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Globales
Steinmeiers Besuch im Maghreb wird autoritäre Strukturen stärken
Die Lage der Freiheiten
Von Hans Georg

Auf seiner Reise in den Maghreb wollte der deutsche Außenminister die neue "Anti-Terror-Kooperation" mit der arabischen Welt vorantreiben. Bei Steinmeiers am Donnerstag gestarteten Besuchen in Marokko, Tunesien und Algerien gehe es neben einer Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit vor allem um den gemeinsamen Kampf "gegen Terrorismus und Extremismus", teilte das Auswärtige Amt mit. Entsprechende Maßnahmen hatte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini schon am Montag zuvor nach Gesprächen mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al Arabi, angekündigt.
 

Steinmeier für gemeinsamen Kampf "gegen
Terrorismus und Extremismus"
NRhZ-Archiv
Demnach soll der Informations-austausch der Geheimdienste intensiviert werden; die EU wird "Sicherheits-Attachés" an ihren Vertretungen in den arabischen Staaten installieren, die zu den jeweiligen Spionageapparaten Kontakt zu halten haben. Experten fordern eine Intensivierung der Geheim-dienstkooperation auch innerhalb der EU. Die Schritte gelten dem Kampf gegen Dschihadisten, die erst wirklich ihren Durchbruch erzielten, als der Westen und seine mittelöstlichen Verbündeten sie im Krieg gegen die Regierungen Libyens und Syriens aufrüsteten. Die "Anti-Terror-Kooperation" trägt nun dazu bei, autoritäre Strukturen zu stärken, gegen die breite Bevölkerungsteile in mehreren arabischen Staaten 2010 und 2011 massenhaft rebellierten.
 
Steinmeier im Maghreb
 
Frank-Walter Steinmeier war zunächst in Marokko eingetroffen und wollte am Freitag nach Tunesien und am Samstag nach Algerien weiterreisen. Offiziell ging es dabei allgemein um den Ausbau der bilateralen, insbesondere der ökonomischen Beziehungen; Steinmeier wurde deshalb von zahlreichen Wirtschaftsvertretern begleitet. Tunesien ist ein bedeutender Niedriglohnstandort deutscher Firmen (german-foreign-policy.com berichtete [1]); Algerien ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen außereuropäischen Erdöllieferanten der Bundesrepublik aufgestiegen - vor allem auch, weil die traditionellen Einfuhren aus Libyen wegen des dortigen Bürgerkriegs nicht mehr gesichert waren [2]. Marokko wiederum soll Berliner Plänen zufolge eine wichtige Rolle in dem inzwischen gescheiterten Wüstenstrom-Projekt "Desertec" [3] spielen; die Bundesrepublik ist deshalb in dem Land trotz des "Desertec"-Stopps noch in ein kostspieliges Windkraft-Projekt involviert. Insbesondere aber sollte es auf Steinmeiers Maghreb-Reise, wie das Auswärtige Amt berichtete, um den gemeinsamen Kampf "gegen Terrorismus und Extremismus" gehen.[4]
 
Epizentrum Libyen
 
Tatsächlich sehen sich vor allem zwei der drei von Steinmeier besuchten Länder - Algerien und Tunesien - einer neuen Welle des Terrorismus ausgesetzt, seit der Westen die Regierung ihres Nachbarstaates Libyen aus dem Amt bombte, zu ihrem Sturz auch mit dschihadistischen Milizen kooperierte (german-foreign-policy.com berichtete darüber [5]) und diesen so zu neuer Stärke verhalf. Die dschihadistischen Milizen in Libyen, die dort mittlerweile einen Ableger des "Islamischen Staats" (IS) gegründet haben, unterstützen ihrerseits Gleichgesinnte im angrenzenden Tunesien; Experten wiesen bereits im vergangenen Frühjahr darauf hin, dass die tunesische Regierung sich gezwungen sah, zwecks Abwehr systematischer Infiltrierung rund 5.000 zusätzliche Soldaten an der Grenze zu Libyen zu stationieren.[6] In Libyen ansässige Dschihadisten hatten schon Anfang 2013 einen spektakulären Terrorangriff auf Erdgas-Förderanlagen nahe des algerischen In Aménas verübt. Aktuell warnen algerische Beobachter, dschihadistische Strukturen operierten erneut nach Algerien hinein.[7]
 
Geheimdienste und Polizei
 
Seit die Dschihadisten nun nicht mehr nur in den Ländern der arabischen Welt terroristische Gewalt verüben - unter anderem zum Sturz im Westen unbeliebter Regierungen -, sondern auch europäische Staaten zu attackieren begonnen haben, reagieren Berlin und die EU mit einer neuen Welle der Repression, die sie systematisch mit Einflussbemühungen in den arabischen Ländern zu verbinden suchen. Zu Beginn der vergangenen Woche hatte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini den Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al Arabi, in Brüssel empfangen, um unter anderem die Geheimdienst-Kooperation zu intensivieren. Demnach soll der "Informationsaustausch" zwischen den Spionageapparaten der EU-Staaten und denjenigen der arabischen Welt ausgeweitet werden; genannt wurden insbesondere Ägypten, die Golfdiktaturen, der Jemen und Algerien - dort wollte Steinmeier am Samstag eintreffen. Auch die Türkei und diverse Länder Afrikas und Asiens sollen einbezogen werden. Die Geheimdienst-Kooperation soll die Stationierung sogenannter "Sicherheits-Attachés" an den EU-Vertretungen in den arabischen Staaten umfassen; sie würden, heißt es, zu den dortigen Geheimdiensten Kontakt halten. Der Ausbau der Repression wird, wie in Brüssel zu erfahren ist, voraussichtlich auch Unterstützung für die Polizeibehörden im Mittleren Osten und in Nordafrika sowie spezielle Maßnahmen gegen den unlizenzierten Handel mit Waffen einbeziehen.
 
