NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

Fenster schließen

Kommentar
Plädoyer gegen politische Verwirrung
Kleinnazis und Großnazis
Von Elias Davidsson

In der jüngeren Vergangenheit erfuhren wir einiges über Kleinnazis, unter anderem über ihr Verhältnis zu staatlichen Instanzen. Über Großnazis wird aber wenig gesprochen. Wer sind sie? Und wie agieren sie? Um diese Fragen zu beantworten, muss zuerst geklärt werden, welche Rolle Kleinnazis in unserer Gesellschaft spielen, über welche Mittel sie verfügen, und welche Bedrohung von ihnen ausgeht.


Bild: arbeiterfotografie.com

Kleinnazis spielen zumindest zwei Rollen: Die erste ist, sich mit geschmähten NS-Symbolen oder Andeutungen eben dieser zur Schau zu stellen: Mit diesen Symbolen ziehen sie die Empörung der “guten Gesellschaft” auf sich und ermöglichen rechts gesinnten Parteien und Vereinigungen, die auf derartige Symbole verzichten, sich als salonfähig darzustellen. Die zweite Rolle besteht darin, die Aufmerksamkeit und Kampfenergie der Linken und der Antifaschisten auf sich zu ziehen. Dies ist eine Ablenkungsrolle, die erfolgreich praktiziert wird.

Kleinnazis verfügen nicht über Kampfflugzeuge, Drohnen, Panzer oder Atomwaffen. Sie besitzen auch keine Banken und keine Massenmedien. Mit ihren Kleinwaffen können sie zwar einige Menschen umbringen und damit für Schlagzeilen des Tages sorgen. Ihre Präsenz in unserer Wahrnehmung beruht zum großen Teil auf der Bereitschaft der Massenmedien, ihrem Treiben Aufmerksamkeit zu schenken. Sie berühren sonst kaum unsere unmittelbaren Interessen in der Arbeit, in der Schule oder in der Freizeit.

Großnazis vermeiden bewusst die Symbole des Dritten Reiches. Sie tarnen ihre rassistische und militaristische Einstellung mit Geplauder über ihre angeblich demokratische Gesinnung oder durch Betonung ihrer “Freundschaft” zum Staat Israel, der gerade wegen seines offenkundigen Rassismus und Militarismus bewundert wird. Großnazis stellen sich nicht im Rahmen von Straßendemos zur Schau und versuchen nicht, die Öffentlichkeit durch Schlägereien zu schockieren. Im Gegenteil, sie stellen sich im Fernsehen der Gesellschaft als gutbürgerliche, ehrliche Väter und Mütter zur Schau. Das ist auch ihre Rolle. Nur so können sie ihre Macht behalten.


Billd: arbeiterfotografie.com

Großnazis verfügen über beträchtliche finanzielle, polizeiliche und militärische Mittel. Sie können z.B. eine ganze Armee finanzieren und sie in jedes Land entsenden. Das Geld dafür erpressen sie vom Volk mit der Hilfe ihrer Polizei und ihrer Gerichte. Wer nicht bezahlt, wird bestraft. Die Kleinnazis dagegen besitzen solche Druckmittel nicht. Denn sie besitzen keine Armee, keine Panzer, keine Drohnen und keine Kampfflugzeuge.

Ein weiterer Unterschied soll hier erwähnt werden. Während die Kleinnazis von großen Teilen der Gesellschaft als “Neonazis” bezeichnet werden und damit aus der “guten Gesellschaft” ausgeschlossen werden, getrauen sich nur wenige, die Großnazis beim Namen zu nennen. Sie werden als “Politiker”, “Bundestagsmitglieder” oder “Ministerialräte” tituliert. Auch die Verbrecher des Hitlerregimes trugen solche respektvollen Titel, bevor sie in Nürnberg hingerichtet wurden.

Während Diktaturen ihren Willen durch unmittelbare Gewalt durchsetzen, setzt die herrschende Klasse in so genannten Demokratien ihre Interessen in erster Linie durch mediale Täuschung und Manipulation durch. Sogar gut instruierte Beobachter lassen sich durch Sprache und Körpersprache der Politiker einlullen. Das hat auch im Dritten Reich so funktioniert. Nur der Stil hat sich geändert. Damals war es nicht verpönt, vielleicht sogar erwünscht, wenn ein Redner schrie; heute muss der Redner Gelassenheit und Menschennähe zeigen, lächeln und sich nicht aufregen, wenn er Glaubwürdigkeit erwecken will. Der Inhalt ist dabei Nebensache.

Ob man die Herrschenden heute als Großnazis, Faschisten oder sonst wie bezeichnen soll, sei dahingestellt. Mein Anliegen ist lediglich, davor zu warnen, sich im Kampf gegen die Verbrechen auf dieser Welt von falschen Feinden ablenken zu lassen. Wer Randgruppen die Bezeichnung "Neonazis" gibt, in Zusammenhang mit einer kriegstreibenden Regierung aber höfliche politische Begriffe verwendet, trägt zur politischen Verwirrung bei. Aufklärer sollten die gewählten Begriffe an der Realität orientieren. (PK)


Vorab-Veröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 4 (März 2013) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch. Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/

Elias Davidsson ist Komponist, Musiker und Menschenrechtsaktivist. Er wurde 1941 in Palästina als Sohn jüdischer Eltern geboren, die ihre Heimat Deutschland im Rahmen des zwischen Nazis und Zionisten geschlossenen Ha'awara-Abkommens verlassen hatten und nach Palästina ausgewandert waren. 1962 ging er nach Island. Als Rentner kehrte er in die Heimat seiner Eltern zurück und lebt seither in Bonn. Im Zentrum seines politischen Betätigungsfelds steht das Thema Menschenrechte und Terrorismus.


Online-Flyer Nr. 394  vom 20.02.2013



Startseite           nach oben