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Aktueller Online-Flyer vom 30. April 2024  

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Globales
Wenn Petro Poroschenko nicht eingreifen würde, wäre es noch schlimmer
Abschreckung von Flüchtlingen
Von Hans Georg und Peter Kleinert

Die Zahl gewalttätiger Angriffe auf Flüchtlinge und auf Unterkünfte von Flüchtlingen steigt in Deutschland dramatisch an. Dies geht aus aktuellen Berichten und aus Statistiken der Bundesregierung hervor. Demnach wurde im vergangenen Jahr fast jeden zweiten Tag ein Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft verübt; im Abstand von durchschnittlich nur zehn Tagen kam es zu einer Brandstiftung. Experten konstatieren einen Zusammenhang zwischen der politischen Stimmungsmache des Berliner Establishments gegen Flüchtlinge auf der einen und der Gewaltzunahme auf der anderen Seite - eine Erkenntnis, die sich bereits aus den mörderischen Pogromen gegen Flüchtlinge zu Beginn der 1990er Jahre ergab.

Flüchtlingsunterkunft in Deutschland
Quelle: LOTTA – http://www.lotta-magazin.de/ausgabe/50
 
Diese Pogrome hätten in den vergangenen Jahren wahrscheinlich noch mehr Tote und Verletzte unter den Flüchtlingen gefordert, wie der folgende Text weiter unten berichtet, wenn nicht Ukraine-Präsident Petro Poroschenko tausende von ihnen davor bewahren würde, in Deutschland um Asyl zu bitten. Wie die TV-Nachmittagsnachrichten am vergangenen Samstag berichteten, haben er und sein Staat - offenbar für Waffenkäufe - Millionen Euros von den EU-Staaten kassiert. So eine Abmachung mit der EU und deren Staaten, die genau so gegen Flüchtlinge sind, wie manche EU-Bürger und die erwähnten brutalen Flüchtlingsverfolger. Damit weniger von ihnen nach Durchreise der Ukraine zu uns kommen, steckt Poroschenkos Regierung sie - inzwischen zu Tausenden - in Gefängnisse, wo es ihnen noch schlechter geht als in deutschen Gefängnissen oder "Flüchtlingsheimen". In den Abendnachrichten war - außer bei Arte - zu dem Thema nichts mehr in den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern zu hören. Die werden vermutlich nicht nur von unseren Politikern
kontrolliert und notfalls zensiert, sondern auch von der EU-Kommission.
 
Er schützt "uns" vor Flüchtlingen: Petro Poroschenko
Porochenko_Petro.jpg
NRhZ-Archiv

Der Direktor des Deutschland-Büros von Human Rights Watch, Wenzel Michalski, hatte bereits vorher wegen der Behandlung von Flüchtlingen schwere Vorwürfe gegen die Ukraine und die EU erhoben. Er sagte im Deutschlandfunk, die Menschen würden in der Ukraine inhaftiert wie Gefangene und teils gefesselt und geschlagen. Es handle sich um einen Skandal, über den Human Rights Watch schon 2010 berichtet habe. Michalski kritisierte in scharfer Form auch die Europäische Union. Tausende Menschen nutzten die Fluchtroute über die Ukraine in die EU. Ausdrücklich sprach er von einem Verstoß gegen internationales Recht. Er forderte, dass Beamte der EU in die Ukraine reisen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Brüssel erklärte, zu den überwiesenen Millionen, das Geld diene dazu, "die Standards der Gefängnisse zu verbessern".

Wachsende Gewalt auch in deutschen Flüchtlingsunterkünften
 
Die zunehmenden Angriffe auf die nicht von Poroschenko vor einer Weiterreise nach Deutschland bewahrten Flüchtlinge finden seit vielen Jahren im Windschatten einer staatlich orchestrierten Kampagne zur Demontage des Asylrechts in Deutschland statt. Die Angriffe gehen mit wachsender Gewalt seitens des staatlich beauftragten Wach- und Versorgungspersonals in Flüchtlingsunterkünften einher. Auf christliche Aktivisten, die von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen in Härtefällen Kirchenasyl gewähren, reagiert die Bundesregierung mit ungewöhnlich harschen Attacken.
 
