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Inland
NRW Landeskonferenz der Anti-Atom-Initiativen in Köln am 26. August
Zur Atomausstiegs-Lüge
Von Chris Weise

Am Sonntag, 26. August 2012 findet in Köln im Autonomen Zentrum (AZ) die
Landeskonferenz NRW der AntiAtom-Bewegung statt. Eingeladen sind alle Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen, die sich gegen Atomkraft im Lande bereits einsetzen oder zukünftig einsetzen wollen. Ein Ziel der etwa halbjährlich stattfindenden Treffen ist einerseits Information und Austausch über aktuelle atompolitische Themen in NRW, darüber hinaus werden Aktionen geplant und abgestimmt. Ideen werden entwickelt und vorgestellt, Erfahrungen ausgetauscht und ausgewertet. Somit dienen diese Konferenzen auch der intensiveren Vernetzung der AntiAtom-Initiativen und -AktivistInnen.
 
In einer Zeit, in der ein gefeierter „Atomausstieg“ beschlossen ist, der keiner ist – über die Hälfte der deutschen AKWs laufen ja noch, die letzten noch über 10 Jahre lang, für einige bedeutet dieser „Ausstieg“ sogar eine Laufzeitverlängerung – und die Energiewende von PolitikerInnen und (Atom-)Industrie teils schamlos torpediert und boykottiert wird, an einem Atom-Revival gebastelt wird, ist das sehr wichtig. Denn es gilt, wachsam zu sein, nicht locker zu lassen, weiterhin für einen sofortigen, zumindest bedeutend schnelleren Atom-Ausstieg zu kämpfen. Gleichzeitig, damit verbunden, für eine effektive, konsequente Energiewende einzutreten. Denn diese ist in höchster Gefahr!
 
Die herrschende Politik vertraut auf die Großkonzerne, also jene, die eigentlich an alten, abgeschriebenen AKWs Millionen verdienen könnten, dazu weiterhin auf alte Kerngeschäfte wie CO2-Killer, Braunkohle-Abbau und -Kraftwerke setzen und diese ausbauen wollen, z.B. RWE.
 
Die Energiewende soll zentralisiert werden, diese Konzerne sollen die Fäden in der Hand behalten. Dezentrale, demokratische Stromerzeugung wird hingegen be- und verhindert, die einst boomende und immer effektiver werdende Solarbranche, die so viele zukunftsweisende Arbeitsplätze geschaffen hatte, zerstört. Die Mär der übermäßigen Subventionen wurde in die Welt gesetzt, der Strompreis würde dadurch unverantwortlich steigen. Unter den Teppich gekehrt wird jedoch, wie viele, teils versteckte Subventionen die Atom- und Kohle-Konzerne bekommen und bekamen, dass diese Energieformen ohne diese Subventionen zu diesem Preis gar nicht möglich wären.
 
Von den „Kosten“ eines möglichen Atom-Unfalls, der noch immer ungeklärten
„Endlagerung“ des Atommülls und der Folgen für Klima und Umwelt durch CO2-Dreckschleudern wie im „Rheinischen Braunkohlerevier“ von RWE für uns und unzählige Generationen nach uns, wird nicht gesprochen. Ebenso wenig über die Tatsache, dass notwendige Investitionen überwiegend auf PrivatverbraucherInnen abgewälzt werden. Die Industrie, v.a. die besonders Energiefressende, wird weitestgehend und immer weiter ausdehnend von Abgaben und Steuern auf Energie befreit.
 
Auch die Kosten für den Netzausbau, hier: vier gigantische Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland, um dort die Stromversorgung durch zentralisierte Großkonzernprojekte (Off-Shore-Windparks in Nord- und Ostsee) zu sichern, sollen auf die PrivatverbraucherInnen abgewälzt werden. D.h.: Die Netzbetreiber streichen zwar später den Gewinn ein – läuft jedoch etwas schief, oder werden die Trassen zu spät fertig, der Anschluss wird nicht rechtzeitig fertig, und die Windparks im Norden könnten nicht direkt ans Netz, haften die privaten VerbraucherInnen für den Gewinnausfall der Konzerne!
Unverfrorener geht’s nicht!
 
So wird Stimmung gegen die Energiewende gemacht. Zumal diese Trassen in diesem Ausmaß nicht nötig wären, würde mensch auf dezentrale Energieversorgung und intelligente Stromnetze in kommunaler/Bürger-Hand setzen. Aber daran würden ja viele BürgerInnen verdienen, nicht die Großkonzerne, die um ihre Pfründe fürchten.
 
Atomausstiegs-Lüge!
 
NRW als Drehscheibe für die nationale und internationale Atomwirtschaft, drei Brennpunkte in NRW, eine akute Bedrohung aus Belgien - das ist die konkrete Situation in NRW, die im Vordergrund der AntiAtom-Landeskonferenz stehen wird.
 
