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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Globales
Deutschlands schwieriges Verhältnis zu Israel und Palästina- Teil I
Was ist gerecht?
Von Peter Vonnahme

Ein Vortrag des pensionierten Richters am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und ehemaligen Mitglieds im Bundesvorstand der Neuen Richtervereinigung, Peter Vonnahme, zeigt nicht nur klar und faktenreich den geschichtlichen Hintergrund der Problematik von Deutschlands schwierigem Verhältnis zu Israel und Palästina, sondern beleuchtet unmissverständlich und entschieden die Völkerrechtsverletzungen Israels. Die Rede, die auch wichtige Ausführungen zum Antisemitismus enthält, hat Vonnahme am 21. November 2012 -  eine Woche vor der Stimmenthaltung Deutschlands bei der UNO-Abstimmung zugunsten Palästinas - in einer Veranstaltung des Deutschen Bundeswehrverbandes ERH in Königsbrunn vorgetragen. Wir haben sie im Folgenden mit seinen eigenen Kürzungen in diese NRhZ-Ausgabe gestellt. – Die Redaktion
 

Peter Vonnahme, Richter i.R.
Ich werde Ihnen zum Einstieg aus einem Brief vorlesen, den ich Anfang 2009 nach dem damaligen Angriff Israels auf Gaza an den israelischen Botschafter in Deutschland geschrieben habe. Dieser Brief ist heute (21. Nov. 2012: israelische Luftangriffe auf Gaza, Raketen aus Gaza, Explosion einer Bombe in einem Bus in Tel Aviv) von bestürzender Aktualität. Jeden Augenblick kann durch Einmarsch israelischer Bodentruppen in Gaza ein verheerender Krieg ausbrechen. Mein Brief, der später etwas verändert im Internet als Offener Brief veröffentlicht worden ist, führt uns mitten in das Thema: Was ist gerecht im Verhältnis zwischen Israel und Palästina? Und welche Rolle spielt Deutschland in diesem Konflikt?
 
Ich zitiere auszugsweise aus diesem Brief: „Sehr geehrter Herr Botschafter, ... ich bin 1942 in Landsberg am Lech geboren. Es ist die Stadt, in der Hitler 1923 in Festungshaft war und sein Buch "Mein Kampf" geschrieben hat. Wenige Tage nach meiner Geburt ist mein Vater in Russland gefallen.....
 
Im Frühsommer 1967 - ich stand damals unmittelbar vor meinem juristischen Staatsexamen - beunruhigten mich Meldungen, wonach Israels arabische Nachbarn beabsichtigten, "die Juden ins Meer zu treiben". Unter dem Eindruck ... des Holocausts ... spürte ich spontan Verantwortung für die ... überlebenden Juden, die in Palästina ihre Heimstätte gefunden hatten. Ich trug mich deshalb mit dem Gedanken, mein Staatsexamen zurückzustellen und dem ... bedrohten Staat Israel zu Hilfe zu eilen. Es kam nicht dazu, weil mich meine allein stehende Mutter beschwor, nicht wegzugehen ("Ich habe bereits meinen Mann im Krieg verloren, ich möchte nicht auch noch meinen Sohn im Krieg verlieren")."...
 
„Nach meiner Wahrnehmung ist Israel vom rechten Weg abgekommen (Vertreibungen, Besatzung, ... Mauerbau, Siedlungen, Grenzregime, Absperrungen, Land- und Wasserraub, ... Häuserzerstörungen, Freiheitsentziehungen, Tötung Unschuldiger, Sippenhaft, Missachtung des Völkerrechts).
 
Manches, aber bei weitem nicht alles, ist mit den legitimen Sicherheitsbedürfnissen Israels zu rechtfertigen. ... Bei allem Verständnis für das historisch begründbare Gefühl der Bedrohung des Staates Israel und seiner Bewohner gibt es keine Rechtfertigung für die israelischen Militärschläge in Gaza. Angesichts von Hunderten von Toten und Verwundeten ist es müßig, darüber zu rechten, wer die Ursache gesetzt hat und wer "nur" reagiert hat. .... Weder Steine werfende Jugendliche ..., noch die sinnlosen Qassamraketen ... vermögen das angerichtete Blutbad im Gazastreifen zu rechtfertigen.
 
