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Inland
Dem Autor dieses Beitrags wird am 15. Mai der Kölner Karls-Preis überreicht
Per Datenschutz „Verfassungsschutz“ besiegt
Von Rolf Gössner

Dr. Rolf Gössner, dem wir in der NRhZ schon 2011 zu seinem ersten Prozesserfolg gegen das Bundesamt für "Verfassungsschutz" gratulieren konnten (1), berichtet nun über seinen Sieg auch über den Verfassungsschutz NRW. Diese sensationellen Erfolge, aber auch sein Engagement als Rechtsanwalt, Autor und Publizist (2), parlamentarischer Berater und Bürgerrechtsaktivist, z.B. in der Internationalen Liga für Menschenrechte, haben uns dazu gebracht, Rolf Gössner am 15. Mai den dritten Kölner Karls-Preis öffentlich zu verleihen. – Die Redaktion

Zweimal Sieger über den Verfassungsschutz und demnächst Kölner Karls-Preis-Träger 2012: Dr. Rolf Gössner
NRhZ-Archiv
 
Ende 2011 ist ein Urteil rechtskräftig geworden, mit dem ich zum zweiten Mal gegen eine Verfassungsschutzbehörde gewonnen habe, worauf mich die taz zum "Geheimdienstbezwinger“ kürte. Erst Anfang 2011 hatte das Verwaltungsgericht Köln in einem sensationellen Urteil meine vier Jahrzehnte lange Überwachung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für unverhältnismäßig und grundrechtswidrig erklärt. Und nun erklärte das Verwaltungsgericht Düsseldorf nach dreieinhalbjährigem Prozess auch meine
Überwachung durch den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz (VS NRW) sowie die Speicherung meiner personenbezogenen Daten für rechtswidrig (Az. 22 K 4905/08).
 
Tatsächlich war ich außer vom BfV auch von einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden geheimdienstlich beobachtet und ausgeforscht worden. Der VS NRW hatte über mich eine Personendatei mit Personalien und diversen Kontakten zu „verdächtigen Gruppen und Personen“ angelegt. Um welche es sich dabei handelte, blieb im Gerichtsverfahren weitgehend geheim – mit der Begründung, dass ansonsten Quellen gefährdet seien. Zusätzlich waren in neun elektronischen Dokumenten meine Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen sowie Daten zu „linksextremistischen Bestrebungen beziehungsweise Verdachtsfällen“ registriert worden; außerdem Gespräche, Äußerungen Dritter über mich, Protokolle und Berichte über Treffen und Sitzungen, über Aktionen und künftige Vorhaben.
 
Die Informationen beruhten auf „Quellenberichten“ von V-Leuten und anderen geheimen Informanten des VS NRW. So wurden etwa „Erkenntnisse“ gespeichert über einen nicht namentlich genannten Verein, in dem ich Vorstandsfunktionen innehatte und der angeblich von aussenstehenden Personen politisch „unterwandert“ werden sollte; sie sollen einer Organisation angehört haben, die in der berüchtigten EU-Terrorliste geführt wird. Der Verdacht habe sich jedoch, so der VS NRW vor Gericht, nicht erhärtet. Gleichwohl war und blieb ich fürsorglich gespeichert – angeblich zu meinem Schutz und zum Schutz des Vereins vor Unterwanderung.
 
Ebenfalls erfasst wurde die Tatsache, dass ich für die Internationale Liga für Menschenrechte an der Beobachtung eines Prozesses vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim teilgenommen hatte, in dem es um ein Berufsverbot für einen Realschullehrer in Baden-Württemberg ging (vgl. Ossietzky Heft 6/07). Der VGH erklärte dieses vom baden-württembergischen Verfassungsschutz begründete und vom Kultusministerium verhängte Berufsverbot für rechtswidrig und hob es auf. Als Prozessbeobachter blieb ich in Nordrhein-Westfalen weiterhin erfasst.
 
Zu den erfassten Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen, bei denen ich als Referent auftrat, gehörten etwa solche, die das Duisburger „Netzwerk gegen Rechts“ organisierte oder auf denen ich Vorträge zu „Innerer Sicherheit“, „V-Leuten in Neonaziszenen“ oder zum „Abbau von Menschenrechten“ hielt. Dabei interessierten den VS NRW auch Angaben zur Honorierung meiner Vorträge sowie Ausführungen eines dem „linksextremistischen Spektrum“ zuzurechnenden Redners zum gescheiterten NPD-Verbotsverfahren (2003): „Etwa 30 der 200 NPD-Vorstandsmitglieder waren Geheimdienstler, das Peinliche war nur, dass sie – nach Rolf Gössner – an Brandstiftung, Totschlag, Mordaufrufen, Waffenhandel, Gründung einer terroristischen Vereinigung direkt beteiligt waren.“
 
