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Lokales
Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Dreßen über "Arisierungen"
"DuMont spielt sich heute als Opfer auf"
Von Jörg Kronauer

Arisierung soll und darf es nicht gewesen sein, wenn die Verlegerfamilie Neven DuMont zur Zeit der Naziherrschaft nach ihrer Darstellung "zum Verkehrswert" an ehemaligen jüdischen Grundbesitz gekommen ist. So entschied jedenfalls das Kölner Landgericht aufgrund einer einstweiligen Verfügung gegen zwei NRhZ-Autoren vor einem Monat (vgl. NRhZ 45). Lesen Sie dazu dieses Interview. Die Redaktion.

Neue Rheinische Zeitung: Herr Dreßen, Sie haben kürzlich in Köln eine
Ausstellung gezeigt. Worum ging es?

Prof. Dr. Wolfgang Dreßen: In der VHS Köln wurde die Wanderausstellung
"Betrifft: Aktion 3. Deutsche verwerten jüdische Nachbarn" gezeigt. Sie
basiert auf Akten der Oberfinanzdirektion Köln, die bis vor wenigen Jahren
völlig gesperrt waren. In diesen Akten geht es um die Enteignung der
jüdischen Nachbarn, die ab 1941 endgültig deportiert und meistens ermordet
wurden. Die Akten dokumentieren die breite Beteiligung der Bevölkerung an den Versteigerungen des Hab und Guts der Deportierten, aber auch städtische oder kirchliche Einrichtungen beteiligten sich an dieser Schnäppchenjagd. Wobei durchaus darauf geachtet wurde, dass die Dinge nicht unter Wert verkauft wurden, denn Versteigerer war das örtliche Finanzamt. Die Ersteigerer wussten, dass es sich um Dinge aus dem Besitz der Deportierten handelte.
Darauf wurde ausdrücklich in Anzeigen und Kaufquittungen hingewiesen.

Bis heute wird übrigens bei Veröffentlichungen eine Anonymisierung der Käufer gefordert. In der Ausstellung wurde dem nicht gefolgt.

NRhZ: In Köln wechselten zwischen 1938 und 1941 fünf Grundstücke den Besitzer. Bis 1938 befanden sie sich in jüdischem Besitz, danach im Besitz von Mitgliedern der Familie DuMont bzw. einer Einrichtung, die im Umfeld von deren Zeitungsbetrieb zu verorten war. Dem Gericht zufolge kann dabei nicht von "Arisierungsprofiten" gesprochen werden, da für die Grundstücke der "Verkehrswert" bezahlt worden ist.

Dreßen: Vorsichtig gesagt, das Gericht scheint keine Geschichtskenntnisse zu besitzen. Die Arisierungsprofite begannen gleich 1933, als etwa Arbeitstellen frei wurden, weil jüdische Menschen entlassen wurden. Dabei wurde diesen Nutznießern auch nur das übliche Gehalt bezahlt. Aber ohne die Vertreibung wären sie nicht an diese Stellen gelangt.

Die Arisierung radikalisierte sich stufenweise. Der Kauf einer Immobilie aus jüdischem Besitz bedeutet, erst recht nach 1938, in jedem Fall eine "Ausnutzung der  Zwangslage". Jüdische Deutsche waren schon deshalb gezwungen, zu verkaufen, weil sie in den Ruin getrieben wurden und flüchten mussten, was wiederum mit erheblichen Kosten verbunden war.

'Folgte den antisemitischen Gesetzen' - Kurt Neven DuMont
"Folgte den antisemitischen Gesetzen" - Kurt Neven DuMont
Foto: NRhZ-Archiv



Was den Verkehrswert betrifft: Lag der Verkaufspreis einer Immobilie unter dem Verkehrswert, so musste der Käufer den Ausgleich an den Staat zahlen. Die Familie DuMont hätte also in jedem Fall den Verkehrswert zahlen müssen.

