NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

Fenster schließen

Inland
Deutsche Gewerkschaften, Bundeswehr und Rüstungsindustrie
"Entspanntes Verhältnis"
Von Hans Georg

Die Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sucht erneut den Schulterschluss mit der Bundeswehr und bekennt sich zum Umbau der Truppe in eine global agierende Interventions- und Besatzungsarmee. Entsprechende Aktivitäten der DGB-Spitze richten sich aktuell gegen mehrere militärkritische Anträge der Gewerkschaftsbasis zum am Sonntag beginnenden Bundeskongress der Organisation. Zwar wendet sich auch die DGB-Spitze gegen die Personalwerbung der deutschen Streitkräfte an Schulen und die Kriegsforschung an Universitäten, rückt jedoch gleichzeitig die "gewerkschaftliche Vertretung aller Bundeswehrangehörigen" ins Zentrum ihrer Beschlussvorlage. Die weltweiten Kriegsoperationen des deutschen Militärs werden darin nicht in Frage gestellt - im Gegenteil: Wie die DGB-Spitze erklärt, seien sowohl die "Ermöglichung eines freien und ungehinderten Welthandels" als auch der "freie Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen" integraler Bestandteil "deutscher Sicherheitsinteressen".
 
Beteiligungsorientiert
 
Anlässlich des am Sonntag beginnenden Bundeskongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin spricht sich die Führung der Organisation explizit für die Kooperation mit der Bundeswehr aus. So empfiehlt die von der DGB-Spitze eingerichtete "Antragsberatungskommission" den Delegierten unter anderem, folgenden Beschluss zu fassen: "Der DGB-Bundesvorstand wird aufgefordert, die Frage, ob und in welchen Bereichen eine engere Zusammenarbeit zwischen dem DGB und der Bundeswehr sinnvoll ist, in einer beteiligungsorientierten Form zu überprüfen."[1]
 
Gemeinsame Werte
 
Die Vorlage der "Antragsberatungskommission" richtet sich gegen einen militärkritischen Antrag des DGB-Bundesjugendausschusses, in dem verlangt wird, auf eine "gemeinsame Erklärung" von Gewerkschaft und Bundeswehr zu verzichten. Eine solche Erklärung hatte der scheidende DGB-Vorsitzende Michael Sommer nach einem Treffen mit dem seinerzeitigen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) im Februar vergangenen Jahres in Aussicht gestellt. Wie Sommer bei dieser Gelegenheit äußerte, sei es notwendig, die "gemeinsamen Werte" von Militär und Gewerkschaft zu betonen, um das "lange Zeit historisch belastete" Verhältnis zwischen beiden Organisationen in eine neue Partnerschaft zu überführen (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Offenbar will die DGB-Spitze auch nach dem Rückzug Sommers aus der Organisationsleitung an dieser politischen Linie festhalten.
 
"Sofort einstellen!"
 
Aber der DGB-Bundesjugendausschuss steht mit seiner Kritik nicht allein. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) etwa verurteilt in ihrer Beschlussvorlage die "teils aggressive, teils verdeckte Werbung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit und in Bildungseinrichtungen für den Einsatz von Kriegswaffen und für den Soldat/innenberuf": "Die Aufgaben und Belastungen des Soldatenberufes sowie seine gesellschaftlichen Auswirkungen werden gezielt verharmlost. Die Werbung für Actioncamps und Abenteuerurlaube täuscht bewusst über die Realität des Tötens und Sterbens im Kriegseinsatz hinweg." Ganz ähnlich äußert sich auch der DGB-Bezirksvorstand Nord in seinem Antrag an den DGB-Bundeskongress. Darin werden die Rekrutierungsmaßnahmen der deutschen Streitkräfte zudem als Teil des Umbaus der Truppe zur weltweit agierenden Interventions- und Besatzungsarmee analysiert: "Die Zusammenarbeit von Schule und Bundeswehr ... ist sofort einzustellen. Die Bundeswehr ist seit Ende des Kalten Krieges keine Verteidigungsarmee mehr. Sie dient vielmehr der Durchsetzung außenpolitischer Ziele und der Sicherung wirtschaftlicher Interessen. Dafür sterben seit einigen Jahren junge Menschen. Dies lehnen wir ab."
 
Zivilklauseln
 
Gleichzeitig unterstützen weite Teile der Gewerkschaftsbasis die Implementierung sogenannter Zivilklauseln an deutschen Universitäten; diese verpflichten Bildungsinstitutionen, weder mit der Bundeswehr noch mit der Rüstungsindustrie zu kooperieren. In einer Beschlussvorlage des DGB-Bezirksvorstandes Berlin-Brandenburg an den DGB-Bundeskongress heißt es dazu: "Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften setzen sich auf allen Ebenen und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln in jedem Bundesland dafür ein, dass in den jeweiligen Landeshochschulgesetzen die Verankerung einer sogenannten Zivilklausel erfolgt." Ergänzend erklärt die GEW in ihrem Antrag: "Forschung und Lehre sollten dazu beitragen, Ursachen von Krieg, Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung und die Voraussetzungen für Frieden zu ergründen und nicht militärischen Zwecken dienen."
 
