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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Menschenrechts-Tribunal verurteilt die sechs größten Pestizidhersteller
BASF, Bayer, Dow, Monsanto, DuPont, Syngenta
Von Professor Elmar Altvater und Peter Kleinert

Vom 3. bis 6. Dezember fand im indischen Bangalore das Permanent Peoples´ Tribunal (PPT) zu Vergiftungen durch Pestizide statt. Mehr als 200 Betroffene und Umweltschützer aus aller Welt präsentierten dem Tribunal Fälle von Umweltzerstörung und schwersten Gesundheitsschäden. Das PPT begann am 27. Jahrestag der Bhopal-Katastrophe, die durch eine Explosion in einer Pestizidfabrik des Konzerns Union Carbide (heute Dow Chemicals) verursacht wurde. Die Jury verurteilte in ihrer Abschlusserklärung die sechs Unternehmen, die den Weltmarkt für Pestizide und Saatgut dominieren, wegen schwerster Umwelt- und Gesundheitsschäden.
 

M.N. Venkatachaliah, der ehemalige Chief Justice of India, eröffnet das Tribunal
 Quelle: CBG
 
Auch die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) war zu den viertägigen Anhörungen eingeladen worden, um den Fall der weltweiten Bienensterben durch sogenannte Neonicotinoide zu dokumentieren. Der BAYER-Konzern ist Weltmarktführer für diese Art von Insektiziden, die in vielen Ländern wegen Risiken für Bienen nicht mehr frei verkauft werden dürfen - so auch in Deutschland, wo im Jahr 2008 ein flächendeckendes Bienensterben durch den Einsatz des BAYER-Pestizids Clothianidin verursacht wurde. Die NRhZ hat darüber in einigen Artikeln berichtet. (1) Bereits 1991 hatte nach einem jahrelangen Rechtsstreit das Bundesverfassungsgericht der CBG bestätigt, dass sie dem BAYER-Konzern grenzenlose Profitgier vorwerfen durfte. (2)
 

Philipp Mimkes von der CBG hält seinen Vortrag zu den Risiken von Pestiziden für Bienen und Wildinsekten
 Quelle: CBG
 
Giftmischer-Multis vor Gericht
 
So lautete die Überschrift eines Beitrags von Elmar Altvater in der Zeitung Neues Deutschland. Der emeritierter Professor für Politikwissenschaft hatte als Jury-Mitglied am Basso-Tribunal teilgenommen, das im indischen Bangalore  am 6. Dezember die Multis der Agrochemie verurteilt hatte. Begründung: Ihre Produktion von Umweltgiften gefährde die Gesundheit, die Biodiversität, das Wasser, die Luft, die Böden. Die Produktion von Pestiziden müsse sofort gestoppt werden.
 
"Es ist eine schockierende Warnung, die der britische Imker Graham White im indischen Bangalore aussprach", so Prof. Altvater in diesem Beitrag: "Wenn wir es zulassen, dass die Weltmarktführer der Pestizidproduktion, nämlich Monsanto, Dow und DuPont aus den USA, Syngenta aus der Schweiz oder Bayer und BASF aus Deutschland wie bisher ihre Giftbrühe auf den Feldern versprühen, ist das große Bienensterben unvermeidlich.

Sarojeni Rengam, Vorsitzende des Pestizid Aktions-Netzwerks in Asien
Quelle: CBG
 
Die etwa 300 Aktivisten aus dem Pesticide Action Network International werden von Whites Warnung nicht gänzlich überrascht gewesen sein. Sie wussten bereits, dass auch nützliche Insekten von den chemischen Keulen der Multis vernichtet werden. Die Blüten von Wildpflanzen, von Apfelbäumen und Tomatenstauden, von Bohnen und Mais werden nicht mehr bestäubt. Die Ernteerträge gehen zurück, die Nahrung wird knapp, die Hungerkrisen nehmen zu.
 
