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Kultur und Wissen
Rezension von Werner Rufs „Der Islam – Schrecken des Abendlands“:
Frische Luft jenseits der Käseglocke
Von Anis Hamadeh

Vorurteile gegen Muslime gehören zum traurigen Alltag in vielen Ländern, auch in Deutschland. So normal erscheinen Ressentiments, dass so mancher sich ihrer erst dann gewärtig wird, wenn er oder sie fundierte Analysen zum Thema zur Kenntnis nimmt. Professor Werner Rufs neues Büchlein „Der Islam – Schrecken des Abendlands. Wie sich der Westen sein Feindbild konstruiert“ ist eine solche Analyse.
 
Sie ist einerseits akademisch mit wichtigen Quellenhinweisen abgesichert, andererseits essayistisch und damit für Zeitungsleser geeignet – auch und gerade für solche, die sich eine eigene Meinung erst noch bilden. Das Buch lässt sich bequem an einem Tag oder zweien lesen und ist als Einführung zu verstehen, da sich viele wichtige Fragen anschließen, die auf nur 129 Seiten keinen Platz finden können. Um den so genannten „Krieg gegen den Terror“ geht es, um die Feindbilder der NATO, den Zusammenhang von Antisemitismus und Islamophobie und um Islamhetze mit ihren Akteuren im In- und Ausland. Das Fundament und den Rahmen stellt dabei die Dichotomie Wir/die Anderen dar.
 

Professor Werner Ruf
So einfach die These sein mag, dass eine Wir-Gruppe sich gegen eine andere Gruppe abgrenzt, um sich so eine Position der Überlegenheit oder überhaupt erst eine Identität zu schaffen, so stichhaltig und erschreckend in ihren Folgen ist sie in der politischen und gesellschaftlichen Praxis. Ruf gelingt es, mit wohl gesetzten Strichen die weltpolitischen Strategien zu skizzieren, die seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und in ihrer extremen Form seit dem Elften September vorherrschen. Er entlarvt, dass sich hinter dem Begriff „Islamkritik“ viel zu oft ein Rassismus gegen Muslime und Einwanderer verbirgt, und dass dabei Mechanismen greifen, die zunächst einmal nichts mit dem Islam zu tun haben, sondern mit den Kreisen, in denen diese Pseudo-Kritik geäußert und populär gemacht wird.
Bei der Lektüre stößt besonders sauer auf, dass das Feindbild Islam nicht nur an den Rändern der Gesellschaft zu finden ist, sondern in den Medien, bei Politikern und anderen öffentlichen Instanzen der gesellschaftlichen Mitte verankert ist und von dort aus ungehindert transportiert wird, manchmal im Verbund mit Amerika- oder Israelsolidarität, manchmal als Ablenkung von eigenen innenpolitischen und gesellschaftlichen Schwächen und Missständen.
 
 
Der wirkliche Skandal, der hinter der Analyse hervortritt, liegt aber bereits in der erwähnten Identität stiftenden Abgrenzungsstrategie des „Wir gegen die Anderen“. Gerade in Deutschland wäre zu erwarten gewesen, dass schon längst eine Richtung weisende Reflexion über dieses destruktive Gruppenverhalten stattgefunden hat, eine, die Bücher wie dieses überflüssig macht. In Deutschland gab es eine bezeugte Judenfeindlichkeit bereits im Mittelalter, es gab die „Hexen“-Verfolgungen, es gab einen Bismarck, der auf dem Rücken der Franzosen eine deutsche Einheit schuf, dann war da der Erste Weltkrieg, dann Hitler, gefolgt vom Ost-West-Konflikt, und nun die Muslime, die mit dem Begriff „Islam“ ja letztlich gemeint sind. Wie lange wird Deutschland noch brauchen, um zu verstehen, dass es sich immer wieder einen neuen Feind sucht, um mit dem Finger auf andere zu zeigen und Selbstkritik auszuweichen? Oder, positiv ausgedrückt: Wie schön und fortschrittlich kann es in Deutschland sein, wenn wir diese Mechanismen endlich überwunden haben!
 
 
Aufklärende Bücher wie dieses machen deutlich, dass wir noch immer abgeschirmt und ideologisiert wie unter einer Käseglocke leben. Andernfalls gäbe es bei der Lektüre nicht dieses Aha-Erlebnis bei Studierenden und die seufzende Zustimmung bei Studierten. Wie frische Luft jenseits der Käseglocke erscheint Werner Rufs neues Buch. Wenn er auf der letzten Seite schreibt: „Eine Abschottung des ‚Westens’ vom ‚Rest’, verbunden mit der Negation der Gültigkeit der zivilisatorischen Werte für ‚die Anderen’, ist objektiv obsolet geworden“, dann ist dies nicht nur eine akademische Feststellung, sondern ein Handlungsimperativ, der in eine friedliche Zukunft weist. (PK)
 
Werner Ruf (2012): "Der Islam: Schrecken des Abendlands – Wie sich der Westen sein Feindbild konstruiert." - PapyRossa Verlag, Köln, 129 Seiten, 9,90 Euro
 
Anis Hamadeh ist Islamwissenschaftler und Autor von "Islam für Kids“.


Online-Flyer Nr. 352  vom 02.05.2012



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