NRhZ: Eines der Grundstücke ging zuerst 1938 an eine örtliche Versicherungsgesellschaft und wurde 1941 weiterverkauft. Dem Gericht zufolge kann man in diesem Fall nicht von einer "Ausnutzung der Zwangslage der Juden" ausgehen, da der zeitliche Abstand zwischen den beiden Transaktionen "erheblich" war.

Dreßen: Es ist kaum anzunehmen, daß DuMont damals nicht in das Grundbuch geblickt hat, in das der neue Besitzer dann eingetragen wurde. Der jüdische Vorbesitzer konnte also nicht unbekannt bleiben. Deshalb gilt auch hier, dass eine Zwangslage ausgenutzt wurde.

NRhZ: In dem Urteil heißt es, aus "Sicht eines unvoreingenommenen und
verständigen Durchschnittsempfängers (!)" entstehe durch die Begriffe
"Arisierungsprofite" bzw. "Profitieren von Arisierungen" der "Eindruck, als sei es zu einer nach heutigen Maßstäben unrechtmäßigen Bereicherung der Familie des Verfügungsklägers an fremdem - jüdischem - Vermögen dergestalt gekommen, dass unter Ausnutzung der seinerzeitigen Zwangslage der Juden (...) Grundstücke ohne adäquaten Gegenwert erworben worden seien."

Dreßen: Genau dieser Eindruck ist aber völlig richtig. Was den Gegenwert betrifft, ist auf die Bestimmung der Ausgleichszahlung an den Staat hinzuweisen. DuMont spielt sich heute als Opfer auf. Dies ist eine deutsche Tradition seit dem 8. Mai 1945. Man hatte eben den Krieg verloren, hier liegt wohl die andauernde und bis heute nachwirkende Opferrolle der Deutschen. Nein, wer Besitz aus dem Eigentum jüdischer Deutscher erwarb, folgte den antisemitischen Gesetzen, die dazu ja aufforderten.

NRhZ: Wie beurteilen Sie den Spruch des Gerichtes?

Dreßen: Das Gericht folgt einem Diskurs, der nach dem 8. Mai 1945 entstand, der eine relative Unterbrechung seit den 60er Jahren erfuhr und der sich jetzt auf verschiedenen Ebenen wieder verstärkt. Der Ausrottungsantisemitismus der Deutschen wird ausgeblendet und hinter "korrekten" Preisen und gesetzlichen Vorschriften versteckt. Das Gericht schließt sich den NS-Vorgaben an. Bei den Enteignungen wurde nicht geplündert, sondern nach gesetzlichen Vorgaben von deutschen Beamten korrekt abgerechnet. Aus der Sicht der Finanzbeamten war all dies kein Unrecht. Das war es nur für die jüdischen Opfer. Inzwischen wird aber gesagt: Auch die nichtjüdischen Deutschen waren Opfer, sie vor allem, sie hatten gelitten, obwohl sie  mmer korrekt waren. Dagegen ist zu sagen: Die Nazis waren immer korrekt,  Auschwitz war schließlich kein Pogrom, sondern, wie Hannah Arendt ihn nannte, ein "Verwaltungsmassenmord".

NRhZ: Kann man aus wissenschaftlicher Sicht nun überhaupt noch angemessen öffentlich über die Arisierungen berichten?

'Spielt sich heute als Opfer auf' - Alfred Neven DuMont
"Spielt sich heute als Opfer auf" - Alfred Neven DuMont
Foto: NRhZ-Archiv



Dreßen: Man muss sich wohl darauf einrichten, dass gerichtlichen Sprüchen nicht immer gefolgt werden darf. Legitimität fällt nicht mit Legalität zusammen.

Wolfgang Dreßen ist Professor für Politik an der FH Düsseldorf und Leiter der
Arbeitsstelle Neonazismus.

 



Online-Flyer Nr. 49  vom 20.06.2006



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