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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Lokales
Die verheerende Zwischenbilanz eines realitätsblinden Prestigeprojekts
Mülheims "Ruhrbania" - die absehbare Katastrophe
Von Lothar Reinhard

Schlimmer geht's fast nimmer! Die Mülheimer BürgerInitiativen und ihre Fraktion MBI im Stadtrat fordern: "Aufwachen! Durchhalteparolen und Ablenkungsmanöver einstellen und versuchen, aus den Trümmern noch das Beste zu machen! Ist schwierig genug!" Die Ratssitzung der Stadt Mülheim am 16. Mai war irgendwie eine Bankrotterklärung der Mölmschen Demokratie. Der MBI-Antrag zur Schadensbegrenzung beim Projekt Ruhrbania wurde von der Tagesordnung gestimmt, während bereits abends auf der Webseite der WAZ nachzulesen war, dass die Baufirma Heine Insolvenz angemeldet hat, der Baubeginn auf Baufeld 2 sich also erneut und auf unbestimmte Zeit verschiebt.

Ruhrbania - Ruhrbetonia
Quelle für alle Bilder und diese Fotomontage: MBI
 
Diese weitere Katastrophe für Ruhrbania war sicherlich den Ruhrbania-Strategen in Verwaltung und Parteien bekannt, doch sie wollten im Rat nicht einmal darüber auch nur reden. Ebensowenig wollte man über die unverhältnismäßige Strafanzeige gegen die Ratskollegin und MBI-Frau A. Klövekorn sprechen, obwohl dies ein ernster Angriff auf die Meinungsfreiheit aller gewählten Mandatsträger darstellt.
 
Nur 2 Punkte wurden länger besprochen. Über das unvermeidliche Ende der Hauptschule Bruchstrasse gar 90 Minuten lang, obwohl die sich mangels ausreichender Anmeldungen selbst erledigt hat, und im nichtöffentlichen Teil dann der um 3 Jahre vorgezogene Beschluss, dass BHM-Chef Dönnebrink medl-Chef Bachmann 2015 und damit 1 Jahre vor dessen Rentenalter ablösen soll, und zwar in Personalunion als BHM- und medl-Chef, ein unlösbarer Interessenskonflikt! Ganz im Sinne des RWE!? (Nebenher ist Dönnebrink übrigens auch noch Geschäftsführer der bereits fast völlig untergegangenen Ruhrbania-Projektentwicklungsgesellschaft!)
 
Himmelschreiende Probleme lieber weg lassen
 
Wie völlig abgehoben muss ein gewählter Stadtrat sein, wenn er sich weigert, über Probleme zu reden, die sich himmelschreiend und bedrohlich aufgetürmt haben und als Ablenkung stundenlang ein ausgelutschtes Dauerthema wie die HS Bruchstrasse wiederkäut und das auch noch völlig ideologisiert. Doch egal: Lassen wir die andere Riesenproblematik weg, dass Mülheim sich nämlich viel zu sehr an den trudelnden RWE-Konzern gekettet hat und das immer weiter tut, und beleuchten nur Ruhrbania, das schwindsüchtige Prestigeprojekt.
 
Die WAZ nannte Ruhrbania einst „Operation am Herzen der Stadt“. Der misshandelte Patient Stadt röchelt ob der massiven Eingriffe höchstens noch, doch die Stadt wiegelt weiter sinngemäß ab: „Wartet ab, bis die Totaloperation fertig ist, auch wenn der Patient auf unbestimmte Zeit trotz offener Schnittstellen nicht weiter operiert werden kann.“ - Zynismus oder Dummheit? Auf jeden Fall aber ist es unverantwortlich, über Schadensbegrenzung nicht einmal reden zu wollen!
 
Versprechen nicht gehalten
  
Bei dem ganzen Desaster mit den gigantisch teuren, aber absehbar vom Scheitern bedrohten Realisierungsversuchen von Ruhrbania fehlen einem inzwischen fast die Worte, weil alles leider noch schlimmer kam, als von den MBI und vielen Bürgern immer und immer wieder vorhergesagt. „Pleiten-, Pech- und Pannen-Projekt“, wie die WAZ es heute nennt, beschreibt das Debakel sehr beschönigend, denn irgendwie musste es so kommen, wenn auch nicht derart drastisch. Schaut man sich die Grundideen des „Strategie“projekts „Ruhrbania-Ruhrpromenade“ an, so wird das bereits deutlich.
 
