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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Etwas dreht sich fundamental verkehrt in den deutschen Michelköpfen
Michels Wirtschaftswunder
Von Harald Schauff

In Merkelland ist die Meinung unglaublich weit verbreitet, die notorisch arbeitsscheuen Südländer bräuchten nur die Ärmel tüchtig hoch zu krempeln, um sich am eigenen Schopf aus dem Krisensumpf zu ziehen. Als Beispiel führt Merkels Michel gern sich selbst an. Vor gut zehn Jahren galt er als der kranke Mann Europas. Dann kam der Agenda-Schröder, schnallte ihm den Gürtel schön eng, bis ihm fast die Luft wegblieb und drückte ihm den Billighammer in die Hand. Seitdem hämmert der kleine Michel unentwegt. Ein wenig blau im Gesicht vom Sauerstoffmangel klopft er sich durch Krisen hindurch, baut Autos, Maschinen und Panzer für den Export und im Inland Bürobunker, Eigentumswohnungen und Luxus-Lofts für die Minderheit, die sich das leisten kann.

Während Export und Bau brummen, wird dem kleinen Hammerschwinger immer weniger gegönnt. Er kann die Miete kaum noch bezahlen und auch für später kaum noch etwas zurück legen. Gleichwohl ist er überzeugt, die Robustheit der Michelwirtschaft rühre von seiner unbändigen Schaffenskraft, seinem stählernen Leistungswillen. Der habe ihm damals nach dem Krieg bereits den Wiederaufbau und den wundersamen Aufschwung ermöglicht, meint er. Dass er nicht lange davor den Hammer zum Bau von Bomben schwang und wenig später gegen ein Schießgewehr eintauschte, verdrängt er lieber.


Quelle: comixfuzzy.de
Davon unabhängig besteht sein Mythos vom Wirt- schaftswunder ohnehin nicht den Faktencheck. Aller Einsatz des fleißigen Michelmännchens allein hätte den Aufschwung nicht zum Laufen gebracht, erzählt uns eine ARD- Doku. Es waren weder die Geldspritze des Marshall- Plans noch die "soziale Marktwirtschaft" des Zigarrenschmauckers Ludwig Erhard, die das kriegsversehrte Michelland entscheidend aufpäppelten.
 
Die nötige Unterstützung kam vom großen Bruder Uncle Sam. Dieser hatte schon vor dem Krieg Autofabriken in Michelland stehen. Die sollten nun hübsch weiter produzieren. Außerdem sollte das Michelvolk Coca-Cola, Blue-Jeans und andere Aufmerksamkeiten von jenseits des großen Teichs konsumieren. Dafür wurde ihm die Ehre zuteil, dem großen Bruder als Vorposten und Bollwerk gegen das rote Reich des Bösen zu dienen. Deshalb drückte dieser dem Michel den Hammer wieder in die Hand, stellte ihn ans Band und steckte ihm die D-Mark in die Tasche. Er zeigte ihm, wie das Spiel von Angebot und Nachfrage funktioniert und wie man Waren herstellt, die nicht zu lange halten, damit man neue verkaufen kann. Er lehrte ihn, es mit der deutschen Wertarbeit nicht zu übertreiben.
 
Damit Michelchen überhaupt auf die Beine kam, nahm ihm der liebe Uncle die Last der Kriegsschulden von den Schultern: Immerhin 500 Mrd. Euro nach heutiger Kaufkraft. Der Uncle überredete die von Michels braunen und olivgrünen Horden gebeutelten europäischen Staaten, u.a.Griechenland, auf einen Teil der Reparationen zu verzichten. Erleichternd kam noch hinzu: Michelland war nicht so restlos zerstört, wie es Bilder der Wochenschau vermuten ließen. Schon etwas außerhalb der Innenstädte sah es nur noch halb so wild aus. Nebenbei hatten Konzerne wie Daimler-Benz ihre wertvollsten Maschinen wie Karosseriepressen bereits vor Kriegsende in unterirdische Tunnelsysteme verbringen lassen, um sie vor Bombenangriffen zu schützen. Andere hatten während des Kriegs Geld auf Auslandskonten geparkt, auf welches sie später zurück greifen konnten. Der DM-Phoenix aus der Asche fing also vieles an, nur nicht bei Null. Bei allem Fleiß wurde ihm fleißigst nachgeholfen. Auch später: Als Mitte der 60er Arbeitskräftemangel in Michelland herrschte, warb man Gastarbeiter aus Spanien, Griechenland, Italien, der Türkei usw. an.
 
Bis heute wurde Michelland eine Menge aus dem Ausland, nicht nur den USA, gegeben. Mit wem betreibt es schließlich Handel? Was die Folgen des Krieges betrifft, wurde eine Menge vergeben. Doch das vergisst man gerne. Ein Großteil des Michelvolks jammert, es werde ihm ständig etwas genommen. Nicht von reichen Spekulanten und Immobilienbesitzern, sondern von faulen Südeuropäern, für deren Schulden es aufkommen müsse. Nicht von überversorgten Mandatsträgern und Bürokraten, sondern von Armutsmigranten und Asylanten, die in sein soziales Netz einwanderten.
 
Etwas dreht sich fundamental verkehrt in den Michelköpfen. Vor allem dreht es sich nach rechts. Wird unter der Zipfelmütze jemals ein Licht aufgehen? Wird jemals aus der Geschichte gelernt? (PK)
 
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner "Straßenzeitung Querkopf". "Querkopf" ist "eine Mitmachzeitung von kritischen Menschen, denen die gezielte Meinungsmache der allgemeinen Presse gegen den Strich geht. Das Organ für alle, die sich gegen die Willkür der Mächtigen zur Wehr setzen, denen Macht- und Geldinteressen ein Dorn im Auge sind. Mach auch Du Deinem Ärger über die herrschenden Verhältnisse Luft im Querkopf!" Wer "Querkopf" verkaufen möchte: Im Kiosk am Kölner Salierring 15 gibt es die Zeitung von 7-2 Uhr für Verkäufer, die vom Verkaufspreis 1.50 Euro 0,75 Euro erhalten.
 


Online-Flyer Nr. 426  vom 02.10.2013



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