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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Inland
Plädoyer für einen offenen Diskurs – auch in den Kasernen der Bundeswehr
Wir. Dienen. Dem Frieden!
Von Jürgen Rose.

Vor einigen Wochen erschien in dem bekannten bellizistischen Kampfblatt vom Hamburger Speersort das Pamphlet eines Jugendoffiziers namens Dominik Wullers (1) Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr a.D., fühlte sich dadurch zur Abfassung einer Antwort animiert, die er der Politikredaktion der ZEIT (z.Hdn. Dr. Jochen Bittner und Özlem Topcu) – allerdings vergeblich - mit der Bitte um Abdruck zukommen ließ. Die Frankfurter Rundschau brachte daraufhin seinen Text als "Gastbeitrag", aber in gekürzter Form. (2) Im Folgenden können unsere Leser Roses ursprünglichen Beitrag ungekürzt und unverstümmelt lesen - unter dem Aspekt, wie die Leser der ZEIT auf einen militär- und kriegsfreundlichen Kurs zurechtgetrimmt werden:

Bundeswehr-Fußpatrouille in der Nähe von Kunduz.jpg
Quelle: http://soldatenglueck.de
 
Ein stummer Kaufmann ist wie ein zahnloser Löwe, lautet eine alte Weisheit der Werbebranche. In diesem Sinne will ich Ihnen, lieber Kamerad Wullers, neidlos konzedieren: Gut gebrüllt Löwe! Mit Ihrem formidablen Beitrag in der ZEIT neulich haben Sie als Jugendoffizier Ihren Auftrag wirklich professionell erfüllt – ganz so, wie man es von einem gut ausgebildeten Fachmann für Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr selbstverständlich erwarten darf. Sie gestatten mir sicherlich diese Anmerkung, denn ich selbst war vor Jahren an der »Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation« an der praktischen Ausbildung und psychologischen Schulung von Jugendoffizieren beteiligt, unter anderem bei der Instruktion von Spielleitern für die interaktive Simulation »Politik und Internationale Sicherheit« (POL&IS), welche Sie und Ihre Kameraden so erfolgreich in der Öffentlichkeitsarbeit mit Schülern und Studierenden einsetzen.
 
Dessen ungeachtet verdienen die von Ihnen ins Feld geführten Argumente, doch an der einen oder anderen Stelle eine kritische Kommentierung. Sie haben, schreiben Sie, geschworen, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Das habe ich auch und bin heute wie damals überzeugt: Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt. Freilich liegt genau an dieser Stelle der Hund begraben, denn seit dem Ende des Kalten Krieges – den meine Kameraden und ich nota bene gewonnen haben, ohne einen einzigen Feind im Gefecht getötet zu haben – hat die Bundeswehr sich in mindestens drei Fällen an völkerrechtswidrigen Angriffen auf fremde Staaten beteiligt und dabei sowohl das Völkerrecht gebrochen als auch das Friedensgebot im deutschen Grundgesetz massiv verletzt. Zum ersten Mal geschah das 1999 bei der Bombardierung Jugoslawiens, bei der unsere Luftwaffe tatkräftig mitgeholfen hat – das zwingend erforderliche Mandat des Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hierfür lag nicht vor.
 
Beim zweiten Mal beteiligten sich Soldaten des »Kommandos Spezialkräfte« (KSK) der Bundeswehr im Oktober und November 2001 am Einmarsch in Afghanistan und der Beseitigung des Taleban-Regimes – wiederum ohne daß hierfür der UN-Sicherheitsrat das erforderliche explizite Mandat erteilt hätte. Den dritten Fall markiert die massive Unterstützung des „völkerrechtlichen Verbrechens“, so der Hamburger Rechtsprofessor Reinhard Merkel, der USA und ihrer Alliierten gegen den Irak und seine Menschen im Jahre 2003 durch viele Tausende Bundeswehrsoldaten. Ein unmißverständliches Rechtsgutachten seines eigenen Ministeriums, daß die Bundeswehr hierdurch zur Kriegspartei wurde, flagrant ignorierend hatte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck die wortwörtliche Weisung erteilt, die Aggressoren „mit allen Kräften“ zu unterstützen.
 
Widerspruch und Verweigerung wagten lediglich einzelne Offiziere, während die Generäle schwiegen und die ihnen erteilten Befehle ausführten. Das hat lange Tradition – auch schon zu Zeiten der faschistischen Wehrmacht. Deren überlebende Offiziere und Unteroffiziere hatten übrigens unsere Bundeswehr aufgebaut. Was zugleich den nicht zu tilgenden Geburtsmakel unserer Armee markiert, denn bis heute wirkt der unselige Geist der Wehrmachtstraditionen in der Truppe fort (pars pro toto mag die heute noch nach dem hochdekorierten NS-Jagdflieger Hans-Joachim Marseille benannte Unteroffizierschule der Bundesluftwaffe in Appen bei Hamburg gelten). Bis auf den heutigen Tag ist also die Auseinandersetzung der Bundeswehr mit ihrem Traditionsverständnis, na sagen wir mal: verbesserungsfähig.
 
