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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kommentar
Die Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern
Ein schmähliches Kapitel
Von Uri Avnery

Wie würden die USA auf die Erklärung der Palästinenser reagieren, sie würden nicht mit einer israelischen Regierung verhandeln, in der halb-faschistische Parteien vertreten sind? Natürlich mit Entrüstung. Wie reagieren die USA auf eine israelische Äußerung, Israel werde nicht mit einer palästinensischen Regierung verhandeln, in der die Hamas vertreten ist? Natürlich mit vollkommener Zustimmung. Für jeden, der am israelisch-palästinensischen Frieden interessiert ist, ist die Aussicht auf eine Aussöhnung im palästinensischen Lager eine gute Nachricht.
 

Ariel Scharon - von 2001 bis 2006
Ministerpräsident Israels
NRhZ-Archiv
Seit Jahren hören wir nun israelische Wortführer verkünden, es sei nutzlos, mit dem halben palästinensischen Volk Frieden zu schließen und den Krieg mit der anderen Hälfte fortzusetzen. Mahmoud Abbas ist ein gerupftes Huhn, wie es Ariel Sharon einmal taktvoll ausdrückte. In Wirklichkeit zählt Hamas. Und Hamas plant den Zweiten Holocaust. Gemäß der neuen palästinensischen Versöhnungs-Vereinbarung ist die Hamas jetzt verpflichtet, eine gesamt-palästinensische Regierung von Experten zu unterstützen, auf die sich beide Parteien geeinigt haben. Die extrem rechte israelische Regierung schäumt vor Wut. Niemals, niemals, niemals wird sie mit einer palästinensischen Regierung verhandeln, die von der Hamas unterstützt wird.
 
Hamas muss zuerst Israel anerkennen, alle terroristischen Aktivitäten einstellen und sich verpflichten, alle früheren von der PLO unterzeichneten Vereinbarungen zu respektieren. Einverstanden, sagt Abbas. Die nächste Regierung wird von mir ernannt und sie wird alle drei Bedingungen erfüllen. Das genüge nicht, erklären Netanjahus Sprecher. Hamas selbst muss die drei Bedingungen annehmen, bevor wir mit einer von der Hamas unterstützen Regierung verhandeln.
 
Abbas könnte in gleicher Weise reagieren: Vor Verhandlungen mit der Netanjahu-Regierung, könnte er sagen, müssen alle an der israelischen Regierung beteiligten Parteien deutlich erklären, dass sie die Zwei-Staaten-Lösung unterstützen, wie es Netanjahu (einmal in seiner sogenannten Bar-Ilan-Rede) getan hat. Wenigstens zwei Parteien, Naftali Bennetts „Jüdisches Heim“ und Avigdor Liebermans „Israel Beitenu“, weigern sich ebenso wie ein großer Teil des Likud.
 
Man könnte sich eine Zeremonie in der Knesset vorstellen, in der jeder Minister der Regierung aufsteht und erklärt: „Hiermit schwöre ich feierlich, dass ich vollkommen und aufrichtig die Schaffung des Staates Palästina neben dem Staat Israel unterstütze!“ Eher wird wohl der Messias kommen. Natürlich ist das nebensächlich. Die Einstellung der einzelnen Parteien oder Minister ist unwichtig. Tatsächlich zählt nur die Politik der Regierung. Wenn die nächste palästinensische Regierung Israel anerkennt, auf Gewalt verzichtet und alle zuvor geschlossenen Vereinbarungen respektiert, sollte das genügen.
 