Der massive Pestizideinsatz reduziert die Biodiversität und verändert die Evolution des Lebens. Dass es nicht zum Besseren gereicht, ist ziemlich sicher. Auch die soziale Vielfalt auf dem Lande leidet. Die in Großplantagen mit viel Maschinerie betriebenen Monokulturen brauchen das in Jahrhunderten erworbene und von Generation zu Generation weitergegebene Wissen der Bauern nicht mehr. Über die Vielfalt der Agrikultur dominiert die Einfalt der Agromonokultur."
 
Weil Appelle an die Konzerne oder Demonstrationen gegen sie und die Einschaltung der Regierungen gegen den ungehemmten Pestizideinsatz auf dem Lande nicht viel gebracht hätten, sei das "Permanente Tribunal der Völker" der Lelio Basso Stiftung vom "Pestizid Action Network International" angerufen worden.
 
"Vorherrschend ist unter den politisch Verantwortlichen, in der Wissenschaft und in den Medien die Vorstellung", so Altvater im ND, "dass mit hohem Pestizid- und massivem Maschineneinsatz zusammen mit hohen Düngerzugaben die Ernteerträge gesteigert werden könnten, zumal wenn das gentechnisch modifizierte Saatgut, über das die Multis das Monopol besitzen, verwendet wird. Da haben es diejenigen schwer, die die Gefahren der industrialisierten Landwirtschaft für die Ernährung, für die Gesundheit der Landbevölkerung und der Konsumenten der Chemieprodukte oder für die Biodiversität schon erfahren haben und der inzwischen Jahrzehnte währenden Propaganda der "Grünen Revolution" auf dem Lande misstrauen.
 
Der Biologe Tyron Hayes von der Universität Berkeley beschrieb den politischen und sozialen Druck der Pestizidmultis, der auf diejenigen ausgeübt wird, die ihren schnellen Geschäften mit den Agrargiften im Wege stehen. Er schilderte dem Tribunal in Bangalore seine Forschungsergebnisse über die Wirkungen des Pestizids Atrazin von Syngenta. Dieses verhindert die Bildung des männlichen Hormons Testosteron. Männliche Frösche produzieren nur noch wenig Sperma und bilden stattdessen weibliche Geschlechtsmerkmale aus und werden unfruchtbar. Was Fröschen, anderen Amphibien und Vögeln passiert, kann auch Menschen geschehen. Für diese Warnung wurde Tyron Hayes in den USA gemobbt und fast hätte er seine Stellung an der Universität in Berkeley verloren. Sich mit den Multis anzulegen, ist gefährlich.
 
Es ist sogar lebensgefährlich für die Bauern dort, wo die Pestizide in den großen Monokulturen von Raps und Zuckerrüben, von Zuckerrohr und Palmen, von Mais und vor allem von Soja ausgebracht werden. Das musste Petrona Villasboa aus Paraguay erfahren. Ihr Sohn Silvino wurde, als er mit dem Fahrrad durch eine Soja-Plantage fuhr, mit Glyphosat von Monsanto, einem der giftigsten Pestizide, besprüht. Er starb an dem Gift, wie sich vor Gericht herausstellte, obwohl im Krankenhaus Herzversagen als Ursache angegeben wurde. Obwohl die Verantwortlichen verurteilt wurden, haben sie die Strafe niemals antreten müssen. Mit Bitterkeit wurde dies von der Mutter von Silvino in Bangalore vermerkt.

Die Mutter von Silvino, der im Alter von elf Jahren nach einer Vergiftung durch das Monsanto-Herbizid Glyphosat verstarb, spricht zu den Mitgliedern des Tribunals
Quelle: CBG
 
Doch die Straflosigkeit der Verantwortlichen für Umweltverbrechen und Gesundheitsschäden ist ganz normal, wie auch aus Indien berichtet wurde. Das Insektizid Endosulfan, das von Bayer auf den Markt gebracht wird, ist verantwortlich für ein Desaster der öffentlichen Gesundheit, berichtete der für die Betreuung der Endosulfan-Opfer im indischen Bundesstaat Kerala Verantwortliche. Durch das Pestizid werden die Nervenzellen angegriffen, Hirnfunktionen werden lahmgelegt. Es beeinflusst die Fruchtbarkeit und es ist krebserregend. Trotzdem wird es auch in Indien auf dem Lande verwendet.
 