Friedenskampagne
 
Auch der DGB-Bezirksvorstand Baden-Württemberg bezieht in seiner Beschlussvorlage an den DGB-Bundeskongress eine eindeutig antimilitaristische Position. Gefordert wird die Einleitung einer gewerkschaftlichen "Friedenskampagne" noch in diesem Jahr; diese soll sich sowohl mit den Ursachen und Hintergründen der beiden von Deutschland begonnenen Weltkriege befassen als auch die daraus folgenden "Lehren für heute" thematisieren. Die DGB-Gliederung spricht sich in diesem Zusammenhang ebenso für ein Ende der weltweiten Kriegsoperationen der Bundeswehr aus wie für ein Verbot von Rüstungsexporten und den Verzicht auf die Anschaffung von Kampfdrohnen.
 
Staatsnähe festschreiben
 
Die von der DGB-Führung eingesetzte "Antragsberatungskommission" versucht ihrerseits, die genannten antimilitaristischen Initiativen der Gewerkschaftsbasis zumindest teilweise mit einem an den DGB-Bundeskongress gerichteten Änderungsantrag auszuhebeln. Dieser sieht zwar ebenfalls ein Bekenntnis zu "Zivilklauseln" vor und fordert die Bundesländer zur Kündigung von Kooperationsverträgen auf, die den deutschen Streitkräften einen privilegierten Zugang zu staatlichen Schulen verschaffen. Gleichzeitig soll jedoch die Staatsnähe der Gewerkschaft festgeschrieben werden. Der sogenannte Parlamentsvorbehalt, der die Entsendung deutscher Truppen ins Ausland an ein Mandat des Bundestages bindet, wird dabei gezielt gegen die Kriegsgegner aus den eigenen Reihen in Stellung gebracht: "Die Bundeswehr hat sich seit 1990 ... von einer Verteidigungsarmee zu einer Armee für Auslandseinsätze gewandelt. Zu den deutschen Sicherheitsinteressen zählen nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2011 auch die Ermöglichung eines freien und ungehinderten Welthandels sowie der freie Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee bleibt. Der DGB lehnt jede Aufweichung des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr entschieden ab."
 
Belastungen minimieren
 
Damit einhergehend bekennt sich die DGB-Führung in der von ihr lancierten Beschlussvorlage offen zur Mitwirkung an den "aktuellen Umstrukturierungen" der deutschen Streitkräfte. Es sei vorrangige Aufgabe der DGB-Gewerkschaften, die sich daraus für Zivilbeschäftigte und Soldaten ergebenden "Belastungen" zu minimieren und die "gewerkschaftliche Vertretung aller Bundeswehrangehörigen" sicherzustellen, heißt es. Dies gelte "unabhängig von der politischen Kritik an Einsatzkonzepten und dem Auftreten der Bundeswehr in der Öffentlichkeit".
 
Lautstarker Protest
 
Ob das propagandistische Manöver der DGB-Führung Erfolg haben wird, ist allerdings fraglich: Eine groß angelegte Veranstaltung der Gewerkschaftsspitze in Berlin, bei der mit Hilfe von Kriegsbefürwortern aus Wissenschaft und Politik öffentlich der Schulterschluss mit dem Militär vollzogen werden sollte [3], scheiterte erst im Oktober letzten Jahres kläglich. Gewerkschaftsaktivisten hatten lautstark und eloquent ihren Unmut bekundet und so dafür gesorgt, dass DGB-Chef Sommer den Saal vorzeitig verließ. (PK)
 
 
[1] Die hier und im Folgenden zitierten Anträge finden sich in: Deutscher Gewerkschaftsbund (Hg.): 20. Parlament der Arbeit. DGB-Bundeskongress, Berlin, 11.-16. Mai. Satzungsanträge und Anträge nach Sachgebieten mit Empfehlungen. Berlin 2014.
[2] Siehe dazu Entspanntes Verhältnis.
[3] Siehe dazu Entspanntes Verhältnis (II).
 
Informationen zum Thema Zivilklausel und zur „Inititiative gegen Militärforschung an Universitäten“ finden Sie auf der NRhZ-Frontseite bis zurück ins Jahr 2010, wenn Sie dort unter "Suche" den Namen unsers Autors Dietrich Schulze eingeben.
 
Weitere Informationen zum Verhältnis zwischen deutschen Gewerkschaften, Bundeswehr und Rüstungsindustrie finden Sie auf der Webseite http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58862, von der wir diesen Beitrag mit Dank übernommen haben, unter: Deutsche Systemführerschaft, Von nationaler Bedeutung, Entspanntes Verhältnis und Entspanntes Verhältnis (II).
 


Online-Flyer Nr. 457  vom 09.05.2014



Startseite           nach oben