NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

Fenster schließen

Inland
"Gerettet werden die Gewinne der Banken, der Hedgefonds und der Spekulanten"
Deshalb "Nein" der LINKEN am 29.9.2011
Von Peter Kleinert

Nach der namentlichen Abstimmung im Deutschen Bundestag am 29. September zum Entwurf des Gesetzes zum "Erweiterten Euro-Rettungsschirm" (EFSF), bei der mit Ja 523 und mit Nein 85 stimmten (davon 70 Abgeordnete der LINKEN, 10 von der CDU/CSU, 3 der FDP, einer der SPD und einer von den Grünen) - verlangten elf Mitglieder der LINKEN, persönliche Erklärungen zu ihrem geschlossenen "Nein" abzugeben. Weil die üblichen Medien – außer dem TV-Sender Phoenix – darüber nicht berichteten, die nächsten Monate der "Finanzkrise" aber nach Meinung der NRhZ-Redaktion zeigen dürften, wie recht DIE LINKE mit ihrem "Nein" und dessen Begründungen hatte, werden wir einige dieser persönlichen Stellungnahmen aus dem offiziellen Protokoll ab heute und in den folgenden Ausgaben veröffentlichen. - Die Redaktion
 

Sahra Wagenknecht
NRhZ-Archiv
Sahra Wagenknecht:
 
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss schon sagen: Ich habe selten eine Parlamentsdebatte im Deutschen Bundestag erlebt, in der so viel und so schamlos geheuchelt und gelogen wurde wie in der heutigen Debatte.
 
(Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist doch Ihr Metier! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Oh!)
 
Ich habe gegen die Erweiterung des sogenannten Euro-Rettungsschirms gestimmt;
 
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Jo mei!)
 
denn durch diesen Euro-Rettungsschirm wird die europäische Währung nicht gerettet, und schon gar nicht werden die Lebensverhältnisse der Menschen in Europa abgesichert und gerettet. Das Einzige, was durch diesen Rettungsschirm wirklich gerettet wird, sind die Gewinne der Banken, der Hedgefonds und der Spekulanten, und das ist perfide.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Dass Sie das hier dann auch noch mit schönen Worten und schönen Ideen verklären, ist unglaublich, zumal Sie den Leuten noch nicht einmal reinen Wein darüber einschenken, wie hoch die Haftung wirklich ist, die hier eingegangen wird – gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Pläne zur weiteren Hebelung.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Nebelkerze!)

Das ist kein Programm für weniger Schulden, sondern das ist ein Programm für mehr Schulden und mehr Verschuldung,
 
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ohne Hand und Fuß!)
 
und zwar einerseits in der Bundesrepublik Deutschland, wenn nämlich all diese Bürgschaften irgendwann tatsächlich bedient werden müssen, und andererseits ist es ein Programm für mehr Schulden und mehr Verschuldung in den betroffenen Ländern, denen damit angeblich geholfen werden soll. In Wirklichkeit müssen diese Länder ihre Wirtschaft aber mit martialischen Sparprogrammen in die Knie zwingen. Es sollte Ihnen schon irgendwie zu denken geben, dass Griechenland eineinhalb Jahre nach Beginn der angeblichen Rettung 20 Milliarden Euro mehr Schulden als vorher hat.  Wer Schulden wirklich reduzieren will, der muss erstens auch Vermögen reduzieren, aber bitte schön nicht die Vermögen der einfachen Leute, die mit diesem ganzen Desaster nichts zu tun haben, sondern bitte schön die Vermögen derer, die profitiert haben von der steigenden Staatsverschuldung,
 
(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: So wie es die Kommunisten immer getan haben!)
 
profitiert haben von Steuerdumping, profitiert haben von der Bankenrettung, profitiert haben von der ganzen Spekulation. Es ist doch kein Zufall, dass die Vermögen der Millionäre und Multimillionäre in Europa in den letzten Jahren ähnlich explodiert sind wie die Schulden der Staaten. Das hängt doch zusammen. Das sind zwei Seiten einer Medaille.
 
(Max Straubinger [CDU/CSU]: So wie SED und PDS es in der Vergangenheit getan haben!)
 
Darüber reden Sie nicht, weil Sie darüber nicht reden wollen.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Wer Schulden wirklich reduzieren will, der muss zweitens dieses aberwitzige System beenden, das dafür sorgt, dass die Finanzierungsspielräume der Staaten am Ende davon abhängen, ob Banker oder Ratingagenturen den Daumen heben oder senken. Das ist ein völlig absurdes System. Wer nichts dafür tut, die Staaten aus der Geiselhaft dieser Finanzhaie zu befreien, der hat die Demokratie abgeschrieben.
 
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Warum war denn die Staatsbank in der DDR pleite?)
 
Sie haben die Demokratie abgeschrieben, und Sie haben auch abgeschrieben, einen wirklichen Ausweg aus dieser Krise zu finden, und zwar nicht, weil es keine Auswege gibt, sondern weil Sie alle – die Regierung und auch die angebliche Opposition aus SPD und Grünen, die heute wieder einmal belegt hat, dass sie mit der Regierung in solchen Fragen absolut einer Meinung ist – schlicht und ergreifend zu feige und zu devot sind, eine Politik zu machen, die sich mit den Bankern anlegt und die gegen die Banker gerichtet ist. Das tun Sie alle nicht.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Der Weg, den Sie gehen, ist unverantwortlich; denn es ist das hart erarbeitete Steuergeld von Millionen Menschen, das hier verpulvert wird, um die Ackermänner zufriedenzustellen. Der Weg, den Sie gehen, ist ökonomischer Aberwitz; denn er wird am Ende sehr wahrscheinlich die Währungsunion sprengen. Und der Weg, den Sie gehen, ist antieuropäisch; denn er trägt dazu bei, das Vertrauen der Menschen in das europäische Projekt restlos zu untergraben. Das ist das eigentliche Problem.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Deswegen meine ich: Jeder, dem die europäische Idee oder die ökonomische Vernunft irgendwie am Herzen liegt, musste bei dieser Abstimmung gegen die Erweiterung des sogenannten Rettungsschirms stimmen.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Nun hat Andrej Hunko das Wort.
 