Mit seinem Ende 2011 rechtskräftig gewordenen Urteil hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf die gesamte Datenspeicherung und -verarbeitung des VS NRW in meinem Fall für rechtswidrig erklärt, weil nicht kenntlich gemacht wurde, ob ich „verdächtiges Objekt“ war – in den Worten des VS NRW: „doloses Objekt“, also mutmaßlicher „Verfassungsfeind“ oder
„Extremist“ – oder aber eine „undolose“ Kontaktperson, die selbst keine „verfassungsfeindlichen Bestrebungen“ verfolgt. Mangels korrekter Kennzeichnung war es möglich, mich als „belastete“ Person einzustufen – mit der fatalen Folge, dass meine Daten gesetzeswidrig etwa bei Sicherheitsüberprüfungen hätten Verwendung finden können. Auch die Tatsache, dass Daten über mich in sogenannten Sachdatenbanken nach Belieben namentlich recherchierbar waren, verstieß gegen geltendes Recht. Mit diesen Praktiken sei, so das Gericht, einer verbotenen zweckwidrigen Weiterverwendung von personenbezogenen Daten unkontrollierbar Tür und Tor geöffnet worden.
 
Dem VS NRW wirft das Gericht vor, eingrenzende gesetzliche Bestimmungen nicht eingehalten und vor allem die Datennutzung nicht effektiv kontrolliert und protokolliert zu haben. Nach Auffassung meines Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt Udo Kauß (Humanistische Union), wird dieses Urteil über den Einzelfall hinaus bundesweit erhebliche Auswirkungen auf die Datenverarbeitung aller 17 VS-Ämter des Bundes und der Länder haben: „Erstmals wird eine Geheimdienstbehörde durch ein Gericht verpflichtet, ihre Datenverarbeitung so zu organisieren, dass die VS-Bediensteten nur auf die gespeicherten Daten zugreifen können, auf die das Gesetz für die jeweilige Aufgabe einen Zugriff erlaubt.“
 
Das Gericht hat den VS NRW auch verpflichtet, durch technische Vorkehrungen sicherzustellen, dass die Rechtmäßigkeit eines jeden Datenzugriffs im Nachhinein jederzeit überprüft werden kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so Kauß, sind „jegliche Speicherung und jeglicher Zugriff rechtswidrig und ein Eingriff in das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen“.
 
Die Internationale Liga für Menschenrechte und die Humanistische Union werteten das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf als eine „längst überfällige datenschutzrechtliche Absicherung des Grundrechts auf Informationelle Selbstbestimmung“. Auf der Grundlage dieses Urteils forderten beide Organisationen, bundesweit die gesetzwidrigen Praktiken unverzüglich einzustellen, wie dies in NRW inzwischen geschehen ist. Tatsächlich werden die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder während ihrer nächsten Konferenz das Urteil und seine Auswirkungen beraten, um bundesweit notwendige Schritte anzumahnen.
Im Gegensatz zu diesem Urteil ist das Kölner Urteil gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz noch nicht rechtskräftig, weil die Bundesrepublik inzwischen die Zulassung der Berufung beantragte, über die das zuständige Oberverwaltungsgericht Münster/NRW noch nicht entschieden hat. Und so ist noch vollkommen offen, ob dieses unsägliche Verfahren abgeschlossen und rechtskräftig wird oder aber durch die nächsten Instanzen weitergeführt werden muss – was mich nochmals viel Aufwand und Zeit, Kraft und Nerven kosten würde, möglicherweise bis ins hohe Rentenalter.
 
Die Fraktion Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft fordert anläßlich ihrer Gratulation zum Düsseldorfer Urteil: „Wir brauchen eine rechtsstaatliche Reform der Geheimdienste, an deren Ende ihre Abschaffung stehen sollte.“ (PK)
 
 
(1) NRhZ-Ausgaben
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16090
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16162
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16374
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(2) Bücher von Rolf Gössner
> Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der "Heimatfront", konkret-Literatur-Verlag, Hamburg 2007, ISBN 978-3-89458-252-4
> Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes – Kriminelle im Dienst des Staates, Knaur-Verlag, München 2003, ISBN 3-426-77684-7
> „Big brother“ & Co.: der moderne Überwachungsstaat in der Informationsgesellschaft, konkret-Literatur-Verlag, Hamburg 2000, ISBN 3-89458-195-6
> Erste Rechts-Hilfe. Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten , Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1999, ISBN 3-89533-243-7
> Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges. Verdrängung im Westen - Abrechnung mit dem Osten?, Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-7466-8026-3
> Das Anti-Terror-System. Politische Justiz im präventiven Sicherheitsstaat, VSA-Verlag, Hamburg 1991, ISBN 3-87975-576-0
 
Der Artikel von Rolf Gössner ist vor einigen Tagen in Ossietzky 2/2012 erschienen. Diese Zweiwochenzeitschrift für Politik, Kultur und Wirtschaft wird von Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Arno Klönne, Otto Köhler und Eckart Spoo herausgegeben, der auch ihr verantwortlicher Redakteur ist.


Online-Flyer Nr. 339  vom 01.02.2012



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