„Wohnen, Arbeiten und Erleben am Wasser“ war der Leitspruch mit dem Versprechen, damit die Innenstadt näher an den Fluß zu bringen und ein Flair wie Venedig zu schaffen, denn die Ruhr mitten durch die Stadt ist und bleibt Mülheims Haupt-Pfund. Klingt ja rein theoretisch auch nachvollziehbar. Hat aber nicht sehr viel mit den Planungen und der Realität zu tun.















Das Luftbild zeigt die Umrisse des Ruhrbania-Projekts zwischen Schloss- und Nordbrücke, sowie zwischen dem Fluß und der Friedrich-Ebert-Straße. Im Bild drunter die geplanten Baufelder in Orange, dazu die Denkmäler Stadtbad und historisches Rathaus sowie der Kaufhof-Komplex jeweils in grau als Bestand. Um in den orangenen Bereichen Bauland herzustellen, muss und musste die Stadt Mülheim aber ganz viel funktionierende Infrastruktur in der Innenstadt erst leerziehen oder ganz zer- stören (Rathausneubau und Bücherei abreißen, Stadtbad leerziehen (u.a. Rio-Kino, Kulturamt) für Umbau zu Luxuswohn-ungen, ex-Ärztehaus im ehemaligen Stadtbadanbau teuer leerziehen und abreißen und nicht zuletzt das Gartendenkmal als grünes Gesicht der Stadt und die Ruhrstrasse als Hauptverkehrsstrasse zerstören. Jenseits der Eisenbahnbrücke ist noch geplant und beschlossen, Gesundheitshaus, ex-Arbeitsamt und AOK z.T. aufzukaufen und alles abzureißen. Alle 3 overflies am Brückenkopf der Nordbrücke wurden u.a. dafür bereits beseitigt, um eine Asphaltwüste einer verkehrlich kontraproduktiven Riesendoppelkreuzung zu bauen).
 
Was trotz hoch bezahlter Gutachter alles schief ging
 
Das alles konnte nicht gut gehen! Da hätte die Stadt nur ihre eigenen Bürger zu befragen brauchen statt viele hochbezahlte Gutachter zu bestellen oder auf Immobilienspekulanten zu hören!
 
Nur als Beispiele: Um aus der Bücherei Bauland zu machen, musste erst das Medienhaus am Viktoriaplatz neu gebaut werden. Dafür musste aber erst für das vorher dort bestens funktionierende Bürgeramt Ersatz gefunden werden, um das Gebäude abreißen zu können. Also wurde das lange leerstehende ex-Möbelhaus Nohlen langfristig von Privat angemietet und zum neuen Bürgeramt umgebaut, was alleine von den Räumlichkeiten her eine deutliche Verschlechterung zu vorher bedeutet.
 
Oder: Um die Ruhrstrasse als Hauptverkehrsstrasse überbauen zu können, wurden mit Ruhrbania-Baulos 1 und 2 für ca. 30 Mio. € jahrelange Verkehrsumbauten in der gesamten Innenstadt durchgeführt mit dem Ergebnis, dass die vorher bereits unübersichtliche Verkehrsführung nochmals verschlechtert wurde. Für den Kaufhof, das Restrathaus, den Rathausplatz usw. Ähnliches: Sauteuer und im Ergebnis eine Verschlechterung zu vorher.
 
Kurzum: Bisher ging fast alles schief, was für Ruhrbania am grünen Tisch erdacht worden war und im Rat von SPD, CDU, FDP und häufig auch den Grünen beschlossen wurde: Der Projektentwickler Rosco z.B. kam im leeren Kaufhof u.a. deshalb nicht zu Potte, weil die neue Ruhrbania-Verkehrsführung unstimmig ist. Kondor Wessels scheiterte mit den Plänen für ein 4 oder 5-Sterne-Hotel, weil es dafür keinen Bedarf gibt. Genauso scheiterten sie und später der MWB an den Ärztehausplänen, weil an den real existierenden Ärzten vorbeigeplant worden war. Der neu gebaute Stadtbadanbau mit 27 Wohnungen steht wie unverkäufliches Sauerbier seit Jahren fast leer und Vivacon klagt vor Gericht auf Schadensersatz.
 
