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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Globales
Europäische Politik- und Politikerfinanzierung
So undemokratisch wie die EU selbst
Von Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim

Die EU hat sich der Demokratie, der Gerechtigkeit und der Subsidiarität verschrieben. Mit diesen hehren Grundsätzen hat die Realität wenig gemein. Das zeigen etwa die Gehälter der Europaabgeordneten und ihres Präsidenten, aber auch die Finanzierung der europäischen Parteien und Stiftungen, meint Hans Herbert von Arnim. Alle Mitglieder des Europäischen Parlaments bekommen seit 2009 nach Art. 10 des europäischen Abgeordnetenstatuts (AbgSt) ein einheitliches steuerpflichtiges Gehalt von derzeit 8.021 Euro im Monat – das sind 38,5 Prozent der Grundbezüge eines EuGH-Richters.
 

Martin Schulz, der aktuelle Präsident des
Europaparlaments und Großverdiener
NRhZ-Archiv
Bis zum Ende der vergangenen Wahlperiode wurde das Gehalt von den Mitgliedstaaten gezahlt und entsprach der Entschädi- gung von Abgeordneten der jeweiligen nationalen Parlamente. Sie betrug etwa in Bulgarien, Rumänien, den baltischen Staaten oder Polen gerade mal ein Fünftel bis ein Drittel des damals eingeführten Einheitsgehalts. Das war eine wesentlich sinnvollere Regelung. Denn das Gehalt ist für die Verwendung im Heimatland bestimmt (für die Arbeit in Brüssel gibt es zusätzliche Kostenpauschalen) und besitzt damit für Abgeordnete aus den genannten Staaten wegen des sehr viel niedrigeren Einkommens- und Preisniveaus als zum Beispiel in Deutschland den vielfachen realen Wert. Damit werden sogar die Einkommen dortiger Minister- und Staatspräsidenten in den Schatten gestellt.
 
Einheitliche Regelung – uneinheitliche Auswirkungen
 
Der Altersversorgungsanspruch von EU-Abgeordneten beträgt bereits nach einer fünfjährigen Wahlperiode monatlich 1.405 Euro, Art. 14 Abs. 3 AbgSt, und ist damit doppelt oder dreimal so hoch wie das Durchschnittseinkommen in jenen Staaten.
 
Für persönliche Mitarbeiter erhält jeder Abgeordnete auf Nachweis bis zu 21.209 Euro monatlich, Art. 34 Abs. 4 der Durchführungsbestimmungen zum AbgSt (DfBestAbgSt). Damit beschäftigt zum Beispiel der rumänische EU-Abgeordneten George Sabin Cutas neben seinen beiden in Brüssel akkreditierten Assistenten 19 weitere Mitarbeiter in seinem Heimatland. Deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments können sich in der Regel zuhause lediglich drei Assistenten leisten, und das reicht ja auch.
 
Eine einheitliche europäische Regelung, die sich in der Praxis derart krass ungleich auswirkt, macht keinen Sinn. Sie führt zur Verschwendung öffentlicher Gelder und verstößt gegen das Verbot, völlig Ungleiches gleich zu behandeln, Art. 2 Abs. 2 S. 1 EU-Vertrag (EUV). Nach dem Prinzip der Subsidiarität, Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 EUV, dürfte europarechtlich eigentlich nur geregelt werden, was die Mitgliedstaaten nicht mindestens genauso gut können – und hier könnten sie es sogar sehr viel besser.
 
Nur vordergründige Steuergleichheit
 
Die Gleichmacherei ist umso absurder, als Deutschland (und manch anderes Land) bei der Besteuerung den nationalen Besonderheiten durchaus Rechnung trägt und das Gehalt seiner EU-Abgeordneten nicht dem günstigen europäischen Steuerstatut, sondern dem deutschen Steuerrecht unterwirft. Das AbgSt lässt das in Art. 12 Abs. 3 zu.
 
Das soll der steuerlichen Gleichheit dienen. Doch an anderer Stelle wird die Gleichheit massiv verletzt: Der allgemeinen Kostenpauschale von monatlich 4.299 Euro (Art. 26 DfBestAbgSt) und dem Tagegeld von 304 Euro pro Sitzungstag (Art. 24 DfBestAbgSt), beide steuerfrei, stehen regelmäßig keine entsprechend hohen Mandatsausgaben gegenüber, auch nicht bei deutschen EU-Abgeordneten, so dass große Teile dieser Gelder auf ein steuerfreies Zusatzsalär hinauslaufen. Das widerspricht der steuerlichen Gleichheit erst recht.
 
