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Lokales
Ein SPD/CDU-"Haushalt" 2013, der diesen Namen nicht verdient
Beispiel Mülheim an der Ruhr
Von Lothar Reinhard

Der Mülheimer Stadtrat beschloss am 19. Dezember den Haushalt 2013 mit einem Loch trotz Haushaltssicherungs“konzeptes“ von sage und schreibe 93 Millionen Euro, aber einem fiktiven Haushaltsausgleich für ungefähr 2023 auf dem Papier! Das hat zwar „haarscharf“ die Schuldenbremse des Grundgesetzes ab 2020 verfehlt, doch die ist in und für NRW sowieso nur eine Schimäre. Es ist einfach unglaublich. SPD und CDU beschlossen einen Haushalt, der den Namen nicht verdient, weil es mit Haushalten überhaupt nichts mehr zu tun hat!


Quelle: MBI
 
Dortmund hat ca. 3,5mal so viele Einwohner wie Mülheim und auch ein ungefähr 3,5mal so großes Haushaltsvolumen mit ca. 2 Milliarden €. Dort regt sich die CDU auf, dass Rot-Grün heute einen Etat mit einem 70 Mio.-Loch verabschiedet bei Kassenkrediten von 1,3 Mrd. €. Die Begründung des dortigen Kämmerers Stüdemann: „Dortmund muss handlungsfähig bleiben!“ Der CDU-Vorsitzende Kanitz fragte dazu öffentlich: „Bleibt Dortmund mit diesem Haushalt tatsächlich handlungsfähig? Ist eine Strategie erkennbar, die eine echte Entschuldungsperspektive aufzeigt und Dortmund auch zukünftig handlungsfähig bleibt? Wir als CDU meinen nein!“ Was würde er erst sagen, wenn Dortmund analog zu Mülheim ein Loch von 3,5 mal 93 Mio. = 325 Mio. € als Haushalt beschließen würde und ca. 2,5 Mrd. Kassenkredite?
 
Der Mülheimer Haushalt ist derart aus den Fugen, dass für die Haushaltssicherung auf dem Papier, das bekanntlich geduldig ist, die ca. 8 Mio. erhofften Mehreinnahmen durch Anhebung der Grundsteuer B auf 650% und vor allem die erhofften 25 Mio. Mehreinnahmen pro Jahr bei einem Gewerbesteuersatz von 580% (heute 480%) einen fiktiven Haushaltsausgleich bringen, der sich aber real nie einstellen wird! Da seit letztem Jahr der Haushaltsausgleich auf dem Papier ohnehin erst in 10 Jahren erreicht zu werden braucht und nicht mehr in 4 Jahren, wird dann mit derartigem utopischem Zahlenwerk vielleicht der Regierungspräsident zufrieden gestellt, die Realität aber nicht!
 
MBI-Etatrede 2012 zum Haushalt 2013
 
Mit der Ablehnung der erhofften über 400 Mio. Euro Schuldentilgung durch den sog. „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ des Landes NRW hätte auch die letzte Hoffnung für „Weitermachen wie gehabt“ bereits Ende Mai vom Winde verweht worden sein müssen. Doch meilenweit gefehlt! Die finanzielle Lage der Stadt Mülheim ist nämlich dramatisch:
 
Allein 2011 gab es wieder Allzeitschuldenrekorde mit einem 132 Mio. Euro-Haushaltsloch und 616 Mio. Euro-Kassenkrediten bei insgesamt „nur“ 467 Mio. Euro Gesamteinnahmen -  und das bei boomender Wirtschaft und den historisch niedrigsten Zinsen aller Zeiten! (Zum Vergleich: Beim ersten nicht genehmigten Haushalt, dem Doppelhaushalt 1998/99, betrug das Haushaltsloch 27 Mio. DM (nicht Euro!), also ca. 10% der Neuschulden allein von 2011, und kurzfristige „Kredite zur Liquiditätssicherung“ = Kassenkredite = Überziehungskredite waren damals kaum bzw. überhaupt nicht nötig. 2011 dagegen musste der Kämmerer insgesamt bereits astronomische 616 Mio. Euro = über 1,2 Milliarden DM (!) Kassenkredite aufnehmen.)
 
Die Haushaltslage unserer Stadt ist trotz einer (noch) sehr robusten Wirtschaft und für das Ruhrgebiet stets niedriger Arbeitslosigkeit schwindelerregend katastrophal. Alleine die Kassenkredite wuchsen und wachsen seit 2004 exponentiell und gehen auf die Milliardenschallgrenze zu! Seit 10 Jahren hat die Fraktion der Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) genau dieses fast hoffnungslose Desaster Jahr für Jahr vorhergesagt und davor gewarnt, doch es kam sogar noch schlimmer.
 
