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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Philipp Mißfelder - der Herr der Selektionen
Von Evelyn Hecht-Galinski

Philipp Mißfelder der außenpolitische Sprecher der CDU und Obmann im auswärtigen Ausschuss hat wieder einmal zugeschlagen. Aus großer Sorge über die Lage der Christen in Syrien, plädierte er dafür "ausgewählte" Flüchtlinge aufzunehmen. Passt das nicht zu Mißfelders politischem "Rampendenken"? Schlug er nicht schon als Vorsitzender der Jungen Union vor neun Jahren, also 2003 vor, "künstliche Hüftgelenke für sehr alte Menschen nicht mehr auf Kosten der Solidargemeinschaft zu finanzieren"?
 

Philipp Mißfelder
Mißfelder sprach sich damals auch für deutliche Einschrän-kungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung aus: Die Sozialsysteme seien nicht dafür zuständig, dass jeder Senior fit für einen Rentner-Adventure-Urlaub sei. Es ging weiter mit Sätzen wie: "Ich halte nichts davon, wenn Fünfundachtzig-jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen." Das sagte der Nachwuchspolitiker damals im Tagesspiegel und: "Früher seien die Leute schließlich auch auf Krücken gelaufen".
 
Warum gehe ich so weit zurück? Durch diese Sätze und Gedanken versteht man die kleine "ausgewählte Gedankenwelt" dieses "Mißgeleiteten" viel besser. Mißfelder war für deutsche Kriegsteilnahme im Irak, in Libyen, steht auch für die Option den Iran (präventiv) militärisch durch Israel oder die USA anzugreifen. In einem Gastkommentar von Anfang August für die Bild-Zeitung wollte er einen Militärschlag "gegen die Mörder aus Damaskus nicht ausschließen" und will auch keinen Freibrief für den "syrischen Diktator" und alle anderen Despoten in der Welt.
 
Mißfelder verteidigte Kanzlerin Merkel für ihre Großtat, Israels Sicherheit als Staatsräson in Deutschland einzuführen. Jetzt ging er nochmal einen Schritt weiter und schrieb der Jerusalem Post, dass die Hisbollah auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt werden sollte und dass das überfällig werde. Weiter schrieb er, die Hisbollah bedrohe die Sicherheit "unseres Alliierten Israel" und sei verwickelt in zahllose Terror Aktivitäten und stehe unter dem Schutz des "iranischen Regimes". Hier arbeitet ein führender Koalitionsaußenpolitiker mit Mutmaßungen. Das lässt den "berüchtigten Israel Versteher" und Mitstreiter vom Pornoverfasser, den Korrespondenten der Jerusalem Post, Benjamin Weinthal, natürlich zu Hochform auflaufen, indem er Mißfelder dafür lobt, dass dieser der erste gestandene Politiker sei, der die Hisbollah "ächtet", nachdem der US- und israelische Geheimdienst behauptete(!), dass die libanesische Gruppe, neben dem Iran, verantwortlich war für den Anschlag in Bulgarien mit fünf getöteten Israelis und dem bulgarischen Busfahrer. Allein schon das Wort im englischen Artikel "asserted", also behauptet, sagt doch alles: hier wird wieder einmal etwas behauptet, also ohne Beweise.
 
Diese Kunst des "Behauptens" beherrschen israelische Politiker besonders gut, gerade Kriegsminister Barak, der behauptete, dass es neue Erkenntnisse über die iranischen Atomwaffen gäbe. Interessanterweise hatte er diese Erkenntnis selbst gewonnen. Zurück zu Mißfelder, der auch den zypriotischen Außenminister Erato Kozakou-Marcoullis aufforderte, Aktionen gegen die Hisbollah einzuleiten. Zypern hält derzeit den EU-Ratsvorsitz der siebenundzwanzig Mitglieder. Mißfelder ist für Weinthal der "kenntnisreichste und unterstützende Sprecher, wenn es um Israel geht".
 
