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Kommentar
Dass jüdische Opfer zu Tätern werden können, ist bei uns noch ein Tabu
Alice Miller in Gaza
Von Anis Hamadeh

Die Forscherin Alice Miller ist durch ihre Untersuchungen von Kindheitstraumata weltbekannt geworden. Ein Dutzend ihrer Bücher ist in 30 Sprachen übersetzt worden. Miller zeigt die Mechanismen, mit denen Opfer zu Tätern werden können, und ebenso die Allgegenwart, ja Zwangsläufigkeit dieser Gefahr. Der Große schlägt den Kleinen und der gibt es irgendwann an die eigenen Kinder weiter, wenn er den Kreis nicht durchbricht. Miller (selbst jüdisches Opfer) untersuchte auch die Nazi-Generation in Deutschland, um nachzuvollziehen, wie es in Deutschland zu einem genozidalen Rassismus kommen konnte. Heute sind die Ergebnisse Millers Standardwissen, niemand stellt ihre Grundthesen prinzipiell in Frage.

Als ich sie einst im Rahmen einer kleinen Korrespondenz fragte, warum sie nie etwas über Palästina geschrieben hat, wo sich jüdische Opfer niedergelassen hatten, um das Land in Besitz zu nehmen, antwortete sie, dass sie keine Interviews mehr gebe - es war kurz vor ihrem Freitod im Jahr 2010. Tatsächlich schrieb sie in einem ihrer Bücher etwas über Israel, aber nie schrieb sie über den Einfluss der Nazis auf die jüdischen Opfer und nie über Palästinenser. Als ich ihr von der Herkunft meines Vaters erzählte, kam ihr sofort der Gedanke, dass ich doch Eltern von Selbstmord-Attentätern interviewen könnte. Die Tatsache, dass auch Israelis diesen psychologischen Mechanismen unterliegen, hat Frau Miller nie angesprochen, wahrscheinlich nicht einmal gemerkt. Dass jüdische Opfer zu Tätern werden können, ist bei uns in Deutschland immer noch ein Tabu. Millers Thesen gelten also überall, bloß nicht im Fall Israel.
 
Aber ist es wirklich ein Zufall, dass es in Israel etwa 60 Rassengesetze gibt? Immerhin hatten die Zionisten - siehe z.B. die Analysen von Lenni Brenner - schon damals die Nürnberger Rassengesetze akzeptiert und teilweise mit den Nazis zusammengearbeitet, um Juden nach Palästina zu bekommen. Wie kann man das ignorieren? Ist die Westbank kein Lebensraum im Osten? Leben die Palästinenser nicht inzwischen in Ghettos? Gibt es keine Angriffe auf die selbstdefinierten Feinde Israels? Gibt es keine Blut-und-Boden-Mentalität in Israel? Benehmen sich Soldaten, Siedler und Politiker nicht wie eine Herrenrasse, die über terroristische Untermenschen herrscht? Nein? Und was ist Gaza, wenn nicht ein genozidaler Vernichtungskrieg? Es gibt kein Friedens-Szenario für Israel, denn Israel hat keinen Vorschlag für einen dauerhaften Frieden. Israel läuft auf den Endsieg zu, so wie wir damals. Die Kernpunkte der nationalsozialistischen Ideologie finden sich in Israel wieder, nicht vereinzelt, sondern systematisch. Sogar in Dokumentarfilmen brüsten sich Geheimdienstchefs damit, Nazi-Methoden zu verwenden.
 