Die gigantische Verschuldung aus den letzten Jahren ist längst jenseits von Gut und Böse und hat eine Eigendynamik entwickelt, die mit herkömmlichen Sparmaßnahmen wie im vorliegenden Etat der Kämmerei oder im SPD/CDU-Antrag nicht mehr in den Griff zu bekommen ist! Vielleicht haben sich auch deshalb in diesem Jahr Etatberatungen in Mülheim irgendwie ins Nirwana geflüchtet?!
 
Haushaltssanierung in Mülheim? Fehlanzeige!
 
Bei dem Zahlenwerk des Kämmerers kommt man ohnehin arg ins Zweifeln. Wenn doch der Absturz der Dividende der RWE-Aktie von 3,50 in 2011 auf 2 Euro in 2012 bereits Millionen Mindereinnahmen bedeutete, wenn der Kämmerer seit längerem die gesunkenen Gewerbesteuereinnahmen trotz Wirtschaftsbooms beklagt und wenn dann noch die Lohnabschlüsse im öffentlichen Dienst viele Mio. Euro Mehrausgaben bedeuten, so wundert zwar die ungebremste Explosion der Kassenkredite nicht, umso mehr erstaunt aber, dass für 2012 über 100 Mio. Euro (angebliche) Mehreinnahmen (immerhin 23% mehr als im Vorjahr, woher auch immer?) angesetzt sind, die dennoch irgendwie vollständig verpuffen. Doch egal:
 
Zu den ganz großen Haushaltsrisiken wie evtl. steigende Zinsen und abflauende Wirtschaft kommen als absehbare weitere Probleme u.a. die viel zu große Abhängigkeit der Stadt von der Entwicklung des immer noch trudelnden RWE-Konzerns und die zu erwartende sog. „Abundanzumlage" des Landes hinzu.
 
Niedrige Dividende für die zig Millionen RWE-Aktien gefährden die gesamten Nebenhaushalte der BHM und ihrer Töchter sowie der Stiftungen, hauptsächlich der Stinnes-Stiftung, die an vielen Stellen und Projekten originäre Aufgaben der Stadt übernommen hat, vom Stadionumbau bis zum stadtgeschichtlichem Museum u.v.m.. Unterm Strich wird der Kernhaushalt die Millionenlöcher durch den Einbruch der Aktiendividende ausgleichen müssen.
 
Da Mülheim nicht in den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ aufgenommen wurde, wird es sich nach den Plänen des Landes auch noch zusätzlich an der Finanzierung des „Stärkungspakt 2“ beteiligen müssen. Etwa ein Drittel soll nämlich über die „Abundanzumlage“ durch die „stärkungsfreien“ Städte und Kreise aufgebracht werden.
 
Selbst wenn diese enormen Haushaltsrisiken nicht bestünden (von der immer noch völlig ungelösten Eurokrise ganz zu schweigen), hätte längst ein grundlegendes Umsteuern der gesamten Stadtpolitik Mülheims einsetzen müssen, um die Haushaltspolitik noch in den Griff bekommen zu können, damit wenigstens in ein paar Jahren Einnahmen und Ausgaben wieder deckungsgleich werden könnten. Genau das Gegenteil geschah und geschieht weiter: Der Sockel der unabänderlichen Ausgaben erhöhte sich ständig, nicht zuletzt durch eine Flut von Großprojekten und das häufig noch per Umwegfinanzierung über PPP-Finanzierung, während die Einnahmen bei schrumpfender Bevölkerung zurückgingen trotz aller Gebühren- und Steuererhöhungen.
 
Auch im Etat 2013 versteht der Kämmerer Haushaltssanierung erneut vornehmlich als Einnahmensteigerung trotz schrumpfender Bevölkerung und sinkenden verfügbaren Einkommen, inzwischen eben auch der mittleren Einkommensschichten.
 
Was also tun, um dem perspektiv- und hoffnungslosen Haushalt der Stadt Mülheim trotz nicht mehr korrigierbarer Fehler der letzten Jahre eine Zukunft ohne Crashkurs zu geben?
 