Die Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau (ebenso wie die UAA Almelo in direkter NL-Nachbarschaft, auch im Besitz von Urenco, ein Konsortorium, an dem auch RWE und Eon beteiligt sind) bedient nicht nur AKWs bundes- und weltweit, es fällt auch waffenfähiges Material (z.B. für panzerbrechende Uranmunition) an. Zudem kann auch direktes Material für Atomwaffen produziert werden. Die Kapazitäten der Anlage reichen zurzeit für bis zu 35 AKWs von der Größe des Atommeilers Brokdorf.
 
Mittlerweile kann jedes 10. AKW weltweit mit angereichertem Uran aus Gronau betrieben werden – und das unbefristet, weil die Bundesregierung die Urananreicherung in Gronau nicht stilllegen will. Wenige Kilometer nördlich läuft zudem die Brennelementefabrik Lingen unbegrenzt weiter.
 
Der Fukushima-Betreiber Tepco betrieb seine AKW mit deutscher Hilfe: Der
Urananreicherer Urenco, RWE und EON sind zu jeweils einem Drittel beteiligt, lieferte jahrelang angereichertes Uran für die Brennelementefertigung auch für Fukushima. Zudem bedingt diese Anlage viele höchstgefährliche Urantransporte. Die Züge fahren trotz aller Gefahren unter anderem am helllichten Tage durch belebte Hauptbahnhöfe, darunter z.B. den Münsteraner Hauptbahnhof.
 
Das transportierte Uranhexafluorid (UF6) ist radioaktiv und hochgiftig, schon bei Berührung mit Luftfeuchtigkeit bildet sich tödliche Flusssäure. Uranhexafluorid wird in großen Mengen von und nach Gronau transportiert, in der Urananreicherungsanlage verarbeitet und neben der Anlage unter freiem Himmel in großen Mengen gelagert. Zudem erfordert diese Anlage den tödlichen Uranabbau, der ganze Landstriche verwüstet und vergiftet und Menschen tötet.
 
Die Bürgerinitiativen kritisieren massiv die NRW-Landesregierung, da diese die Urantransporte nach wie vor unbehelligt fahren lässt. Ursprünglich hatte die Landesregierung angekündigt, weitere Atomtransporte durch NRW zu verhindern. Die AntiAtom-Bewegung fordert das Verbot aller Atomtransporte und die sofortige Stilllegung der UAA Gronau und aller Atomanlagen.
 
Die Atommüll-Konditionierungsanlage der GNS in Duisburg steht in einem Duisburger Wohngebiet, 200m vom nächsten Mehrfamilienhaus und 400m vom nächsten Kindergarten entfernt. Sie hat zurzeit eine Kapazität von 3.300 Tonnen Atommüll, der hier konditioniert, also für eine „Endlagerung" verarbeitet wird. Sie erhielt im September 2011 von der Duisburger Bezirksvertretung eine Erweiterungsgenehmigung. Diese ist im Juni 2012 von der Düsseldorfer Bezirksregierung noch einmal ergänzt worden. Die AntiAtom-Bewegung fordert mit den örtlichen Initiativen auch hier den Stop der Atommülltransporte, fordert, dass der Müll nicht mehr in dicht besiedelten Gebieten, sondern am „Entstehungsort“ verarbeitet werden soll.
 
Im Forschungszentrum Jülich lagern 152 Castoren mit hochradioaktivem Müll, eine Hinterlassenschaft des dortigen Forschungsreaktors, ein Beispiel für den Irr- und Wahnsinn der Atomindustrie. 1978 wäre es nach einem unkontrollierten Wassereinbruch fast zum GAU gekommen. Dadurch kam es zu einer umfangreichen radioaktiven Verseuchung des Erdreichs und des Grundwassers. Das ganze Ausmaß wurde erst Jahre später bekannt. Denn der sog. „Kugelhaufenreaktor“ sollte zerlegt, „entsorgt“ werden.
 
Der stillgelegte Reaktor kann noch immer nicht rückgebaut werden. Jahrelang waren die Kerntemperaturen viel zu hoch, dadurch kam es zum Versagen von Brennelementen. Der Jülicher Reaktor ist dadurch die am stärksten mit Strontium und Cäsium verseuchte Nuklearanlage weltweit. Bei einem Wassereinbruchstörfall 1978 gelangten Strontium und Tritium auch in Boden und Grundwasser. Jülich schrammte knapp an einer Katastrophe vorbei. Das Gelände unter dem Reaktor ist heute noch verseucht.
 
Der Rückbau der Anlage kostete bis jetzt schon über 700 Mio. Euro. Diese „Entsorgung“ wird jedoch auf Jahrzehnte hin nicht möglich sein. Die 152 Castoren jedoch würde das Forschungszentrum gerne los. Diese sollten zuerst nach Ahaus, da für das „Zwischenlager“ in Jülich die Betriebsgenehmigung ausläuft. Jedoch ist das Ahauser „Lager“ älter und nicht „sicherer“ als Jülich. Z.Zt. steht ein Transport in die USA im Raum.
 
