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Lokales
Bericht von der Sitzung des Berliner Wasserrates am 27.2.2014
Senat verschleudert Investitionsmittel
Von Ulrike von Wiesenau

Die zweite Arbeitssitzung des Berliner Wasserrates am 27. Februar 2014 ging der Frage auf den Grund, ob und warum ein öffentliches Investitionsmonitoring für die Berliner Wasserbetriebe erforderlich ist. Im Januar 2014 hatte das DGB Bildungswerk Berlin-Brandenburg "Wilhelm Leuschner" e.V. im Auftrag der Stiftung Baugewerbe einen  öffentlichen Fachworkschop „Berlins Kanalsystem am Scheideweg? Was braucht unser Wasser- und Abwassernetz?“ im DGB Haus Berlin abgehalten. Der Berliner Wasserrat hat die Brisanz der Studie erkannt und sie zum Thema der zweiten Sitzung des Berliner Wasserrates gemacht.


Quelle: Berliner Wassertisch
Die Zusammenfassung der Projekt-ergebnisse der dort vorgestellten Studie "Anforderungen an eine nachhaltige Sanierung des Wasser- und Abwassersystems in Berlin – Elemente zur Entwicklung eines Investitionsmonitorings", die vom Bauindustrieverband Berlin-Brandenburg, der Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg und der Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt gestützt werden, stand im Mittelpunkt der Sitzung und wurde von Gerlinde Schermer vorgestellt. In der anschließenden Diskussion kamen die Anwesenden überein, dass ein öffentliches Investitionsmonitoring für die rekommunalisierten Berliner Wasserbetriebe zwingend erforderlich ist.

Um eine Begriffsklärung zum Thema „Kosten und Preise des Berliner Wassers" herbeizuführen, stellte der Aussenhandelsökonom Dr. Hermann Wollner in seinem Vortrag vorab ausgewählte Elemente der Strukturierung von Kosten und Preis des Berliner Wassers vor. Eine Gegenüberstellung von Personaloptimierung und Effizienzgewinn durch Fremdvergabe von Leistungen und eine weitere Gegenüberstellung von Wertabschreibung, Verschleiß, Werterhaltung und "Investitionen“ förderte erhellende Fakten zutage.

Die tiefe Grundüberzeugung, dass die elementare Versorgung mit Trinkwasser nicht Privaten überlassen werden darf, eint weite Teile der Bevölkerung. Wie Recht die Bürgerinnen und Bürger mit dieser Grundüberlegung haben, wurde durch eine erste  Auswertung deutlich. Die Bewertung der Studie durch Wirtschaftsexpertin Gerlinde Schermer bestätigte die Fakten, die Dr. Wollner durch die Überprüfung der Kennzahlen der Berliner Wasserbetriebe analysiert hatte: Die Berliner Wasserbetriebe investieren nicht genug ins Rohrleitungsnetz. Sie bauen Personal ab und kaufen gleichzeitig teure Fremdleistungen ein. Die Schädigung der Substanz wird dabei von den Verantwortlichen in Kauf genommen.

Die Studie berichtet, dass die BWB die Sanierungsstrategie der Wasserbetriebe, die im Jahr 2011 noch unter der Vorherrschaft der privaten Anteilseigner postuliert wurde, fortsetzen wollen. Zwar will der Senat die annähernde Verdopplung der Erneuerungsrate (Sanierung von Kanalabschnitten in Bezug zum Gesamtkanalnetz) durch Effektivitätssteigerungen (z. B. durch Verbundmaßnahmen) erreichen. Doch festzustellen ist, dass mit dieser "Sanierungsstrategie 2011“ das Sollziel für die Erneuerungsrate gegenüber der "Strategie 2008“ um 30 % abgesenkt wurde. Ursprünglich hatte man zum Ziel, bis zum Jahr 2020 eine Erneuerungsrate von annähernd 1 % zu erreichen (d.h. Erneuerung des kompletten Kanalnetzes in 100 Jahren). Doch dieses Ziel wird nach Aussagen der BWB mit der „Strategie 2011“ nicht mehr verfolgt, die Instandhaltung wird stattdessen "gestreckt".