Die Auseinandersetzung gleicht dem Kampf zwischen David und Goliath, jedoch mit der Besonderheit, dass der palästinensische David mit seinen Steinschleudern und Mörsergranaten absolut chancenlos ist gegen die Jagdbomber, Kampfhubschrauber und Panzer der Militärmacht Israel. ..." 
 
So weit ein Auszug aus meinem damaligen Brief. Heute müsste man letzterer Aufzählung noch das Wort „Kampfdrohnen" hinzufügen. Eine Kernaussage des Briefes ist die Sorge, dass Israel vom rechten Weg, man könnte auch sagen: vom Weg des Rechts, abgekommen ist. Hierin steckt ein schwerer Vorwurf. Ich werde versuchen, diesen Vorwurf anhand von einigen Beispielen zu begründen. 
 
1. Was ist gerecht?
 
Ich weiß aus meinem Berufsleben, dass es oft schwierig, manchmal fast unmöglich ist, herauszufinden, was gerecht ist. Gilt das auch für den Konflikt zwischen Israel und Palästina, der politisch zu den heißesten Eisen der letzten 60 Jahre zählt? Wir haben es zu tun mit dem Anspruch zweier Völker auf dasselbe Land. Es ist die kleine Landfläche zwischen Mittelmeer und Jordan. Die Römer nannten diese Provinz Palästina.


 
Auf dieser rot gekennzeichneten Landfläche (etwa so groß wie Oberbayern und Niederbayern) wurde 1948 der Staat Israel gegründet. Die dort lebende arabische Bevölkerung flüchtete oder wurde vertrieben. Seitdem herrscht blutiger Streit. Wenn irgendwann ein globaler Krieg ausbrechen sollte, dann spricht viel dafür, dass die Ursache in diesem kleinen Landstrich liegt. 
 
Weshalb ist dieses Territorium so bedeutsam? Die Größe des Landes kann es nicht sein. Auch Bodenschätze scheiden als Erklärung aus. Eine Grenze zum Mittelmeer haben viele Staaten in der Region, die meisten sogar mit längeren Küstenstreifen. Eine originäre geostrategische Bedeutung ist auch nicht ersichtlich. Ich glaube, die herausragende Bedeutung dieses Landstrichs lässt sich nur dadurch erklären, dass er Ausgangspunkt und Projektionsfläche der drei monotheistischen Weltreligionen (Judentum, Christentum, Islam) ist. Hieran knüpfen sich irrationale Obsessionen und offene Gewaltbereitschaft.
 
Nüchterne Reflexion darüber, ob vermeintliche Besitzansprüche durch soziale, rechtliche und politische Argumente abgesichert werden können, tritt in den Hintergrund. Zum Verständnis der verfahrenen Situation ist es hilfreich, die Positionen darzustellen. 
 
2. Wem steht das Land Palästina zu? 
 
Die Juden und der Staat Israel berufen sich primär auf göttliche Verheißung. Ich erinnere an das AT, an die Ankunft Abrahams im Lande Kanaan und an Gottes Versprechen gegenüber Abraham: „Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land." (Gen 12,7; ähnlich Gen 13,15). Damit beginnt das Verhängnis: Denn Abraham hatte nicht nur einen Sohn, sondern deren zwei, Isaak und Ismael. Ismael, der Erstgeborene, ist der Stammvater der Araber, von ihm stammt der Prophet Mohammed ab. Isaaks Linie führt zu Jakob, seinen 12 Söhnen und damit zu den 12 Stämmen der Juden. Obgleich die biblische „Aktenlage" unklar ist, haben Juden und der Staat Israel keine Zweifel: Sie sind das von Gott auserwählte Volk, ihnen gehört das Land!
 