Einer von Ihnen konstatierten „dogmatischen Ideologie des bedingungslosen Pazifismus“ halten Sie die „gelegentliche Richtigkeit militärischer Interventionen“ entgegen. Sehen wir mal ab davon, daß sogar Franz-Josef Strauß, Gott hab‘ in selig, gefordert hatte, daß jedem Deutschen, der Arm verdorren solle, sollte er jemals wieder ein Gewehr anfassen, nachdem die Angloamerikaner im Westen im Bunde mit der Roten Armee im Osten den Deutschen ihr größenwahnsinniger Militarismus gründlich ausgebombt hatten. Wo, um Himmels willen, hat sich denn Ihrer Meinung nach in den letzten Jahrzehnten irgendeine militärische Intervention als erfolgreich erwiesen? In aller Regel ist doch das exakte Gegenteil der Fall: Nachdem Abertausende von Menschenleben geopfert und Abermilliarden von Dollars und Euros verpulvert wurden, verlassen die die Invasionsarmeen letztlich geschlagen das Gefechtsfeld, ob vor Jahr und Tag im Irak oder derzeit in Afghanistan. Demokratie und Menschenrechte lassen sich eben nicht mit vorgehaltenem Colt verbreiten. 
 
Leider reflektieren Sie all das mit keinem Wort, fordern hingegen forsch, es müsse den Jugendoffizieren ohne weiteres erlaubt sein, „Schulen zu besuchen und über die deutsche Sicherheitspolitik zu berichten.“ Sollte es Ihnen tatsächlich um einen offenen, demokratischen Diskurs gehen, stimme ich Ihnen zu, denn wie hatte schon der große englische Liberale in seinem Traktat „Über die Freiheit“ völlig zutreffend konstatiert: „Jedes Unterbinden einer Erörterung ist die Anmaßung von Unfehlbarkeit.“ Insofern gebe ich Ihnen vollkommen Recht, wenn Sie monieren, daß es von einer zutiefst undemokratischen Haltung zeuge, „wenn schon die Diskussion mit Soldaten als böse und falsch verweigert wird.“ Im Übrigen könnte eine Verbotspolitik, was den Zugang von Jugendoffizieren zu den Schulen angeht, sich als durchaus kontraproduktiv und echter „Rohrkrepierer“, um im militärsprachlichen Bilde zu bleiben, erweisen. Denn gemeinhin entfalten gerade die verbotenen Früchte den größten Reiz, wie auch Ihre eigene Biographie beweist, denn Sie selbst sind ja, wie Sie schildern, auch aus „Trotz gegen ein pazifistisches Elternhaus“ Bundeswehroffizier geworden. Also rein mit den Jugendoffizieren in die Schulen – nichts kann mehr zur Entmystifizierung des Militärs und zur Demilitarisierung des Denkens beitragen.
 
Wenn Sie – und die Bundeswehr – zu Recht den offenen, demokratischen Diskurs über die deutsche Sicherheitspolitik einfordern, dann muß dieses Postulat freilich vice versa auch für die Bundeswehr selbst gelten. Das aber bedeutet zwingend: Nicht nur Jugendoffiziere in die Schulen, sondern auch Mitglieder des „kritischen Forums für Staatsbürger in Uniform“, besser bekannt als „Darmstädter Signal“, und Vertreter der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner) hinein in die Kasernen! Denn wie hatte der zuvor erwähnte John Stuart Mill gemahnt: „Alle Versuche des Staates, den Entschlüssen seiner Bürger über strittige Fragen eine einseitige Richtung zu geben, sind von Übel.“ Was das angeht, hat die Bundeswehr Nachholbedarf, und zwar erheblichen. Denn als sich 1983 im „Darmstädter Signal“ Bundeswehrsoldaten zusammenfanden und argumentationsstark die nukleare Abschreckungspolitik der NATO kritisierten, erließ Verteidigungsminister Manfred Wörner prompt einen Ukas, der seinen Jugendoffizieren verbot, öffentlich auf Podien mit Offizieren des „Darmstädter Signals“ zu diskutieren. Und bis auf den heutigen Tag verweigert die Bundeswehr die kontroverse Debatte, hat es keine einzige derartige Diskussionsrunde im Rahmen der politischen Bildung in einer Bundeswehrkaserne gegeben. Die Angst, im Falle des Falles doch nur über die schlechteren Argumente zu verfügen, scheint sehr ausgeprägt in den Reihen unserer sich sonst so tapfer gerierenden Vaterlandsverteidiger. So ganz traut die Bundeswehrführung ihren fleckgetarnten Pappenheimern offenbar nicht. Auf der anderen Seite glaubt man, scheint‘s, mit jungen, unerfahrenen Schülern und Schülerinnen leichteres Spiel zu haben.
 
Also lassen Sie uns eine diskursive Zweibahnstraße bauen, soll heißen: Die Bundeswehr macht ihre Kasernentore auf, und die Zivilgesellschaft läßt die Jugendoffiziere in die Schulen – und dann wird diskutiert, offen, heftig, kontrovers, im besten Sinne demokratischer Streitkultur. Wie fänden Sie das, Herr Kamerad? Neugierig auf Ihre Antwort verbleibe ich mit bestem kameradschaftlichem Gruß,
Ihr Jürgen Rose,
Oberstleutnant a. D. und Vorstandsmitglied des „Arbeitskreises Darmstädter Signal“, Forum für kritische StaatsbürgerInnen in Uniform. (PK)
 
(1) http://www.zeit.de/2013/48/soldaten-deutschland
(2) http://www.fr-online.de/meinung/bundeswehr-in-der-schule-kritiker-in-die-kasernen-,1472602,25593892.html


Online-Flyer Nr. 440  vom 08.01.2014



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