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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Die S.H.I.T. LIST im Bundestag
Von Evelyn Hecht-Galinski

Am 27. Januar wird der deutsche Bundestag zum 17. Mal den Holocaust-Gedenktag begehen. Die Gedenkredner kommen aus unterschiedlichsten Ländern und haben die unterschiedlichsten Biografien. Soweit so gut. Das Jahr 2010 ist mir in diesem Zusammenhang noch in besonderer Erinnerung: da konnte Shimon Peres als israelischer Staatspräsident seinen Auftritt in unerträglicher Weise dazu benutzen, um Propaganda für die israelische Unrechtspolitik zu betreiben. Ich schrieb damals in einem Kommentar, dass auch ich nicht klatschend für Peres aufgestanden wäre. (1) 

Damals begannen die Antisemitismusvorwürfe gegen verschiedene Bundestagsabgeordnete der LINKEN, weil sie nach der Peres-Rede nicht aufgestanden waren, was ich äußerst mutig. gefunden hatte. Die Instrumentalisierung des Holocaust, wie sie Israel bewusst von Beginn
der Staatsgründung anwendet, ist die gezielte Propaganda Keule, mit der man schon immer die richtige Trumpfkarte in der Hand hielt, um sofort gegen Israel-Kritik vorzugehen. Diese Strategie wurde inzwischen in einer Art und Weise verfeinert und ausgeweitet, dass sich das Netzwerk der "Israel-Interpreten" überall einmischt und inzwischen in fast jeder Organisation verbreitet ist. Allerdings gibt es außer Deutschland kein anderes Land, wo diese Gehirnwäsche so gewirkt hat und wirkt.
 
Interessanterweise wird der Gedenkredner 2012 kein Geringerer sein, als der "Literaturpapst" und neuerdings auch Israel-Unterstützer Marcel Reich-Ranicki. Zumal Reich-Ranicki auch auf der S.H.I.T. LIST, der "Self-Hating and/or Israel-Threatening LIST" (2) der selbsthassenden Juden verzeichnet ist. Ist das den Einladenden durch die Lappen gegangen? Reich Ranicki will über seine Erfahrungen im Warschauer Ghetto sprechen und meint, das wäre eine schwere Aufgabe für ihn und er wisse nicht ob ihm das gelingen wird. Es ist zu hoffen, dass er dabei endlich einmal Licht in dunkle Teile seiner Vergangenheit bringen wird, der er doch bis dato immer ausgewichen ist.
 
Eine bezeichnende Aussage machte der israelische Staatsminister Jossi Peled, der vor ein paar Tagen anlässlich der Gedenkfeier in der Wannsee Villa zum siebzigsten Jahrestag der Vorbereitung der "Endlösung der Judenfrage" durch die Nazi-Oberen laut FAZ (3) folgendes sagte: Er ging nach Israel, dem Staat, dem er viel verdanke und dessen Wegmarkierung der Holocaust bleiben werde, "weil wir immer noch in seinem Schatten leben". Auch darum bedeute ihm seine Personalnummer in der israelischen Armee, die er vor Jahrzehnten erhielt, soviel. Diese Nummer und die Waffe in der Hand seien ein Befreiungsakt gewesen, um sich selbst und das Leben der Seinen verteidigen zu können, eine nationale Antwort auf die KZ-Nummern, die Menschen wie seine Eltern auslöschten.
 
Hier wird in schlimmer Art und Weise das Unrecht, das der jüdische Staat seit seiner Gründung an den Palästinensern beging, mit den Untaten der Nationalsozialisten vermengt. Der Holocaust darf nicht in dieser Art und Weise instrumentalisiert werden, denn die toten Holocaust-Opfer können sich gegen diese Vereinnahmung nicht mehr wehren. Aber kein israelischer Politiker auf Deutschland-Besuch vergisst diese in Deutschland speziell so
erfolgreiche Strategie anzuwenden.
 
Auch Ministerpräsident Netanjahu konnte es sich bei der wöchentlichen Regierungskonferenz nicht verkneifen den Holocaust zu instrumentalisieren. Wegen der 70jährigen Wiederkehr der "Endlösung" der Wannsee Konferenz meinte er, dass Israel das Recht, die Pflicht und die Möglichkeiten hätte, die Vernichtung jüdischer Menschen und des jüdischen Staates zu verhindern. Das wäre der Unterschied von 1942 zu 2012. Das gipfelte dann in den Sätzen: "Da ist kein Mangel von "bitter enemies today". (Ja warum wohl?) Sie wollen die jüdischen Menschen vernichten, das hat sich nicht verändert, aber was sich geändert hat, sind unsere Möglichkeiten, das zu ändern und unsere  Entschlossenheit, das zu machen. Wieder die unanständige Holocaust Verquickung, die absolut nichts mit den heutigen Untaten der israelischen Politik zu tun haben sollte.
 