Abgesehen davon, dass die Bibel generell nicht zur Klärung von Besitzansprüchen taugt, kann mit den alttestamentarischen Textstellen der israelische Landanspruch nicht wirklich belegt werden. Jedoch spielt die religiöse Fundierung auch heute noch eine große Rolle. Nicht nur einmal haben mir jüdische Gesprächspartner gesagt, dass sie nicht mehr an Gott glauben. Bei politischen Diskussionen erklärten mir dieselben Menschen allerdings mit entwaffnender Offenheit, dass der Anspruch Israels auf das Land selbstverständlich auf „göttliches" Versprechen zurückgehe. Dieses Phänomen zeugt von der Nachhaltigkeit religiöser Prägung.
 
Die Palästinenser berufen sich darauf, dass es ihr Land sei, weil sie es seit Jahrhunderten bewirtschaftet hätten - lange bevor die Juden kamen. Diese hätten als Einwanderer kein Recht auf das Land. Bekanntlich haben die Juden nach dem Untergang des Reiches Juda (586 v. Chr.) und nach der Zerstörung des 2. Tempels durch die Römer (70 n. Chr.) das Land verlassen und sich in alle Welt zerstreut (Stichwort: Diaspora).
 
Es ist zumindest schwierig, nach mehr als 2.000 Jahren der Abwesenheit Besitzansprüche geltend zu machen. Stellen Sie sich vor, die Indianer Nordamerikas kämen heute - nach nicht einmal 200 Jahren - auf die Idee, ihre ehemaligen Weide- und Jagdgründe von den Amerikanern zurückfordern. Sie würden wenig Verständnis finden.

Wem steht also das Land Palästina zu?
 
Lassen wir Gott, die Indianer und die Vorgeschichte beiseite. Begeben wir uns in die Neuzeit, in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Die neuzeitliche Gründung des Staates Israel beruht auf dem sog. Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 (Resolution 181 der UNO-Generalversammlung vom 29.11.1947). Der Plan sieht die Bildung von zwei Staaten auf dem britischen Mandatsgebiet Palästina vor: einen jüdischen Staat (56 % der Fläche) und einen arabischen Staat (43% der Fläche). Das fehlende 1 % ist die Fläche Jerusalems, die Stadt sollte unter internationale Kontrolle kommen. Ein Kommentator beschrieb den Teilungsplan wie folgt: Ein Volk (die Briten) gab einem anderen Volk (den Juden) ein Land, das einem Dritten (den Arabern) gehörte. Diese Darstellung ist zwar holzschnittartig vereinfacht, aber sie beschreibt den Kern des Problems. Die Welt hat es sich damals angesichts der grauenvollen Bilder des Holocausts und der Heimatlosigkeit der überlebenden Juden wahrscheinlich etwas zu einfach gemacht. Man wollte aus verständlichen Gründen rasch eine Heimstätte für die Holocaustüberlebenden. Und man fand eine Lösung - allerdings zu Lasten der dort lebenden Palästinenser, die am großen Leid der Juden völlig unschuldig waren.
 
Wie reagierten die Betroffenen auf den Teilungsplan? Die arabischen Staaten lehnten den Vorschlag der UNO ab, zum einen, weil die vorgeschlagene Aufteilung die territoriale Einheit Palästinas zerstöre, und zum anderen, weil das palästinensische Volk als Hauptbetroffener zuvor nicht befragt worden sei.
 
Die israelischen Politiker handelten nach dem Motto, der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Sie nahmen das Geschenk einer nationalen Heimstätte auf fremdem Territorium an, wenngleich mit unausgesprochenen Vorbehalten. Denn in Wirklichkeit hatte die zionistische Bewegung weitergehende Vorstellungen. David Ben Gurion, der spätere erste Ministerpräsident Israels, hatte bereits 1937 in einer Rede erklärt: „Wenn wir durch Gründung des Staates zu einer starken Macht geworden sind, werden wir die Teilung aufheben und uns auf ganz Palästina ausdehnen. Politisch sind wir nämlich die Aggressoren, während sie sich verteidigen. Das Land gehört ihnen, weil sie es bewohnen, während wir von draußen kommen ...".
 
