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Globales
Großvater kam mit 2 Dollar in New York an, Vater promovierte in Medizin
Wie wurden amerikanische Juden so reich?
Von Tani Goldstein

Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Ronald Lauder ließ neulich Funken sprühen, indem er Israel aufrief, sofort Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zu beginnen. Das Statement wurde als Kritik an Lauders persönlichem Freund, dem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu angesehen. Später wiederholte Lauder seine „eindeutige“ Unterstützung für Netanjahu und „Taktiken, die einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu schaffen versuchen“. Lauders Bemerkungen machten Schlagzeilen und verursachten begeisterte und ärgerliche Antworten nicht nur wegen seiner bedeutenden Rolle, sondern auch – und hauptsächlich – weil er ein sehr reicher Mann ist.
 

Sorgte für Schlagzeilen:
US-Milliardär Ronald Lauder
Quelle: wikipedia
Wall Street: viele Juden
 
Forbes-Magazin schätzt seinen Reichtum auf 2,7 Milliarden. Seine Familie besitzt den Estée Lauder-Cosmetic-Giganten, er ist einer der größten Kunstsammler der Welt und besitzt Dutzende von TV-Kanälen und Medien-Verkaufsstellen in den USA und weltweit, einschließlich 25% von Israels TV-Kanal 10. Er ist ein großzügiger Spender für zahllose jüdische und israelische Organisationen, Körper-schaften und Offizielle – einschließlich Netanjahu.
 
Juden sitzen in allen Machtzentren
 
Lauder ist eindeutig nicht der einzige amerikanische Jude, der Geld nach Israel schleust und so das Land beeinflusst. Viele israelische Erwachsene erhielten in ihrer Kindheit ein Paket vom „reichen Onkel aus Amerika“. Tausende von Organisationen, einschließlich Krankenhäuser und Universitäten empfingen Milliarden von Schekel als Spenden aus den USA. Eine Studie der Hebräischen Universität fand heraus, dass sie bis zu zwei Drittel aller Spenden in Israel ausmachen.
 
Jeder neue Immigrant erhält Hilfe von der jüdischen Agentur, deren Budget sich meistens aus Spenden aus den USA zusammensetzt. Viele von uns leben auf Land des Jüdischen Nationalfonds, das von Arabern mit jüdisch-amerikanischem Geld gekauft wurde. Ein orthodoxer Yeshiva-Student erhält von der israelischen Regierung 295 $ pro Monat und weitere 885 $ von orthodox-jüdischen amerikanischen Spendern. Dies schließt nicht die Sozialversicherung ein, ein wichtiger Teil, der aus den von Juden bezahlten Steuern kommt.
 
In der jüdischen Online-Enzyklopädia steht, dass etwa 5,6 Millionen Juden in den USA leben (ohne die halbe Million Israelis) – also 1,8% der Bevölkerung. Die meisten wohnen in reichen Städten: Miami, Los Angeles, Philadelphia und Boston und viele in New York. Eine Studie des Pew-Forum-Instituts von 2008 fand heraus, dass die Juden die reichste religiöse Gruppe in den USA sind: 46% der Juden verdienen mehr als 100 000 $ im Jahr, verglichen mit 19% aller Amerikaner. Eine weitere Gallup-Umfrage dieses Jahres fand heraus, dass 70% der amerikanischen Juden sich eines „hohen Lebensstandards“ erfreuen, verglichen mit 60% der Bevölkerung und mehr als jede andere religiöse Gruppe. Mehr als 100 von 400 Milliardären auf Forbes Liste der reichsten Leute in den USA sind Juden. Sechs der 20 führenden Risikokapitalfonds in den USA gehören Juden (nach Forbes).
 
Google-Gründer Sergey Brin hat einen jüdischen Vater, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ist jüdisch, wie auch sein Vertreter David Fischer, Sohn des Direktors der Bank von Israel, Stanley Fischer. Der Chef der Federal Reserve Ben Shalom Bernanke ist jüdisch wie auch sein Vorgänger Alan Greenspan und der Fed-Gründer Paul Warburg.
 
Juden sind gut in der Wall-Street, im Silicon Valley, im US-Kongress und der Regierung, in Hollywood, TV-Netzwerken und in der amerikanischen Presse vertreten – weit über ihrem Prozentsatz der Bevölkerung.
 