Ohne Zweifel muss in dieser bedrohlichen Situation endlich der Solipakt Ost für überschuldete Städte wie Mülheim sofort abgeschafft werden. Ebenso müsste es schnell eine grundlegendere Reform der Kommunalfinanzierung geben. Auch müssen alle Möglichkeiten interkommunaler Kooperation sofort und endlich ernsthaft geprüft und umgesetzt werden. All das fordern die MBI seit über 10 Jahren und inzwischen wollen das angeblich fast alle auch, doch außer klugen Sonntagsreden ist wenig passiert.
 
Natürlich muss auch das Konnexitätsprinzip durch Land, Bund und EU endlich konsequent und ausnahmslos angewandt werden. Ferner muss ein Entschuldungsfonds für hoch verschuldete Städte eingerichtet werden, weil viele Kommunen ansonsten nie mehr der hoffnungslosen Lage entkommen.
 
Doch all das, sofern es denn hoffentlich bald und wirklich umgesetzt würde, könnte nur helfen, wenn auch der Eigenanteil an der gigantischen kommunalen Verschuldung Stück für Stück reduziert wird. Und der ist im Falle unserer Stadt Mülheim sehr hoch und für jeden sichtbar. Prof. Blotevogel hat für die Stadt Hagen nachgerechnet, dass ca. zwei Drittel der Hyper-Verschuldung selbstgemacht sind und nur ca. 30% durch die Unterfinanzierung der Kommune. In Mülheim dürfte der selbstverschuldete Eigenanteil eher höher liegen!
 
Wir haben zwar weniger mit swaps verzockt als Hagen, aber dafür eine noch atemberaubendere Verschwendung für unzählige Gutachten, immer neue Pöstchen, Räume anmieten, Hochglanzbroschüren u.v.m....
 
Was müsste die Stadt selbst tun, kurz- mittel und langfristig?
 
I.) Beschlossene zukünftige große Luxusausgaben ohne erkennbare dringende städtebauliche Notwendigkeit müssen unverzüglich aufgegeben werden. Ansonsten werden alle HSK-Maßnahmen inkl. der geplanten Steuer- und Gebührenerhöhungen in den nächsten Jahren alleine davon mehr als aufgezehrt. Dazu zählen vorrangig:
 
a) Ruhrbania Baufeld 3-5 zwischen Eisenbahn- und Nordbrücke: Auch noch
    Gesundheitshaus, ex-Arbeitsamt und die AOK (nach deren Ankauf!)
    abzureißen und Ersatzgebäude anzumieten oder per PPP u.ä. zu errichten,
    wäre extrem kostspielig und zur Vervollständigung der wenig
    überzeugenden bisherigen Ruhrbania-Bauten auch nicht notwendig, im
    Gegenteil eher unerwünschte Konkurrenz
 
b) Ruhrbania-Baulos 3 = Abriss Hochstr. Tourainer Ring und Ausbau
    Klöttschen als Hauptverkehrsachse für 2-Richtungsverkehr: Für ca. 10 Mio.
    Euro würde die schlechte Verkehrsführung von Ruhrbania-Baulos 1+2 durch
    Los 3 nicht  verbessert, wahrscheinlich im Gegenteil.
 
c) der geplante Luxussportplatz in Heißen für 13 Mio. Euro ist nicht notwendig,
    die Finanzierung über Wohnbebauung auf 4 heutigen Sportplätzen höchst
    fragwürdig und im Fall des Schulsportplatzes von der Tann-Str. auch
    skandalös und schwer realisierbar. Im Endeffekt wird die Stadtkasse viele
    Millionen zuschießen müssen. Es würde ausreichen, für die beiden
    Heißener Clubs aus dem RSV-Platz einen Kunstrasenplatz zu machen,
    Kosten  ca. eine halbe Mio., und falls die TB-Damen in höheren Ligen
    spielen, können sie dies problemlos im Ruhrstadion tun!
 
II.) Keine Einnahmeerhöhungen durch dauernde Steuern- und Gebührenerhöhungen, weil dies zumeist kontraproduktiv ist, als da wären
 
a) die geplante Grundsteuererhöhung, die alle treffen wird, am stärksten
    untere und mittlere Einkommen,
 
b) die geplante Gewerbesteuererhöhung auf deutsches Rekordniveau, was
     insbesondere die mittelständige Wirtschaft vor Ort bedrohen wird, im Fall
    einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise besonders heftig. Abwanderung
    oder Nichtansiedlung von Betrieben wäre nicht auszuschließen.
 
c) die geplante erhöhte KiGa- und OGS-Gebühren durch Aufhebung des
    Geschwisterrabatts, was zum Glück im Rat keine Mehrheit findet, weil das
    einer stark alternden Stadt Mülheim schweren Schaden zugefügt hätte, 
 
d) die erneute Parkgebührenerhöhung, was noch mehr Leute aus der
     krisengeschüttelten Innenstadt und notleidenden Stadtteilzentren wie
    Speldorf fernhalten wird.
 