INWIEWEIT ist die Versöhnungs-Vereinbarung in Palästina eine gute Nachricht für den Frieden? Vor allem, weil man mit einer ganzen Nation und nicht nur mit einer ihrer Hälften Frieden schließt. Ein Frieden mit der PLO ohne Hamas wäre von Anfang an unwirksam. Hamas könnte ihn jederzeit durch Gewalttaten (auch Terrorismus genannt) sabotieren. Zweitens, weil Hamas damit, dass sie sich mit der PLO vereinigt und schließlich der palästinensischen Regierung angehört, die Praktiken der Politik der PLO annimmt. Diese hat schon vor langer Zeit den Staat Israel und die Teilung des historischen Palästinas anerkannt. Wir sollten uns daran erinnern, dass vor der Oslo-Vereinbarung die PLO von Israel (und den USA) offiziell als terroristische Organisation bezeichnet wurde. Zur Zeit der Unterzeichnung auf dem Rasen des Weißen Hauses war die PLO-Charta noch in Kraft. In ihr wurde die Zerstörung des illegalen Staates Israel und die Rückkehr so gut wie aller seiner Bürger in ihre Ursprungsländer gefordert.
 
Viele Jahre lang wurde diese Charta von israelischen Politikern und Akademikern als unüberwindliches Hindernis für den Frieden gebrandmarkt. Erst nachdem die Oslo-Vereinbarung in Kraft getreten war, beseitigte der PLO-Nationalrat in einer feierlichen Zeremonie, der auch Präsident Bill Clinton beiwohnte, diese Klauseln aus ihrer Charta. Hamas hat eine ähnliche Charta. Auch sie wird modifiziert werden, wenn Hamas an der Regierung teilhaben wird.
 
Es ist eine der Ironien der Geschichte, dass Israel in der Vergangenheit Hamas im Geheimen gegen die PLO unterstützte. Während in den besetzten Gebieten alle palästinensischen politischen Aktivitäten unterdrückt wurden, wurden die Aktivitäten der Hamas in den Moscheen zugelassen. Einmal fragte ich den ehemaligen Chef von Schin Bet, ob er Hamas geschaffen habe. Seine Antwort war: „Wir haben sie nicht geschaffen, wir haben sie geduldet.“ Der Grund war, dass damals Arafats PLO als der Feind angesehen wurde. Arafat wurde unerbittlich als „zweiter Hitler“ dämonisiert. Jeder, der gegen Arafat kämpfte, wurde als Verbündeter betrachtet. Diese Haltung herrschte noch ein Jahr lang nach dem Ausbruch der Ersten Intifada vor, als Schin Bet schließlich klar wurde, dass Hamas sehr viel gefährlicher als die PLO war, und anfing, ihre Führer zu verhaften (und später umzubringen). Gegenwärtig herrscht ein nicht erklärter Waffenstillstand (tahdija oder „Ruhe“) zwischen Israel und Hamas. Hamas hat eindeutig beschlossen, dass ihre Bestrebungen als eine der beiden großen palästinensischen politischen Parteien wichtiger als der „gewalttätige Kampf“ gegen Israel seien. Ihr Hauptziel ist es, im künftigen palästinensischen Staat im Westjordanland und im Gaza-Streifen an die Macht zu kommen. Wie so viele ehemalige Befreiungsorganisationen in der Welt – darunter Begins Likud – verwandelt sich Hamas aus einer terroristischen Organisation in eine politische Partei.
 
WIE VORHERSEHBAR, folgen die USA dem Beispiel Israels und akzeptieren seine Grundsätze. Sie bedrohen die Palästinensische Behörde mit einer Art Kriegserklärung für den Fall, dass die Versöhnungs-Vereinbarung umgesetzt wird. Die amerikanische Friedensinitiative ist zum Stillstand gekommen. Die ganze Wahrheit darüber kann und muss jetzt ausgesprochen werden. Sie war schon vor ihrem Beginn zum Scheitern verurteilt. Es gab nicht die geringste Chance, dass sie Früchte tragen werde. Bevor die Tatsachen von einer Propaganda-Lawine verschüttet werden, wollen wir deutlich aussprechen, wie die Friedensinitiative zu ihrem Ende kam: Nicht dadurch, dass Abbas internationalen Körperschaften beitrat, und nicht durch die palästinensische Versöhnung, sondern durch die Weigerung Netanjahus, das feierliche und unmissverständliche Vorhaben zu erfüllen, bestimmte palästinensische Gefangene zu einem bestimmten Zeitpunkt freizulassen.
 