Die Stadt ihrerseits erließ Vivacon die Tiefgarage für die neuen Stadtbadbewohner im Denkmal, sie erlaubte Kondor Wessels und demnächst dem MWB alles Zusätzliche oder Billigere und blamierte sich selbst bis auf die Knochen mit dem Denkmal(neubau!), der 6 Mio. teuren Rotunde im dann zugebauten Innenhof noch Gartendenkmal noch mehr als bereits beim 4 Mio. teuren Mini-Hafenbecken, alias Wasserwanderrastplatz, von dem Drama um die vielen altehrwürdigen Bäume inkl. Baumdenkmäler ganz zu schweigen (bisher wurden bereits weit über 200 Innenstadtbäume dem Prestigeprojekt geopfert!).
 
Auch das unwürdige Possenspiel vor Jahren um den Standort für die Fachhochschule wurde inszeniert, um Ruhrbania doch noch zum Erfolg werden zu lassen. Dabei hatte man bei der erfolgreichen Bewerbung mit den Ruhrbania-Baufeldern zwischen Eisenbahn- und Nordbrücke nicht richtige Unterlagen eingereicht, so dass der Standort nach peinlichen Hin und Her aufgegeben werden musste, weshalb die neue FH zum Doppeljahrgang nicht mehr fertig werden konnte!
 
Wer sich zudem den an das Restrathaus angebauten gelben Klotz von Kondor Wessels auf Baufeld 1 ansieht, erkennt eher einen Riegel als eine Anbindung an die Ruhr, unabhängig von der gestörten Ästhetik. Von wegen „Stadt näher am Fluß!“
 
Ganz am Rande: 2 von den MBI initiierte Bürgerbegehren gegen den Ruhrbania-Wahnsinn wurden mit bürokratischen Methoden für unzulässig erklärt, wohl wissend, dass eine überwältigende Mehrheit bei einem Bürgerentscheid die destruktiven Ruhrbania-Fantasien beendet hätte!
 
Das Schlimmste aber ist wahrscheinlich, dass der krampfhafte Versuch, Ruhrbania gegen Sinn und Verstand durchzupauken, nicht nur das Vertrauen in die Demokratie vor Ort massiv erschüttert hat, sondern auch, dass für Ruhrbania jedes Mittel recht schien, egal ob nach Baugesetzbuch oder nach Grundsätzen der Finanzplanung erlaubt oder nicht.
 
Bereits die Baureifmachung nur von Baufeld 1 und 2 mit Bauland von nur schlappen ca. 11.000 qm zwischen Schloss- und Eisenbahnbrücke sowie die notwendige Ersatzbeschaffung für zerstörte Gebäude und die Hauptverkehrsstrasse hat die Mülheimer Innenstadt inkl. des nun leeren Kaufhofkolosses durch die jahrelangen Großbaustellen (Kanalbau, Straßenbau, ÖPNV-Umbau, Gebäudeabriss und -neubau) endgültig ruiniert, die Verkehrsführung weiter verschlechtert und die Stadtfinanzen auf Jahrzehnte zerrüttet, wegen der ganzen PPP-Umwegfinanzierungen und vielen Ersatzanmietungen sogar so hoffnungslos, dass Rettung nur noch kommen kann, wenn das Geld kaputt geht. Die eigentlich reiche Stadt Mülheim, u.a. bei der Arbeitslosenstatistik immer ganz unten im Ruhrgebietsvergleich, kann inzwischen selbst mit einer strukturschwachen Rest-Bergbaustadt wie Bottrop bzgl. Innenstadtattraktivität nicht mehr mithalten. „Tolle“ Leistung in der Heimatstadt von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, gell?
 
Wird morgen wirklich schöner?
 
Man fragt sich nur: War und ist das Größenwahn, oder werden die Geschicke der Stadt Mülheim von Traumtänzer/innen geleitet, die auch nicht aufwachen wollen, wenn das Kind bereits tief in den Brunnen gefallen ist. Die MBI versuchen zwar seit Jahren, die politische Diskussion auf den Boden der Realtäten zu bekommen, um aus dem angerichteten Riesenchaos noch das Beste machen zu können. Auch wenn es schwer fällt, werden wir es weiter versuchen, obwohl das hier drüber stehende Foto des Titelblattes von „Ruhrbania Aktuell 01“ schon Anfang 2006 veröffentlicht wurde. „Morgen wird schöner?“ Leider auch übermorgen nicht, was die Ruhrbania-Fehlplanungen angeht! (PK)
 
Lothar Reinhard ist Sprecher der MBI-Fraktion im Mülheimer Stadtrat.
 


Online-Flyer Nr. 407  vom 22.05.2013



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