Noch wesentlich weitergehend ist die Idee eines „Großisraels". Sie lehnt sich gleichfalls an biblische Texte an. Nach Gen 15, 18 hat Gott in seinem Bund mit Abraham dessen Nachkommen das „Land vom Grenzbach Ägyptens [Nil] bis zum großen Strom Eufrat" gegeben. Dieses Gebiet ist in dem folgenden Bild rot eingerahmt.


 
Die weitere Entwicklung: Am Tag nach der Ausrufung des Staates Israel am 14. Mai 1948 durch David Ben Gurion begann ein Krieg. Er endete mit einem Sieg Israels über die Arabische Liga. Deshalb feiern ihn die Israelis als Unabhängigkeitskrieg, die Palästinenser beklagen ihn als al-nakba (arab.: „Katastrophe"). Ein Großteil der arabischen Bevölkerung flüchtete oder wurde vertrieben. Geblieben sind Unverständnis, Verzweiflung und Wut - ja auch Hass!
 
Wie würden wir reagieren, wenn die UNO morgen auf die Idee käme, mehr als die Hälfte unseres Landes einem anderen Volk (z.B. Einwanderern) als Staatsgebiet zu schenken? Würden wir sagen, das ist eine tolle Idee? Würden wir die Koffer packen? Oder würden wir uns zur Wehr setzen? Tatsache ist, dass die aus ihrer früheren Heimat vertriebenen Araber heimatlos wurden. Wir nennen sie heute Palästinenser. Sie bemühen sich mittlerweile seit mehr als einem halben Jahrhundert vergeblich um die Gründung eines eigenen Staates. In der Waffenstillstandsvereinbarung von 1949 wurde auf der Landkarte Palästinas eine neue Grenze eingezeichnet - die legendäre Grüne Linie. Dadurch vergrößerte sich das Gebiet Israels von 56% auf 77% der Gesamtfläche.
 
Doch damit war die Tragödie für die Palästinenser noch nicht zu Ende. Nach dem gewonnenen Sechstagekrieg von 1967 besetzte Israel die eroberten Gebiete, so dass es heute faktisch ganz Palästina (incl. Westbank) beherrscht. Die Dynamik der Veränderungen zugunsten Israels zeigt das nachstehende Schaubild.


 
Die grünen Flächen kennzeichnen arabisches (palästinensisches) Gebiet, die weißen Flächen sind israelisches Gebiet.
Bild 1: Stand nach dem 2. Weltkrieg; Bild 2: Teilungsplan; Bild 3: Grüne Linie; Bild 4: Stand 2000. In diesem Bild sind innerhalb der umrandeten Westbank weiße Flächen erkennbar, sie zeigen israelische Siedlungen in Palästina; infolge der andauernden israelischen Siedlungstätigkeit schrumpft die palästinensische Restfläche weiter von Tag zu Tag. Nach israelischem Verständnis ist die territoriale Ausdehnung keine Eroberung fremder Gebiete, sondern die Befreiung von unrechtmäßig besetztem israelischem Land.
 
Palästinenserstaat - die Idee steht nach wie vor nur auf dem Papier. Die Lösung des Konflikts ist heute ferner denn je. Ich glaube, dass Israel einen Palästinenserstaat mit allen Mitteln verhindern wird. Es ist nämlich mit dem ungeklärten Zustand bisher sehr gut gefahren. Es hat unter den Augen der Weltöffentlichkeit - gestützt auf die tragische Geschichte der Juden und auf seine militärische Macht - sein Staatsgebiet erheblich ausgedehnt und auf dem Rest, in den besetzten Gebieten, unter Missachtung des Völkerrechts Siedlungen gebaut. Die westliche Welt, die bei anderen Konflikten so vehement Demokratie und Menschenrechte einfordert, schaut tatenlos zu.
 