Von der Stadt in die Brooklyn-Gassen
 
Die USA gehören zu den reichsten Ländern der Welt und machen amerikanische Juden zu einer der reichsten ethnischen Gruppen im Universum. Ihre Erfolgsgeschichte ist sogar phänomenaler, wenn man bedenkt, mit welcher Schnelligkeit sie reich geworden sind.
 
Nur ein paar Tausend Juden lebten nach dem 4. Juli 1776 in den USA also bei der Entstehung des Staates. Die meisten von ihnen waren Marranen und Leute, die aus Spanien in die Kolonien in Nordamerika vertrieben wurden oder geflohen sind.
 
In der Mitte des 19. Jahrhunderts wanderten etwa 200 000 Juden in die US, meistens aus Deutschland und Mitteleuropa. Die meisten waren gut etablierte Reformjuden. Sie betrachteten sich eher als Deutsche und Amerikaner, denn als Juden. Sie verteilten sich über den Kontinent, eröffneten kleine Geschäfte, kleine Fabriken und finanzielle Riesen wie Lehman Brothers und Goldman Sachs.
 
Die große Immigrationswelle begann 1882. Das zaristische Russland, das die Heimat für etwa die Hälfte aller Juden in der Welt war, ging durch eine fehlgeschlagene Industrierevolution und war am Rand des Kollapses, während die Juden, die in kleinen Städten lebten, verarmten und unter grausamen Pogromen litten.
 
Innerhalb von 42 Jahren immigrierten zwei Millionen Juden in die USA aus der Ukraine, Westrussland, Polen, Lettland, Weißrussland und Rumänien. Sie machten bis 25 % der jüdischen Bevölkerung in diesen Ländern und 15 % der Juden der Welt und zehnmal die Zahl der Juden, die während dieser Zeit nach Israel einwanderten.
 
Die USA wurden zur größten jüdischen Konzentration. Die Masseneinwanderung nach Israel begann 1924, als die USA neue strengere Gesetze erließ, die die Einwanderung zum Stillstand brachte.
 
Die Immigranten kamen in überfüllten Booten in den USA an, und die meisten waren so arm wie Kirchenmäuse. Dr. Robert Rockaway, der sich mit dieser Zeit besonders befasste, schrieb, dass 80% der US-Juden vor dem 1. Weltkrieg Handarbeiter waren, die meisten in Textilfabriken.
 
Viele Arbeitsplätze waren wegen einer antisemitischen Kampagne gegen Juden, die der Industrielle Henry Ford führte, nicht zugänglich. Die meisten von ihnen lebten in überfüllten und schmutzigen Slums in New York – Brooklyn und der Lower East Side.
 
Viele Filme und Bücher beschreiben die Welt in diesen Stadtteilen: Lebendig, aber hart und brutal. Es gab eine lebendige Kultur von Kabaretts und kleinen jiddischen Theatern, zusammen mit einer jüdischen Mafia mit berühmten Verbrecherbossen wie Meyer Lansky, Abner „Longie“Zwillman und Louis „Lepke“ Buchalter, der in diesen schmutzigen Gassen aufwuchs.
 
Viele der Juden, die in Europa Sozialisten waren, wurden aktiv in Arbeitervereinigungen und bei Arbeiterstreiks und Protesten. Viele Handelsketten wurden von Juden errichtet.
 
Die jüdischen Immigranten tauchten jedoch aus der Armut auf und machten schneller Fortschritte als jede andere Immigrantengruppe. Nach Rockaway hatten in den 30er Jahren über 20% der jüdischen Männer freie Berufe, doppelt so viele wie in der übrigen amerikanischen Bevölkerung.
 
Der Antisemitismus wurde nach dem 2. Weltkrieg schwächer und die Restriktionen gegen angestellte Juden wurden weniger, und später als Teil der Bürgerrechtsakte von 1964 gestrichen, dank des Kampfes liberaler Aktivisten, von denen viele Juden waren.
 
1957 waren 75% der US-Juden Schreibtischarbeiter, verglichen mit 35% aller Weißen in den USA; 1970 waren 87% der Juden Büroangestellte, verglichen mit 42% aller Weißen, und die Juden verdienten 72% mehr als der Durchschnitt. Das Einzige, das von ihrer Armut übrig blieb, ist, dass die meisten von ihnen noch eine Wohlfahrtspolitik und die Demokratische Partei unterstützten.
 
Als sie reicher wurden, integrierten sich die Juden in die Gesellschaft. Sie zogen aus den Slums in die Vororte, sprachen kein Jiddisch mehr und glichen sich, was Kleidung, Kultur, Slang und Einkaufsgewohnheiten betraf, der nicht-jüdischen Bevölkerung an.
 
