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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Inland
"So ist der Verfassungsschutz selbst Teil des Neonazi-Problems geworden"
Interview mit Dr. Rolf Gössner
Von Angela Klein

Dr. Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rechtsanwalt und Publizist, hat zum Thema NPD und Verfassungsschutz der in Köln erscheinenden "SoZ - Sozialistische Zeitung" zum Thema Verfassungsschutz und V-Leute ein Interview für deren Dezember-Ausgabe gegeben. Wir danken der "SoZ" und ihrer Redakteurin Angela Klein, dass wir es übernehmen durften. – Die Redaktion.
 

Dr. Rolf Gössner
Quelle: AK Vorrat
Angela Klein: Haben die Verfassungsschutzbehörden ein Problem mit Rechts-extremistInnen in den eigenen Reihen, sind sie auf dem rechten Auge blind oder hatten sie ihren eigenen Laden nicht mehr im Griff?
 
Rolf Gössner: Sicherlich ist in manchen VS-Behörden und bei manchen VS-Bedien-steten eine rechtsorientierte Gesinnung anzutreffen und eine gewisse Kumpanei zwischen V-Leuten aus der Neonaziszene und ihren V-Mann-Führern – zumindest Distanzlosigkeit. Insgesamt gehe ich im vorliegenden Fall weniger von Unfähigkeit, Pannen und Konfusion des Verfassungsschutzes aus als vielmehr von ideologischen Scheuklappen, von Ignoranz und Verharmlosung des neonazistischen Spektrums. Bedrohungen und Gefahren für Demokratie und Verfassung werden immer noch, den alten Feindbildern folgend, in erster Linie mit "Linksextremismus/-terrorismus" und "Islamismus/islamistischem Terrorismus" assoziiert - und hier werden dann alle Register gezogen, die den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stehen und die im Zuge des exzessiven Antiterrorkampfes der 1970er Jahre und besonders seit 9/11 noch erheblich ausgeweitet wurden. Im Zusammenhang mit Neonazismus ist man traditionellerweise weit zurückhaltender.
 
Diese Zurückhaltung ist ganz besonders auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte schockierend – und angesichts der Tatsache, dass seit 1990, also dem Jahr der deutschen Vereinigung, über 150 Menschen von Neonazis und anderen fremdenfeindlich eingestellten Tätern erschlagen, erstochen, aus fahrenden Zügen geworfen, zu Tode gehetzt oder verbrannt worden sind - jetzt müssen wir mindestes zehn weitere Mordopfer dazurechnen. Schon in den 1980er Jahren sind in Westdeutschland insgesamt 35 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen. Das Phänomen ist also keineswegs neu – ganz anders, als jetzt immer wieder, mit Entlastungsfunktion, behauptet wird. Aber auch damals richtete sich der staatliche Kampf vorwiegend gegen "Linksterrorismus und -extremismus", wobei die gesamte Linke davon nicht verschont blieb.
 
Welche historischen Zusammenhänge gab es zwischen den VS-Behörden und dem Nationalsozialismus bzw. der extremen Rechten in der Bundesrepublik? Der VS hat bis heute ein nicht geklärtes Verhältnis zu seiner NS-belasteten Entstehungsgeschichte – auf Bundes- wie auf Länderebene. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wurde jedenfalls zu weiten Teilen von belasteten Alt-Nazis aufgebaut und antikommunistisch geprägt, die schon in der NS-Zeit bei Gestapo, SS oder NS-Justiz einschlägig tätig waren. Diese Vergangenheit harrt der gründlichen und unabhängigen Aufarbeitung - erst vor kurzem wurde sie in die Wege geleitet. Diese Vergangenheit hatte selbstverständlich prägenden Einfluss auf die weitere Entwicklung und Arbeit des VS in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik. Eine exzessive Kommunisten-verfolgung in den 1950er und 60er Jahren, an der der VS maßgeblich beteiligt war, steht für diese Phase; um die altnazistische Szene kümmerte sich der VS anfänglich und allzu lange Zeit nur wenig, sie war schließlich weitgehend im Staatsapparat aufgegangen beziehungsweise – wie der erste BfV-Präsident Otto John bemerkte – von den Regierungsparteien integriert worden.
 
Schon allein wegen dieser prägenden antikommunistischen und antisozialistischen Ausrichtung ist es für manche auch heute noch schwer vorstellbar, dass ausgerechnet dieser Geheimdienst, der schon frühzeitig und bis in die jüngere Zeit die ”Gefahren des Kommunismus” und “Linksextremismus” übersteigert und die des Neonazismus allzu lange sträflich verharmlost hat, zu einem Garanten für die Eindämmung dieser Gefahr werden könnte. Und die Realität gibt ihnen in erschreckendem Maße Recht. Die VS-Ämter haben schon in den 1980er und 90er Jahren insoweit als ”Frühwarnsystem” auf ganzer Linie versagt, das sie eigentlich sein sollen und wollen. Weder konnten sie die Zunahme rechter Organisationen und Aktivitäten vorhersagen und erklären noch die Zunahme rassistischer Gewalttaten. Und lange Zeit bagatellisierten sie die organisatorischen Qualitäten rechter Gruppierungen – obwohl es längst starke Ansätze zur Organisierung und Vernetzung gab. Und diese Verharmlosung und Blindheit auf dem rechten Auge setzte sich offenbar bis in die Gegenwart fort.
 
