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Kommentar
Kommentar vom "Hochblauen"
Franziska im Wunderland
Von Evelyn Hecht-Galinski

Immer nur noch freitags kaufe ich die Süddeutsche Zeitung, nachdem ich/wir diese vor über einem Jahr als Abonnentin/nen gekündigt habe/n. Und wieder einmal wurde mir jetzt bewusst, wie sich diese Zeitung nach ihrem Verkauf 2008 an die Medienholding Süd, die aus der Familienholding des Schwarzwälder Boten hervorging, im negativen Sinne verändert hat.
 

Franziska Augstein – 2012 bei den
Römerberggesprächen in Frankfurt
am Main
Quelle: wikipedia
Aktuell fiel mir schon das Bild eines syrischen Kindes auf der Titelseite auf, mit der Unterschrift "Gebrannte Kinder". Hier wurde in einseitiger Art und Weise auf die sicherlich ganz schreckliche Situation der Hunderttausende von Flüchtlingen hingewiesen, besonders eben auch der Kinder. Aber man kann doch nicht nur das Regime und die Machthaber für diese Flüchtlinge verantwortlich machen, wie speziell in der SZ! Haben nicht verschiedene westliche und Golf-Staaten diesen Aufstand mit angezettelt und unterwandert - aus ganz anderen, nämlich geopolitischen Gründen? Ist nicht ein Hauptgrund, Syrien als potenziellen Israel-Feind auszuschalten, um dann den Iran anzugreifen? Sieht man nicht auch im Irak, in Afghanistan, Libyen und anderen Staaten, was aus solchen politischen Einmischungen nach Umstürzen wird? Armut und ethnische Auseinandersetzungen sind die Folge und dazu dann die Krokodilstränen der Medien.
 
Da lobe ich mir einen Artikel aus der Badischen Zeitung vom 29. Dezember, unter dem Titel: "Kein Brot, kein Leben", wo auf die Plünderungen der Getreidesilos durch Rebellen hingewiesen wird, die dann im südtürkischen Gaziantep den gestohlenen Weizen verkaufen! In den sogenannten "befreiten" Gebieten von Aleppo seien dann die Menschen auf die Straßen gegangen um die "Freie Syrische Armee" als "Diebe" zu beschimpfen. An Assads Bomben und Granaten habe man sich inzwischen gewöhnt, betonten die Betroffenen verzweifelt. "Aber ohne Brot bleibt nur die Flucht ins Ausland." So der lesenswerte Bericht von Michael Wrase in der Badischen Zeitung!
 
Wohlgemerkt, ich möchte hier keine Partei ergreifen oder Regime schönreden, aber erschreckend erscheint mir die einseitige Übernahme der politischen Positionen westlicher "Auftraggeber" durch sehr viele Medien, anstatt objektiver Berichterstattung! Und mindestens so schlimm sieht es in der SZ aus, wenn es um den Palästina-Konflikt geht. Ständige Aussenansichten von "Israel-Verstehern", wie Avi Primor, Joschka Fischer und vielen anderen "Israel-Flüsterern". Fischer durfte am Freitag auch wieder einmal als großer "Nahost-Experte" schreiben. Unter dem Titel "Machtlose Fatah", wurde dieser Artikel übrigens bereits vor einiger Zeit im Wiener Standard veröffentlicht. Auch Fischer kommt wie andere "Experten" langsam darauf, dass die Zweistaatenlösung gestorben ist! Aber was für ein Intrigieren gab es von gewissen Experten des Palästina-Business nach der Stuttgarter Konferenz, die dieses Nachdenken schon als Vorreiter übernommen hatte.
 
In diesem Zusammenhang erinnere ich erneut an die Nachfolgekonferenz vom 10. bis 12. Mai 2013 in Stuttgart unter dem Motto "Die Menschen fordern einen Regimewechsel im historischen Palästina". Wir alle, die diese Zweistaatenlösung schon lange für nicht mehr realisierbar hielten, wurden beschimpft und auch persönlich verunglimpft! Aber wie schön, dass auch sogenannte "deutsche Experten" dazu lernen und sich, um nicht völlig isoliert zu sein, schnell dem sich drehenden Wind zuwenden, um nicht ganz umgestürzt zu werden. Es reicht eben nicht die Hoffnung zu verkaufen, das reicht nicht, auch wenn es einträglicher zu sein scheint! Aber irren ist menschlich, errare humanum est!
 