Wie könnte eine Lösung aussehen? Der prinzipielle Ansatz ist auch heute noch der Teilungsplan der UNO von 1967. Da sich Israel zur Begründung seines eigenen Staates auf ihn beruft, muss es die in diesem Dokument enthaltene Idee von zwei Staaten förmlich anerkennen mit der Folge, dass auch der zweite Teil des Planes, nämlich die Errichtung eines Staates Palästina, verwirklicht werden kann. Es geht nicht an, dass man in einem Dokument nur das akzeptiert, was Einem genehm ist, den Rest aber missachtet. Entscheidend ist jedoch, dass sich die internationale Gemeinschaft (insbesondere USA, UNO, EU) endlich zu ihrer Verantwortung bekennt und als gerechter Schiedsrichter tätig wird.
 
3. Rückkehrrecht der Flüchtlinge
 
Durch den Krieg von 1948 wurden ca. 750.000 Palästinenser zu Flüchtlingen. Sie warten heute, über 60 Jahre später, immer noch in Nachbarländern - teilweise in Lagern - auf die Rückkehr in ihre frühere Heimat. Infolge natürlicher Vermehrung beträgt ihre Zahl inzwischen fast 5.000.000. Die Resolution 194 (III) der UNO-Generalversammlung erkannte das Rückkehrrecht der Palästinenser an: „Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehren und mit ihren Nachbarn in Frieden leben wollen, muss dieses zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestattet werden. Denen, die nicht die Rückkehr wählen, muss Entschädigung für das verlorene Eigentum bezahlt werden. ..."
 
Es ist klar, dass die Rückkehr von Millionen palästinensischer Flüchtlinge in den Staat Israel dessen Charakter vollständig verändern würde und von den Einwohnern nicht akzeptiert würde. Der erste Schritt zur Lösung des Flüchtlingsproblems kann deshalb nur sein, jedem Flüchtling die Wahl zwischen Rückkehr und Entschädigung einzuräumen. Der zweite Schritt müsste die Errichtung des Staates Palästina sein - verbunden mit der Option, allen Palästinensern die freiwillige Rückkehr dorthin zu gewährleisten. Für den Rest muss das prinzipielle Recht auf Rückkehr in den Staat Israel anerkannt werden, nicht zuletzt zur Heilung der psychologischen Wunden der Vertreibung.
 
Da jedoch zu erwarten ist, dass die Rückkehr von Millionen Palästinensern in Israel wegen der national-demografischen Veränderungen auf erheblichen Widerstand stoßen wird, sollte die Zahl der Rückkehrer auf eine angemessene Zahl von Flüchtlingen begrenzt werden. Für all diejenigen, die sich gegen eine Rückkehr entscheiden, sind Wiedergutmachungsleistungen vorzusehen. Die Realisierung dieser Grundsätze ist schwierig, aber im Interesse einer tragfähigen Friedenslösung unerlässlich. Eine Übereinkunft kann nur in direkten Verhandlungen zwischen Israel und Palästina unter der Schirmherrschaft der internationalen Staatengemeinschaft erzielt werden.
 
4. Jerusalem
 
Der Teilungsplan von 1947 bezeichnet Jerusalem wegen seiner besonderen Bedeutung für die Religionen als corpus separatum (Sondergebiet) und unterstellt es internationaler Verwaltung. Im Unabhängigkeitskrieg von 1948 besetzte Israel jedoch den Westteil von Jerusalem und annektierte ihn unter Verletzung von Völkerrecht. Nach dem Sechstagekrieg wurde auch Ostjerusalem besetzt und 1980 zur "ewigen und unteilbaren" Hauptstadt Israels erklärt. Die UNO-Vollversammlung hält diesen einseitigen Akt für "null und nichtig". Deshalb haben auch sämtliche Staaten ihre Botschaften und diplomatischen Vertretungen in Tel Aviv und nicht in Jerusalem. Die Europäische Union will keinen Status Jerusalems anerkennen, der nicht in direkten Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern festgelegt worden ist.
 
