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Inland
NSU-Verbindungen zu berüchtigtem Rechtsterroristen der 1970er Jahre
V-Männer II
Von Hans Georg

Recherchen im Umfeld der Neonazi-Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) liefern neue Hinweise auf Verbindungen zu einem berüchtigten Rechtsterroristen der 1970er Jahre. Demnach haben Jenaer Neonazis, die im Verdacht stehen, den NSU unterstützt zu haben, nach einem Treffen mit dem einstigen Chef der "Wehrsportgruppe Hoffmann", deren Mitglieder bereits im Jahr 1980 mehrere Morde verübt hatten, über Sprengstoffe und "Bauanleitungen" diskutiert. Das Treffen mit dem berüchtigten Rechtsterroristen Karl-Heinz Hoffmann fand im September 2010 statt.[1] Die Polizei rechnete mit einem Anschlag auf eine Parlamentarierin der Partei "Die Linke".
 

Verurteilter Rechtsterrorist
Karl-Heinz Hoffmann
Hoffmann war in den 1970er Jahren Anführer einer "Wehrsportgruppe", der mehrere Mörder entstammten: Gundolf Köhler, der 1980 das Oktoberfest-Attentat verübte, oder auch Uwe Behrendt, der wenig später in Erlangen den jüdischen Verleger Shlomo Levin und dessen Lebensgefährtin Frieda Poeschke umbrachte. Hoffmanns Wehrsportgruppe unterhielt in den 1970er Jahren auch Kontakte zu einem Neonazi, der mutmaßlich dem Netzwerk "Stay Behind Organization" angehörte, das vom Bundesnachrichtendienstes (BND) betrieben wurde.
 



Stay Behind
 
Die Beziehungen der Neonazi-Szene zur "Stay Behind Organization" (SBO, auch unter der Bezeichnung "Gladio" bekannt) sind inzwischen zumindest in Ansätzen dokumentiert. Bei der SBO handelte es sich dem Bericht eines Insiders zufolge um "eine geheime, paramilitärisch organisierte Truppe" unter dem Dach der NATO, die im Westen Europas bestand und den Auftrag hatte, sich im Falle eines sowjetischen Einmarschs "überrollen" zu lassen. Zu ihren regulären Aufgaben gehörten Sabotageakte gegen eventuelle realsozialistische Besatzungskräfte sowie antikommunistische Propaganda. "Stay Behind" wurde vom Brüsseler NATO-Hauptquartier gesteuert; die Tätigkeit vor Ort übernahmen die nationalen Geheimdienste. Dazu gehörte das Anwerben zivilen Personals sowie das Anlegen geheimer Lagerstätten etwa für Funkgeräte, Waffen und Sprengstoff. "Wir bildeten die unterste Ebene", berichtet ein ehemaliger "Stay Behind"-Mann aus dem Bundesnachrichtendienst (BND), "und sorgten dafür, dass unsere zivilen Helfer im Kriegsfall Zugriff auf Depots mit Waffen, Sprengstoff, Funkgeräten und Finanzen hatten und damit auch umgehen konnten."[2]
 