Verdoppelt und verdreifacht
 
Dass gewalttätige Angriffe auf Flüchtlinge in Deutschland in dramatischem Ausmaß zunehmen, bestätigen aktuelle Berichte von Flüchtlingsorganisationen und Statistiken der Bundesregierung. Wie die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl mitteilt, dokumentierten Beobachter im vergangenen Jahr 77 gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlinge und 153 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte, davon 35 Brandanschläge.[1] Die Bundesregierung zählte 2014 laut Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag 150 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte; dabei sind Anschläge wie etwa derjenige vom Dezember 2014 in Vorra (Bayern), bei dem mehrere kurz vor Inbetriebnahme stehende Flüchtlingsheime in Brand gesteckt wurden, nicht einmal mitgezählt.[2] Zudem listet Pro Asyl in einer gemeinsam mit der Amadeu Antonio-Stiftung erstellten Dokumentation insgesamt 256 Demonstrationen und Kundgebungen gegen Flüchtlinge auf, die zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2014 stattfanden. Die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte haben sich gegenüber dem vergangenen Jahr verdreifacht, wobei 2013 bereits eine Verdoppelung gegenüber 2012 von - laut Angaben der Bundesregierung - 24 auf 58 Attacken zu verzeichnen war. Die Gewalttaten fanden im gesamten Bundesgebiet statt; Schwerpunktregionen lagen in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Sachsen.
 
Politische Stimmungsmache
 
Experten zufolge stehen die zunehmenden Angriffe auf Flüchtlinge in klarem Zusammenhang mit der politischen Stimmungsmache gegen unerwünschte Migranten. Tatsächlich fällt die erste Verdoppelung der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2013 in eine Zeit, in der die Berliner Regierung einen angeblichen "Missbrauch des Freizügigkeitsrechts" in der EU öffentlich anprangerte und scharfe Maßnahmen gegen die Einreise vor allem von Roma aus Südosteuropa ergriff (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Zur selben Zeit sind - unter anderem in Berlin - erste Initiativen erstarkt, die sich mit breit getragenen Demonstrationen gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften wandten.[4] Der Zusammenhang zwischen staatlicher Hetze gegen Migranten und rassistischer Gewalt ist seit langem bekannt; bereits das Pogrom von Rostock (1992) sowie der Brandanschlag von Solingen (1993), bei dem fünf Menschen ermordet wurden, fanden vor dem Hintergrund einer Regierungskampagne zu einer weitreichenden Einschränkung des Asylrechts statt. Der Soziologe Andreas Zick, der sich seit mehr als zehn Jahren mit der Thematik befasst, bestätigt nun, die Gewaltattacken auf Flüchtlingsunterkünfte hätten schon Anfang 2014 im Zuge des "sehr klar gegen Zuwanderung und sogenannten 'Asylmissbrauch' fokussierten Europawahlkampfs" zugenommen.[5] Die "menschenfeindliche Stimmung ... motiviert gewaltbereite Personen und Gruppen und wird als Norm wahrgenommen oder herangezogen", bestätigt Zick.
 
Fuß auf dem Nacken
 
Die von der staatlichen Migrationsabwehr befeuerte flüchtlingsfeindliche Stimmung schlägt sich nun zunehmend auch in Übergriffen des Personals in Flüchtlingsunterkünften nieder. Über die teilweise katastrophalen hygienischen Bedingungen in den Unterkünften beklagen sich Flüchtlinge und ihre Unterstützer seit vielen Jahren.[6] Beobachter weisen darauf hin, dass seit dem vergangenen Jahr immer mehr Flüchtlinge auch isoliert in Containern untergebracht werden. Im Herbst 2014 wurde bekannt, dass Flüchtlinge in mindestens drei Unterkünften in Nordrhein-Westfalen den Misshandlungen staatlich beauftragter Wachmänner ausgesetzt waren. So zwangen die Wachmänner eines Flüchtlingsheims im nordrhein-westfälischen Burbach einen Bewohner, sich auf eine Matratze zu legen, die mit Erbrochenem beschmutzt war. Einen weiteren Bewohner fesselten sie und legten ihn auf den Boden, woraufhin einer von ihnen dem Mann einen Fuß auf den Nacken setzte.[7] Inzwischen werden weitere Vorfälle bekannt. So heißt es über eine Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Lechbruck, dort seien nicht nur "die Zimmer teilweise von Schimmel befallen"; es gebe darüber hinaus immer wieder "willkürliche Verbote und Beleidigungen" seitens der vom Staat beauftragten Betreiberin der Unterkunft zu beklagen. Diese gehe zuweilen auch mit körperlicher Gewalt gegen Bewohner vor; so würden diese beispielsweise geohrfeigt.[8]
 