Generell wirft ein Transport massive Sicherheitsprobleme auf: Zum Teil wurde hoch angereichertes Uran verwendet, die Graphit-Ummantelung ist brennbar, die Brennelement-Kugeln sind nicht endlagerfähig verpackt. Zu diesem Themen-Komplex forderte schon die Frühjahrskonferenz der Anti-AKWBewegung am 15. April 2012 in Ahaus:
> Schluss mit jeglicher Reaktorentwicklung und Transmutationsforschung in Jülich. Statt dessen Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit dem Ziel der Schadensbegrenzung, wo dies noch möglich ist.
> Sofortiger Stopp des Exportes der HTR-Technik ins Ausland.
> Einrichtung eines Untersuchungsausschusses des Landtages NRW zur Klärung der Vorgänge bei Betrieb und Abwicklung der Reaktoren in Jülich (HTR) und Hamm (THTR).
> Betreiberfinanzierte Kinderkrebsstudien an allen Standorten, in denen diese bisher nicht erstellt wurden.
 
Nun wird sich die Landeskonferenz NRW auch mit Fragen beschäftigen wie:
> Jülich-U.S.A. Transporte der Westcastoren
> Umkippen des AVR und Transport in eine Zwischenlagerhalle im Jahr 2013
(Proteste,Perspektiven, Diskussionen)
> Abbau des Reaktors DIDO (wohin gehen die Reste, wie wird abgebaut?); wie verlief der Abbau von Reaktor Merlin?
 
Eine akute Bedrohung aus Belgien stellen die drei Atomkraftwerke am Standort Tihange dar. Sie gingen in den Jahren 1975, 1982 und 1985 ans Netz. Tihange liegt nur 30 km von der niederländischen und 60 km von der deutschen Grenze entfernt in Hauptwindrichtung. Der Atomkomplex liegt in der immer noch aktiven Erdbebenzone „Faille du midi“. Die letzten starken Erdbeben gab es hier in der geologischen Gegenwart 1692 und 1992. Ein Unfall in den über 30 Jahre alten, maroden Reaktoren würde die Nordeifel mit als erstes treffen und unbewohnbar machen. 2002 kam es hier beinahe zur Katastrophe, 2010 gelangten 600 Liter säurehaltiges Wasser in die Maas.
 
Kurz nach der beschlossenen Laufzeitenverlängerung für das belgische AKW Tihange (Block 1) bis 2025 wurde am 12.7.12 bekannt, dass seit mindestens 10 Jahren aus einem Kühlbecken für verbrauchte Brennelemente radioaktiv verseuchtes Wasser austritt. Laut Presseberichten täglich etwa 2 Liter. Der Betreiber Electrabel versucht wohl seit 2006 das Leck zu orten und evtl. zu schließen, sieht sich und ist jedoch nicht in der Lage dazu.
 
Die Reflexe der Atomwirtschaft sind die bekannten: Selbstverständlich bestehe keine Gefahr für die Bevölkerung, das Wasser sei leicht radioaktiv und werde aufgefangen und behandelt. Am 16.8.12 nun wurde von der belgischen Atomaufsichtsbehörde AFCN angeordnet, den zweiten Block in Tihange abzuschalten. Grund: Im AKW Doel (Belgien/Nord) wurden bei einer Ultraschallprüfung rund 8000 Risse im unteren Teil des dritten Reaktorblocks entdeckt. In Tihange 2 ist derselbe Reaktorbehälter wie in Doel 3 montiert, in den 70er Jahren von der niederländischen Gesellschaft Rotterdamsche Droogdok Maatschappij, die nicht mehr existiert, hergestellt.
 
Diese lieferte Reaktordruckbehälter (RDB) weltweit aus. In Deutschland sind Brunsbüttel und Philippsburg 1 mit diesem RDB-Typ bestückt. Eine Ultraschallprüfung in Tihange 2 wird am 10. September durchgeführt. AntiAtom-Initiativen aus der Regio B/NL/D veröffentlichten Mitte August einen offenen Brief, der auch in der Presse ein breites Echo fand (siehe http://antiatomeuskirchen.blogsport.de/2012/07/20/laufzeitverlaengerung-fuer-leckenatomreaktor-tihange-1-ein-offener-brief/). Hier besteht Handlungs- und Aktionsbedarf! Denn: Strahlung kennt keine Grenzen, unser Widerstand auch nicht!
 
Beginn der Landeskonferenz um 13 Uhr im Autonomen Zentrum Köln (AZ), Wiersberstr.44, 51103 Köln Kalk. Für das leibliche Wohl sorgt bekannt gut die Volxküche Nordeifel. (PK)
 
Mehr vom und über den Autor Chris Weise finden Sie unter http://antiatomeuskirchen.blogsport.de/ und http://antiatomeuskirchen.blogsport.de/category/tihange/ sowie bei http://www.stop-tihange.org/index.html
 
 


Online-Flyer Nr. 368  vom 23.08.2012



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