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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Der Fern-Seher
Altherrenbesuch im Altweibersommer
Von Ekkes Frank

Ich habe keinen Fernseher – ich bin ein Fern-Seher. Ich betrachte das Land, in dem ich geboren, erzogen und zu dem wurde, der ich bin, nicht mehr von innen, als Mit-Erlebender, Mit-Leidender, Mit-Kämpfer. Ich bin weg. Aus der Ferne betrachtet – dabei ist Italien in den Zeiten von Internet und Ryanair gar nicht mehr so fern – wirkt diese BRD ziemlich klein, viel unwichtiger als sie selbst sich gern sieht („Wir sind wieder wer“). Eben wie ein normales europäisches Land. Manchmal kriege ich dann etwas mit, das mich zu einer Reaktion motiviert. Und manchmal reise ich auch noch nach Norden, nach Germania. Und ich schalte, irgendwie gewohnheitsmäßig, das noch immer dort herumstehende TV-Gerät ein. Dann bin ich sozusagen ein totaler Fern-Seher…
 

Herr Benedikt Nr.16
Zum Beispiel Ende letzter Woche, bei diesem Papstbesuch. Die ganz unerschütterlich Gläubigen sehen sicherlich dieses wahnsinnige Wetter da als eine Gabe jenes Herrn, dessen angeblicher Stellvertreter auf Erden es während seines Aufenthaltes in Deutschland ebenso genießen durfte wie die vielen Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger, denen dieser Besuch piepegal war. Die aber dennoch nicht vermeiden konnten, ihn wahrzunehmen. Weil nämlich, so vermute ich mal, seit der John-F.-Kennedy- Reise nach West-Berlin, der Franz-Josef-Strauß-Beerdigung in München und der Maueröffnung kein Ereignis eine derartige Medienresonanz gefunden hat. Und dazu eine überwiegend erstaunlich und unangemessen positive. Selbst der sonst so nüchtern-realistische und erfreulich kritische Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung ejakulierte einen weihevollen, heilig-geist-reichen und höchst kirchenfreundlichen Kommentar, in welchem auch jene Abgeordneten ihr Fett abkriegten, die es – mit guten Gründen – nicht so ganz richtig fanden, dass seine Heiligkeit im Bundestag predigen durfte. Obwohl – in einer Ansammlung von Menschen, die überwiegend Namen tragen wie Angela, Christian, Peter, Johannes, Maria und dergl. ist das womöglich gar nicht so komisch oder unpassend. Bloß: das, was der alte Mann so gepredigt hat, war ja nicht gerade weltbewegend. Es sind derzeit andere Dinge, die das tun. 
 
Schwer zu begründen also die schon erwähnte Medienresonanz. In diesen Tagen da war es kaum möglich, den Fernsehapparat einzuschalten, ohne auf einen singenden Kirchenchor zu treffen, auf eine Gruppe jenseitig blickender Nonnen, auf fähnchenschwenkende, ahnungslos glotzende Kinder, eine Schar erwachsener Männer in komischen weißen Kostümen, einen tief bewegten Reporter, ehrfürchtig flüsternd vor großen Massen so beschriebener Gläubiger oder eben auf den Alten selbst, wie er das Weihraucheimerchen schwenkte, sich vor irgendwas verneigte oder predigte, mit brüchiger Stimme und in jenem Dialekt, der in Italien bei den Zuhörern größte Heiterkeit auslöst. Oder wie er, mühsam und schwerfällig, hinaufsteigt in das riesige Flugzeug namens BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND und auch von derselben bezahlt. Mag sein, dass dem einen oder anderen Betrachter dieser und weiterer bombastischer Szenen einfällt, dass nach biblischer Überlieferung der seinerzeitige Gründer dieser spirituellen Vereinigung einst auf einem Esel angeritten kam, und nicht in einem der aktuellsten und teuersten Produkte der Autoindustrie, diesem Papamobil, herumkutschiert wurde. Und dass überhaupt dieses gigantische Schauspiel ein – Verzeihung! – Heiden-Geld gekostet hat, das in vielen anderen Bereichen wesentlich sinnvoller hätte eingesetzt werden können.
 
Aber natürlich, selbst die katholische Kirche muss sich weiterentwickeln, sie muss mit der Zeit gehen, das weiß auch der Herr Benedikt Nr.16. Klar: nicht solche falschen Wege darf sie gehen wie etwa ein größeres Verständnis für Homosexuelle oder gar Geschiedene oder besonders für diese schreckliche Verirrung des Protestantismus. Wohl aber darf die katholische Kirche die Möglichkeiten nutzen, welche die modernen Kommunikationsmedien anbieten. Ich vermute mal, der Benedikt ist längst auf Facebook und hat dort seine Millionen Freunde, um ihnen tagtäglich mitzuteilen, was er nach dem Aufstehen oder vorm Zubettgehen gerade so treibt. Und ich bin sicher, hätte man es ihm denn angeboten, dass er auch weitere Chancen zur Verbreitung der einzig wahren Lehre nicht verschmäht hätte. Wetten, dass der alte Schalk Gottes am Samstagabend im ZDF mitgemacht hätte, am liebsten natürlich zusammen mit weiteren Showgrößen wie Madonna oder Christo.
 
So aber blieb es bei den Live-Events im Berliner Fußballstadion, in Erfurt oder Freiburg, alle zum Glück besser organisiert als seinerzeit die Love-Parade, weil – aber wir wollen doch wirklich nicht im Nachhinein einen Misston in dieses schöne Spektakel bringen. Freuen wir uns lieber darüber, dass unsere Medien nun wieder darüber berichten können, was es sonst noch Spannendes in unserer Welt gibt. Also Eurokrise, Griechenland, Berlusconi, Merkozy, Dax-Abstürze oder auch die Spekulation, ob nicht in Kürze auch die BRD von den Allmächtigen des Himmels und der Erde, also den Rating-Agenturen, runtergestuft wird.
 
Ach übrigens: wann wird eigentlich der Vatikan endlich mal herabgestuft? (PK) 


Online-Flyer Nr. 321  vom 28.09.2011



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