Kommen wir zur SPD. Andrea Nahles, die Generalsekretärin, so las ich in der Jüdischen Allgemeinen, war "glücklich, heute dabei zu sein". Wo? Bei der Gründung von Hashomer Hatzair, einer "linken jüdischen Jugendbewegung". Ist diese zionistische Jugendbewegung nicht eher link denn links? Allein schon das Wort Zionismus weist auf den Zweck des Zusammenschlusses hin, oder? Frau Nahles kennt die Organisation schon seit langem, durch die Zusammenarbeit im Jerusalemer Willy-Brandt-Center. Sie sei stolz darauf, dieses blaue Hemd zu tragen, wird sie später den Jugendlichen zurufen. Worauf ist sie eigentlich stolz? Das es wieder eine neue laizistische, linke(?) jüdische Organisation in Deutschland gibt, die israelische Politik verteidigen und hoffähig machen will? Hat die junge Mutter ihr Kind schon angemeldet, als "Schomra Hatzar"(Junge Wächter)? Interessanterweise wollte SPD-Chef Siegmar Gabriel keine Laizisten in der SPD!
 
In der FAZ vom 22. August schrieb Joseph Croitoru über einen bemerkenswerten neuen Sender. In der Tat bemerkenswert, da dessen Gründer, der Tunesier Ben Jeddo, vorher das Beiruter Büro von Al Dschazira leitete. Er verließ den Sender aus Protest gegen dessen einseitige Berichterstattung über Syrien. Auch lehnt er es im Gegensatz zu Al Dschazira ab, Interviews mit israelischen Politikern und Kommentatoren zu machen und will ein professionelles Programm betreiben. Der Name des Senders ist Al Mayadeen, was auf Arabisch "Plätze" bedeutet und auf die arabische Revolution anspielt. Er bezieht klare Position für die Palästinenser, strahlt mehrmals täglich eine Sendung "Fenster zu Palästina" aus, die sich mit den alltäglichen Sorgen der Bevölkerung befasst und richtet den Blick vor allem auf den Gazastreifen. Wie schreibt Croitoru? "Stets mit dem Verweis auf Israels verbrecherische Politik". Es wird auch darauf hingewiesen, dass dieser Sender als "Sprachrohr" der Bündnisachse Teheran-Damaskus fungiert! Ja, verdammt noch mal, soll man denn die gesamte Berichterstattung der qatarischen und saudischen Konkurrenz überlassen? Endlich einmal neuer Wind im arabischen Frühling, Al Mayadeen. "Auf die Plätze"!
 
Immerhin befürworten einundsechzig Prozent der Israelis einen Angriff gegen den Iran, allerdings nur koordiniert mit den USA!!!! Sie wünschen NUR keinen militärischen Alleingang des jüdischen Staates.
 