5. Die Besatzung
 
Palästina steht seit 1967 unter militärischer Besatzung Israels. Zum Schutz der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten sieht das Völkerrecht zahlreiche Verpflichtungen der Besatzungsmacht vor (u.a. Beachtung der Menschenrechte, Versorgung mit Nahrungsmitteln und medizinischen Gütern). Ausdrücklich verboten ist der Besatzungsmacht die Besiedlung des besetzten Territoriums mit eigenen Staatsangehörigen. Die Realität sieht anders aus: Im Westjordanland leben heute rund 300.000 und in Ostjerusalem rund 200.000 israelische Siedler - völkerrechtswidrig. Und der Siedlungsbau geht munter weiter. Die Welt schaut tatenlos zu. Sie vergisst, dass rechtswidrige Besatzung der Nährboden für das ist, was man dann Terrorismus nennt. Was ergibt sich daraus?
 

Avram Burg – war 4 Jahre Sprecher
der Knesset
Quelle:
wikipedia, Foto: David Shankbone
„Jedem Israeli sollte seit langem klar sein, dass die [Besiedlung Palästinas] ... unrechtmäßig ist. Aber das israelische Volk ist blind, seine Ohren taub und seine Führer schwach. ... Interventionen von außen [sind] dringend nötig." - Diese schwere Anklage stammt nicht von mir. Ich fand sie am 14.6.2012 in der Neuen Züricher Zeitung. Ausge-sprochen hat sie kein geringerer als Avram Burg, der 4 Jahre Sprecher der Knesset, des israelischen Parlaments, war. 1988 wurde er für die Arbeitspartei in die Knesset gewählt. 1995 legte er sein Mandat nieder, nachdem er zum Vorsitzenden der Jewish Agency und der World Zionist Organization bestimmt worden war. 1999 bis Anfang 2003 war Burg Präsident der Knesset. In dieser Funktion nahm er vom 13. Juli bis 1. August 2000 verfassungsgemäß die Aufgaben des zurückgetretenen Staatspräsidenten Ezer Weizmann wahr.
 
6. Die Israelische Mauer
 
Mauern haben auch andere Staaten gebaut (China, DDR, USA). Aber die israelische Mauer weist Besonderheiten auf. Zunächst ist sie keine normale Mauer, auch kein Zaun, sondern eine Hochsicherheitsanlage: bis zu 9 m hoch, mit NATO-Draht, Gräben, Kameras und Militärpatrouillen. Wir Deutsche kennen solche Mauern! Über deren Rechtmäßigkeit ist viel diskutiert und gestritten worden. Die israelische Mauer geht jedoch noch einen Schritt weiter. Sie steht nämlich zum großen Teil auf fremdem, auf palästinensischem Grund. Sie schließt Menschen ein, trennt Dörfer und Familien und hindert Bauern am Zugang zu ihren Feldern. 2003 forderte die UN-Generalversammlung den Rückbau dieser Mauer - ohne Erfolg! Am 9. Juli 2004 befand der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass der Bau der Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten internationalem Recht widerspreche und dass Israel verpflichtet sei, die Mauer unverzüglich zu beseitigen, soweit sie auf fremdem Gebiet stehe. Außerdem sei Schadensersatz zu leisten. Diese Rechtsmeinung wurde anschließend von der UN-Generalversammlung mit 150 zu 6 Stimmen übernommen. Israel tat das mit der lapidaren Bemerkung ab, das Gericht sei nicht zuständig, und es kümmerte sich nicht weiter um den Richterspruch.
 
Der demokratische Westen tat das, was er bei israelischen Rechtsbrüchen zumeist tut, er mahnte zur Beachtung des Rechts und ging zur Tagesordnung über. Sanktionslos. Ein Vergleich mit Rechtsverstößen (tatsächlichen oder behaupteten) im Irak, in Libyen, Syrien, Iran und Ägypten muss nachdenklich stimmen. (PK)
 
Teil II dieses Vortrags folgt in der nächsten NRhZ-Ausgabe Nr. 384 und beginnt mit der deutschen Haltung im israelisch-palästinensischen Streit.


Online-Flyer Nr. 383  vom 05.12.2012



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