Seit 1947 und vorher hören wir von zionistischen Soldaten, wie sie sich vorstellen, gegen Nazis zu kämpfen, während sie Palästinenser töten und enteignen. Wir lassen uns das nicht mehr gefallen, sagen sie. Aber die Nazis sind schon lange fort. Um sich aus der Opferrolle zu winden, die man in Israel bereits im Kindergarten eingeimpft bekommt, wird man zum Täter. Wer Täter ist, kann kein Opfer mehr sein. Genannt wird das der "wehrhafte Jude". Die Palästinenser leben in dem Land seit Menschengedenken. Sie dürfen keine Armee haben und keine Waffen, damit Israel sie leichter totschießen kann. Jeden Monat verlieren sie Land, das von Israel gestohlen wird. Israel wird geleitet von Mördern und Dieben und das ist kein Geheimnis. Wer eine Mauer auf dem Boden des Nachbarn baut, ist ein Dieb. Wer systematisch Kinder erschießt, ist ein Mörder. Da können die Israelis und ihre Freunde lange auf die Hamas zeigen, wie vorher auf Arafat etc., das ändert gar nichts.
 
Wir haben in Deutschland einen Schlussstrich unter unsere Nazi-Vergangenheit gezogen, aber das darf nicht sein! Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was das Böse an den Nazis war, und dies müssen wir bekämpfen. Was stattdessen geschieht sind Bekenntnisse ohne Sinn und Verstand bei gleichzeitiger Unterstützung Israels. Das ist der Schlussstrich, er wird ironischerweise untermauert vom Bekenntnis, dass es nie einen Schlussstrich geben darf. Der Schlussstrich, das ist zum Beispiel das Verbot, Nazivergleiche anzustellen. Das darf man nicht, weil wir über die Nazizeit nicht sprechen, sondern Bekenntnisse absondern. (Außer wenn wir mit "Nie-wieder-Auschwitz" einen neuen Krieg führen wollen.) Die Nazis waren Außerirdische, die eigentlich nichts mit uns Deutschen zu tun hatten, aber dennoch bestehen wir darauf, die Größten zu sein. Unsere Verbrechen an den Juden waren die schlimmsten, niemand kann uns den Weltmeistertitel im Bösen streitig machen. Man redet gar nicht erst darüber. Schlussstrich.
 
Tatsache ist, dass Deutschland sich nicht schon wieder damit herausreden kann, nichts gewusst zu haben. Deutschland kann sich auch nicht ewig an der Israel-Lüge festhalten, nach der Israel sich verteidigt. Jeder sieht, dass Israel sich nicht verteidigt, sondern Aggressor ist. Israel hat nicht einmal seine Grenzen definiert! Die Politiker, Journalisten und Intellektuellen in Deutschland, die heute Israels Vernichtungspolitik unterstützen oder auch nur dulden, werden zur Rechenschaft gezogen werden. Gabriel etwa, der nur Minister werden konnte, weil er seine Israelkritik zurückgenommen und sich expressis verbis dem Zentralrat der Juden in Deutschland untergeordnet hat. Das wird nicht vergessen. Nichts wird vergessen. Auch nicht die ungestraft agierenden Zündler und Rassisten, die man in Gesellschaften findet wie dem Zentralrat, der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft, den Antideutschen, dem BAK Schalom und den entsprechenden Hetz-Medien. Die angeblich Antisemitismus anprangern und doch nur gegen Muslime und Israelkritiker hetzen wollen.
 
Der Vergleich mit den Nazis ist notwendig, er ist keine Polemik oder besondere Beleidigung. Es ist heute wichtig, endlich zu verstehen, was in der Nazizeit passiert ist. Die Vorfälle stehen eben nicht außerhalb der Geschichte, sind nicht einzigartig und wurden nicht von Außerirdischen verübt. Und wir Deutsche sind viel weniger besonders als wir es vielleicht sein wollen. (PK)
 
Anis Hamadeh (* 1966 in Hamburg) ist ein deutscher Buchautor, Publizist, Islamwissenschaftler, Songwriter und Maler. Sein Vorname Anis ist gleichzeitig sein Künstlername. Er lebt seit 2005 in Mainz und arbeitet freiberuflich. Diesen Artikel hat er auf seiner Webseite http://www.anis-online.de/1/ton/76.htm veröffentlicht.
 


Online-Flyer Nr. 471  vom 13.08.2014



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