Die meisten Juden verließen ihre Religion, als sie in die USA immigrierten, schlossen sich aber später den Reform und konservativen Gemeinden wieder an und wurden immer mehr wie die Amerikaner, von denen die meisten gläubige Christen sind.
 
Immer mehr Juden studierten
 
Außer den Juden immigrierten Millionen aus Irland, Italien, China und aus Dutzenden anderer Länder in die USA. Auch sie ließen sich nieder, aber die Juden hatten mehr Erfolg als alle anderen. Warum? Alle Experten, die wir fragten, sagten, der Grund wäre die jüdische Erziehung. Die jüdisch amerikanische Studentenorganisation Hillel fand heraus, dass 9 bis 33% der Studenten in den führenden Universitäten der US jüdisch sind.
 
„Für die jüdische Tradition war das Lernen immer sehr wichtig, und die Juden bemühten sich von dem Augenblick an, als sie nach Amerika kamen, zu studieren“, sagt Danny Halperin, Israels früherer Wirtschaftsattaché in Washington. „Außerdem haben die Juden eine strenge Tradition für Geschäftsunternehmen. Die Iren kamen z.B. aus Familien von Landarbeitern mit einer anderen Mentalität, studierten weniger und ergriffen weniger Initiativen. Die Juden machten Fortschritte, weil ihnen viele Gebiete versperrt waren“, sagt Halperin. „Viele Iren wurden in die Polizei integriert, und nur wenige Juden. Die Juden betraten neue Arbeitsgebiete, in denen Menschen mit Initiative nötig waren. Sie integrierten sich nicht im traditionellen Bankwesen, also errichteten sie das Investmentbanking.“
 
Die Film-Industrie wurde in den 30er-Jahren ganz von vorne aufgebaut, und die Juden übernahmen es von Grund auf. Bis zum heutigen Tage sind viele jüdische Namen in der Leitung von Hollywood und bei den TV-Netzwerken. Später übernahmen sie die High-Tech auch im Sturm – noch eine Industrie, die viele Fähigkeiten erforderte.
 
Großvater kam mit 2 $, Vater promovierte in Medizin
 
„Die Juden waren die ersten Leute, die die Globalisierung durchmachten“, sagte Rebecca Caspi, ranghohe Vizepräsidentin der jüdischen Föderation von Nordamerika. „Sie hatten vor andern Nationen ein Netzwerk mit globalen Verbindungen und eine starke unterstützende Gemeinschaft. Die jüdische Gemeindeorganisation wird als Modell für alle anderen ethnischen Gruppen angesehen. Sie half den Juden überall und besonders in den USA, die immer offener war als andere Länder und gleiche Möglichkeiten boten, während sie andrerseits den einzelnen nicht unterstützte.
 
Wie helfen Gemeindeinstitutionen den Leuten, bei Geschäften Erfolg zu haben? Die gegenseitige Hilfe erlaubt armen Juden zu studieren. Meine Familie ist ein Beispiel für Millionen andere. Mein Großvater kam in New York mit 2 $ in der Tasche an. Er kaufte Bleistifte und dann Hosen und andere Dinge und studierte inzwischen Englisch, Deutsch und Spanisch und knüpfte Verbindungen.
 
Er hatte fünf Kinder, und die Familie hatte einen kleinen Laden in Brooklyn. Sie bekamen Hilfe von der Jüdischen Organisation HIAS, die ihnen erlaubte zu studieren. Sie waren so arm, dass sie kein Geld für Schulbücher hatten. Die Geschwister halfen sich gegenseitig. Mein Vater war der Jüngste und bis er mit dem Studium an der Universität anfing, war es den vier Geschwistern schon gelungen, sich irgendwo niederzulassen. So konnten sie ihm helfen, das Medizinstudium zu beenden.“
 
„Die Juden mussten die besten sein, um zu überleben“, sagt Avia Spivak, eine Professorin für Ökonomie und frühere stellvertretende Direktorin der Bank von Israel. „Ich hatte einmal einen Studenten russischer Herkunft, der mir sagte, dass seine Eltern ihm sagten: ‚Du musst der Beste sein, weil du dann eine kleine Rolle bekommst.’ Das war die Situation der Juden im Ausland und in Amerika auch noch bis in die 60er-Jahre. Die besten Universitäten nahmen keine jüdischen Studenten, also studierten sie an Kolleges und bekamen dort die besten Noten. Als die Diskriminierung verschwand, erreichten die Juden die besten Stellen.
 