III.) Keine Einsparungen, die entweder für Kleckerbeträge wie die Streichung aller 18.000 € für die Behindertenverbände AGB diese damit ganz gefährden könnten oder erkennbar kontraproduktive Vorhaben, weil auf Dauer teurer als die erhoffte Einsparung, wie beim drogenmedizinischen Dienst, der Reduzierung der Taxigutscheine für Behinderte, der Kürzung der Zuschüsse an Sportvereine usw.
 
Ohnehin schrumpfen die HSK-Vorschläge von Kämmerer Bonan beim genaueren Hinschauen wie Butter in der Sonne. Viel Unausgegorenes, Wirkungsloses oder sogar Kontraproduktives!
 
Das haben selbst SPD und CDU erkannt und sie tragen etliche Punkte nicht mit wie den Wegfall des Geschwisterrabbats für KiGas/OGS, die Kürzung der Zuschüsse oder Beihilfen an Vereine, die Reduzierung der Taxigutscheine für Behinderte, die Aufgabe der Geschäftsführung AGB usw.. 
 
Übrig bleiben im wesentlichen nur saftige Steuererhöhungen bei Grund- und Gewerbesteuer, zuzüglich der neu geplanten Zweitwohnungsteuer, welche sich aber schnell zum Bumerang entwickeln kann, weil sie hauptsächlich die zukünftigen FH-Studenten betreffen würde, die man gerade noch für Wohnen in Mülheim anlocken will!
 
Für die Haushaltssicherung auf dem Papier, das bekanntlich geduldig ist, bringen die ca. 8 Mio. erhofften Mehreinnahmen durch Anhebung der Grundsteuer B auf 650% und vor allem die erhofften 25 Mio. Mehreinnahmen pro Jahr bei einem Gewerbesteuersatz von 580% (heute 480%) viel fiktiven Haushaltsausgleich, der sich aber real nie einstellen wird! Da seit letztem Jahr der Haushaltsausgleich auf dem Papier ohnehin erst in 10 Jahren erreicht zu werden braucht und nicht mehr in 4 Jahren, wird dann mit derartigem utopischem Zahlenwerk vielleicht der RP zufrieden gestellt, die Realität aber nicht!
 
Die im HSK vorgesehene Schließung des Naturbads war nicht wirklich umsetzbar, wie auch SPD und CDU es realistisch sehen. Das war es dann mit einem Haushaltssicherungskonzept, das den Namen nicht verdient hat.
 
Was in dem gesamten Bonanschen Haushaltsentwurf fehlt, ist eine erkennbare mittel- und langfristige Strategie für wirkliche und vor allem ernstgemeinte Haushaltssanierung im Laufe des nächsten Jahrzehnts und darüber hinaus. Neben der Eindämmung der immer noch immensen Verschwendung braucht ein Strukturwandel in den 53 Städten und Städtchen des schrumpfenden Ruhrgebiets vor allem ein baldiges, schonungsloses Ende der fatalen Kirchturmspolitik, bei der sich die einzelnen Kommunen auch noch gegenseitig zu Tode konkurrieren, ob bei Einkaufszentren, Ausweisung von Wohngebieten, Gewerbeansiedlung, Schulangeboten und, und, und ....... Deshalb liegen die strategischen mittel- bis längerfristigen Schlüsselfelder für wirkliche Haushaltskonsolidierung auch in 
 
Interkommunaler Kooperation inkl. Verschmelzung ganzer Bereiche Richtung Ruhrstadt,
Rekommunalisierung der Schattenhaushalte
und ernst gemeinter, wirklicher Bürgerbeteiligung.
 
Insbesondere bei den zahlreichen umwegfinanzierten ÖPP-Projekten müsste Transparenz und Kontrollierbarkeit der wirklichen Kosten Voraussetzung für seriösere Haushaltsführung werden, und zwar subito!
 
Die MBI können diesen perspektiv- und hoffnungslosen Haushalt nur ablehnen, auch wenn das ohnehin keine Rolle spielt. (PK)
 
Lothar Reinhard, dessen Artikel und Etatrede wir hier für die Mülheimer BürgerInnen veröffentlichen, die nicht an der Ratssitzung teilnehmen konnten, ist Vorsitzender der MBI-Fraktion. 
 


Online-Flyer Nr. 386  vom 26.12.2012



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