Von Buschtrommeln und Lagern
 
Über die politische Bedeutung von miserabler Behandlung und Gewalt gegen Flüchtlinge hat sich bereits in den 1980er Jahren der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth geäußert. Die Bundesrepublik startete in diesen Jahren erste umfangreichere Bemühungen, Menschen von der Flucht nach Deutschland abzuhalten. Zu diesem Zweck führte Bonn 1982 die "Residenzpflicht" ein, die Asylsuchenden jeden Aufenthalt außerhalb des Bundeslandes oder sogar des Landkreises ihrer Wohnunterkunft strikt untersagt; auch wurde die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern ("Gemeinschaftsunterkünfte") beschlossen. Die damalige Leiterin der Europa-Sektion des UN-Flüchtlingshilfswerks kommentierte dies 1983 in einem internen Bericht mit dem Urteil, die Bundesrepublik habe in "Europa einmalige Abschreckungsmaßnahmen gegen Asylsuchende" etabliert. Lothar Späth (CDU) ließ sich mit den Worten zitieren: "Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren: Kommt nicht nach Baden-Württemberg, da müsst ihr ins Lager."[9]
 
"Wie die Scharia"
 
Aktuellen Bemühungen, zumindest punktuell korrigierend in den brachialen Umgang staatlicher Stellen mit Flüchtlingen einzugreifen, begegnen Berliner Regierungspolitiker mit harscher Ablehnung. Dies gilt insbesondere im Fall des sogenannten Kirchenasyls. Dabei finden Personen, die von Abschiebung in menschenunwürdige Verhältnisse bedroht sind, Zuflucht in christlichen Kirchen; die Organisatoren berufen sich gewöhnlich darauf, der Staat komme seiner Pflicht, Flüchtlinge vor existenzieller Verfolgung zu schützen, nicht nach, weshalb eine eigenständige Intervention aus humanitärer Überzeugung nötig sei. Wie berichtet wird, ist die Zahl der Menschen, die in Kirchenasyl genommen wurden, von rund 70 im Jahr 2011 auf derzeit rund 500 gestiegen. Berlin erhöht nun den Druck auf christliche Aktivisten, die sich an der Gewährung von Kirchenasyl beteiligen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat bereits letzte Woche erklärt: "Als Verfassungsminister lehne ich das Kirchenasyl prinzipiell und fundamental ab."[10] Am Wochenende hat er das individuelle Gewähren von Zuflucht nun mit Versuchen von Salafisten verglichen, ihre Interpretation der Scharia gegen geltendes Recht durchzusetzen. "Die Scharia ist auch eine Art Gesetz für Muslime", erklärte de Maizière in einem Interview, "sie kann aber in keinem Fall über deutschen Gesetzen stehen".[11] Mit dem Kirchenasyl verhalte es sich ebenso.
 
Weitere Informationen zur deutschen Flüchtlingsabwehr und ihren Folgen finden Sie hier: Abschotten, abwälzen, abschieben, Das Ende der Freizügigkeit, Grenzen dicht! (I), Grenzen dicht! (II), Willkommen in Deutschland und Folgen des Anti-Terror-Kriegs. (PK) 
 
[1] Klima der Angst: Rassistische Gewalt und Hetze gegen Flüchtlinge in 2014. www.proasyl.de 26.01.2015.
[2] Andrea Dernbach: Dreimal mehr Angriffe auf Asylbewerberheime. www.tagesspiegel.de 10.02.2015. S. dazu Willkommen in Deutschland.
[3] S. dazu Grenzen dicht! (II).
[4] S. dazu Willkommen in Deutschland.
[5] Andrea Dernbach: Dreimal mehr Angriffe auf Asylbewerberheime. www.tagesspiegel.de 10.02.2015.
[6] S. dazu Kein Rechtsstaat mehr.
[7] NRW will Flüchtlingsheime stärker überwachen. www.spiegel.de 30.09.2014.
[8] Willkür und Gewalt statt Landidylle. karawane-muenchen.de 01.12.2014.
[9] Jörg Kronauer: Ein bisschen Hunger, dann gehen die schon. Lotta Nr. 50, Januar 2013.
[10] Reinhard Bingener: Zeit zum Nachdenken. Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.02.2015.
[11] "De Maizières Äußerungen sind völlig unangemessen". Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.02.2015.
 
 


Online-Flyer Nr. 498  vom 18.02.2015



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