Andrej Hunko
Quelle: www.bundestag.de,
Fiona Krakenbürger
Andrej Hunko:
 
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe eine persönliche Erklärung zur Abstimmung zur EFSF als jemand ab, der aus der Europastadt Aachen kommt, der dort im Dreiländereck Belgien-Niederlande-Deutschland aufge- wachsen ist und der in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aktiv an der europäischen Integration beteiligt ist. Ich gebe sie auch als Mitglied von Attac ab, einer europaweiten Organisation, die schon sehr frühzeitig etwa die Finanztransaktionsteuer gefordert hat.
 
Diese Debatte heute hat allerdings nichts mit pro-europäisch oder anti-europäisch zu tun, sondern sie hat etwas damit zu tun, wer für die Kosten der Krise zahlen soll.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Ich habe die EFSF erstens abgelehnt, weil sie in erster Linie ein Airbag für die Finanzindustrie sowie für die Spekulanten und Finanzhaie ist, die aus Steuermitteln gerettet werden sollen. Anstatt die Gläubiger an den Kosten der Krise zu beteiligen, wird ein Mechanismus zur Risikoabsicherung der Spekulationsgewinne, eine dauerhafte Pipeline aus Steuergeldern in den Finanzsektor, geschaffen. Der zweite Grund, warum ich das ablehne, ist, dass die mit dieser EFSF verknüpften Austeritätsprogramme die Krise gerade in Griechenland weiter verschärfen werden. Anstatt etwa in Griechenland Sozial- leistungen zu kürzen und öffentliches Eigentum dem Ausverkauf preiszugeben, wäre in Griechenland ein sozial-ökologisches Aufbauprogramm, finanziert durch Gläubigerbeteiligung, kräftige Vermögensabgaben und Reduzierung
der überhöhten Militärausgaben, notwendig.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Drittens lehne ich die EFSF ab, weil sie innerhalb der Europäischen Union eine Entdemokratisierung – gerade auch gegenüber dem griechischen Parlament; Griechenlandnist ja die Wiege der Demokratie in Europa – bedeutet.
 
Gerade jetzt in der Krise wäre es notwendig, zu einem Mehr an Demokratie zu kommen – etwa auch zu einer Beteiligung der Bevölkerung durch Referenden wie zum Beispiel in Island, wo darüber abgestimmt wurde, wer die Kosten der Krise im Fall der Icesave-Bank zahlen soll. Wir brauchen mehr Demokratie und
keine Entdemokratisierung in der Krise.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Die Euro-Krise steht im Zusammenhang mit den exorbitant gestiegenen privaten Vermögen, die in etwa den gesamten Staatsschulden auf EU-Ebene entsprechen, sowie mit den extremen Leistungsbilanzunterschieden innerhalb des Euro-Raums. Um die Krise zu lösen, müssen die Staatsschulden durch eine kräftige Vermögensabgabe reduziert, die deutschen Exportüberschüsse durch nachhaltige Lohnerhöhungen ausgeglichen und die Finanzmärkte endlich reguliert werden. All das ist in der EFSF nicht vorgesehen.
 
Besonders peinlich bin ich von dem Brief des griechischen Parlaments-präsidenten berührt, der uns allen vorgestern zugestellt wurde. Er bittet uns um Würdigung all der Kürzungen im Sozialbereich, die er detailliert auflistet: Rentenkürzungen, Kürzungen im öffentlichen Dienst usw. Sie kennen die Liste. Ich kann diese Politik nicht würdigen. Ich kann ihr auch nicht entsprechen. Im Gegenteil: Dieses Programm findet nicht in meinem Namen und nicht im Namen der Fraktion Die Linke statt. Ich würdige hingegen den Widerstand der griechischen Bevölkerung gegen die soziale Barbarei, die dort stattfindet, und gegen die wirtschaftliche Unvernunft.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Ich möchte auch würdigen, dass jetzt von der spanischen Bewegung „¡Democracia real YA!“ versucht wird, in Zusammenarbeit mit Attac europaweit endlich eine Bewegung von unten zu schaffen: für ein anderes Europa, ein soziales Europa. Ich möchte dazu aufrufen, beim europaweiten Aktionstag am 15. Oktober vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt mitzumachen. Das ist der Weg der direkten Bürgerbeteiligung. Wir brauchen ein anderes Europa, ein Europa, das sozial ist, sonst wird uns diese EU um die Ohren fliegen. Vielen Dank.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Meine Damen und Herren, zwischendurch darf ich, damit die Ungeduld nicht zu groß wird, das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines Europäischen Stabilisierungsmechanismus, Drucksachen 17/6916, 17/7067 und 17/7130, mitteilen: abgegebene Stimmen 611. Mit Ja haben gestimmt 523, mit Nein haben gestimmt 85, Enthaltungen 3. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. (PK)


Online-Flyer Nr. 322  vom 05.10.2011



Startseite           nach oben