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Lokales
Süddeutsche Zeitung über die Femen-Aktion im Kölner Dom
Halbnackte Wahrheit
Von Hans Leyendecker

Am ersten Weihnachtsfeiertag sprang eine nackte Frau mit bemaltem Oberkörper auf den Altar des Kölner Doms. Der Kölner "Express" und eine Paparazzi-Firma waren - wahrscheinlich nicht zufällig - ganz vorne mit dabei. Wie Femen mit Unterstützung des "Express" professionelle Medienöffentlichkeit suchen und finden, können Sie in diesem lesenswerten SZ-Artikel vom 29.12. erfahren.
  

"Larifari": Femen-Aktivistin Witt auf dem Altar des Kölner Doms.
Quelle: SZ, Foto: dpa
 
Zwei Tage vor Heiligabend, am 22. Dezember um 14.18 Uhr, erhielt der Kölner Dompropst Norbert Feldhoff eine vertrauliche E-Mail. "Wir haben Grund zur Annahme", stand da, "dass zur Weihnachtsmesse, wahrscheinlich zur Segnung durch Kardinal Meisner, eine Protest-Aktion von Mitgliedern der Femen-Gruppe im Kölner Dom geplant ist". Es sei "sehr ratsam", vorsorgliche Maßnahmen "zum Schutze aller" zu treffen. "Höchstwahrscheinlich sind auch ein oder mehrere Vertreter der Presse eingeweiht und zur Aufnahme dieses Protestes anwesend und bereit". Dann erklärte der Warner noch, er sei gegen diese "Art von undifferenzierten Protest-Aktionen", und wünschte ein "Frohes Fest".
 
Im Weihnachtshochamt am 25. Dezember, das um zehn Uhr begann, fand dann die Inszenierung statt. In der ersten Reihe saß die 20-jährige Philosophie-Studentin Josephine Markmann (die sich Josephine Witt nennt), mit Tuch auf dem Kopf und auch sonst verhüllt. Bevor es losging, machte ein Fotograf des Kölner Express ein Foto von der zu diesem Zeitpunkt noch angezogenen Frau. Im Süden des Doms wartete ein Kameramann der Paparazzi-Firma "Hans Paul Media" auf seinen Einsatz.
 
Kräftig strampeln
 
Kaum spielte die Orgel das erste Lied, rannte Frau Markmann alias Witt los; sie riss sich das meiste, was sie trug, vom Leib, der Fotograf hielt sofort drauf, der Kameramann jagte hinterher. Sie sprang halbnackt auf den Altar und rief etwas wie "Gleichheit". "I am God" war auf ihren Leib gepinselt. Die 20-Jährige wurde von herbeigeeilten Männern vom Altar gezerrt, ein Filmchen, das auch auf YouTube zu sehen ist, zeigt, wie sie von einem Kirchenbesucher geohrfeigt und von Männern, die immer wieder "Unverschämtheit" rufen, weggetragen wird. Sie strampelt kräftig. Das lernen Femen, wie sich die halbnackten Frauen nennen, in einem speziellen Training für solche Aktionen.
 
Die besten Bilder von dem Gehampele im Dom hatte natürlich der Express, das beste Video filmte der Mitarbeiter von Hans Paul Media - ohne Profis hätte das alles vermutlich nicht stattgefunden. In der Literatur unterscheiden Rechtsgelehrte zwischen Saal- und Medienöffentlichkeit, gewissermaßen zwischen Lesereportern und Reportern. Femen suchen professionelle Medienöffentlichkeit.
 
"Billiger Krawall"
 
Leider habe nicht er selbst "diese schönen Fotos schießen können" bedauert der berühmteste deutsche Paparazzo Hans Paul, der in Hollywood lebte und seit Jahrzehnten mit solchen Bildern gute Geschäfte macht. Heute "jagt und lebt" er, wie er mitteilt, in "Sydney, Australien".
 
Wer jagte da wen oder was am 25. Dezember im Dom? Ein "Ärgernis" sei das gewesen, "Larifari", "billiger Krawall" schrieb Joachim Frank, Kirchenspezialist und Chefkorrespondent der Mediengruppe M. DuMont Schauberg, zu der auch der Express gehört, in einem Kommentar. Wie kurieren wir die Kirche? - Katholisch sein im 21. Jahrhundert heißt sein neues Buch, das der Verleger Alfred Neven DuMont, der 1964 den Express gründete, herausgegeben hat. In dem Buch geht es natürlich auch um Frauen in der Kirche.
 
Selbst Trude Herr war überzeugender
 
Kuriert Nackedei Witt/Markmann, deren Auftritt zumindest gegenüber den Gläubigen im voll besetzten Dom nicht gerade ein Akt der Toleranz war, die Kirche?
 
Politischer und provokanter, so scheint es, war da schon die Kommune I der Studentenbewegung vor gut vierzig Jahren mit "Agathe" und der "eisernen Dorothee" und den vielen anderen Nackten und Halbnackten, die echte Happenings veranstalteten. Selbst die Kölner Sängerin und Schauspielerin Trude Herr ("Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann") wirkte überzeugender als die "I-am-God"-Pinselei einer jungen Frau mit alias-Namen.
 
Der Kölner Express (Auflage: rund 158.000 Exemplare) tut gern so, als gehöre er zu der Stadt wie der Fußballverein FC, der Karneval, Trude Herr, der Dom und die vielen anderen Kirchen. Aber einzig ist nur der Dom. Die Kölner Redensart "Der muss im Dom beichten gehen", drückt eine mit Schrecken gemischte Ehrfurcht aus, die von ortsansässigen Boulevardjournalisten beherzigt werden sollte. Dompropst Feldhoff jedenfalls ist sauer und mag derzeit mit Leuten vom Express nicht reden.
 
Strafanzeige wegen "Störung der Religionsausübung"
 
Gegen die Aktivistin wurde Strafanzeige wegen "Störung der Religionsausübung" erstattet. Bei einer Verurteilung droht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren; realistisch am Gerichtsstand Köln scheint eine Bewährungsstrafe. Der Fotograf muss möglicherweise mit einem Verfahren wegen Beihilfe rechnen.
 
Die Chefredaktion des Express mochte sich auf Fragen zur Rolle des Blattes bei der Inszenierung nicht konkret äußern. Ein stellvertretender Chefredakteur schwurbelt über "Vertrauenswürdigkeit", "Informantenschutz", und dass das Blatt, wie die Berichterstattung in "den vergangenen Tagen zeige, solche Aktionen "prinzipiell verurteilt": "So missbrauchen Aktivisten unseren Dom", klagt der Express.
 
Nur Hans Paul bleibt klar und gerade. "Aus dem Umkreis" der jungen Frau, schreibt er auf Anfrage, sei die Agentur benachrichtigt worden. "Leider kam unserem Paparazzo in Köln der Express in die Quere und nahm uns die Exklusivität. Dadurch entstand ein Verlust von mindestens 100.000 Euro, was mir eine schlaflose Nacht raubte". Ganz so schrecklich war es dann unterm Strich doch nicht: "Wir konnten noch gut international verkaufen, wie an die englische Sun und auch in die USA und Südamerika". (PK)
 
Diesen Artikel vom 29.12. haben wir mit Dank von der SZ-Redaktion übernommen. 


Online-Flyer Nr. 439  vom 01.01.2014



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