Pünktlich zum "Schabbat" durfte Dieter Graumann (Dieter mir graut vor dir) auch in der FAZ in der Rubrik Fremde Federn schreiben. (Obwohl er in einem Interview in der jüdischen Allgemeinen die FAZ wegen deren Haltung in der Beschneidungsdebatte kritisiert hatte, ohne aber deren Namen zu nennen, aus Angst, dass man ihm sein ABO kündigen könnte?) Er begann mit der Erinnerung an Rostock vor zwanzig Jahren und erinnerte an den damaligen Zentralratsvorsitzenden Ignatz Bubis, der sofort zur Stelle war, "obwohl keine Juden betroffen waren"! Und jetzt kommt es - Graumann authentisch, so wie man ihn kennt und liebt: "In dieser Tradition setzt der Zentralrat der Juden sein Engagement des Herzens für die Menschlichkeit bis heute entschlossen fort. Immer sind wir bereit, uns mit ganzer Kraft für Menschen einzusetzen, die ausgegrenzt und verfolgt werden". Herr Präsident, wo blieb ihre Verurteilung, als im jüdischen Staat Dutzende von jüdischen Jugendlichen Lynchangriffe auf Palästinenser in Jerusalem machten? Fünf Jugendliche im Alter von dreizehn bis neunzehn, darunter auch ein fünfzehnjähriges Mädchen, wurden festgenommen. Besonders schlimm dabei, dass diese Angriffe vor den Augen von Hunderten israelischen Passanten stattfanden, ohne dass einer eingriff und den Schwerverletzten zu Hilfe kam. Auch der Bombenangriff auf ein Taxi im Westjordanland, wobei Anfang August sechs Angehörige einer palästinensischen Familie schwer verletzt wurden, fand der Zentralrat nicht erwähnenswert. Die israelische Polizei verhaftete in diesem Zusammenhang zwei jüdische Jungen im Alter zwischen zwölf und dreizehn Jahren. Sind das die Auswüchse der israelischen Judaisierung von Jerusalem? Sind diese Rechtlosen in Jerusalem inzwischen zum Freiwild mutiert? Sind diese autistischen jüdischen Menschen, die empathielos gegenüber dem palästinensischen Volk agieren, Auswüchse der gnadenlosen rassistischen Politik des jüdischen Staates gegenüber den rechtlosen Palästinensern?
 
Diese Vorfälle reihen sich ein in die vielen Angriffe der letzten Jahre und letzter Zeit, gegenüber Palästinensern, Flüchtlingen, Moscheen und Klöstern. Das Klima der Gewalt besonders durch die Siedlerbewegung, konnte besonders gut gedeihen im Schatten der Nichtbestrafung und der offiziellen Tolerierung. Noch im März zogen hunderte von Anhängern des Fußballclubs Beitar durch ein Einkaufzentren in Jerusalem, attackierten palästinensische Frauen und Ladenbesitzer und schrien dabei "Tod den Arabern!" Warum wurde damals niemand festgenommen? Weil "niemand" Anzeige erstattet hatte, wie die Polizei danach lakonisch erklärte. Es ist also legitim geworden, Gewalt gegen Palästinenser auszuüben, außer der schon täglichen durch die Besatzung! Nicht umsonst hat das US-Außenministerium die Gewalttaten der jüdischen Siedler gegen Palästinenser erstmals 2011 in den jährlichen Bericht über Terrororganisationen aufgenommen und damit als Terror eingestuft. Da sind Mißfelder und Westerwelle gefragt, auch wenn sie auf dem israelischen Auge blind sind!
 
Doch es lässt sich auch etwas Erfreuliches vermelden. Die amerikanische Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Judith Butler bekommt den Theodor W. Adorno-Preis der Stadt Frankfurt, der alle drei Jahre vergeben wird und mit fünfzigtausend Euro dotiert ist. Endlich kein Preis von der Israel-Lobby oder an die Israel-Lobby. (1)
 
Nicht erfreulich: über hundert Palästina-Aktivisten durften wieder nicht in das Westjordanland einreisen. Israel verhinderte das, denn die Aktivisten wollten auf Einladung der Initiative „Willkommen in Palästina“ in die Palästinensergebiete einreisen, um auf die internationale Isolation des Westjordanlandes hinzuweisen.
 
Das israelische Regime verhaftete auch vier Feministinnen an der Jerusalemer Klagemauer, die an diesem “Heiligen Ort“ für die Gleichstellung der Frau protestieren wollten. Im Gegensatz zu der Frauen-Band "Pussy Riot“ fand diese willkürliche Verhaftung keine Aufmerksamkeit in der Weltöffentlichkeit! Frauenunterdrückung hat eben Tradition in der jüdischen Religion! 
 