Abdallah Al-Frangi
Kommen wir aber zu dem Grund meines besonderen Ärgers, den diese besagte SZ-Ausgabe mir bescherte, nämlich zu einem Reisebericht von Franziska Augstein auf der ersten Seite des Feuilletons. Unter dem Titel: "Jassir Arafats schwieriges Erbe" gibt es da einen Artikel, der für sich spricht. Franziska besuchte den palästinensischen Diplomaten und heutigen Abbas- Berater Abdallah Al-Frangi in Ramallah. Eine Hofberichterstattung über einen Mann von gestern, der vor allen Dingen aus der Vergangenheit erzählte. Dafür hätte Franziska wahrlich nicht nach Palästina reisen müssen, sondern Al-Frangi auch in Deutschland besuchen können, der ja hauptsächlich hier schon lange wohnt. Aber es ist halt schön, so privilegiert reisen zu dürfen, um dann so viel Wunderliches berichten zu können.
 
Auf Franziska wartete am Tel-Aviver Flughafen ein palästinensischer Herzchirurg, um sie abzuholen, als besondere Anerkennung und Gastfreundschaft des Sohnes eines stolzen Beduinen-Scheichs wie es Al-Frangi ist. Franziska musste also nicht im Taxi kommen, sondern im Auto des Chirurgen, mit einem besonderen Nummernschild am Auto. Damit wird man auch von israelischen Sicherheitskräften nicht lange aufgehalten und kann so flott ins Wunderland des Königs (Abbas) ohne Reich fahren. So vergisst Franziska auch schnell die Apartheidmauer, die sich durch palästinensisches Land zieht, sie sieht lieber links und rechts von der Straße Mauern, ähnlich denen, die auf deutschen Autobahnen als Schallschutz aufgebaut sind - ein schöner Vergleich, der den jüdischen Staat sicher freuen wird. Sie schreibt zwar auch, dass durch diese Mauern Familien von ihren Verwandten getrennt werden, aber das scheint wirklich alles nicht ganz so schlimm. Sie stellt auch die überaus intelligente Frage, ob das Leben in den eigentlich illegalen, aber von der israelischen Regierung geförderten Siedlungen, nicht den Eindruck von Mini-Ghettos mache und dort zu leben, furchtbar sein muss. Doch das verneint Abdallah Al-Frangi, weil diese Siedlungen dermaßen gut subventioniert würden, dass ihre Bewohner einen besseren Lebensstandard hätten, als viele andere Israelis.
 
Klar, auch die Palästina-Behörde und ihre Berater haben ein besseres Leben, als ihre "Untertanen", da kennt er sich aus. War er doch vor kurzem aus Gaza-Stadt zurückgekehrt, wo er Verhandlungen führte, als Vertreter der Fatah mit der Hamas. Die Verhandlungen liefen angeblich gut! Sieht aber die Wirklichkeit nicht so aus, dass sich Ernüchterung in Palästina breit macht, da die meisten Palästinenser kaum noch über die Runden kommen und sich durch die Abbas-Behörde nicht mehr gut vertreten fühlen, auch nicht durch die Ankündigung, dass eine nationale Einheit mit der Hamas auf dem Zwei-Staaten-Konzept basieren muss? Welch eine Illusion! Hat doch gerade diese Behörde ohne Mandat sich schon mit den Besatzern arrangiert, aber auch das hat ihnen nichts genutzt. Eine dritte Intifada liegt in der Luft, auch unter Fatah-Anhängern beginnt diese Meinung offene Ohren zu finden, da die sogenannten Friedensverhandlungen bis heute zu nichts geführt haben. Da erscheint es mir auch mehr als bedenklich, wenn Abbas, sollte es nach der vorgezogenen Neuwahl in Israel keine Fortschritte bei den Friedensverhandlungen geben, damit droht, die gesamte Verantwortung über das Westjordanland an Netanjahu zu übergeben und ihm den symbolischen Schlüssel für die Autonomiebehörde zu übergeben.
 
Ja, das passt zu dieser PA, hatte er nicht auch schon den palästinensischen Schlüssel des Rückkehrrechts aus der Hand gegeben? Worüber will diese Behörde eigentlich noch mit Israel verhandeln? Über das unverhandelbare, ungeteilte Jerusalem, als ewige Hauptstadt eines jüdischen Staates, oder über Gebietsaustäusche, wie sie der deutsche Außenminister Westerwelle schon vorgeschlagen hatte? Oder aber über die endgültige ethnische Säuberung und die Vollendung der Nakba und des sich anschliessenden Transfers der Palästinenser nach Jordanien oder sonst wohin? Welche Friedensverhandlungen sollen denn mit Israel, dem Regime der einzigen Demokratie im Nahen Osten, mit der ausgestreckten (leeren) Hand, ohne Vorbedingungen (die Tatsachen sind ja alle schon geschaffen) eigentlich noch geführt werden?
 