Das Verschieben auf später hat Methode in der Politik, doch insbesondere der Finanzsenator steht nach der Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe in der Verantwortung, ein Verfahren zu entwickeln, das eine öffentliche und transparente Kontrolle der Verwendung der Finanzmittel, die die Berliner Bevölkerung jährlich für die Sanierung des Rohrnetzes über den Wasserpreis bereitstellt, sichert. Dann wird auch ein zentraler Konflikt sichtbar, denn der Senat verwendet diese Mittel zur Einhaltung der Schuldenbremse.

Mit der aktuellen Strategie verantwortet die Politik bei den BWB eine Erneuerungsrate von 0,33 %, was einer Sanierung des Rohrnetzes in 303 Jahren gleichkommt. Bei einer angesetzten mittleren Nutzungsdauer, über die bisher öffentlich keine Informationen vorliegen, und einer kalkulatorischen (betriebsgewöhnlichen) Nutzungsdauer von 30-50 Jahren im Kanalnetz. Einerseits wird eine kurze Nutzungsdauer des Anlagevermögens berechnet, um den Wasserpreis hoch zu treiben, und andererseits wird so getan, als ob eine Sanierung der gleichen Anlagen erst in 303 Jahren nötig sei. Diese Praxis der Berliner Wasserbetriebe, die Nutzungsdauer des Anlagevermögens besonders niedrig anzusetzen, hat schon das Bundeskartellamt bei seinen Untersuchungen zum Preismissbrauch beim Trinkwasser festgestellt, sie korrespondiert mit den Feststellungen der Studie.

Wie das Bundeskartellamt bei der Preismissbrauchsprüfung Trinkwasser feststellte, gibt es in Berlin besonders hohe kalkulatorische Abschreibungen, die ursächlich für die überhöhten Wasserpreise sind. Diese resultieren daraus, dass die BWB im Gegensatz zu den Vergleichsunternehmen einerseits sehr kurze Abschreibungszeiträume (35,1 Jahre für Netze, 19,3 Jahre für Anlagen und 23 Jahre für sonstiges) und andererseits eine besonders hohe Bewertung des Anlagevermögens vornimmt. Beides Faktoren, die die Abschreibungen und
damit die Preise erhöhen. Eine kürzere Abschreibungsdauer pro Wirtschaftsgut erhöht also die jährliche Abschreibung. Je höher aber die normale Abschreibung ist, desto höher ist auch die indexierte Abschreibung nach "Wiederbeschaffungszeitwerten“ (WBZW) und umso höher ist der Wasserpreis.

Aus den Untersuchungen des Sonderausschusses "Wasserverträge" ist bekannt, dass auf diesem Weg jährlich ca. 50 Millionen Euro mehr von den Berliner Wasserkunden eingenommen werden. Auf der Sitzung des Berliner Wasserrates wurde die Frage laut, was der Senat mit diesen zusätzlichen Einnahmen macht. Die Studie weist nach, dass es nicht in den Erhalt des Rohrnetzes fließt, und genau dieser Frage muss öffentlich nachgegangen werden.

Eine wesentliche Erkenntnis von Experten ist, dass eine optimale Strategie zum nachhaltigen Substanzwerterhalt und zur Vermeidung einer Verschärfung des zukünftigen Investitionsbedarfs dann vorliegt, wenn die Erneuerungsrate der angesetzten Nutzungsdauer entspräche und diese mit der kalkulatorischen Nutzungsdauer übereinstimme. Wer also 35 Jahre als Abschreibungsdauer ansetzt, muss auch in 35 Jahren sanieren und nicht erst in 300 Jahren! Davon kann in Berlin keine Rede sein.

Der Berliner Wasserrat unterstützt deshalb alle Organisationen und Verbände, die dazu beitragen, dass für das Wasserversorgungssystem und für das Abwasserentsorgungssystem in Berlin ein transparentes externes Investitionsmonitoring aufgebaut werden kann, um die Maßnahmen zum Substanzerhalt und zur Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie für die Bevölkerung erkennbar und nachvollziehbar darstellen zu können. (PK)

Die Studie ist nachlesbar auf:
http://berliner-wassertisch.net/assets/docs/Handout_Fachworkshop_Kanals
Weitere Diskussionsvorlagen und Papiere können eingegeben werden:
sprecherteam@berliner-wassertisch.net


Zur Autorin: Ulrike von Wiesenau ist Pressesprecherin des Berliner Wassertisches, Mitbegründerin des direktdemokratischen Untersuchungsausschusses "Klaerwerk" und des Berliner Wasserrates.


Online-Flyer Nr. 448  vom 05.03.2014



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