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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kleiner Spaziergang durch die Republik
War is coming (not)
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Was gibt es zu sehen, wenn wir uns durch die Straßen dieser Republik bewegen? Wir sehen Masten, Regenrohre, Wände, Stromkästen, Müllcontainer, Hauseingänge, Schaufenster, Wartehallen. Was sagen uns diese Ansichten über den Zustand der Städte, über die Verfassung der Menschen in diesen Städten und der Gesellschaft insgesamt? Leben wir in einem Zustand des menschlichen Miteinanders, der Solidarität oder ... des Gegeneinanders und der Gewalt, der Geborgenheit oder der Bedrohung? Was ist es, was die Menschen bewegt: Realität oder Fiktion, Freunde oder Feinde, Feinde oder Feindbilder, Frieden oder Krieg? War is coming (not)? Der Krieg kommt (oder nicht)? Betrachten wir die Botschaften an Masten, Regenrohren, Wänden, Stromkästen, Müllcontainern, Hauseingängen, Schaufenstern, Wartehallen usw.


Berlin-Mitte, 11.1.2013
alle Fotos: arbeiterfotografie.com


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Mitte, 11.1.2013


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Köln, 29.12.2012


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Mitte, 11.1.2013


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Mitte, 11.1.2013


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Mitte, 11.1.2013


Köln-Nippes, 28.12.2012


Berlin-Mitte, 11.1.2013


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Berlin-Kreuzberg, 16.11.2012


Köln, Ritterstraße, 30.1.2013


Jetzt haben wir (ausschnitthaft) einiges gesehen. Welchen Eindruck haben wir gewonnen? Ist das, was wir gesehen haben, typisch, charakteristisch, symptomatisch, repräsentativ für den Zustand der Gesellschaft, der Gesellschaft in Deutschland oder womöglich auch darüber hinaus?

„Die Aufhebung von Unbewusstheit – ein politisch bedeutsamer Vorgang“, ist eine Betrachtung der Psychologin Thea Bauriedl, die eine Verknüpfung von politischem, gesellschaftlichem Leben und der Disposition der  bzw. des einzelnen in diesem Gebilde zum Thema macht. „Die zunehmende Gefahr alles vernichtender atomarer Kriege, die fast unausweichlich näher rückende Gefahr ökologischer Katastrophen und die parallel dazu wachsende Gefahr der weiteren Entdemokratisierung unserer Gesellschaft, alle diese Gefahren haben Ursachen, die in der Unbewusstheit des einzelnen und des Kollektivs zu finden sind.“, schrieb sie bereits 1986 in ihrem Bestseller „Die Wiederkehr des Verdrängten“ – also noch vor dem forcierten Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten Europas und Asiens, etwa ein Jahrzehnt noch vor der ersten deutschen rot-grünen Kriegsbeteiligung nach dem Zweiten Weltkrieg und zweieinhalb Jahrzehnte vor der Feindbildgenierung des (islamischen) Terrorismus als der angeblich weltweiten Bedrohung nach dem (unaufgeklärten) 11. September 2001.

Propaganda mittels Verschiebung von Angst?

Wir blicken in ein Schaufenster und lesen etwas von einem NSU-Skandal. Was ist das: NSU? Zunächst ein Kürzel, das in der Knappheit eine Werbebotschaft darstellt – ganz wie die frühere Automarke aus Neckarsulm. Besteht der Skandal darin, dass ein NSU existiert? Oder besteht der Skandal darin, dass wir nur die Geschehnisse auf der NSU-Bühne sehen, nicht aber, wer das Theater auf der Bühne inszeniert und wer das Stück geschrieben hat? Wie viele der vermeintlichen Akteure hinter der Bühne oder im Orchestergraben sind selbst Bestandteil der Aufführung? Welche Rolle kommt dem Auditorium zu? Geht das Publikum von der Darbietung ergriffen hinaus und verbreitet das fiktiv Wahrgenommene in alle Winde?

Wir betrachten einen Lampenmast und lesen davon, dass Menschen, die sich zu Nazis entwickelt haben, ob jung ob alt, aus welcher Situation heraus auch immer, in einen Fluss geschickt werden sollen. Ist das ein legitimer Wunsch? Oder ist es eine Projektion – vergleichbar mit der Drohung, Menschen ins Meer zu treiben? Feinde müssen vernichtet werden (Streetworker ade). „Da jeder einzelne von uns daran gewöhnt ist, dass er sich von übergroßen Ängsten dadurch befreien kann, dass er seine Angst und damit sich selbst manipuliert, ist auch jeder einzelne ... mehr oder weniger dadurch manipulierbar, dass ihm Gefahren oder Feinde gezeigt werden, vor denen er sich (oder ‘wir uns’) durch gewisse Maßnahmen schützen kann und muss. Jede Propaganda arbeitet mit der Verschiebung von Angst.“, so Bauriedl. Entscheiden wir uns daher für den Angriff oder den „Erstschlag“!?

Ein System, das sich selbst zerstört?

