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NRhZ-Serie aus dem "Buch eines zornigen Mannes" - Folge 3
Die Niederlage des Gefängnisses
Die Niederlage des Gefängnisses

Hier die dritte Folge einer Serie aus dem gleichnamigen Buch von Hubertus Becker. Christiane Ensslin stellt es vor, ihre Texte sind kursiv gesetzt. Die dritte Folge befaßt sich mit den  AufseherInnen, mit der Disziplin und den Strafen im Gefängnis. Zum Schluß wird Hubertus Becker in  Folge 4 Alternativen zur Haft vorstellen. Die Redaktion.

Die Wärter  
GefängniswärterInnen sind Beamte/Beamtinnen des mittleren Dienstes, behördenintern als allgemeiner Vollzugsdienst bezeichnet. Im Gegensatz zu allen übrigen Bediensteten der Anstalt tragen sie Uniform. Aber auch hier gibt es je nach Bundesland eigene Vorschriften. So tragen zum Beispiel Beamtinnen im Frauenvollzug zuweilen Zivil. Als Folge der verbreiteten Arbeitslosigkeit werden inzwischen auch vermehrt junge Leute im Erstberuf Vollzugsbeamte. Zunehmend beschäftigt die Justiz sogar junge Frauen im Männervollzug.

Gefängnisaufseher rekrutieren sich, wie die Mehrzahl ihrer Gefangenen, aus den unteren sozialen Schichten. Sie stammen aus Kleinbürger-, Bauern- und Arbeiterfamilien. Indem sie sich auf die Seite der Macht schlagen, indem sie sich den Herrschenden als Handlanger zur Verfügung stellen, über Genossen aus der eigenen Gesellschaftsschicht körperliche Kontrolle auszuüben, begehen sie Verrat an ihrer sozialen Klasse. Der Entsolidarisierung durch das Volk trägt die Justizbehörde teilweise dadurch Rechnung, daß für die Wärter eigene Wohnkolonien angelegt werden, meist in direkter Nachbarschaft der Gefängnisse.

Die Qualifikationshürden, um in den mittleren Justizvollzugsdienst einzutreten, sind niedrig: der Abschluß der Realschule oder der Hauptschule mit anschließender Berufsausbildung genügen als Einstiegsvoraussetzung. Sieht man sich das Ausbildungsprofil für angehende JustizbeamtInnen an, so fällt auf, daß die Lernschwerpunkte bei sicherheitstechnischen Verhaltensstrategien und in der Vollzugsrechtskunde liegen. Einer psychologischen Grundausbildung hingegen wird wenig Bedeutung beigemessen.

Was die Ausgestaltung des täglichen Dienstes angeht, so bleibt kein Freiraum, den die BeamtInnen individuell ausfüllen könnten. Das Betätigen von Schlössern, bei weitem die häufigste Tätigkeit im Arbeitsalltag der Vollzugsbediensten, erfordert weder Sorgfalt noch Geschicklichkeit, weder Körperkraft noch Intelligenz. Das Aushändigen von Formularen und Post, die Entgegennahme von Anträgen, das stundenlange Dösen auf den Wachtürmen und das passive Überwachen der Gefangenen tagsüber, all dies hinterläßt ebensowenig das Bewußtsein, etwas Sinnvolles geleistet zu haben.

Über die dienstlichen Belange hinaus sind den BeamtInnen Kontakte zu den Häftlingen untersagt, Geschenke an und Geschäfte mit Gefangenen sind streng verboten. Im Grunde bringt die Justiz ihren Leuten dasselbe entwürdigende Mißtrauen entgegen, mit dem sie auch den Gefangenen begegnet.

Typische Tätigkeiten der BeamtInnen sind das Begleiten der Insassen auf Wegen innerhalb der Anstalt, die Durchsuchung ihrer Zellen nach verbotenen Gegenständen und das Verteilen der Post. Bei der Überwachung der Gefangenen beim Hofgang, beim Gebet in der Gefängniskapelle und beim Besuch ihrer Angehörigen kommt es auf die passive physische Präsenz des Wärters an, nicht auf eine berufliche Geschicklichkeit oder Begabung. Überwachen bedeutet im Knast: hinsehen, ob alles der Sicherheit und Ordnung entspricht. Zuweilen heißt man den Aufseher, irgendeine Beobachtung in einer Liste zu vermerken, die der Komplettierung des Wissens über die Gefangenen dient, meist aber bloß nutzlose Statistiken fortschreibt.

Sicherheit wird groß geschrieben. Bei Gefahr im Verzug sind Gefängniswärter mit Befugnissen ausgestattet, die in keinem anderen sozialen Zusammenhang vorkommen, nicht einmal im Krieg. Um die Sicherheit der Anstalt und im weiteren Sinne die Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten, stehen ihnen viele Möglichkeiten offen: sie können jeden ihnen verdächtig erscheinenden Gefangenen physisch überwältigen, ihn fesseln und in eine sogenannte Beruhigungszelle sperren; sie haben das Recht, ihn zu entkleiden, ihn zu durchsuchen und können darüber hinaus veranlassen, daß vom medizinischen Dienst eine `digitale Durchsuchung der Körperhöhlen` oder eine Analyse der Körperflüssigkeiten vorgenommen wird; sie können jederzeit in die Zelle eines Gefangenen eindringen und dort alles inspizieren, seine privaten Briefe lesen, ihnen verdächtig erscheinende Dinge zur weiteren Überprüfung mitnehmen; oder einfach so, aus Lust und Laune mal reinschauen, im Zweifelsfall unter dem Vorwand, etwas Verdächtiges bemerkt zu haben. Für eine Routinekontrolle braucht der Gefängniswärter keine Rechtfertigung.

