufschwung: Getrennte Welten?“, oder „Arme Städte – arme Bürger? Strategien für Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit“, oder „Infrastrukturelle Herausforderungen der Zukunftsstadt“, oder „Der demografische Wandel als Herausforderung und Chance“ nicht wirklich den Eindruck, als würde die im Motto angegebene wachsende Disparität auch unter den Nägeln brennen. Auch die Podiumsdiskussion zum Abschluss des Städtetages beschäftigte sich nicht damit, sondern hatte das Thema „Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern“. Und dabei ging es u.a. mit dem Präsidenten des Bundesamts für Migration mehr um Fragen von Landes- und Bundespolitik oder um die Mobilisierung der Zivilgesellschaft in der Frage. Dass die bereits schwerwiegend verarmten Städte etwa des Ruhrgebiets fast völlig überfordert sind mit den Mammutaufgaben der Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen, war nicht das Thema.

Minister Schäuble und Dr. Potter (1)
Archiv MBI - Quelle: http://de.lotr.wikia.com/wiki/Gollum
 
Krönung der Ignoranz gegenüber den enormen Problemen, denen sich der Städtetag mit seinem Motto stellen wollte/sollte, waren die Auftritte der Bundesregierung:
Frau Merkel hatte Herrn Schäuble geschickt, denn sie musste nach dem Riesenzinnober von Elmau in Wuppertal eine Schülergruppe auszeichnen. Noch heftiger war die kurzfristige Absage ihres Vize Gabriel, der Frau Nahles als Ersatz schickte, weil er im Bundestag unbedingt etwas zum Bürokratieabbau einbringen wollte, was eben außer ihm sicher keiner tun konnte.
 
Sowohl Schäuble wie Nahles betonten zwar mehrfach, dass Demokratie nur funktionieren könne, wenn die Städte und Kommunen gut funktionieren. Doch der gesamte Rest von stundenlangen Reden war - bezogen auf die Aufgabenstellung des Städtetages - mehr oder weniger heiße Luft und bei Schäuble sogar noch eine arrogante und knallharte Absage an drängende Forderungen vieler Städte wie eine Umlenkung des Soli für verarmte West-Städte oder die Korrektur des sogenannten Entflechtungsgesetzes, womit Bundesmittel für den kommunalen Nahverkehr massiv gekürzt werden sollen.
 
Frau Nahles wirkte zudem arg unvorbereitet und verhaspelte sich öfter, kein Wunder bei dem kurzfristigen Einspringen für Gabriel. Kurzum: Für die notleidenden Städte etwa des Ruhrgebiets war der Städtetag eher eine Riesenenttäuschung nach der Devise: „Außer Spesen nichts gewesen“ (PK)
 
(1) Die Fotomontage zu Schäuble habe ich in unserem MBI-Archiv gefunden. Sie hat den Titel Dr. Potter-Schäuble und stammt aus Schäubles Zeit als Innenminister. Rechts neben Schäuble ist Gollum aus der Filmtrilogie "Der Herr der Ringe". „Gollum war ursprünglich ein Hobbit namens Sméagol vom Stamm der Starren, doch der Fund des Einen Ringes hat ihn, innerlich wie äußerlich, stark verändert. Seine Persönlichkeit spaltete sich und er begann mit sich selbst zu reden, er nennt den Ring "mein Eigen, mein Schatz". Als Bilbo Beutlin ihn in den Stollen unter dem Nebelgebirge trifft, kann Gollum sich kaum noch an seine Herkunft erinnern.“ (Siehe http://de.lotr.wikia.com/wiki/Gollum) Auch Schäuble wirkt etwas entrückt und die Finanzen sieht er als „Sein Eigen".
 
Lothar Reinhard ist Fraktionssprecher der Mülheimer BürgerInitiativen (MBI) in Mülheim/Ruhr
 


Online-Flyer Nr. 516  vom 24.06.2015



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