Die Freilassung von Gefangenen ist für die Palästinenser ein äußerst sensibler Punkt. Er betrifft Menschen und ihre Familien. Diese besonderen Gefangenen, von denen einige israelische Bürger sind, sind seit wenigstens 21 Jahren im Gefängnis. Netanjahu besaß einfach nicht die Charakterstärke, sein Versprechen zu halten und der wilden Hetzkampagne, die von der extremen Rechten entfesselt worden war, entgegenzutreten. Er zog es vor, die „Verhandlungen“ zu beenden.
 
DEN AUFTRITT John Kerrys kann man nur erbärmlich nennen. Er begann mit der Ernennung Martin Indyks als Verhandlungsführer. Indyk hat als Angestellter des AIPAC gearbeitet, der Haupt-Lobby der israelischen Rechten. AIPACs Hauptaufgabe ist es, den amerikanischen Kongress so einzuschüchtern, dass dessen Mitglieder – Senatoren und Repräsentanten – beim bloßen Anblick der Vertreter von AIPAC zittern. Einen solchen Mann als überparteilichen Mediator zwischen Israel und den Palästinensern einzusetzen, war einfach die reine Chuzpe. Sie teilte den Palästinensern von Anfang an mit, was zu erwarten war.
 
Der zweite Akt von Chuzpe war, die Gespräche zu beginnen, ohne zuerst von Netanjahu eine Liste der Zugeständnisse zu bekommen, die zu machen er bereit war. Die israelische Seite weigerte sich durchweg, eine Karte mit den Grenzen, die es vorschlug, vorzuzeigen, selbst nachdem die palästinensische Seite ihre Karte gezeichnet hatte. Diese Farce wurde neun Monate lang aufgeführt. In dieser Zeit gab es keinen Zentimeter Fortschritt. Die Parteien trafen sich und redeten, redeten und trafen sich. Abgesehen von Netanjahus lächerlicher Forderung, die Palästinenser sollten Israel als „den Nationalstaat des jüdischen Volkes“ anerkennen, legten sie nichts auf den Tisch. Die kleine Politikerin Zipi Livni sonnte sich im Scheinwerferlicht der glänzenden internationalen Bühne und hätte das am liebsten bis in alle Ewigkeit getan, ohne irgendetwas zu leisten.
 
Auch die palästinensische Seite war an einer Fortsetzung interessiert, auch wenn sie sinnlos war, um die Zeit ohne Explosion im Inneren zu überstehen. Die ganze Übung drehte sich um eine einfache Frage: War Präsident Obama bereit, dem Angriff der vereinigten Truppen von AIPAC, Senat und Repräsentantenhaus, der Republikaner, der Evangelikalen, des rechten jüdischen Establishments und der israelischen Propagandamaschine entgegenzutreten? Wenn nicht, hätte Kerry gar nicht erst anfangen sollen.
 
DIESE WOCHE stellte Kerry in einem privaten Treffen das Offensichtliche fest: Wenn Israel mit seiner gegenwärtigen Politik weitermacht, wird es ein Apartheids-Staat. Das ist keineswegs revolutionär. Der ehemalige Präsident Jimmy Carter benutzte den Ausdruck Apartheid im Titel seines Buches. In Israel tun das unabhängige und linke Kommentatoren Tag für Tag. Aber in Washington DC war die Hölle los. Der unglückselige Kerry beeilte sich, sich zu entschuldigen. Das habe er nicht gemeint, Gott bewahre! Der Außenminister der mächtigen USA bat das kleine Israel um Vergebung. Und der Schlussakkord war ebenso schmählich wie das ganze Musikstück. (PK)


Online-Flyer Nr. 457  vom 07.05.2014



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