Todesliste
 
Die ersten Anfänge der geheimdienstlich gesteuerten Untergrundarmee, deren Existenz bis 1990 neben den Beteiligten nur wenigen ausgewählten Regierungsmitgliedern bekannt war und erst nach dem Ende des Kalten Krieges ins Bewusstsein der Öffentlichkeit drang, sind für Anfang der 1950er Jahre belegt. Organisatorischer Rahmen war der 1950 gegründete "Bund Deutscher Jugend" (BDJ), der 1951 eine Unterabteilung namens "Technischer Dienst" (TD) aufstellte. Dem BDJ-TD gehörten vor allem ehemalige Soldaten der Wehrmacht und der SS an; Ziel war es, sich auf einen eventuellen Untergrundkrieg gegen die Sowjetarmee vorzubereiten. Finanziert vor allem von US-Dienststellen, legte der BDJ-TD geheime Waffenlager an und führte illegale Wehrsportübungen durch. Er galt als ein Sammelbecken von Neonazis. Man habe die Aufgabe gehabt, "im Fall eines russischen Vormarsches Sabotageakte durchzuführen und Brücken zu sprengen", berichtete ein Aussteiger. Die Übungen umfassten "Vernehmungstechniken, Schießen, die Anwendung von Sprengstoffen, das Aufstellen von Fallen, Kommunikation per Funk und Tötungsmethoden".[3] Insbesondere verfügte der BDJ-TD über eine sogenannte Proskriptionsliste. Darauf waren Personen verzeichnet, die bei Bedarf exekutiert werden sollten - Kommunisten, Gewerkschafter und Sozialdemokraten. Nachdem die Aktivitäten der Organisation 1952 bekannt geworden waren und die Vereinigung damit nutzlos geworden war, wurde sie 1953 verboten.
 
Vom BND übernommen
 
Die "Stay Behind"-Aktivitäten aber wurden nach dem Verbot des BDJ-TD keineswegs aufgegeben, sondern vom deutschen Auslandsgeheimdienst übernommen - zunächst von der Organisation Gehlen, dann vom 1956 gegründeten Bundesnachrichtendienst. Der BND führte sie fort, bis 1990 die Bundesregierung ankündigte, sie 1991 einstellen zu wollen. Noch Ende der 1980er Jahre sollen mit der Betreuung von über 100 Zivilisten, die für subversive Tätigkeiten bereitgehalten wurden, 26 hauptamtliche BND-Mitarbeiter befasst gewesen sein. Für den Höhepunkt des Kalten Kriegs nennt der ehemalige "Stay Behind"-Mann Norbert Juretzko "bis zu 75 Hauptamtliche des Geheimdienstes und 500 Helfer".[4] Unter ihnen befanden sich mutmaßlich auch Neonazis.
 
Waffenlager
 
Prominentes Beispiel war der NPD-Aktivist Heinz Lembke aus Öchtringen in der Nähe von Uelzen (Lüneburger Heide). Lembke war in den 1960er und 1970er Jahren in verschiedenen Vereinigungen der Neonazi-Szene aktiv. Im Oktober 1981 wurde in der Lüneburger Heide ein riesiges Waffenlager gefunden, das sich in seinem Besitz befand. Beobachter waren damals über die schiere Masse des Kampfmaterials schockiert: "Auf einem Areal, groß wie 125 Fußballplätze", hieß es in Berichten, waren unter anderem über 150 Kilogramm Sprengstoff, über 2.000 Sprengkapseln, 50 Panzerfäuste, mehr als 250 Handgranaten, 13.500 Schuss Munition, zahlreiche Schusswaffen und diverse tödliche Gifte versteckt.[5] Lembke wurde inhaftiert, kündigte an auszusagen, wurde aber unmittelbar davor erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Experten gehen davon aus, dass er Mitglied der "Stay Behind"-Armee war. Dafür spricht nicht nur, dass er angegeben hatte, die Waffen gehortet zu haben, um im Falle eines sowjetischen Einmarsches kämpfen zu können. Auch belegen von der Stasi abgefangene Funksprüche, dass eine "Stay Behind"-Gruppe in unmittelbarer Nähe zu Lembkes Wohnort aktiv gewesen ist. Laut Recherchen des Publizisten Tobias von Heymann wurde diese Gruppe mehrfach von der BND-Zentrale aufgefordert, "Materialverstecke" anzulegen.[6] Auch Lembkes Beruf - er war Förster in einem abgelegenen Ort - passt in das "Stay Behind"-Profil. Der BND könnte Klarheit schaffen, verweigert dies jedoch bis heute.
 