Kulturdelegation im Gepäck
 
Offiziell bemühen sich Deutschland und die EU ergänzend um ein breiteres Bündnis mit den Eliten der arabischen Welt. Man müsse "die Wahrnehmung" vermeiden, es gebe einen "Zusammenprall der Zivilisationen", und stattdessen ein "Bündnis der Zivilisationen" gegen den gewalttätigen Dschihadismus anstreben, erklärt die EU-Außenbeauftragte.[8] Außenminister Steinmeier war in Begleitung einer "Kulturdelegation" in den Maghreb gereist, die dem Auswärtigen Amt zufolge dazu beitragen soll, "den gesellschaftlichen Austausch" zu pflegen; dies zielt offenkundig auf eher liberal orientierte, prowestliche Kräfte in der gesamten arabischen Welt.[9] "Wir müssen deutlich machen, dass wir an der politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung der Region Interesse haben, und dass wir bereit sind, die neuen, auf liberale Verhältnisse drängenden Kräfte zu unterstützen", riet Dirk Messner, der Direktor des staatsgetragenen Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. Die Länder der EU müssten um die liberalen arabischen Spektren werben, denn sie hätten zurzeit "bei den ursprünglichen Oppositionsbewegungen des Arabischen Frühlings kein gutes Ansehen" - schließlich hätten sie "die autoritären Herrscher früher unterstützt".[10]
 
Innere Repression
 
Tatsächlich stärken Berlin und Brüssel mit ihrer neuen Repressions-Zusammenarbeit eben jene autoritären Kräfte in der arabischen Welt erneut, gegen die sich Ende 2010 und Anfang 2011 Rebellionen erhoben hatten. Die vom Westen angestrebte Geheimdienst-Kooperation setze die Duldung innerer Repression voraus, wird der Generalsekretär der Arabischen Liga, Al Arabi, zitiert: "Die Zusammenarbeit der Staaten" habe "ihre Grenzen" - etwa dort, wo "die innere Situation eines Landes" betroffen sei, "zum Beispiel die Lage der Freiheiten".[11] In Al Arabis Heimatland Ägypten etwa sind mittlerweile unter dem Vorwand des Kampfs gegen den Terror bei der Niederschlagung von Protesten rund 1.600 Menschen getötet worden; über 15.000 Regimegegner sind - teils ohne Urteil - inhaftiert, darunter Dschihadisten wie Liberale; in weltweit kritisierten Schnellverfahren wurden hunderte Todesurteile verhängt. Ägyptens Repressionsapparate gehören zu den ersten Adressen der neuen "Anti-Terror-Kooperation".
 
Mehr Überwachung
 
Zudem stärkt der Ausbau der Repressions-Zusammenarbeit auch die zuletzt scharf kritisierte innerwestliche Geheimdienst-Kooperation. Dies gilt mutmaßlich auch für die transatlantischen Spionageverbünde, insbesondere aber für die Apparate innerhalb der EU. "Der Austausch zwischen den Sicherheitsdiensten funktioniert besser, als die Öffentlichkeit weiß", wird der Leiter des European Strategic and Security Centre in Brüssel, Claude Moniquet, zitiert: Schwierigkeiten gebe es aber, weil die nationalen Dienste noch nach unterschiedlichen Kriterien und unter divergierenden rechtlichen Rahmenbedingungen arbeiteten.[12] Dies müsse geändert werden. Damit treibt die neue Phase des "Anti-Terror-Krieges" - wie schon die erste - die geheimdienstliche Überwachung auch in den europäischen Staaten voran. (PK)
 
Weitere Informationen zur neuen Phase des "Anti-Terror-Kriegs" finden Sie hier: Vom Westen befreit, Von Kurdistan nach Alawitestan, Das Ende einer Epoche (I), Waffen für die Peschmerga, Das Ende einer Epoche (II), Der zwanzigjährige Krieg, Der Krieg kehrt heim (II), Der Krieg kehrt heim (III), Die nächste Runde in Mittelost, Das Bündnis der Freien und Friedfertigen und Perioden des "Anti-Terror-Kriegs".
 
 
[1] S. dazu Zum Wohle des tunesischen Volkes (I) und Zum Wohle des tunesischen Volkes (II).
[2] S. dazu Die Erdöl-Schutztruppe.
[3] S. dazu Ein gescheitertes Schlüsselprojekt.
[4] Außenminister Steinmeier besucht Maghreb-Staaten. www.auswaertiges-amt.de 22.01.2015.
[5] S. dazu Eine Atmosphäre der Straflosigkeit und Die kommenden Kräfte.
[6] Stefano Maria Torelli: Tunisian Jihadists Establishing New Networks with Libyan Islamists. The Jamestown Foundation, Terrorism Monitor, 31.05.2014.
[7] Nazim Fethi: Algeria border woes affect region. magharebia.com 12.12.2014.
[8] EU tightens security, divisions remain on data exchange. www.ansamed.info 20.01.2015.
[9] Außenminister Steinmeier besucht Maghreb-Staaten. www.auswaertiges-amt.de 22.01.2015.
[10] Messner: "Dschihadismus vergleichbar mit Stalinismus". www.dw.de 21.01.2015.
[11], [12] Christoph Hasselbach: Bessere Kooperation gegen den Terror. www.dw.de 19.01.2015.
 
Diesen Artikel aus dem Blog von german-foreign-policy haben wir mit Dank am 23. Januar übernommen.


Online-Flyer Nr. 495  vom 28.01.2015



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