Disziplin und Strafen  
In dem im Namen des Volkes ausgesprochenen Gerichtsurteil ist von Freiheitsstrafe die Rede. Die singuläre Freiheitsstrafe bedeutet jedoch in der Praxis ein für jeden Verurteilten individuell geschnürtes Strafenbündel. Dazu gehören die Trennung der Familie, der Kommunikationsstop mit unzähligen Bekannten, der Verlust des Arbeitsplatzes, ein striktes Alkoholverbot, ein Urlaubsverbot, der Konsumverzicht, die rote Karte für das gewohnte Sexualleben, ein Fahrverbot, der Ausschluß aus dem Freizeitverein und vieles mehr. Es fallen einem tausend versagte Dinge ein, die den Knast zu einem Ort der Entbehrung machen.

Hinzu kommen die Bestrafungen, die ebenfalls im Urteil nicht ausdrücklich erwähnt wurden, mit denen versucht wird, die Disziplin im Gefängnis durchzusetzen. Der Katalog möglicher Disziplinarmaßnahmen ist im Gesetz aufgeführt: Einkaufssperren, Hofgangverbot, Unterbrechung des Kontakts zur Außenwelt, Bücherentzug, Fernsehverbot, Isolierung während der Freizeit, Arbeitssperren (Einkommensverlust) und Arreststrafen in speziellen Arrestzellen. Mit diesen Maßnahmen ahndet man Arbeitsverweigerungen, gewalttätige Auseinandersetzungen, Beamtenbeleidigungen, den Besitz von Bargeld oder Fusel, Ungehorsam, Drogenkonsum und alle sonstigen Verstöße gegen die Hausordnung: Pinkeln auf dem Hof, Abfallentsorgung aus dem Fenster, Schmuggel beim Besuch, Beschädigung von Zellenmobiliar. Es gehört zum Ehrenkodex der Gefangenen, diese Strafen klaglos hinzunehmen. Schlimmer sieht es bei den Spezialbehandlungen aus, die offiziell nicht als Strafen angesehen werden. Die Rede ist von den Maßnahmen, mit denen die Justiz auf aggressive Störungen des Vollzugsablaufes reagiert. Bleiben Prügeleien unter den Insassen zumeist ohne offizielle Untersuchung und Ahndung, haben Schlägereien mit den Beamten schlimme Konsequenzen. Abgesehen davon, daß der betroffene Gefangene selbst verprügelt wird, wartet die `Beruhigungszelle` auf ihn, wie der Bunker beschönigend genannt wird. Nicht selten in Verbindung mit einer Dosis Psychopharmakon, von dem er sich lange nicht erholt.

Die `Todesstrafe` schließlich, das äußerste Mittel, "die Flucht einer Person zu verhindern, die sich in amtlichem Gewahrsam befindet", wird im Ernstfall mit der Schußwaffe von dem gerade mit der Bewachung betrauten Wächter vollstreckt. Weitere technische Hilfsmittel, um die Disziplin in den Anstalten durchzusetzen, sind Gummiknüppel, Tränengas, Handschellen und Zwangsjacken.

Neben den gesetzlich vorgesehenen und geregelten Strafmaßnahmen bietet der Alltag im Knast weitere subtile Bestrafungsmöglichkeiten. Darunter fallen das kleinliche Auslegen von Vorschriften, die verzögerte Bearbeitung von Anträgen, penible Zellenfilzungen, bewußte Störungen in den Ruhezeiten und provozierendes Wartenlassen; allesamt Kleinigkeiten, die aber die Psyche der ohnehin im Dauerstreß stehenden Gefangenen weiter zermürben. Wo genau die Strafen aufhören und sich in der allgemeinen Mühsal der Knastdisziplin verlieren, ist schwer zu bestimmen. Zählt man all die spezifischen Bedingungen, welche die Lebensqualität in Haft verringern, zum erweiterten Komplex der Strafen hinzu, die haftbedingten Menschenrechtsverluste (Zwangsarbeit, Eingriff in die Familie, Konsumbeschränkungen, Behinderung bei der freien Entfaltung), so ist festzustellen, daß das Prinzip Strafe das Gefängnis vollkommen durchdringt. Und das, so muß man annehmen, deckt sich genau mit den Erwartungen der Bürger.

Hubertus Becker hat noch keinen Verlag gefunden. Schwere Zeiten für Justiz- und Gefängniskritik.


ChristianeEnsslinChristiane Ensslin, geboren 1939, lebt seit 1964 in Köln. Verschiedene Berufe, wie Vermessungstechnikerin, Kellnerin, Redakteurin, Lektorin und Archivarin. Jetzt Rentnerin und wieder einmal im Vorstand des Kölner Appell gegen Rassismus e.V.







Hubertus BeckerHubertus Becker, geb. 1951 im Rheinland; 1971 Abitur, anschließend zehn Jahre in Spanien, den USA und Indonesien; 1982 wegen Drogenschmuggels für zehn Jahre inhaftiert, von 1992 bis 1995 als Kaufmann in China, 1996 wegen Geldwäsche erneut inhaftiert; seit 1999 als Drehbuchautor tätig, 2005 aus der Haft entlassen; lebt derzeit im Hunsrück und schreibt Ganoven-Biographien und Drehbücher fürs Fernsehen.



Online-Flyer Nr. 50  vom 27.06.2006



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