Haben sie deshalb in den USA mehr Erfolg gehabt als an anderen Orten? Die Diskriminierung wurde in den meisten Ländern weniger. Ich denke, Juden hatten deshalb in den USA besonders Erfolg, weil sie verstanden, mit Kapitalismus gut umzugehen. Juden haben die Neigung zum Unternehmertum, sie studieren mehr und haben eine schnelle Aufnahmegabe, sie wissen wie man Gelegenheiten beim Schopfe packt und haben das Geschick, ein Netzwerk aufzubauen. Eine konkurrierende Umwelt gibt den Juden einen Vorteil.“
 
Ist dies der Grund, warum Israelis nicht so reich sind wie amerikanische Juden?
„Ich denke der ‚jüdische Genius’ – der kein genetisches Problem, sondern ein kulturelles ist – drückt sich in Israel in anderen Bereichen aus. Die Juden in Amerika kamen in ein Land mit bestehender, stabiler und starker Infrastruktur. Hier mussten sie die Infrastruktur unter harten Bedingungen vom Nullpunkt an aufbauen.
 
Die US-Regierung schadet der Hilfe, aber sie wird weitermachen
 
Zweifellos ist die Hilfe amerikanischer Juden ein riesiger Erfolg dafür, dass Juden in Israel überleben. „Die Hilfe ist außerhalb der aktuellen Spenden“, sagt Caspi. „Die staatliche Hilfe kommt vor allem wegen jüdischem Druck. Israelische Geschäftsleute nützen ihre Verbindungen nach Amerika, um Märkte zu öffnen und Spenden zu sammeln, besonders für die Risikokapitalindustrie.“
 
Die amerikanische Hilfe stärkt die Verbindung zwischen den beiden Gemeinschaften - die zusammen etwa 80% der jüdischen Bevölkerung ausmachen – sie schafft allerdings auch auf beiden Seiten Unannehmlichkeiten. Die Amerikaner sehen Israel als „eine Notunterkunft bei schlechtem Wetter“ und fühlen sich verpflichtet, dem Staat zu helfen, aber manche haben auch das Gefühl, dass ihr Geld für falsche Zwecke verschwendet wird : die Israelis leben in Angst, was wird geschehen, falls und wenn die Hilfsgelder aufhören? Die Angst nimmt zu, nachdem ein Drittel der Juden Nicht-Juden heiraten und feststellen, dass sie sich weniger mit Israel verbunden fühlen.
 
„Israel würde errichtet worden sein und würde auch ohne amerikanische Hilfe überleben, aber es würde ärmer sein“, sagt Halperin. „Es gibt Bereiche wie höhere Bildung, bei der Hilfe sehr wichtig ist – und wenn sie plötzlich verschwindet, werden die Dinge schwierig.
 
Jedes Mal gibt es Argumente zwischen der israelischen Regierung und Juden in Amerika, israelischen und amerikanischen öffentlichen Personen, die warnen, dass sie „eines Tages genug haben und mit den Spenden aufhören.“ Kann dies geschehen?
 
„Der Umfang von Spenden hat in den letzten paar Jahren abgenommen“, sagt Halperin. „Die Juden haben mehr das Gefühl, zur amerikanischen Gesellschaft zu gehören und geben ihre Spenden an amerikanische Organisationen. Sie wollen ihren Namen lieber an einem New York-Museum sehen als an einem Jerusalemer Museum.
 
Da der Holocaust weiter zurückliegt, lässt auch die Angst um Israels Existenz nach. Außerdem wird Israel nicht mehr als armes Land angesehen. Und die Amerikaner haben ihre eigenen Probleme: die Finanzkrise und die Bildung in den USA, die immer teurer wird. Die Spenden werden nach und nach weniger und könnten eines Tages verschwinden. Aber ich kann kaum glauben, dass die Spenden auf einmal wegen einer politischen Krise ganz aufhören. Es sieht so aus, als ob unsere Regierung versucht, dies mit aller Macht durchzusetzen, aber glücklicherweise kann sie selbst dies nicht tun.“ (PK)
 
Mehr Informationen über die Autorin: www.facebook.com/tani.goldstein

(Deutsche Übersetzung von Ellen Rohlfs)


Online-Flyer Nr. 327  vom 09.11.2011



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