Der früher übliche Versuch, die überzogenen Pauschalen damit zu begründen, sie dienten als Ausgleich für Abgeordnete mit niedrigen Gehältern, ist seit deren Vereinheitlichung auf hohem Niveau ohnehin entfallen. Die Überzogenheit zeigt sich auch darin, dass Bundestagsabgeordnete bei ähnlich hoher allgemeiner Kostenpauschale (4.204 Euro) und nicht wesentlich niedrigeren Aufwendungen kein zusätzliches Tagegeld erhalten. Das EU-Tagegeld ist für Unterkunft und Verpflegung in Brüssel bestimmt. Bundestagsabgeordnete müssen die Aufenthaltskosten in Berlin dagegen aus ihrer allgemeinen Pauschale mitbezahlen. Immerhin hat das Europäische Parlament im April 2014 selbst die Überprüfung der Pauschalen angekündigt. Nicht auszuschließen ist aber, dass sich die entsprechende Entschließung später als eine bloße Beschwichtigungsmaßnahme unmittelbar vor der Europawahl herausstellt.
 
Hinzu kommt, dass deutsche EU-Abgeordnete auch noch in den Genuss erheblicher Zusatzleistungen des Bundestag kommen – so dürfen sie etwa kostenlos mit der Deutschen Bahn fahren, Büroräume, Dienstfahrzeuge, Telefone und elektronische Einrichtungen des Bundestages nutzen (siehe §§ 10 und 10a Europaabgeordnetengesetz). Dass auch diese Regelung überholt ist, weil zur Abdeckung derartiger Leistungen eigentlich die europäische Kostenpauschale bestimmt ist, räumt der Bundestag inzwischen selbst ein.
 
Zulagen für Parlamentspräsident treiben es auf die Spitze
 
Die Verstöße gegen die Steuergerechtigkeit werden beim Präsidenten des Europäischen Parlaments auf die Spitze getrieben. Er erhält ein zusätzliches Tagegeld von 304 Euro – unabhängig davon, ob er in Brüssel oder Straßburg tätig oder sonst als Parlamentspräsident unterwegs ist. Das sind über 9.000 Euro monatlich. Weiter bekommt er eine Residenzzulage von monatlich 3.663 Euro und eine Repräsentationszulage von monatlich 1.418 Euro, alles steuerfrei.
 
Martin Schulz, der aktuelle Präsident des Europaparlaments, bekommt also neben seinem steuerpflichtigen Gehalt vier steuerfreie Pauschalen von insgesamt ca. 18.000 Euro, ohne dass dem ein entsprechender Aufwand gegenübersteht. Zudem verfügt er über zwei Dienstwagen und zwei Fahrer.
 
Auf das Tagegeld will Schulz seit dem 18. April 2014 zwar verzichtet haben, weil er als Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten im Wahlkampf steht. Ganz abgesehen davon, dass er schon vorher Wahlkampf gemacht hat, bezieht er alles andere weiter – im Gegensatz etwa zu den sieben Kommissaren, die ebenfalls im Wahlkampf stehen und deshalb ihr Amt ruhen lassen.
 
Selbstbedienung der Etablierten
 
Bei der Finanzierung der europäischen Parteien und Stiftungen sieht es nicht besser aus. Das europäische Parteienstatut (PartSt) ignoriert sämtliche Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entwickelt hat, um die staatliche Parteienfinanzierung in Deutschland verfassungsrechtlich in den Griff zu bekommen: EU-Geld erhalten nach den im April 2014 noch verschärften Voraussetzungen nur Gruppierungen, die mindestens in zehn Mitgliedstaaten parlamentarisch oder durch EU-Abgeordnete vertreten sind oder in mindestens sieben Staaten drei Prozent der Wählerstimmen bei den Europawahlen erlangt und einen Vertreter im EU-Parlament haben, Art. 3 Abs. 1b und Art. 17 Abs. 1 PartSt.
 
Mit diesen Bedingungen, die für kleine Parteien kaum zu überwinden sind, bedienen sich die etablierten Kräfte im Europaparlament praktisch selbst. Mit der Freiheit der Parteien, wie sie in Art. 12 der EU-Grundrechtecharta niedergelegt ist, ist das unvereinbar.
 