Zur Verfügung
 
Besondere Brisanz besitzt das "Materialversteck", weil Neonazis im Jahr 1980 angaben, Lembke habe ihnen Waffen und Sprengstoff angeboten. "Er sagte, er habe viele Waffenverstecke voll mit derartigem Material und dass er eine Menge davon zur Verfügung stellen könne", berichtete 1980 ein Mitglied der Neonazi-Terrorclique "Deutsche Aktionsgruppen": "Herr Lembke sagte uns, dass er Leute im Gebrauch von Sprengstoffen und explosiven Geräten ausbilde."[7] Trotz der Aussage, die unmittelbar nach dem Oktoberfestattentat gemacht wurde, einem Neonazi-Mord mit 13 Toten, gingen die Fahnder dem Hinweis auf Lembke nicht nach; Untersuchungen wurden erst eingeleitet, als Waldarbeiter im Oktober 1981 sein Waffenlager entdeckt hatten. Darin war ein Fingerabdruck von Peter Naumann zu finden, einem ehemaligen Neonazi-Terroristen, der einst gemeinsam mit Lembke einen Sprengstoffanschlag in Italien verübt hatte. Naumann legte im Jahr 1995 13 Waffen- und Sprengstoffdepots offen, über die er nach eigenen Angaben seit Anfang der 1980er Jahre verfügte. Die Herkunft des darin gelagerten Materials ist bis heute ungeklärt.
 
Strategie der Spannung
 
Experten schließen nicht aus, dass auch beim Oktoberfestattentat Material aus Lembkes Beständen benutzt wurde. Offiziell heißt es, das Attentat sei von einem "Einzeltäter" begangen worden. Der Täter hatte der zuvor verbotenen "Wehrsportgruppe Hoffmann" angehört; Beobachter gehen davon aus, dass er keineswegs allein gehandelt hat. Immer wieder wird das Attentat, das nur wenige Tage vor der Bundestagswahl vom 5. Oktober 1980 verübt wurde, mit der "Strategie der Spannung" in Verbindung gebracht, wie sie in Italien von dortigen "Stay Behind"-Strukturen praktiziert wurde: Mit Anschlägen sollten Angst verbreitet und der Ruf nach einem "starken Mann" gefördert werden, um die Linke zu schwächen. Die "Wehrsportgruppe Hoffmann", welcher der Oktoberfest-Attentäter angehört hatte, war - wie viele Neonazi-Organisationen - von V-Männern des Verfassungsschutzes durchsetzt. Weil die polizeiliche und juristische Untersuchung des Anschlags als äußerst vernebelnd galt und die "Einzeltäter"-Hypothese geringe Akzeptanz findet [8], wurde schon oft verlangt, neue Ermittlungen aufzunehmen. Dieser Forderung hat sich mit Blick auf die aktuellen Enthüllungen über die Neonazi-Terrorgruppe NSU vor wenigen Tagen der Münchner Stadtrat angeschlossen - ohne Gegenstimme. (PK)
 
 
[1] Wehrsportgruppen-Hoffmann im Visier der Ermittler; www.welt.de 27.11.2011
[2] Norbert Juretzko mit Wilhelm Dietl: Bedingt dienstbereit. Im Herzen des BND - die Abrechnung eines Aussteigers, Berlin 2004
[3] Daniele Ganser: NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegführung, Zürich 2008
[4] Norbert Juretzko mit Wilhelm Dietl: Bedingt dienstbereit. Im Herzen des BND - die Abrechnung eines Aussteigers, Berlin 2004
[5] Es ist Wolfszeit; Der Spiegel 46/1981
[6] Das Oktoberfestattentat war kein Werk eines Einzeltäters; www.heise.de 26.07.2010
[7] Daniele Ganser: NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegführung, Zürich 2008
[8] Tobias von Heymann: Die Oktoberfest-Bombe, Berlin 2008
 
Auch diesen Beitrag haben wir von der Internetseite http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58210 übernommen - siehe "Die V-Männer - Teil I" in dieser Ausgabe.


Online-Flyer Nr. 330  vom 30.11.2011



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