Zurück zum Zentralrat der Juden und Präsident Graumann? Wo bleibt dieser als Sprachrohr der israelischen Regierung? Wo bleibt deren Aufschrei gegen diese mörderischen Exzesse und Gewalttaten gegenüber Palästinensern? Wo bleibt ihr Engagement des Herzens und für die Menschlichkeit? Setzt diese bei Palästinensern aus?
 
Auch fordert die jüdische Gemeinschaft unter ihrer Führung Sonderrechte ein und bringt die Beschneidung in fast schon erpresserischer Weise in einen Zusammenhang mit jüdischem Leben in Deutschland. Warum muss der Hinweis auf die Verbrechen der Vergangenheit auch noch benutzt werden, um diese Diskussion um den Tatbestand der Beschneidung als Sonderrecht zu erzwingen? Körperverletzung sollte nicht erzwungen erlaubt werden. Das sollten auch jüdische Funktionsträger hinnehmen, aber bedauerlicherweise ist man sich wegen dieser "dezenten" Hinweise so sicher, dass die Politik in ihrem Sinne entschieden wird, gegen alle Grundrechte und die Trennung von Religion und Staat! Das zeigen auch die Briefe vom israelischen Präsidenten Peres an Bundespräsident Gauck oder vom israelischen Religionsminister Eli Jischai an Kanzlerin Merkel. Oder der sofortige Besuch des israelischen Oberrabiners Jona Mezger, der die Beschneidung mit jüdischen Beschneidern zertifizieren will, Ärzte und Betäubung ablehnt! Sogar die israelische Kinderärzte-Vereinigung sprach sich gegen die blutige, rituelle Beschneidung aus Die Interventionen aus Israel waren zuvor mit dem Zentralrat der Juden abgesprochen worden!
 
Noch geschmackloser äußerte sich der Tel Aviver Oberrabbiner Lau in einem Rundfunkinterview. Er sagte laut Presse solche Sätze: Er sei "verwundert, wie viel deutsches Mitgefühl ein Kleinkind erhalte, das weine weil etwas Blut vergossen werde. In meiner Kindheit habe ich das nie gesehen. Das Blut eines Juden war nichts wert und sein Leben konnte von jedem Gestapo-Stiefel zertrampelt werden. Diese Aussagen machte er laut israelischen Presseberichten im Sender "Kol Barama“. Dann kam noch die Drohung, dass Juden keine deutsche Genehmigung brauchen, um entsprechend ihrem Glauben zu leben. Sollte das so sein, dann haben Juden keinen Grund mehr in Deutschland zu sein. Es gipfelte in der Aussage, dass es vielleicht etwas Gutes hätte und die (deutschen) Juden feststellen, dass (Deutschland) nicht der Ort ist, an den sie gehören, und dass die jüngsten Ereignisse für sich selbst sprechen. Ich sage, diese schrecklichen Worte und Gedanken sprechen für sich! Auch der Berliner "Fernstudium Rabbi“ und Chef von der Topographie des Verbrechens in Berlin, Andreas Nachama, äußerte sich ähnlich. Die jüdisch/israelischen Organisationen und Lobbys haben ihre Bataillone in Bewegung gesetzt, zum Schaden der hilflosen Kinder und unserer Verfassung. Sieht so ein Miteinander und demokratisches Zusammenleben aus?
 
Hierzu ein Zitat von Heinrich Heine, das mir ein befreundeter Journalist zusandte und das ich für enorm passend halte: ".....nicht einmal das Bad der Taufe kann das Stückchen Vorhaut wieder wachsen lassen, das man uns am achten Tag unseres Lebens raubte; und wer nicht am neunten Tage an der Operation verblutet, dem blutet sie das ganze Leben lang, bis nach dem Tode noch". (PK)

(1)
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/adorno-preis-an-judith-butler-zentralrat-der-juden-protestiert-a-852328.html
 
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Unsere LeserInnen kennen sie als Autorin der Serie, die sie "vom Hochblauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, schreibt.


Online-Flyer Nr. 369  vom 29.08.2012



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