Zurück zu Franziska und Abdallah im Wunderland: Solche Fragen wurden natürlich nicht erörtert, nein, Al-Frangi schwelgte in der Vergangenheit über Arafat. Wenigstens war Arafat noch ein Mann der klaren Linie und hätte sein Volk nicht so verkauft wie seine "Erben". Dann aber kam der eigentliche "Hammer": Al-Frangi sagte folgende völlig die wahren Tatsachen verdrehenden Sätze, eigentlich ganz im Sinne von Israel: "Dass die Fatah mit der Hamas jetzt ohne Vorbehalte verhandeln kann", liege - so Al-Frangi - auch daran, dass die Hamas den Acht-Tage-Krieg nicht vom Zaun gebrochen habe: "Das war eine andere Gruppierung, sie nennt sich 'Volksfront', die nahe der Grenze einen israelischen Jeep attackiert hat". Die israelische Regierung, sagte er, habe das gewusst, habe aber die Gelegenheit genutzt und erklärt, die Hamas sei verantwortlich für die Sicherheit in Gaza, ergo müsse man nun die Hamas und den Gazastreifen militärisch zur Räson bringen!
 
Angesichts dieser Darstellung des letzten Gaza-Massakers, das die israelische Kriegsarmee unter dem poetischen Namen "Säule der Verteidigung" anrichtete, bleibt selbst mir die Spucke weg! Waren es nicht die Ermordung eines fußballspielenden Jungen, das gezielte Ermorden eines Hamas-Führers und die danach als Vorwand genommenen Raketen aus Gaza, die dann zur Rechtfertigung des schrecklichen Angriffs durch das israelische Regime führten - mit mehr als 160 Toten unter der Zivilbevölkerung im ungeschützten und eingeschlossenen Gaza?
 
Fazit dieser schönen Reise vor Weihnachten in Franziskas Wunderland: Was für eine verpasste Gelegenheit! Warum nicht nach Bethlehem, um dort die wirklich schrecklichen Auswirkungen der Apartheidmauer für die einheimische Bevölkerung zu sehen, oder aber nach Gaza, um von dort die Folgen der israelischen Zerstörungen zu beschreiben? Vielleicht wären Sie dann nicht ganz so privilegiert abgeholt worden, Franziska Augstein, aber Sie hätten die wahre Lage Palästinas schildern können! Dazu braucht es keines Gesandten und Mannes von gestern, sondern dazu braucht es die Leute von heute, die es auch gibt, die man nur besuchen muss! Wie heißt es so schön? Reisen bildet, aber diese Reise war nicht bildend für die Leser, sondern eingebildet und einseitig, wieder eine verpasste Chance, aber SZ-like.
Auf ein gerechteres und friedlicheres 2013, auch und gerade für Palästina!
 
P.S. Warum nimmt sich Franziska Augstein nicht ein Beispiel an ihrem Bruder Jakob Augstein? Der hatte gerade die Ehre, auf einer Hetzliste des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles auf Platz 9 der Antisemiten zu landen. Eine schlimme Vereinigung, die selbstgerecht (die einzig existierende Gerechtigkeit) Israelkritiker als Antisemiten auszeichnet. Anstatt sich dagegen kritisch zu verwahren, meinte Augstein nur, dass dieses Center "eine wichtige, anerkannte Einrichtung sei"! Wichtig, ja aber doch nur als Hetz-Diffamierer, oder? Oder wie kann man es sonst bezeichnen, wenn dieses Center die EU-Nahostpolitik als antisemitisch diffamiert. Es ist eine typische Hasbara (Propaganda) -Organisation, mit ihrer jährlich erneuert erscheinenden Antisemitismus "Hit-Liste". Bleiben Sie am Ball Herr Augstein, auch gegen Broder und ähnliche selbsternannte deutsche Antisemitismus-Ankläger und -Spezialisten! Und geben Sie doch Ihrer Schwester Franziska auch etwas Nachhilfe zu diesen Themen! (PK)

Von der Autorin empfohlene Links zu diesem Kommentar:  
 
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vor 2 Tagen – Süddeutsche Zeitung · Home » Feuilleton: Jassir Arafats schwieriges Erbe · Ein Besuch bei dem palästinensischen Politiker und Diplomaten ...
http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/kein-brot-kein-leben--67593941.html
http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/hirte-ohne-weide--67416898.html
http://www.taz.de/Jakob-Augstein/!108179/
http://latuffcartoons.wordpress.com/2012/12/28/according-to-simonwiesenthal-center-im-the-3rd-most-anti-semitic-for-slandering-israel/
http://www.spiegel.de/politik/ausland/palaestinenserpraesident-abbas-will-friedensgespraeche-mit-netanjahu-a-874888.html
http://www.freitag.de/autoren/emran-feroz/nahost-experte-joschka
http://www.freitag.de/autoren/emran-feroz/apartheidstaat-israel
 
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Mann Benjamin Hecht lebt.
 
 
 


Online-Flyer Nr. 387  vom 02.01.2013



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