Wir blicken auf eine andere Wand und lesen, dass Krieg naht, und dieser Aussage ein Nein entgegengesetzt ist. Aber ist der Krieg nicht längst allgegenwärtig? Sind Truppen der NATO nicht in fast allen Teilen der Welt unterwegs und verrichten ihr mörderisches Werk? Und ist eine Art von Krieg zur Zerstörung des Sozialstaats nicht in vollem Gange. Was will der Neinsager oder die Neinsagerin wie verhindern?

Wir blicken in ein Schaufenster und lesen etwas von einer Krise Nummer 3. Was für eine Krise ist das? Kommt danach noch die Krise Nummer 4? Oder ist die Krise Nummer 3 die Einstimmung in das Ende eines Systems, das sich selbst zerstört? Erst im Computerspiel und dann in der Realität?

Wir sehen uns in einem Hauseingang um und lesen eine Reihe von Namen: Augustin Blotzki, Farid Gouendoul, Josef Anton Gera, Nuno Lourenço. Was hat es mit ihnen auf sich? Wer kennt sie? Wer hat Kenntnis davon, dass sie alle ermordet wurden – und von welchem unversöhnlichen, mörderischen System?

Glücklich werden mit der Gier?

Die Angst geht um. Angst ist das beste Mittel, Wahlen zu gewinnen. „Ich behaupte, dass wir gerade über die Art von berechtigter Angst endlich wieder genau dahin kommen – könn(t)en: ins eigenmächtige Lebendigsein. Denn erst, wenn wir die berechtigte Angst annehmen, sie zulassen und durch sie hindurchgehen, werden wir frei, emotional frei. Wir kennen nun die Angst, aber auch die anderen Gefühle, denn sie hängen alle miteinander zusammen, und eins ist immer auch das Tor zu den anderen. Das genaue Hinschauen zu dem, was uns aus gutem Grund Angst macht, erweist sich also als Schlüssel zur Beantwortung der Frage, worum es eigentlich geht!“, schreibt die Feministin Claudia von Werlhof im Juni 2012, sich der Zusammenfassung ihrer langjährigen Studien zur „kritischen Patriarchatstheorie“ nähernd. Wobei der Begriff Patriarchat für Herrschaft steht, Herrschaft und Machbarkeitswahn, der unter zivilisationskritischen Aspekten die Erde und die Menschen zugrunde richtet.

Wir sehen ein Regenrohr und lesen von einer Hinrichtung, für die Testpersonen gesucht werden und erfahren in diesem Zusammenhang von einem nach Robert Koch benannten Institut, einer wissenschaftlich arbeitenden Oberen Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums. Ein Fake? Ein schlechter Scherz? Eine bittere Satire?

Wir betrachten ein Regenrohr und erfahren, dass die Möglichkeit, die Erde mehrfach zu zerstören, der Overkill, tot ist. Was bedeutet das? Hat sich die Overkill-Strategie überlebt? Oder gilt weiterhin, was US-Präsident George Bush 1980 auf die Frage, wie man trotz Overkill einen Atomkrieg gewinnt, sagte: „Man muss die Überlebensmöglichkeit der Oberkommandos sichern, die Überlebensmöglichkeit eines Industriepotentials, man muss den Schutz einer gewissen Prozentzahl von Bürgern sichern und eine Kapazität von Waffen haben, die der Gegenseite mehr Schaden zufügt, als sie einem selber zufügen kann, das ist genau der Weg, auf dem man einen Sieger in einem Atomkrieg hat.“ Wissen die Strategen des Kapitals, wohin sie die Welt führen? Glauben sie, dass sie die Welt vernichten können, aber selbst überleben und glücklich werden können – mit ihrer Gier?

Fähigkeit zur Dialektik vom Aussterben bedroht?

Wir sehen auf eine Wand und erkennen, wie sich der Mensch vom Affen zum Pinguin entwickelt. Ist das eine Horrorvision? Für wen? Oder ist das wünschenswert? Ist das der einzige Weg, die Welt vor der Vernichtung zu bewahren? Deutet der Sender dieser Botschaft ein Zurück-zur-Natur an, einer Natur, die besser ohne die krankhaften Zustände von menschlichen Unterdrückungsmechanismen auskommt? Was war noch mal der Unterschied vom Homo sapiens, dem einsichtsfähigen weisen Menschen zum Homo sapiens sapiens, dem modernen Menschen? Adorno forderte ihm die Fähigkeit zur Dialektik ab, die heute eine aussterbende Spezies darstellt. Aufgrund ihres Verschwindens müsste sie unter besondere Schutzmaßnahmen gestellt werden – unter Denkmal-Schutz. Die Psychologin Bauriedl erkennt den Menschen in vermeintlichen Sachzwängen, die sich äußern zuerst in ... Denkzwängen, Einschränkungen des Bewusstseins und der Realitätswahrnehmung“. Wer denkt und die Argumente des anderen anhört, kann feststellen, dass er selbst (vielleicht auch nur teilweise) geirrt hat. Das ist für viele nur schwer zu ertragen. (PK)

Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann sind Mitglieder des Aachener Friedenspreis e.V. und des Bundesverbands Arbeiterfotografie.



Online-Flyer Nr. 393  vom 13.02.2013



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