Welche Gefahren birgt die ausufernde V-Leute-Arbeit des VS in Neonazi-Szenen?
 
Im Laufe der Jahre ist ein regelrechtes Netzwerk aus Spitzeln und Agents provocateurs in der Neonazi-Szene entstanden – ein undurchdringliches Gestrüpp aus braunen Parteien, Neonazi-Gruppen, Verfassungsschutz und seinen dubiosen Zuträgern. Die infiltrierenden Aktivitäten des VS in den gewaltbereiten Neonazi-Szenen bergen große Gefahren: Über seine angeworbenen, gedungenen und bezahlten V-Leute - im rechtsextremen Spektrum handelt es sich um hart gesottene Neonazis, gnadenlose Rassisten, nicht selten auch um Gewalttäter - verstrickt sich der VS fast zwangsläufig in kriminelle Machenschaften, wobei auch Straftaten geduldet oder indirekt gefördert werden. Brandstiftung, Totschlag, Mordaufrufe, Waffenhandel, Gründung einer terroristischen Vereinigung – das sind nur einige der Straftaten, die „Vertrauensmänner“ des VS im Schutz ihrer Tarnung begingen und begehen. Und ihre V-Mann-Führer in den VS-Etagen gehen mit ihnen nicht selten ziemlich vertrauensselig bis kumpelhaft um.
 
Das vielleicht Erschreckendste, was ich bei den Recherchen selbst erfahren musste, ist, dass der VS seine kriminell gewordenen V-Leute oft genug deckt, systematisch gegen polizeiliche Ermittlungen abschirmt, um sie weiter abschöpfen zu können – anstatt sie unverzüglich abzuschalten. Mit verfassungsschützerischer Rückendeckung können sich diese Kriminellen im Dienste des Staates in ihrem rechten Treiben ermutigt fühlen und unangefochten weitermachen wie bisher. Dieses Verhalten nennt man psychische Unterstützung und Beihilfe zu Straftaten. Das ist zwar strafbar, doch die VS-Verantwortlichen sind dafür nie zur Rechenschaft gezogen worden – selbst wenn durch dieses Verhalten unbeteiligte Personen schwer geschädigt wurden.
 
Der Staat hat also die rechtsextremen Szenen und Parteien über seine bezahlten Spitzel letztlich mitfinanziert und gestärkt, anstatt sie zu schwächen. Abertausende DM und Euros flossen in rechtsextreme Neonazistrukturen. So ist der VS über sein V-Leute-Netz selbst Teil des Neonazi-Problems geworden, jedenfalls konnte er, wie wir sehen, kaum etwas zu dessen Bekämpfung beitragen.
 
Haben die V-Leute aus dem rechtsextremen Spektrum den VS instrumentalisiert oder gar beeinflusst?
 
Auch das ist vorgekommen und dokumentierbar. So haben etwa die V-Leute Wolfgang Frenz und Udo Holtmann aus Nordrhein-Westfalen die NPD jahrzehntelang mit aufgebaut, an führenden Stellen die Zielsetzung und Aktivitäten der Partei entscheidend mitbestimmt und rassistisch geprägt – obwohl gerade das nach den internen V-Leute-Richtlinien eigentlich untersagt ist. Frenz, Holtmann und andere haben also das Beobachtungsfeld, das sie für den VS von innen auskundschaften sollten, als V-Leute selbst mitgestaltet. Sie betätigten sich nach eigenen Aussagen auch als „Doppelagenten“, indem sie versuchten, ihrerseits den VS auszuspähen und ihn lediglich mit Spielmaterial zu versorgen – also nur mit Informationen, die zuvor von der NPD gefiltert wurden. Sicher liegt es zum Teil an der zweifelhaften Qualität der V-Leute-Informationen, dass sich trotz der hohen Zahl an V-Leuten in den Neonazi-Szenen die Erkenntnisse des VS nicht etwa nennenswert gesteigert haben: Was der VS mit Millionenaufwand bisweilen zutage förderte, war für Kenner der braunen Szene nicht gerade erhellend. Ein gut ausgestattetes politikwissenschaftliches Institut hätte die Rechtsentwicklung jedenfalls ohne dubiose Methoden, dafür mit wesentlich besseren diagnostischen und analytischen Fähigkeiten erforschen und erklären können.
 
Warum ist den Parlamentarischen Kontrollkommissionen nichts aufgefallen? 
 