Ebenso, als US Stabschef Martin Dempsey Israel letzte Woche besuchte (um Israel von einem Iran Angriff abzuhalten?) und natürlich auch wie alle deutschen und andere Besucher (zum wiederholten Male) die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem besuchte, schrieb er in das Gästebuch: "Drückte er die Verpflichtung der US Regierung aus, einen zukünftigen Holocaust
zu verhindern". Ein guter Spruch in das Gästebuch wäre: "Israel auf Einhaltung des Völkerrechts, der Menschenrechte zu verpflichten und  der Instrumentalisierung des Holocaust Einhalt zu gebieten. Aber die USA sind natürlich der falsche Ratgeber.

Wie kann es sein, dass die "Schutzmacht" schon fast keine Macht mehr über Israel hat? Jüdisch amerikanische Zeitungen – in diesem Fall Herausgeber Andrew Adler vom Atlanta Jewish-Newspaper persönlich (4) stellen öffentlich Überlegungen an, dass Israel ein Mossad-Kommando zur Hinrichtung Obamas geschickt werden solle. Wie können die USA so etwas noch hinnehmen? Die Unterstützer von Präsidentschaftskandidaten wie Gingrich werden mittlerweile so mächtig, dass dieser von Milliardären unterstützt wird (die auch Institute in Israel gründeten), die es zulassen, dass Gingrich (5) die Palästinenser als "erfundenes" Volk bezeichnet. Netanjahu bezeichnete die liberalen Zeitungen Haaretz und New York Times als größte Feinde Israels! Dies teilte der neue Chefredakteur der Jerusalem Post, Steve Linde, in einer Rede vor der Women’s International Zionist Organisation (WIZO) in Tel Aviv mit (6) Netanjahu nahm das allerdings gegenüber der Jerusalem Post wieder zurück. Er sei falsch verstanden worden! Israel der falsche verstandene kleine Staat, die einzige Demokratie im Nahen Osten, der sich immer nur gegen Feinde wehren muss. Wer glaubt eigentlich noch diese verlogenen Propagandasätze? Schluss damit, wir möchten sie nicht mehr hören und lesen!
 
Wen wundert es, wenn gerade auch unser Bundespräsident auf diesem Feld punkten will, was er schon während seines letzten Israel-Besuches bewies, indem er seine siebzehnjährige Tochter aus erster Ehe auf diese Reise mitnahm, um zu zeigen wie schuldbewusst auch die Nachgeborenen zu agieren haben. Hatte ich Wulff nicht einmal verteidigt, als er von der damaligen Zentralrats Präsidentin Charlotte Knobloch angegriffen wurde, weil er es gewagt hatte, das Wort Pogrom in einem "nicht jüdischen" Kontext zu gebrauchen? Als "Dankeschön" bekam ich dann einen Brief von ihm und seine damalige Rede als Ministerpräsident Niedersachsens zum 9. November (der Pogromnacht) damit er bloß nicht in den Verruf kam ein Antisemit zu sein.
 
Nebenbei gesagt: für Israel dürfte dieser Wulff im Schafpelz und zahnlose Tiger-Präsident ein Glücksfall sein, würde er denn im Amt bleiben. Vielleicht hat ihm Zentralrats-Präsident Graumann (Dieter mir graut vor Dir!) das ins Ohr geflüstert, als er mit Wulff beim Neujahrsempfang sprach.
 
Der 27. Januar sollte uns alle mahnen. Nie wieder Unterdrückung und Ausgrenzung, nie wieder Völkermord und ethnische Säuberung! Israel muss endlich die Schuld der Nakba anerkennen und darf nicht länger den Holocaust als Grund für die Unterdrückung der Palästinenser benutzen. Vom Opfer zum Täter. - Eine Schande und Gefahr ist es auch, wenn der Iran mit der Formulierung: "Nie wieder Holocaust!" bedroht wird. Diesen Spruch wollen wir nicht mehr hören. Auch die Menschenrechte und deren Einforderungen dürfen wir nicht Staaten wie den USA und Israel überlassen, die das Foltern und gezielte Töten und Kriege durch die Welt tragen. Das sind die Lehren, die ich aus unserer gemeinsamen Geschichte
gezogen habe. (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14763
(2) http://www.masada2000.org/shit-list.html
(3) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/feuilleton-glosse-zwei-perspektiven-11616479.html
(4) http://www.richardsilverstein.com/tikun_olam/2012/01/20/atlanta-jewish-newspaper-advocates-mossad-assassinating-obama-if-iran-gets-nukes/
http://gawker.com/barack-obama/
(5)
http://mycatbirdseat.com/2012/01/gingrichs-major-backer-arch-zionist-sheldon-adelson/
(6) http://www.aufbauonline.com/news/netanyahu-new-york-times-und-haaretz-sind-feinde-israels
 
 
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Unsere LeserInnen kennen sie als Autorin der Serie, die sie "vom Hochblauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, schreibt.
 
 

 


Online-Flyer Nr. 338  vom 25.01.2012



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