Die etablierten Parteien haben die Diskriminierung ihrer politischen Konkurrenten noch dadurch verschärft, dass 85 Prozent der öffentlichen Mittel nach der Zahl der Mandate im Europaparlament verteilt werden und nur 15 Prozent auch unter denjenigen Europaparteien, die am Eintritt ins Europaparlament gescheitert sind. So kommt es, dass die Europäische Volkspartei und die Europäischen Sozialdemokraten den Löwenanteil der öffentlichen Finanzierung unter sich aufteilen.
 
In Deutschland hat das BVerfG zur Sicherung der politischen Chancengleichheit durchgesetzt, dass Parteien Geld aus der Staatskasse erhalten, wenn sie mindestens 0,5 Prozent der Stimmen bei einer Europa- oder einer Bundestagswahl oder ein Prozent bei einer Landtagswahl erlangt haben; und die Verteilung der Mittel richtet sich nach den erlangten Wählerstimmen sowie den Mitgliedsbeiträgen und kleineren Spenden, § 18 Abs. 3 und 4 Parteiengesetz.
 
Extreme Bürgerferne
 
Mit Füßen getreten wird in der EU auch der Grundsatz der Bürgernähe. So sind die Mitglieder der Europaparteien nicht etwa Bürger, sondern nationale Parteien. Die Eigenmittel dieser Parteibünde müssen nicht, wie in Deutschland, mindestens 50 Prozent ihrer Einnahmen betragen, um die Bürgernähe zu sichern, sondern lediglich 15 Prozent. Diese Quote kann auch mit Zuschüssen nationaler Parteien gefüllt werden, in denen direkt und indirekt ein großer Teil staatlicher Gelder enthalten ist, was dann auf eine bis zu hundertprozentige öffentliche Finanzierung der Europaparteien hinausläuft.
 
Wie solche Parteibünde "zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union beitragen" sollen, was nach dem EU-Primärrecht – Art. 10 Abs. 4 EUV und Art. 224 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) – Voraussetzung für eine europäische Parteienfinanzierung ist, bleibt das Geheimnis ihrer Schöpfer.
 
Darüber hinaus hat die EU auch europäische Parteistiftungen etabliert, obwohl die EU-Verträge allenfalls für die Schaffung von Europaparteien eine Grundlage bieten. Die Finanzierung der Stiftungen aus EU-Mitteln wird im Übrigen an dieselben bürgerfernen Voraussetzungen gebunden wie die der europäischen Parteien selbst. Kleine Parteien werden also auch dabei massiv benachteiligt.
 
Die Ursache der Auswüchse: der Mangel demokratischer Kontrollen
 
Der größte Posten öffentlicher Parteienfinanzierung wird übrigens verdeckt: Die jedem EU-Abgeordneten zur Verfügung stehenden 21.209 Euro für persönliche Mitarbeiter werden stillschweigend auch für Zwecke der Parteien und Wahlkämpfe missbraucht, wie man im derzeitigen Europawahlkampf beobachten kann. Dabei dürfen sie nach dem Abgeordnetenstatut eigentlich nur "für die Ausübung des parlamentarischen Mandats des Abgeordneten und damit in unmittelbaren Zusammenhang" stehende Aktivitäten verwendet werden.
 
Dass es zu derartigen Auswüchsen kommen konnte, beruht auf einer mangelnden demokratischen Kontrolle, wie sie für die EU typisch ist. Eine öffentliche Kontrolle der EU-Institutionen erfolgt nur eingeschränkt, weil es an einer europäischen öffentlichen Meinung fehlt. Das hatte das BVerfG schon im Maastricht-Urteil kritisiert.
 
Aber auch die Ausgestaltung des Europa-Wahlrechts hat ihren Anteil an der Misere. Wegen der starren Wahllisten können die Bürger lediglich Parteien wählen und nicht einzelne Abgeordnete. Es wäre aber wichtig, dass Wähler Politiker persönlich für ihre Beteiligung an oder ihren Widerstand gegen die Missstände verantwortlich machen könnten. (PK)
 
Der Autor Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim lehrt, nachdem er 2005 in den Ruhestand getreten ist, weiter als pensionierter Professor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Er hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zur europäischen Politikfinanzierung veröffentlicht.


Online-Flyer Nr. 460  vom 28.05.2014



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