Parlamentarische Kontrollgremien haben meines Wissens bislang weder VS-Skandale noch problematische VS-Strukturen aufgedeckt, das waren zumeist die Medien oder Insider. In den parlamentarischen Gremien arbeiten Abgeordnete, die in der Regel keine Fachleute für Geheimdienstarbeit sind. Sie prüfen nicht prophylaktisch, sondern meist erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen, sprich: der Skandal perfekt ist. Dann versuchen sie – allerdings auch unter Geheimhaltung – Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei beklagten etliche von ihnen immer wieder, dass diese parlamentarische Kontrolle letztlich unzureichend sei.
 
Könnte man gar etwas grob sagen, der VS kann eigentlich machen was er will?
 
Verfassungsschutzbehörden sollen zwar dem Schutz von Verfassung und Demokratie dienen. Sie sind aber Inlandsgeheimdienste, denen von Anfang an der euphemistische Tarnname „Verfassungsschutz“ verpasst wurde. Als Geheimdienste sind sie jedoch selbst Fremdkörper in der Demokratie, weil sie mit ihren geheimen Strukturen, Mitteln und Methoden demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widersprechen. Deshalb neigen Geheimdienste zu Verselbstständigung und Eigenmächtigkeit, Machtmissbrauch und Willkür, und immer wieder zu Skandalen, wie wir sie durch die Jahrzehnte hindurch erleben mussten. Deshalb gibt es immer wieder die Diskussion, ob solche skandalgeneigten und kaum kontrollierbaren Geheimorgane, die Demokratie und Bürgerrechten mehr schaden als nützen, perspektivisch aufgelöst werden müssten. Nach dem neuen Verfassungs-schutz- bzw. Staatsschutzskandal ist diese Debatte keineswegs mehr abwegig, sondern in vollem Gang.
 
In der offiziellen Version des Geschehens um die Neonazi-Morde gibt es eine Reihe von Ungereimtheiten. Vertuschen die VS-Behörden etwas?
 
Vertuschen gehört zum Handwerk von Geheimdiensten. Insofern also nichts Ungewöhnliches. Aber was genau vertuscht wird, das wissen wir leider (noch) nicht, weil es ja geheim ist. Hat möglicherweise eine organisierte Abschirmung der Täter aus den Sicherheitsbehörden heraus stattgefunden? Welche Rolle spielt bei der Vertuschung der (thüringische) VS? Wir dürfen es nicht zulassen, dass hier die Aufklärung wieder an die Grenzen des demokratischen Rechtsstaates stößt, weil Geheimdienste im Spiel sind. Eine rückhaltlose und unabhängige Aufklärung verträgt sich nicht mit Geheimhaltung und Vertuschung.
 
Tappten die Polizeibehörden auch deshalb so lange im Dunkeln, weil die VS-Behörden Einfluss auf die Ermittlungen genommen haben? 
 
Dieser ungeheuerliche und beispiellose Nichtermittlungsskandal ist eigentlich nur erklärlich, wenn man eine organisierte Abschirmung und Begünstigung der Täter aus den Reihen der Sicherheitsbehörden heraus unterstellt. Insoweit müssen wir allerdings erst die kommenden Ermittlungen abwarten, wobei auch hier die Rolle des VS von besonderer Bedeutung ist. Schließlich war doch der VS mit V-Leuten wie Tino Brandt gerade auch in jenen Neonazi-Gruppen wie dem „Thüringer Heimatschutz“ hautnah dran, in denen die späteren Mörder organisiert waren. Deshalb ist es besonders unverständlich, weshalb drei Neonazis, denen bereits terroristische Straftaten vorgeworfen wurden, nach Erlass eines entsprechenden Haftbefehls einfach über mehr als ein Jahrzehnt untertauchen und unbehelligt quer durch die Republik eine ganze Serie von Morden an Migranten und einer Polizistin begehen konnten.
 
Auch der Fall Holger G. in Niedersachsen lässt sich nicht als bloße Panne verharmlosen. Sicher, das Landesamt für VS und Innenminister Uwe Schünemann (CDU) haben inzwischen einen schweren Fehler eingeräumt. Aber wie kann ein solcher Fehler passieren, wenn klar war, dass es sich um terroristische Taten und einen mutmaßlichen Mittäter handelt? Hier hätten doch bei jedem Profi die Alarmglocken schrillen müssen und es hätte unverzüglich die Polizei eingeschaltet werden müssen. Insofern gab es keinerlei Ermessensspielraum. Warum hat man die Observation nach zwei oder drei Tagen einfach abgebrochen und die Angelegenheit konspirativ für sich behalten? Hierauf gibt es – wie auf so viele andere brennende Fragen - bislang keine plausible Antwort. (PK)
 
Dr. Rolf Gössner ist auch Mitherausgeber des jährlich erscheinenden "Grundrechte-Report. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland" (Fischer-TB) und Autor zahlreicher Bücher zum Thema Innere Sicherheit und Bürgerrechte, zuletzt: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates, München 2003; Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der „Heimatfront“, Hamburg 2007.


Online-Flyer Nr. 330  vom 30.11.2011



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