Aber selbst dort, wo Pestizide wie Endosulfan gar nicht ausgebracht werden können, leiden die Menschen unter den langlebigen Organischen Schadstoffen (POPs). Einmal in den Naturkreisläufen bleiben die Pestizide darin und sie migrieren - von Meeresströmungen getragen bis in den hohen Norden des Planeten Erde, wo es eine Landwirtschaft gar nicht mehr gibt. Vor dem Tribunal bezeugte Vi Waghiyi, eine Yupik-Eskimo-Frau von der St. Lawrence Insel, in der Beringsee zwischen Alaska und der russischen Tschuktschen-Halbinsel gelegen, wie sehr auch ihre Nahrung, nämlich Fische und Robben bereits vergiftet sind, so dass sie sich nicht mehr auf ihre traditionelle Weise ernähren können und auf Lieferungen aus den USA angewiesen sind. Die sind teuer und passen nicht zu der jahrhundertealten Kultur der Eskimos.
 
Drei Tage nahmen die Sitzungen des Tribunals mit einer international zusammengesetzten Jury in Anspruch. Die fast 400-seitige Anklageschrift listet weltwirtschaftliche Zusammenhänge und die Folgen der Pestizide weltweit akribisch auf. Die Weltgesundheitsorganisation hat schon 2004 angegeben, dass fast 5 Millionen Menschen an Chemiegiften gestorben sind. Das Urteil der Jury verlangt ein sofortiges Ende der Pestizidproduktion der sechs angeklagten Multis.
 
Ob das Verbot befolgt wird, ist unsicher. Denn das Tribunal ist »nur« ein Meinungstribunal und kann, wie der Jury-Vorsitzende, der Inder Upendra Baxi hervorhob, nicht für die Vollstreckung eines Urteils garantieren, zumal die Regierungen der Länder mitverantwortlich sind, wo die Multis ihren Sitz haben. Die Regeln der globalen Agrarmärkte müssten geändert werden, damit nicht, so sagt es Vandana Shiva, Indien in Pestiziden ertrinkt. Das ist nicht nur dort so. Denn die Agrochemie-Multis sind nicht wählerisch. Die Regeln des Freihandels ermöglichen es, dass sie ihre tödlichen Cocktails überall dort verkaufen können, wo die notwendige Kaufkraft entsprechende Profite verspricht. 
 
Doch nun können sich soziale Bewegungen, wenn sie ihren Kampf gegen Gentechnik und Pestizide und für Ernährungssouveränität fortsetzen, auf das Urteil und das vom Tribunal gesammelte belastende Material berufen."
 
Einschätzung von Greenpeace
 
Pessimistisch fällt auch ein Bericht Greenpeace Magazin vom 13. Dezember über mögliche Erfolge des internationalen und unabhängigen Tribunals aus, das mit 10 Richtern und 50 Experten aus aller Welt besetzt war und dessen Beschlüsse dem Generalsekretär der Vereinten Nationen sowie nationalen und internationalen Institutionen vorgelegt werden sollen:
 
"Die Heimatländer der verurteilten multinationalen Konzerne sind neben Deutschland die Schweiz und die USA. Sie wurden von der Jury kritisiert, die Menschenrechte nicht zu fördern und zu schützen. Der Internationale Währungsfond und die Weltbank haben der Jury zufolge im Rahmen ihrer Vergabepraxis die Einhaltung der Menschenrechte nicht ausreichend berücksichtigt. Die Welthandelsorganisation wurde schuldig gesprochen, eine unausgewogene Politik zu betreiben, indem sie das Recht auf geistiges Eigentum der Konzerne stärker betone als den Schutz vor Langzeitgefahren, die die Unternehmen selbst verursachen." (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13005
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13589
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15468
(2) http://www.cbgnetwork.org/1178.html
http://www.cbgnetwork.org/1352.html

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) braucht 400 neue Mitglieder, um ihre konzernkritische Arbeit fortsetzen zu können. Sie erhält keinerlei Förderung aus staatlichen oder kirchlichen Quellen - der Preis konsequent konzernkritischer Arbeit.
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Online-Flyer Nr. 333  vom 21.12.2011



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